Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 6.September 1989 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Kral als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof. Dr. Steininger, Dr. Lachner, Dr. Massauer und Dr. Markel als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Maurer als Schriftführer, in der Strafsache gegen Marianne B*** wegen des Verbrechens des Totschlags nach § 76 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung der Angeklagten sowie über die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Geschwornengerichtes beim Landesgericht Feldkirch vom 19.Mai 1989, GZ 16 Vr 1448/88-31, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Hauptmann, und des Verteidigers Dr. Prokopp, jedoch in Abwesenheit der Angeklagten zu Recht erkannt:
Spruch
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.
Den Berufungen wird nicht Folge gegeben.
Gemäß § 390 a StPO fallen der Angeklagten auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Gründe:
Mit dem auf dem Wahrspruch der Geschwornen beruhenden angefochtenen Urteil wurde die am 22.September 1957 geborene Hausfrau Marianne B*** des Verbrechens des Totschlags nach § 76 StGB schuldig erkannt, weil sie sich am 21.Dezember 1988 in Götzis in einer allgemein begreiflichen heftigen Gemütsbewegung dazu hinreißen ließ, ihren Ehemann Manfred B*** durch Abgabe zweier Schüsse aus einem Kleinkalibergewehr in den Kopf und die linke Brust zu töten.
Die Geschwornen hatten (jeweils stimmeneinhellig) die anklagekonform auf Mord (§ 75 StGB) gerichtete Hauptfrage (I) verneint und die für diesen Fall vorgesehene Eventualfrage (II) nach Totschlag (§ 76 StGB) bejaht. Die nur für den Fall der Bejahung der Hauptfrage (I) gestellte Zusatzfrage (III) nach zur Tatzeit allenfalls gegebener Zurechnungsunfähigkeit der Angeklagten (§ 11 StGB) - die, wie der Vollständigkeit halber bemerkt sei, auch gar nicht indiziert war (vgl. insbesondere S 95 f/II) -, blieb unbeantwortet.
Rechtliche Beurteilung
Die Angeklagte bekämpft den Schuldspruch mit einer allein auf die Z 6 des § 345 Abs 1 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde, der keine Berechtigung zukommt.
Die Verletzung einer Vorschrift über die Fragestellung (§ 313 StPO) erblickt die Beschwerdeführerin darin, daß entgegen dem von ihrem Verteidiger in der Hauptverhandlung gestellten Antrag (S 98, 99/II) die Stellung von Zusatzfragen nach Notwehr (§ 3 Abs 1 StGB), Putativnotwehr (§ 8 StGB) sowie nach nicht vorwerfbarem Rechtsirrtum, der die Angeklagte das Unrecht der Tat nicht habe erkennen lassen (§ 9 StGB), abgewiesen worden seien. Gemäß § 313 StPO sind Fragen nach einem Strafausschließungs- oder Strafaufhebungsgrund dann zu stellen, wenn in der Hauptverhandlung Tatsachen vorgebracht wurden, die - falls sie als erwiesen angenommen werden - die Strafbarkeit des Täters ausschließen oder aufheben würden. Ein "Vorbringen" von Tatsachen liegt vor, wenn im Beweisverfahren konkrete Umstände behauptet werden oder sonst hervorkommen, die einen Strafausschließungs- oder Strafaufhebungsgrund begründen könnten (Mayerhofer-Rieder StPO2 ENr. 13 ff zu § 313). Der Schwurgerichtshof hat sohin vorweg aus rechtlicher Sicht zu prüfen, ob die behaupteten
Tatmodalitäten - sollten sie als erwiesen angenommen werden - überhaupt die Bedeutung haben können, die Strafbarkeit auszuschließen oder aufzuheben und demnach nur für den Fall der rechtlichen Erheblichkeit der vorgebrachten Tatsachen eine entsprechende Zusatzfrage an die Geschwornen zu richten (Mayerhofer-Rieder aaO ENr. 25, 27).
