Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Kralik als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Vogel, Dr. Melber, Dr. Kropfitsch und Dr. Warta als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei W*** G***, 1101 Wien,
Wienerbergstraße 15-19, vertreten durch Dr. Robert Amhof, Dr. Heinz Damian, Rechtsanwälte in Wien, wider die beklagte Partei Ing. Manfred P***, Geschäftsführer, 1130 Wien, Klitschgasse 2, vertreten durch Dr. Peter Schulyok, Rechtsanwalt in Wien, wegen S 3,132.923,80 sA infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes vom 6. April 1989, GZ 1 R 226/88-12, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Handelsgerichtes Wien vom 7. Juli 1988, GZ 13 Cg 60/87-8, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Der Beklagte ist schuldig, der klagenden Partei die mit S 24.426,68 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (einschließlich S 4.071,11 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Der Beklagte war Geschäftsführer der Ing. P*** Baugesellschaft mbH. Diese war Komplementärin der Ing. P*** Baugesellschaft mbH & Co KG. Mit dem Beschluß des Handelsgerichtes Wien vom 23.3.1984, Sa 26/84-2, wurde über das Vermögen der Ing. P*** Baugesellschaft mbH & Co KG das Ausgleichsverfahren eröffnet und Dr. Johannes J*** zum Ausgleichsverwalter bestellt. In der Tagsatzung vom 9.5.1984 verbesserte die Ausgleichsschuldnerin den Ausgleichsvorschlag dahin, daß sie sich bis zur vollständigen Erfüllung des Ausgleiches der Überwachung durch einen Sachwalter der Gläubiger unterwarf und diesem unwiderrufliche Verkaufsvollmacht zur Verwertung ihres gesamten Vermögens erteilte. Mit dem Beschluß vom 10.9.1984 wurde der abgeschlossene Liquidationsausgleich bestätigt. Nach Rechtskraft dieses Beschlusses hob das Erstgericht mit dem Beschluß vom 22.10.1985 das Ausgleichsverfahren gemäß § 57 Abs 2 AO auf. Nach Bekanntgabe durch den Sachwalter, daß die Erfüllung des abgeschlossenen Ausgleiches nicht möglich sei, wurde die Überwachung mit dem Beschluß vom 6.12.1985 gemäß § 64 Abs 2 Z 3 AO eingestellt. Mit dem Beschluß des Handelsgerichtes Wien vom 12.6.1986, 6 S 67/86, wurde über das Vermögen der Ing. P*** Baugesellschaft mbH & Co KG der Konkurs eröffnet.
Mit dem rechtskräftigen Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 31.10.1984, 12 c E Vr 11.090/84, Hv 7192/84-15, wurde der Beklagte des Vergehens der fahrlässigen Krida nach § 159 Abs 1 Z 1 und 2 (§ 161) StGB schuldig erkannt, weil er als Schuldner mehrerer Gläubiger, nämlich als Geschäftsführer der Firma P*** Baugesellschaft mbH & Co KG in der Zeit von 1977 bis zur Jahreswende 1982/83 fahrlässig seine Zahlungsunfähigkeit insbesondere dadurch herbeigeführt hat, daß er das genannte Bauunternehmen ohne hinreichendes Eigenkapital gegründet und ab 1981 trotz einer arg verlustreichen Gebarung und der schlechten Preissituation im Baugewerbe fortgeführt, zu viele Arbeiter beschäftigt, von vornherein nicht kostendeckende Aufträge angenommen und unverhältnismäßig Kredit benützt habe, sowie von der Jahreswende 1982/83 bis März 1984 in Kenntnis bzw. fahrlässiger Unkenntnis seiner Zahlungsunfähigkeit die Befriedigung seiner Gläubiger insbesondere dadurch geschmälert hat, daß er neue Schulden einging, Schulden bezahlte und das Insolvenzverfahren nicht rechtzeitig beantragte.
Mit dem vollstreckbaren Rückstandsausweis vom 24.6.1987 schrieb die Klägerin der Firma Ing. P*** Baugesellschaft mbH & Co KG an Sozialversicherungsbeiträgen für die Beitragszeiträume Februar 1984 bis September 1984 einschließlich Zinsen und Nebengebühren einen Betrag von 3,132.923,80 S vor.
