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32/02 Steuern vom Einkommen und Ertrag;Norm
EStG 1988 §34;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. W. Pesendorfer und die Hofräte Dr. Sulyok, Dr. Fuchs, Dr. Zorn und Dr. Mairinger als Richter, im Beisein des Schriftführers MMag. Twardosz, LL.M., über die Beschwerde des Präsidenten der Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland gegen den Bescheid der Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland (Berufungssenat VIIa) vom 31. Mai 2002, GZ. RV/122-17/15/02, betreffend Einkommensteuer für das Jahr 2000 (mitbeteiligte Partei: J in R), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Begründung
Die mitbeteiligte Partei machte im Rahmen ihrer Einkommensteuererklärung für das Jahr 2000 einen Betrag von 146.723,14 S als außergewöhnliche Belastung geltend. Nach den über Aufforderung des Finanzamtes vorgelegten Belegen handelte es sich dabei um den Gesamtbetrag verschiedener Rechnungen über ärztliche Leistungen u.a. eines Institutes für Sterilitätsbetreuung (etwa betreffend "ICSI-IVF-Pauschale" oder das Medikament Viagra).
Mit der Begründung, Kosten der künstlichen Befruchtung (Invitro-Fertilisation) stellten keine außergewöhnliche Belastung dar, berücksichtigte das Finanzamt die geltend gemachten Ausgaben im Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2000 nicht.
In der Berufung führte die mitbeteiligte Partei aus, bei der Erstellung der Einkommensteuererklärung für das Jahr 2000 sei eine außergewöhnliche Belastung für eine künstliche Befruchtung (Invitro-Fertilisation) in Höhe von 146.723,14 S geltend gemacht worden. In der "Rechtsprechung und in den Kommentaren" werde teilweise noch die Meinung vertreten, eine künstliche Befruchtung stelle keine außergewöhnliche Belastung dar. Diese Meinungen stammten jedoch aus einer Zeit, in der noch andere gesetzliche Bestimmungen gegolten hätten. Seit Inkrafttreten des In-vitro-Fertilisation-Fonds-Gesetzes mit 1. Jänner 2000 würden 70 % der Behandlungskosten von den Krankenkassen und dem Familienlastenausgleichsfonds übernommen. Kein Zuschuss werde allerdings gewährt, wenn die Frau über 40 Jahre alt sei. Deshalb sei der mitbeteiligten Partei auch kein Kostenersatz zugestanden. Wenn daher die Anerkennung einer außergewöhnlichen Belastung bei der Einkommensteuer verwehrt werde, "würde dies eine Ungleichbehandlung darstellen, die nicht gerechtfertigt sei". Nach der Wiedergabe eines Auszuges aus "SWK 9/1998 Seite 285" (in diesem Artikel wird im Wesentlichen ein Urteil des BFH besprochen, wonach die Empfängnisunfähigkeit einer verheirateten Frau als Krankheit im Sinne des Einkommensteuerrechtes zu behandeln sei, weshalb Kosten einer so genannten homologen künstlichen Befruchtung als Heilbehandlungskosten als außergewöhnliche Belastung Berücksichtigung finden könnten) wird in der Berufung der Antrag gestellt, den Einkommensteuerbescheid 2000 abzuändern und als außergewöhnliche Belastung die geltend gemachten Arztkosten von 146.723,14 S sowie zusätzlich 15 Fahrten für die Arztbesuche mit dem Kilometergeld in Höhe von 13.524 S (Gesamtkosten sohin 160.247,14 S) als außergewöhnliche Belastung zu berücksichtigen.
Mit dem angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde der Berufung der mitbeteiligten Partei Folge. Strittig sei, ob die von der mitbeteiligten Partei unter dem Titel der außergewöhnlichen Belastung "infolge einer künstlichen Befruchtung" geltend gemachten Aufwendungen gemäß § 34 EStG 1988 steuerlich zu berücksichtigen seien. Unter Sterilität werde die Unfruchtbarkeit der Frau bzw. die Zeugungsunfähigkeit des Mannes verstanden. Die im Jahr 1959 geborene mitbeteiligte Partei habe für das Jahr 2000 auf Grund ihrer Empfängnisunfähigkeit die Kosten im Zusammenhang mit einer künstlichen Befruchtung (In-vitro-Fertilisation) als außergewöhnliche Belastung geltend gemacht. Die diesbezüglich vorgelegten Honorarnoten seien im Zeitraum April bis November 2000 von Univ. Prof. Dr. W.F. (Institut für Sterilitätsbetreuung) bzw. Dr. L. ausgestellt worden. Da die mitbeteiligte Partei bereits über 40 Jahre alt gewesen sei, sei durch die Krankenkasse keine Kostenübernahme erfolgt, weil nach § 4 des In-vitro-Fertilisation-Fonds-Gesetzes, BGBl. I Nr. 180/1999, ein Anspruch auf Kostentragung für höchstens vier Versuche pro Paar und angestrebter Schwangerschaft nur dann gegeben sei, sofern die Frau das 40. und der Mann das 50. Lebensjahr noch nicht vollendet hätten.
