TE OGH 1989/8/31 6Ob616/89

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Veröffentlicht am 31.08.1989
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Samsegger als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Schobel, Dr.Melber, Dr.Zehetner und Dr.Schlosser als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. Dr.Elisabeth P***, Angestellte, Kaiserstraße 50, 1070 Wien, 2. Ing.Martin S***, Berufsschuloberlehrer, Kaiserstraße 50. 1070 Wien, 3. Dr.Gertrude A***, Private, Chemin Miremont 6, CH-1012 Pully, 4. Dr.Wolfgang H***, Rat, Seidengasse 16, 1070 Wien, alle vertreten durch Dr.Olaf Borodajkewycz, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagten Parteien 1. Alfred A***, Fleischhauermeister, 2. Anna A***, Kauffrau, beide Westbahnstraße 50, 1070 Wien, vertreten durch Dr.Christoph Raabe, Rechtsanwalt in Wien, wegen Aufkündigung, infolge Revision der beklagten Parteien gegen das Urteil des Landesgerichtes für ZRS Wien als Berufungsgerichtes vom 4.November 1988, GZ 48 R 489/88-30, womit infolge Berufung der beklagten Parteien das Urteil des Bezirksgerichtes Innere Stadt Wien vom 5.Mai 1988, GZ 47 C 248/87-25, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagten Parteien sind zur ungeteilten Hand schuldig, den klagenden Parteien die mit S 3.708 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin enthalten S 618 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Beklagten haben in dem im Eigentum der Kläger stehenden Haus Wien 7, Kaiserstraße 50, Geschäftsräume zum Betrieb einer Fleischhauerei gemietet.

In ihrer am 18.September 1985 eingebrachten, auf den Kündigungsgrund des § 30 Abs 2 Z 3 MRG gestützten Aufkündigung machten die Kläger geltend, die vom Fleischhauereibetrieb ausgehenden Lärm- und Geruchsbelästigungen hätten für die Bewohner des Hauses und die Nachbarschaft ein unerträgliches Maß angenommen, die Beklagten befolgten die behördlich vorgeschriebenen Auflagen nicht und setzten sich auch über die Bestimmungen des Mietvertrages hinweg. Sie verunreinigten den Hof, sodaß es zu einer Ungezieferplage komme. Sie lagerten Abfälle, Gerümpel und andere Dinge in nicht mitgemieteten Räumlichkeiten des Hauses. Das Erstgericht erklärte die Aufkündigung für rechtswirksam und verpflichtete die beklagten Parteien zur Räumung des Geschäftslokales. Das Erstgericht traf folgende wesentliche Feststellungen:

Vor den Beklagten hatte der Vater des Erstbeklagten die Geschäftsräumlichkeiten zum Betrieb einer Fleischhauerei gemietet. Mit Bescheid des Magistrates der Stadt Wien vom 28.September 1967 wurde die Ausübung des Betriebes unter den Bedingungen gestattet, daß 1. in der Zeit von 22.00 bis 6.00 Uhr keine lärmenden Arbeiten durchgeführt werden, 2. metallische Rohrleitungen der Exhaustoranlage durch schallunterbrechende Zwischenstücke gegen das Mauerwerk wirksam abgesichert werden und 3. die bis zum Abtransport im Hof vorübergehend aufbewahrten geruchsbelästigenden Abfälle in einem eigenen luftdichten Behälter abzulegen sind. Mit Mietvertrag vom 23.Jänner 1974 wurden die Beklagten Mieter des Geschäftslokales. Sie verpflichteten sich im Mietvertrag, die in den Hof führenden Türen verschlossen zu halten, wenn der Ventilator eingeschaltet ist. Obwohl den Beklagten auf Grund des Bescheides des Magistrates der Stadt Wien lärmende Arbeiten erst ab 6.00 Uhr früh gestattet waren, kam es immer wieder vor, daß solche Arbeiten bereits um 5.00 Uhr früh stattfanden. Mit Bescheid vom 2.September 1976 erfolgte eine Änderung der Bewilligung, in welcher unter anderem folgende Auflagen erteilt wurden: Die Verwendung des Cutters und Hackarbeiten sind nur in der Zeit von 6.00 bis 22.00 Uhr zulässig (Punkt 27). Bei geöffneter Selche und geöffnetem Kochkessel sind die Fenster und die Türe in den Hof (mit Ausnahme der Lüftungsklappe oberhalb der Türe) geschlossen zu halten (Punkt 28). Die in oder an der Kochstelle auftretenden Brüden und Dämpfe sind an ihrer Entstehungsstelle zu erfassen und belästigungsfrei über Dach abzuführen (Punkt 29). Trotz dieses Bescheides haben die Beklagten die Fenster und die Türe in den Hof geöffnet und die Geruchsbelästigung daher nicht eingedämmt. Die Lüftungsklappe wird von den Beklagten überhaupt ausgehängt. Die Beklagten hielten sich auch nicht immer an die Bestimmungen des Mietvertrages, die in den Hof führenden Türen geschlossen zu halten, wenn der Ventilator eingeschaltet ist. Dadurch ist Lärm unvermindert nach außen gedrungen. Insbesondere die über der Fleischhauerei befindliche Wohnung der Erstklägerin wird von der Geruchsbelästigung "voll getroffen". Diese Wohnung ist auf Grund des durch die täglich um 5.00 Uhr früh beginnenden Arbeiten entstehenden Lärms fast unbenützbar. Insbesondere das Exhaustor macht sehr starken Lärm. Auch der Cutter, der alle paar Minuten läuft und auch samstags, verursacht "einen höllischen Lärm". Es mußten neue Bescheide erlassen werden, an welche sich die Beklagten ebenfalls nur teilweise hielten. Weil die Beklagten die Fenster Tag und Nacht geöffnet haben, ist die Geruchsbelästigung in der Wohnung der Erstklägerin so stark, daß die Fenster Tag und Nacht geschlossen bleiben müssen. Die Erstklägerin übernachtete aus diesem Grunde zeitweise bei ihrem Bruder. Es werden auch immer wieder Fleisch- und Knochenreste nicht fachgerecht verpackt in die Koloniakübel geworfen, wodurch diese zu stinken beginnen. Auch in der Kanalisation befanden sich immer wieder Fleischreste, sodaß die Kanalbrigade öfters die Kanalanlage reinigen mußte. Auf Grund der Tätigkeit der Beklagten kam es im Hof zu einer Fliegenplage, auch Ratten werden im Hof und im Keller immer wieder gesehen. Bei der im selben Haus wohnenden Ehegattin des Zweitklägers kommt es wegen des von der Fleischhauerei ausgehenden Gestankes immer wieder zu Übelkeitszuständen. Die Hausparteien werden durch den Geruch ebenfalls belästigt. Auch wenn sie die Fenster geschlossen haben, riecht es in ihren Wohnungen wie in einer Fleischhauerei. Bewohner des Nachbarhauses werden durch die Immissionen ebenfalls beeinträchtigt. Nach Einbringung der Aufkündigung wurde der Zustand nicht besser, sondern sogar noch schlechter. Die Beklagten sind auch nicht um besondere Reinlichkeit bemüht, sie reinigen den Hof nicht ausreichend von Blut- und Fleischresten. Auch dies ist eine Ursache der Fliegenplage. Mit den Bescheiden Beilagen W und X (vom 30.3.1987 und 1.6.1987, also nach Einbringung der Aufkündigung) wurden weitere Auflagen erteilt und zwar unter anderem, daß "die Fenster, die Tür und das Oberlicht in den Hof" ständig geschlossen zu halten sind. Auch diese Auflagen haben die Beklagten nicht eingehalten, eine Entlüftung haben sie erst nach Einbringung der Aufkündigung angeschafft. Bis dahin haben sie ständig Fenster, Türen und die Oberlichte offengehalten, um die Koch- und Selchdämpfe abziehen zu lassen.