Die Klägerin begehrte vom Beklagten die Bezahlung dieses Betrages und führte unter Hinweis auf die strafgerichtliche Verurteilung aus, daß der Beklagte als mittelbarer Geschäftsführer für die Verletzung von Schutzgesetzen zugunsten der alten wie der neuen Gläubiger hafte. Da die Klägerin als "Neugläubigerin" zu betrachten sei, deren Forderungen erst nach dem Eintritt des "status cridae" begründet wurden, habe sie Anspruch auf Ersatz des vollen Beitragsrückstandes, zumal aus dem Gesellschaftsvermögen keine Befriedigung zu erwarten sei. Die Klage werde ausschließlich auf den Haftungsgrund nach § 159 Abs 1 Z 1 und 2 StGB gestützt, weshalb sowohl die Dienstgeber- als auch die Dienstnehmeranteile der rückständigen Beiträge begehrt werden.
Der Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens. Er brachte vor, daß ihm Anfang März 1984 die Finanzierungsprobleme der Ing. P*** Baugesellschaft mbH & Co KG bewußt geworden seien. Vom Beklagtenvertreter sei er über die Tatbestände der Überschuldung und Zahlungsunfähigkeit sowie darüber aufgeklärt worden, daß er mit sofortiger Wirkung keinerlei Zahlungen mehr leisten dürfe. Tatsächlich habe die Ausgleichsschuldnerin ab 7.3.1984 alle Zahlungen eingestellt und damit das insolvenzrechtliche Prinzip der Gleichbehandlung der Gläubiger beachtet. Es seien auch an die Dienstnehmer keine Löhne mehr ausgezahlt worden, da im Zuge des Ausgleichsverfahrens sämtliche Dienstverhältnisse zur Auflösung gebracht wurden. Die Dienstnehmerforderungen seien daher ebenso wie die sich darauf beziehenden Sozialversicherungsbeiträge zu Quotenverbindlichkeiten geworden. Da die Sozialversicherungsbeiträge erst mit der Auszahlung der Löhne und Gehälter fällig werden, eine solche aber nicht erfolgt sei, habe auch keine Verpflichtung zur Abfuhr der betreffenden Sozialversicherungsbeiträge bestanden. Gemäß § 69 KO treffe den Geschäftsführer keine strafrechtliche Haftung, wenn er innerhalb von 60 Tagen gerechnet ab Eintritt der Zahlungsunfähigkeit die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens beantrage oder Vorbereitungen für diesen Antrag sorgfältig betrieben worden seien. Innerhalb dieser gesetzlichen Schutzfrist könne den Beklagten daher keinesfalls eine Haftung treffen, da er das Ausgleichsverfahren ordnungsgemäß betrieben habe. Anläßlich der Ausgleichstagsatzung sei das gesamte Vermögen der Ausgleichsschuldnerin an den Ausgleichsverwalter als Sachwalter der Gläubiger übergeben worden. Ab diesem Zeitpunkt sei der Beklagte nicht mehr dispositionsbefugt gewesen, sodaß er für Forderungen der Klägerin innerhalb dieses Zeitraumes nicht einzustehen habe. Die Tatsache der Eröffnung des Konkursverfahrens sei für den geltend gemachten Klageanspruch nicht kausal. Der Forderungsausfall der Klägerin sei vielmehr auf die rechtlichen Konsequenzen des vorhergehenden Ausgleichsverfahrens zurückzuführen. Auch sei die Klägerin aktiv nicht klagslegitimiert, weil das Konkursverfahren betreffend die Ing. P*** Baugesellschaft mbH & Co KG noch anhängig sei. Die Berechtigung zur Geltendmachung der "klagsgegenständlichen Gegenforderung" liege daher ausschließlich beim Masseverwalter. Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Es traf nachstehende, zusammengefaßt dargestellte, Feststellungen:
Im Ausgleichsantrag der prot. Fa. Ing. P*** Baugesellschaft mbH & Co KG wurde auf die durch die ungünstige Wirtschaftslage sich ergebende Schrumpfung des Bauvolumens hingewiesen, durch die sich die Konkurrenzsituation so verschärft habe, daß kostendeckende Preise am Markt kaum unterzubringen gewesen wären. Die Ertragslage wurde als bis inklusive 1982 als durchaus zufriedenstellend bezeichnet. Den Ausgleichsantrag brachte der Beklagte als Geschäftsführer der Ing. P*** Baugesellschaft mbH & Co KG deshalb ein, weil er auf Grund der Bilanz anfangs März 1984 erkennen mußte, daß die von ihm geführte Firma zahlungsunfähig war. Der Beklagte setzte sich mit dem Beklagtenvertreter ins Einvernehmen, der am 5.3.1984 darauf hinwies, daß keine Zahlungen mehr geleistet werden dürften, damit niemand bevorzugt werde. Zum Stichtag 17.4.1984 errechnete der Beklagte eine Überschuldung von 16,116.200 S. Die Insolvenz der "P*** KG" führte der Beklagte auf das überraschende Ausbleiben von Aufträgen zurück, durch das er sich veranlaßt sah, andere, nicht kostendeckende Aufträge hereinzunehmen, um Umsatzeinbrüche zu vermeiden. Durch Bauverzögerungen und Bauunterbrechungen seien erhebliche Schwierigkeiten im Finanzierungsbereich entstanden, die nach den Angaben im Ausgleichsantrag von der P*** KG nicht auf die Bauherrschaft überwälzt werden konnten. Der Verlust der P*** KG betrug 1981 2,098.890,50 S, 1982 61.842,76 S und 1983 8,317.676,35 S. Die Ausgleichsschuldnerin wurde mit dem Beschluß des Handelsgerichtes Wien als Ausgleichsgericht vom 17.4.1984 ermächtigt, die Dienstverhältnisse der Angestellten und Arbeiter der P*** KG ohne Rücksicht auf die vereinbarte Vertragsdauer oder eine längere Kündigungsfrist unter Einhaltung der gesetzlichen, kollektivvertraglichen oder der zulässigerweise vereinbarten kürzeren Kündigungsfrist unter Bedachtnahme auf gesetzliche Kündigungsbeschränkungen zu lösen. Dr. J*** empfahl den Gläubigern die Annahme eines Liquidationsausgleiches bei gleichzeitiger Übergabe des Vermögens an einen die Erfüllung des Ausgleiches überwachenden Sachwalter. Zur Zeit des Berichtes Dris. J*** an das Ausgleichsgericht waren bei der P*** KG 78 Arbeiter und 12 Angestellte beschäftigt. Die Dienstverhältnisse der Arbeiter endeten auf Grund der Kündigungen vom 7.5.1984 am 13.5.1984. Im Ausgleichsverfahren wurde getrachtet, alle in Arbeit befindlichen Aufträge bis auf eine Baustelle zu Ende zu führen, um Zahlungsrückbehalte und Schadenersatzansprüche zu verhindern. Durch die Dienstnehmerkündigungen stellten die Dienstnehmeransprüche und die auf die Forderungen der Arbeitnehmer entfallenden öffentlichen Abgaben gemäß § 23 Abs 1 Z 2 und 3 lit a AO keine bevorrechteten Forderungen dar, was nach dem Bericht Dris. J*** vom 3.5.1984 entscheidenden Einfluß auf die Möglichkeit der Ausgleichserfüllung haben sollte. Soweit Dr. J*** für die Fertigstellungsarbeiten Dienstnehmer benötigte, wurden neue Dienstverhältnisse mit Arbeitern bzw. Zeitdienstverhältnisse mit Angestellten eingegangen. Anfangs 1984 waren noch 100 Arbeiter bei der P*** KG beschäftigt gewesen. Dr. J*** errechnete eine Überschuldung von 