Im Erkenntnis vom 17. Oktober 1989, 89/14/0124, habe der Verwaltungsgerichtshof die Auffassung vertreten, dass die Belastung durch Kosten zur Herbeiführung einer In-vitro-Fertilisation bei Fortpflanzungsunfähigkeit der Ehefrau wegen Eileitervernarbung für den Ehemann keine außergewöhnliche Belastung darstelle, weil das Merkmal der Zwangsläufigkeit im Sinne des § 34 Abs. 3 EStG 1972 fehle. Mit der Frage, ob die Empfängnisunfähigkeit der Ehefrau bei dieser eine Krankheit darstelle, habe sich der Verwaltungsgerichtshof in diesem Erkenntnis allerdings nicht auseinander gesetzt, sondern lediglich darauf hingewiesen, dass Kinderlosigkeit selbst nie eine Krankheit sei, weil es auch freiwillige oder erwünschte Kinderlosigkeit gebe. Der Verwaltungsgerichtshof räume jedoch ein, dass die Kinderlosigkeit krankhafte Veränderungen zur Ursache haben könne.
Im Urteil vom 18. Juni 1997, III R 84/96, BStBl II 805, sei der deutsche Bundesfinanzhof (BFH) zur Ansicht gelangt, dass die homologe künstliche Befruchtung die Merkmale einer Heilbehandlung erfülle und die Kosten der Behandlung der Empfängnisunfähigkeit der Frau als Krankheitskosten anzusehen seien. Die belangte Behörde folge der in diesem Urteil vertretenen Auffassung und sehe eine außergewöhnliche Belastung "hinsichtlich der selbst zu tragenden Kosten insbesondere dann als gegeben an, wenn dem medizinischen Eingriff Fortpflanzungsunfähigkeit - als für die in Ausübung des Selbstbestimmungsrechtes, sich für ein eigenes Kind zu entscheiden, biologisch notwendige Körperfunktion - zugrunde liegt". Auf Grund der von der mitbeteiligten Partei vorgelegten Honorarnoten des Univ. Prof. Dr. W. F. (Institut für Sterilitätsbetreuung) gehe die belangte Behörde davon aus, dass sich die mitbeteiligte Partei auf Grund ihrer - krankhaften - Empfängnisunfähigkeit einer Sterilitätsbehandlung sowie einer homologen künstlichen Befruchtung unterzogen habe und demnach am Vorliegen einer Heilbehandlung kein Zweifel bestehe. Eine anders lautende rechtliche Beurteilung hätte im Fall einer heterologen Befruchtung zu erfolgen (somit bei einer Befruchtung mit dem Samen eines Mannes, der nicht der Ehemann sei), weil durch "die Befruchtung der Eizellen einer gesunden Frau mit Samenzellen eines Dritten infolge Zeugungsunfähigkeit des Ehegatten die Krankheit desselben nicht beseitigt wird". Anhaltspunkte dafür, dass im Beschwerdefall eine heterologe Befruchtung stattgefunden habe und demzufolge die Ursache für die In-vitro-Fertilisation nicht in der Empfängnisunfähigkeit der mitbeteiligten Partei begründet sei, sondern in der Zeugungsunfähigkeit des Ehemannes, seien weder aus den vorgelegten Honorarnoten ersichtlich noch dem Vorbringen der mitbeteiligten Partei zu entnehmen. Der Berufung sei somit stattzugeben und die außergewöhnliche Belastung in Höhe von 160.247,14 S anzuerkennen gewesen.
Gemäß § 292 BAO (idF vor dem AbgRmRefG BGBl. I Nr. 97/2002) hat der Präsident der Finanzlandesdirektion gegen diesen Bescheid Beschwerde erhoben.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Im Beschwerdefall erweist sich die vom beschwerdeführenden Präsidenten erhobene Verfahrensrüge als berechtigt, in der er vorbringt, die belangte Behörde habe es unterlassen, zur In-vitro-Fertilisation schlüssig festzustellen, weshalb sie ihrer Beurteilung eine Empfängnisunfähigkeit der mitbeteiligten Partei zu Grunde gelegt habe.
Wegen dieses zu Recht in der Beschwerde aufgezeigten Verfahrensmangels war der angefochtene Bescheid wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften nach § 42 Abs. 2 Z 3 VwGG aufzuheben. Für die abschließende Beurteilung werden Feststellungen über die Ursache der Fortpflanzungsunfähigkeit zu treffen sein, denn eine freiwillig herbeigeführte Fortpflanzungsunfähigkeit würde die Anerkennung als außergewöhnliche Belastung ausschließen (vgl. in diesem Zusammenhang die Urteile des BFH vom 3. März 2005, IIIR 68/03, und vom 18. Juni 1997, IIIR 84/96, BStBl II 805); für den Fall einer Fortpflanzungsunfähigkeit des Ehemannes werden auch Feststellungen über die Kostentragungspflicht durch die mitbeteiligte Partei erforderlich sein.
Wien, am 3. November 2005
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2005:2002150124.X00Im RIS seit
08.01.2006Zuletzt aktualisiert am
17.05.2013