Rechtlich beurteilte das Erstgericht diesen Sachverhalt dahin, habe der Mieter das Bestandobjekt ausdrücklich zum Betrieb einer Fleischhauerei gemietet, müßte der Vermieter die damit notwendig verbundenen Unzukömmlichkeiten dulden, so lange damit nicht eine Substanzgefährdung bzw. Übelstände einhergingen. Im vorliegenden Fall hätten die vom Fleischhauereibetrieb ausgehenden Mißstände das unvermeidbare Ausmaß überstiegen, insbesondere auch deshalb, weil es die Beklagten verabsäumt hätten, die von der Behörde erlassenen Auflagen strikt einzuhalten. Das Gesamtverhalten der Beklagten deute darauf hin, daß diese nicht besonders bemüht seien, die Mißstände abzustellen. Die Lärmentwicklungen seien so stark, daß die Nachtruhe der Hausparteien in empfindlicher Weise gestört und das Zusammenleben der Mietparteien des Hauses durch das unleidliche Verhalten der Beklagten vereitelt werde. Überdies bestünden sanitäre Übelstände, sodaß beide Fälle des geltend gemachten Kündigungsgrundes gegeben seien.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten nicht Folge und sprach aus, daß der Wert des Streitgegenstandes S 300.000 übersteige. Das Gericht zweiter Instanz erachtete die in der Berufung gerügten Verfahrensmängel und Aktenwidrigkeiten als nicht gegeben, übernahm die Feststellungen des Erstgerichtes als Ergebnis einer unbedenklichen Beweiswürdigung und führte zur Rechtsrüge aus, bei Beurteilung des Kündigungsgrundes seien die mit dem Betrieb einer Fleischhauerei verbundenen und "von den Anrainern als lästig empfundenen Emissionen als geschäftstypische und branchenübliche Nebenwirkungen" anzusehen, doch seien gewisse Grenzen für die Zumutbarkeit gesetzt. Im vorliegenden Fall seien Mieter und Anrainer Geruchs-, Lärm- und Verschmutzungsbelästigungen ausgesetzt. Die Beklagten seien von den Vermietern auf die Übelstände hingewiesen und von der Gewerbebehörde bescheidmäßig verpflichtet worden, gewisse Auflagen zu erfüllen. Daß sich die Beklagten im Rahmen der von der Gewerbebehörde gezogenen Grenzen bewegt hätten, sei klar widerlegt. Würden zum Schutz der Anrainer verfügte Auflagen im Bewußtsein der Schädlichkeit des Verhaltens trotz ständiger Beschwerden nicht erfüllt, stelle dies einen Kündigungsgrund dar. Lärm und Geruchsbelästigungen durch den Gewerbebetrieb könnten jedenfalls dann als Kündigungsgrund herangezogen werden, wenn sie das übliche und vermeidbare Ausmaß überstiegen. Überschritten also die Belästigungen der Hausbewohner jenes Ausmaß, mit dem mit Rücksicht auf die Art des vertragsmäßig in den Bestandräumen geführten Unternehmens gerechnet werden müsse, sei der Tatbestand des unleidlichen Verhaltens des Mieters im Sinne des § 30 Abs 2 Z 3 zweiter Fall MRG gegeben. Die festgestellten Belästigungen seien geeignet, nicht nur Mieter in ihrer subjektiven Empfindlichkeit zu verletzen, sondern müßten im Zusammenhang mit der jahrelangen Nichterfüllung der gewerbebehördlichen Auflagen als so schwerwiegend angesehen werden, daß darin eine erhebliche Beeinträchtigung der Mitbewohner im Genuß ihrer Wohnungen zu erblicken sei, sodaß der Kündigungsgrund des § 30 Abs 2 Z 3 zweiter Fall MRG gegeben sei. Die Beklagten bekämpfen das Urteil des Berufungsgerichtes mit Revision, machen die Anfechtungsgründe der Mangelhaftigkeit des Verfahrens, der Aktenwidrigkeit und der unrichtigen rechtlichen Beurteilung geltend und beantragen, das angefochtene Urteil dahin abzuändern, daß das Klagebegehren abgewiesen werde. Hilfsweise stellen die Beklagten einen Aufhebungsantrag.

Die Kläger beantragen, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht berechtigt.

Zum Anfechtungsgrund der Mangelhaftigkeit des Verfahrens wiederholen die Revisionswerber ihre schon in der Berufung erhobene Rüge, es hätte ein Ortsaugenschein unter Beiziehung eines Sachverständigen durchgeführt werden müssen. Gerügt wird also ein Verfahrensmangel erster Instanz, den das Berufungsgericht nicht als gegeben erachtete. Dies kann mit Revision nicht mehr geltend gemacht werden (SZ 22/106, SZ 41/8 uva).

Als aktenwidrig rügen die Beklagten die Ausführungen des Berufungsgerichtes zur Beweiswürdigung hinsichtlich der Müllentsorgung. Aktenwidrig sind allerdings nicht die Ausführungen des Berufungsgerichtes, sondern jene der Revision, denn der Zeuge Andreas M*** sprach - entgegen den Behauptungen in der Revision - nicht von fachgerechter Verpackung der Abfälle, sondern sagte aus, daß die Plastiksäcke, in welche die Abfälle verpackt wurden, durch die scharfen Knochen zumindest teilweise zerrissen, wodurch im Sommer starke Gerüche entwichen seien.