19,861.209,62 S und Quotenforderungen von 34,060.473 S, die aus dem Quotenausschüttungsbetrag von 14,199.263,38 S befriedigt werden sollten. Voraussetzung für die mit 41,7 % errechnete Quote waren das Unterbleiben vorzeitiger Austritte von Dienstnehmern der P*** KG, plan- und ordnungsgemäße Beendigung aller Baustellen, ohne daß Gewährleistungs- und Schadenersatzansprüche entstehen, fristgerechte Zahlung der Rechnungen durch die Auftraggeber (S*** W***, gemeindeeigene Unternehmungen), Kostendeckung der Aufträge, Entsprechung der Verkaufserlöse den Schätzungen des Beklagten und der Ausgleichsschuldnerin und Verlustbegrenzung des Liquidationsverlustes auf die geschätzte Höhe von 2 Millionen S. In der Tagsatzung vom 9.5.1984 verbesserte die P*** KG den Ausgleichsvorschlag unter anderem durch Unterwerfung der Ausgleichsschuldnerin der Überwachung durch Dr. J*** als Sachwalter der Gläubiger bis zur vollständigen Erfüllung des Ausgleiches. Dr. J*** wurde auch eine unwiderrufliche Verkaufsvollmacht zur Verwertung des gesamten Vermögens der P*** KG erteilt und das ganze Vermögen übertragen. Die Klägerin beantragte am 12.6.1984 die Einstellung des Ausgleichsverfahrens über das Vermögen der P*** KG wegen mißbräuchlicher Inanspruchnahme gemäß § 67 Abs 1 Z 8 AO. Dr. J*** sprach sich gegen diesen Antrag aus. Mit dem Beschluß vom 10.9.1984 wurde der Ausgleich bestätigt, der eine Quote von 40 % für alle nicht bevorrechteten Gläubiger vorsah. Gegen diesen Beschluß richtete sich ein Rekurs der Bauarbeiter-Urlaubskasse, in dem geltend gemacht wurde, daß die Behauptung der P*** KG, einen Liquidationsausgleich anzustreben, unrichtig sei, da die mit 13.5.1984 beendeten Dienstverhältnisse mit den Arbeitern bis auf 3 Dienstverhältnisse mit allen anderen Arbeitern mit 14.5.1984 durch Neueintritte wieder begonnen worden wären. Dadurch seien die bevorrechteten Forderungen rechtswidrig in Quotenforderungen zum Vorteil der Ausgleichsschuldnerin umgewandelt worden. Dem Rekurs wurde keine Folge gegeben.
Die Dienstnehmer der P*** KG erhielten ab Feber 1984 keine Gehalts- oder Lohnzahlungen. Sie erhielten Ansprüche über den Insolvenzausfallgeldfonds bevorschußt.
Dr. J*** erstattete am 6.11.1985 dem Handelsgericht Wien als Ausgleichsgericht Bericht und gab bekannt, daß die Überwachung im Ausgleichsverfahren der P*** KG zu keiner Beendigung führen werde, da die Ausgleichsquote von 40 % nicht erzielbar war. Mit dem Beschluß vom 6.12.1985 wurde die Überwachung der P*** KG durch Dr. J*** als Sachwalter eingestellt.
Bei dem am 12.6.1986 über das Vermögen der P*** KG eröffneten Konkurs handelte es sich nicht um einen Anschlußkonkurs. Das Konkursverfahren ist noch nicht abgeschlossen. Die Anmeldung einer Forderung von 2,877.446,44 S durch die Klägerin im Konkurs wurde anerkannt. Die bevorrechteten Ausgleichsforderungen bezüglich der Arbeitsverhältnisse der während des Ausgleichsverfahrens beschäftigten Dienstnehmer der P*** KG wurden bezahlt. Das Strafgericht nahm bei dem oben festgestellten Strafurteil gegen den Beklagten den Sachverhalt laut Strafantrag als erwiesen an. Bei den im Rückstandsausweis vom 24.6.1987 ausgewiesenen Rückständen handelt es sich um Dienstgeberanteile.