Eine Notwehrsituation im Sinn des § 3 Abs 1 StGB setzt einen gegenwärtigen oder unmittelbar drohenden rechtswidrigen Angriff auf Leben, Gesundheit, körperliche Unversehrtheit, Freiheit oder Vermögen voraus. Der Angriff braucht nicht bereits im Gange ("gegenwärtig") sein, es genügt auch, daß er unmittelbar bevorsteht ("unmittelbar droht"). Dies ist dann der Fall, wenn Gegenwehr bereits sachlich geboten ist, die Gefahr und die Notwendigkeit einer abwehrenden Reaktion sohin bereits eindeutig geworden sind. Die Situation muß also so weit gereift sein, daß es unter den herausgestellten Gesichtspunkten vernünftig ist, mit der Abwehr nicht länger zuzuwarten, sondern sofortige Verteidigung angemessen ist. Dieses Stadium kann bereits während der Vorbereitung des Angriffs erreicht sein; Notwehr ist daher bereits (aber auch erst) zulässig, wenn das gegnerische Verhalten zwar noch keine Rechtsverletzung darstellt, aber unmittelbar in eine solche umschlagen kann. Ist ein Angriff erst in Zukunft zu erwarten, darf Notwehr noch nicht in Anspruch genommen werden (Leukauf-Steininger Komm.2 RN 71; Nowakowski im WK Rz 15 f je zu § 3).
Anhaltspunkte für einen im obigen Sinn "unmittelbar" drohenden Angriff des Manfred B*** oder für die auf einem (Tatsachen-)Irrtum (iS des § 8 StGB) beruhende Annahme einer solchen aktuell bedrohlichen Situation durch die Angeklagte ergeben sich vorliegend nicht einmal aus deren Verantwortung, derzufolge sie den Tötungsentschluß (endgültig) faßte und ausführte, als ihr Ehemann eingeschlafen war und sie hiebei aus Angst vor einer Fortsetzung seiner Angriffe gegen sie und die Angehörigen handelte (S 59 ff, 125 ff/I, S 23, 46 f, 52, 74 f/II). Da diese für die Zukunft erwarteten Angriffe weder bereits im Gange noch auch nur in Vorbereitung waren, kann schon begrifflich keine Rede davon sein, daß Gegenwehr sachlich geboten war; war doch weder die Richtung, noch die Art und Intensität des nächsten von Manfred B*** nach dessen Aufwachen zu erwartenden Angriffs auch nur andeutungsweise bekannt, sodaß auch noch gar nicht abgeschätzt werden konnte, welche Verteidigung sich als geboten erweisen würde. Als Maßnahme zum eigenen Schutz und für die Sicherheit der Angehörigen war zu diesem Zeitpunkt daher nur die Vorbereitung der Verteidigung (allenfalls durch vorsorgliche Bewaffnung) geboten, keinesfalls aber eine gegen Manfred B*** gerichtete Handlung in Form eines präventiven Angriffs (siehe Nowakowski aaO Rz 17; Foregger-Serini, MKK4, Erl. III Ende; Mayerhofer-Rieder StGB3 ENr. 33 jeweils zu § 3). Daran, daß angesichts der (von der Angeklagten keineswegs verkannten) aktenkundigen Tatsituation ein rechtswidriger Angriff des Manfred B*** weder im Gange war noch unmittelbar bevorstand, vermag die in der Beschwerde hervorgehobene potentielle Gefährlichkeit nichts zu ändern. Da weder eine Notwehrsituation noch die (tatsachen-)irrtümliche Annahme einer solchen indiziert war, durften darauf gerichtete Zusatzfragen den Geschwornen sohin gar nicht gestellt werden (vgl. Mayerhofer-Rieder StPO2 ENr. 16, 17 zu § 313).