Soweit die Beklagten im Rahmen der Rechtsrüge ausführen, sie hätten die behördlichen Auflagen immer erfüllt und eine korrekte Entsorgung der Abfälle vorgenommen, gehen sie nicht vom festgestellten Sachverhalt aus. Auf diese Ausführungen ist daher nicht weiter einzugehen, ebenso auf die Revisionsausführungen, mit denen der unzulässige Versuch unternommen wird, die Beweiswürdigung zu bekämpfen. Welche Schlüsse aus einer großen Zahl von zu verschiedenen Zeiten aufgenommenen Lichtbildern zu ziehen sind, ist eine Frage der Beweiswürdigung. Die Revisionsausführungen, die sich damit auseinandersetzen und mit welchen sogar eine Nichtigkeit nach § 477 Abs 2 Z 9 ZPO behauptet wird, sind daher verfehlt. Die Revisionsausführungen, den Beklagten seien Räumlichkeiten zum Betrieb einer Fleischhauerei vermietet worden, es müsse daher mit gewissen Belästigungen durch die behördlich genehmigte Anlage gerechnet werden, den Beklagten könne die Ausübung ihres Berufes nicht als unleidliches Verhalten angelastet werden, gehen am Kern der Sache vorbei. Im vorliegenden Fall sind die Bewohner des Hauses nämlich nicht nur den Immissionen, die sich aus dem ordnungsgemäßen Betrieb der Fleischhauerei bei Beachtung der behördlichen Auflagen ergeben, ausgesetzt, sondern werden dadurch beeinträchtigt, daß die Beklagten statt um 6.00 Uhr bereits um 5.00 Uhr früh mit lärmenden Arbeiten beginnen, durch mangelnde Entsorgung der Fleischabfälle Geruchsbelästigungen und Ungeziefer auftreten und von der Fleischhauerei eine starke Lärm- und Geruchsbelästigung ausgeht, weil die Beklagten die Fenster und Türen Tag und Nacht offenhalten. Richtig ist zwar, daß erst mit während des Kündigungsverfahrens ergangenen Bescheiden der Verwaltungsbehörde angeordnet wurde, daß Fenster und Türen ständig verschlossen bleiben müssen, doch haben sich die Beklagten nach den vom Erstgericht getroffenen Feststellungen auch daran nicht gehalten. Überdies war bereits im Bescheid vom 2.September 1976 die Auflage erteilt worden, bei gewissen Arbeiten Türen und Fenster geschlossen zu halten und die an der Kochstelle auftretenden Brüden und Dämpfe an ihrer Entstehungsstelle zu erfassen und belästigungsfrei über das Dach abzuleiten. Trotzdem haben die Beklagten Türen und Fenster Tag und Nacht offengelassen und erst nach Einbringung der Aufkündigung eine Entlüftung angeschafft. Daß den Hausbewohnern durch die über das notwendige Maß weit hinausgehende Geruchs- und Lärmbelästigung das Zusammenleben verleidet wird, kann nicht zweifelhaft sein. Nicht zielführend ist der Hinweis darauf, daß die Beeinträchtigungen durch die Berufsausübung der Beklagten entstehen, denn die Beklagten waren und sind verpflichtet, bei Ausübung ihres Berufes den zum Schutz der Hausbewohner verfügten Auflagen zu entsprechen. Es mag sein, daß der Einsatz der verwendeten Maschinen für den Fleischhauereibetrieb notwendig ist, die Revisionswerber lassen jedoch unberücksichtigt, daß sie entgegen den erteilten Auflagen die Maschinen schon vor 6.00 Uhr früh und bei geöffneten Türen und Fenstern verwenden. Die Behauptung, es seien einzelne Kleinigkeiten aus der langjährigen Praxis des Betriebes punktuell zusammengetragen worden, steht im Widerspruch zu den getroffenen Feststellungen. Nach diesen handelte es sich um ständige, durch viele Jahre andauernde Lärm- und Geruchsbelästigungen.

Zutreffend haben daher die Vorinstanzen das Vorliegen des geltend gemachten Kündigungsgrundes bejaht, weshalb der Revision ein Erfolg zu versagen war.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO.

Anmerkung

E18091

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1989:0060OB00616.89.0831.000

Dokumentnummer

JJT_19890831_OGH0002_0060OB00616_8900000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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