Rechtlich war das Erstgericht der Ansicht, daß die Aktivlegitimation der Klägerin gegeben sei, weil es sich nicht um eine Forderung der vom Masseverwalter vertretenen Konkursmasse, sondern um eine Schadenersatzforderung ex delicto eines Gläubigers gegen den ehemaligen Geschäftsführer handle. Die Bestimmungen des § 159 Abs 1 Z 1 und 2 StGB seien Schutzgesetze nach § 1311 ABGB. Durch das Strafurteil sei das Verschulden des Beklagten am Eintritt der Zahlungsunfähigkeit der Ing. P*** Baugesellschaft mbH & Co KG bindend festgestellt. Die Zahlungsunfähigkeit sei um die Jahreswende 1982/83 eingetreten. Wenn der Beklagte dies nicht erkannt habe, liege schuldhafte Fahrlässigkeit vor. Da er trotzdem neue Schulden eingegangen sei, hafte er den Gläubigern aus diesem Verhalten. Das Berufungsgericht gab der Berufung des Beklagten nicht Folge. Es widerlegte die Auffassung des Beklagten, daß nach dem 13.5.1984 keine weiteren Zahlungspflichten für Sozialversicherungsbeiträge entstanden seien. Das Gericht zweiter Instanz verwies darauf, daß es sich bei dem vorliegenden Klagebegehren nicht um Schadenersatzansprüche der Gesellschaft gegen ihren Geschäftsführer, sondern vielmehr um einen Gläubigeranspruch aus dem deliktischen Verhalten des Geschäftsführers gegen diesen handle. Die Klagslegitimation der Klägerin sei daher gegeben. Die Pflicht zur Zahlung der Sozialversicherungsbeiträge sei nicht von der Erstattung einer Anmeldung abhängig: Einzige Voraussetzung für das Bestehen der Beitragspflicht sei das Vorliegen eines Dienstverhältnisses. Ob der Lohn tatsächlich an den Dienstnehmer zur Auszahlung gelangt, sei unerheblich. Das erhelle schon daraus, daß der Versicherungsschutz aufrecht bleibt, gleichgültig, ob der Dienstnehmer Lohn erhält oder nicht. Der Protokolls- und Urteilsvermerk habe die gleiche Wirkung wie ein ausgefertigtes Strafurteil; entfalte doch sogar eine verurteilende Strafverfügung Bindungswirkung nach § 268 ZPO. Die Sozialversicherungsbeiträge seien als sogenannte "neue Schulden" zu beurteilen; dem neuen Gläubiger - hier der Klägerin - stünden daher auch gegenüber dem Geschäftsführer, welcher nach § 159 Abs 1 Z 2 StGB rechtskräftig verurteilt wurde, der Ersatz des vollen Schadens zu. In Anbetracht der Verurteilung des Beklagten unter anderem gemäß § 159 Abs 1 Z 1 StGB stehe fest, daß er schuldhaft die Zahlungsunfähigkeit des Unternehmens herbeigeführt hat; es wäre seine Sache gewesen zu behaupten und zu beweisen, daß der Schade in gleicher Weise auch dann eingetreten wäre, wenn er sich rechtmäßig verhalten hätte. Diesen Beweis habe der Berufungswerber im Verfahren nicht erbracht. Der vorliegende Sachverhalt stelle sich nicht als atypische inadäquate Folge der vom Beklagten zu verantwortenden Herbeiführung der Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft dar. Sowohl die Anmeldung, Durchführung und das schließliche Scheitern des Ausgleichsverfahrens als auch die Eröffnung des Konkursverfahrens seien vielmehr typische Folgen eines derartigen Verhaltens. Sämtliche vom Berufungswerber angestellten Überlegungen, wonach er nach Kenntnis der Zahlungsunfähigkeit keine Zahlungen mehr leisten durfte und ihm darüberhinaus die Schutzfrist des § 69 KO zugute komme, sowie, daß er die Folgen des Konkursverfahrens nicht zu verantworten habe, müßten ins Leere gehen. Die Geschehnisse im Ausgleichsverfahren stellten sich als Folge der vom Beklagten schuldhaft herbeigeführten Zahlungsunfähigkeit dar und seien von ihm aus diesem Grunde auch zu verantworten. Mangels Erbringung des Gegenbeweises sei davon auszugehen, daß der Klägerin, welche ihre Leistungen erbracht hat, der Schade nicht entstanden wäre, wenn der Beklagte nicht die im Strafurteil rechtskräftig festgestellten Sorgfaltsverletzungen begangen hätte. Der Beklagte hafte daher für sämtliche Folgen seines schuldhaften Verhaltens, auch für jene, welche erst nach dem vom Strafgericht festgestellten Deliktszeitraum eingetreten sind.
Gegen die Entscheidung des Gerichtes zweiter Instanz richtet sich die Revision des Beklagten aus dem Anfechtungsgrund des § 503 Z 4 ZPO mit dem Antrag, das angefochtene Urteil abzuändern und das Klagebegehren abzuweisen.
Die Klägerin beantragt in der Revisionsbeantwortung, der Revision nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist nicht berechtigt.
Der Beklagte vertritt in der Revision den Standpunkt, daß die Klägerin nicht aktiv legitimiert sei, weil nur der Masseverwalter klageberechtigt wäre. Die rückständigen Sozialversicherungsbeiträge seien nicht bzw. erst mit der Auszahlung an den Insolvenzausfallgeldfonds fällig. Dem Urteilsvermerk des Strafgerichtes komme keine bindende Wirkung zu. Nach der Zielsetzung der Novellierung des Insolvenzrechtes sollten Sanierungen von Unternehmungen erleichtert und gefördert werden; es könne daher aus diesem Gesichtspunkt eine Haftung von Unternehmensorganen für Lohnnebenforderungen wie Sozialversicherungsbeiträge, die nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstanden seien, nicht in Betracht kommen. Die zivilrechtliche Inanspruchnahme des Beklagten widerspreche der Zielsetzung des § 69 KO.
Dazu war zu erwägen:
Nach ständiger Rechtsprechung können Gläubiger einer GmbH (vgl. SZ 51/88) aber auch einer GmbH & Co KG (JBl 1986, 791), deren Geschäfte durch den Geschäftsführer der Komplementär GmbH geführt wurden und die für ihre Forderungen im Vermögen der Gesellschaft keine oder keine ausreichende Deckung gefunden haben, den oder die Geschäftsführer der Gesellschaft nach den allgemeinen Grundsätzen des ABGB über den Schadenersatz (§§ 1293 ff) direkt für ihren Schaden in Anspruch nehmen, der ihnen von den genannten organschaftlichen Vertretern durch eine eigene schuldhafte Verletzung eines Gesetzes, das gerade ihren, der Gesellschaftsgläubiger, Schutz bezweckte (sogenanntes Schutzgesetz), verursacht wurde (vgl. Ostheim, JBl 1972, 143 f; Doralt, JBl 1972, 120 f; Schuppich, GesRZ 1972, 30 f; Pfersmann, ÖJZ 1973, 311; SZ 51/88; JBl 1986, 791; 8 Ob 29/87 uva). Der Beklagte wurde wegen des Vergehens der fahrlässigen Krida nach § 159 Abs 1 Z 1 und 2 StGB rechtskräftig auf Grund der oben dargestellten Tatbestände verurteilt. Beide Deliktstatbestände sind Schutzgesetze im Sinne des § 1311 ABGB zugunsten der Gläubiger (Reich-Rohrwig GmbH-Recht 141; Doralt, GesRZ 1982, 92 f; JBl 1986, 791 ua). Es besteht daher kein Zweifel daran, daß der Klägerin die Aktivlegitimation zur Geltendmachung ihrer Ansprüche im Sinne der dargestellten Lehre und Judikatur zukommt.
Das Entstehen weiterer Beitragsschulden gegenüber den Sozialversicherungsträgern durch die Weiterbeschäftigung bzw. Neubeschäftigung von Dienstnehmern nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit ist als ein Eingehen neuer Schulden zu verstehen (5 Ob 153/73; 7 Ob 726/88; SSt 39/34 ua); dem Sozialversicherungsträger kommt daher insoweit die Stellung eines "Neugläubigers" zu. Es ist unmaßgeblich, ob und wann der Lohn an die Dienstnehmer bezahlt wurde. Gemäß § 55 ASVG sind die Beiträge - von hier nicht relevanten Ausnahmen abgesehen -, "für die Dauer der Versicherung zu entrichten". Die Fälligkeit der Beiträge tritt - soweit die Versicherungspflicht kraft Gesetzes von selbst entsteht - auch von selbst ein; es ist daher in solchen Fällen die Pflicht zur Zahlung der Beiträge nicht einmal von der Erstattung einer Anmeldung abhängig (SVSlg. IX/13.441). Davon abgesehen wurde im Verfahren erster Instanz ohnedies festgestellt, daß die bevorrechteten Ausgleichsforderungen bezüglich der Arbeitsverhältnisse der während des Ausgleichsverfahrens beschäftigten Dienstnehmer bezahlt worden sind (S 11 des Ersturteiles).
Es ist ständige Rechtsprechung, daß die Bindungswirkung eines Strafurteiles nach § 268 ZPO auch dann eintritt, wenn das Urteil nach den Vorschriften der StPO in gekürzter Form ausgefertigt wurde (RZ 1989, 61; 3 Ob 577/85; 2 Ob 43/85 ua). Die gegenteiligen Argumente des Beklagten sind nicht stichhältig. Die von den Vorinstanzen dem Verfahren zugrundegelegten Verstöße des Beklagten gegen § 159 Abs 1 Z 1 und 2 StGB stehen daher für das vorliegende Zivilverfahren fest. Der Ausfall an Sozialversicherungsbeiträgen, den die klagende Partei erlitten hat, wurde von den Vorinstanzen in voller Höhe als erwiesen angenommen. Die Feststellungen beruhen auf dem vollstreckbaren Rückstandsausweis vom 24.6.1987. Da dem Beklagten nicht nur ein Verstoß gegen § 159 Abs 1 Z 1 StGB, sondern auch ein solcher nach § 159 Abs 1 Z 2 StGB zur Last liegt (womit er der klagenden Partei als Neugläubigerin Schaden zufügte), kommt eine dem Beklagten vorschwebende Schadensliquidierung durch Ersatz einer bloßen Quote desselben nicht in Betracht. Vielmehr hat der Neugläubiger Anspruch auf Ersatz seines gesamten kausalen Schadens (RdW 1988, 15), der diesfalls im Verlust der der klagenden Partei gebührenden Sozialversicherungsbeiträge besteht.
Soweit der Beklagte unter Bezugnahme auf allgemeine Zielsetzungen des Ausgleichsverfahrens für sich in Anspruch zu nehmen sucht, trotz der ihm angelasteten strafrechtlichen Tatbestände haftungsfrei zu sein, ist ihm zweierlei entgegenzuhalten:
Nach ständiger Rechtsprechung hat der Schädiger bei Verletzung eines Schutzgesetzes zu beweisen, daß der Schade auch bei vorschriftsmäßigem Verhalten in gleicher Weise eingetreten wäre (ZVR 1979/199; 7 Ob 726/88 uza), sodaß dem beklagten Geschäftsführer der Beweis oblegen wäre, daß die klagende Partei auch bei pflichtgemäßem Verhalten seinerseits den gleichen Ausfall erlitten hätte (GesRZ 1982, 56, 58; 7 Ob 726/88; 2 Ob 566/88 ua). Einen solchen Beweis hat der Beklagte weder angetreten noch erbracht.
Es ist aber auch in Lehre und Rechtsprechung unbestritten, daß der Schädiger alle im Rechtswidrigkeitszusammenhang stehenden Schäden zu ersetzen hat, mit denen in abstracto zu rechnen ist; nur eine außergewöhnliche Verkettung von Umständen wäre zu Gunsten des Schädigers nicht zu berücksichtigen (Reischauer in Rummel, ABGB, Rz 14 zu § 1295; ZVR 1982/95 uza). Da strafgerichtlich festgestellt wurde, daß der Beklagte fahrlässig seine Zahlungsunfähigkeit herbeigeführt und unter anderem die Befriedigung seiner Gläubiger insbesondere dadurch geschmälert hat, daß er neue Schulden einging, haftet er für die Folgen seiner Straftat, zu denen als geradezu typisch auch die Anmeldung, die Durchführung und das schließliche Scheitern des Ausgleichsverfahrens zählen. Daß hiebei neue Schulden gegenüber einem Neugläubiger, nämlich der klagenden Partei, eingegangen wurden, liegt nicht außerhalb der nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge zu erwartenden Folgen und ist insbesondere nicht atypisch im Sinne der der Beurteilung zu unterstellenden Adäquanz. Mit Recht haben daher die Vorinstanzen den Beklagten zur Haftung für die rückständigen Sozialversicherungsbeiträge herangezogen; seiner Revision war somit der Erfolg zu versagen.
Der Ausspruch über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.
Anmerkung
E18661European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1989:0020OB00097.89.0830.000Dokumentnummer
JJT_19890830_OGH0002_0020OB00097_8900000_000