Welcher Art der angeblich der Angeklagten unterlaufene Rechtsirrtum gewesen sein soll, geht aus dem Antrag auf Stellung einer entsprechenden Zusatzfrage (S 98/II) zwar nicht hervor; doch ergibt sich aus dem Sachzusammenhang, insbesondere aus dem vorangehenden Antrag auf Stellung einer Zusatzfrage in Richtung Notwehr, daß sich die Verteidigung auf einen indirekten Verbotsirrtum, also auf die irrige Annahme der Angeklagten, es liege ein Rechtfertigungsgrund vor (Leukauf-Steininger aaO RN 9 ff; Foregger-Serini aaO Erl. II je zu § 9) zu berufen suchte. Ein solcher Rechtsirrtum ist jedoch - dem Beschwerdevorbringen zuwider - von der Angeklagten nicht einmal andeutungsweise vorgebracht worden. Ihre Behauptung, des Schutzes ihrer Angehörigen und ihrer eigenen körperlichen Integrität wegen nicht anders zu handeln vermocht und keinen anderen Ausweg gesehen zu haben, ist nicht als Indiz für einen - von der Angeklagten sogar ausdrücklich ausgeschlossenen (vgl. S 24/II) - Irrtum über die Rechtswidrigkeit der Tat zu werten, sondern allenfalls als Anhaltspunkt für einen Rechtsirrtum, aus welchem sie (im Hinblick auf die vermeintliche Unzumutbarkeit rechtmäßigen Verhaltens) ihre Schuld ausschließen zu können vermeinte (vgl. S 29 f/II). Die rechtsirrtümliche Annahme eines Schuldausschließungsgrundes - die zudem unbeachtlich wäre (Mayerhofer-Rieder StGB3 Anm. 12 und ENr. 24, 25 zu § 10; Kienapfel AT Z 20 RN 28) - war allerdings nicht Gegenstand der beantragten Zusatzfrage.
Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher zu verwerfen.
Das Geschwornengericht verurteilte die Angeklagte nach §§ 41, 76 StGB zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von drei Jahren. Gemäß § 43 a Abs 4 StGB wurde ein Teil der Strafe, nämlich zwei Jahre, unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen. Bei der Strafbemessung wertete es den Umstand, daß die Angeklagte auf "ihr schlafendes Opfer" schoß, als erschwerend, hingegen den bisher ordentlichen Lebenswandel und den Umstand, daß die Tat mit ihrem sonstigen Verhalten in auffallendem Widerspruch steht, ferner die Tatbegehung "um des Schutzes der Kinder willen (§ 34 Z 3 StGB)" sowie den Umstand, daß sich die Angeklagte selbst gestellt und durch ihre Aussage wesentlich zur Wahrheitsfindung beigetragen hat, als mildernd.
Mit den Berufungen streben die Angeklagte eine Herabsetzung der Freiheitsstrafe und deren bedingte Nachsicht (zur Gänze) gemäß § 43 Abs 1 StGB an, wogegen die Staatsanwaltschaft die Ausschaltung der teilbedingten Strafnachsicht und die Erhöhung der Strafe ohne Anwendung der außerordentlichen Strafmilderung nach § 41 StGB begehrt.
Das Geschwornengericht hat die Strafzumessungsgründe im wesentlichen richtig und vollständig erkannt und auch zutreffend gewürdigt. Die Anwendung der außerordentlichen Strafmilderung ist vorliegend mit Rücksicht auf das entgegen der Meinung der Staatsanwaltschaft doch gegebene Überwiegen der Milderungsumstände und die besonderen Gegebenheiten des Falles noch vertretbar, zumal es dabei nicht allein auf die im § 34 StGB aufgezählten besonderen Milderungsgründe ankommt, sondern auch der Unrechtsgehalt der Tat und alle sonst nach den allgemeinen Grundsätzen für die Strafbemessung bedeutsamen Momente zu berücksichtigen sind, welche die vorliegende Tat doch als erheblich unter der Norm liegend ausweisen (vgl. ÖJZ-LSK 1979/338; EvBl 1980/39). Dabei konnte insbesondere das Gutachten des psychiatrischen Sachverständigen (vgl. ON 19, S 37/I) nicht unberücksichtigt bleiben, welches der Angeklagten, die zur Tatzeit in ihrem Steuerungsvermögen durch einen depressiven Erschöpfungszustand deutlich eingeschränkt war, für die Zukunft eine in jeder Beziehung günstige Verhaltensprognose bescheinigt. Zu einer von der Angeklagten begehrten weiteren Strafermäßigung sah sich der Oberste Gerichtshof jedoch nicht veranlaßt, weil die von ihr in der Berufung angeführten mildernden Umstände bereits vom Geschwornengericht gebührend berücksichtigt wurden. Unbeachtet gebliebene, sei es zugunsten oder zu Ungunsten der Angeklagten sprechende Umstände von solchem Gewicht, daß sie eine Änderung des Strafmaßes nach oben oder unten rechtfertigen könnten, vermögen sohin die beiden Berufungswerber im Ergebnis nicht aufzuzeigen.
Aber auch die bedingte Nachsicht eines Teiles der Strafe ist der Angeklagten zu Recht gewährt worden, zumal sie vorher einen ordentlichen Lebenswandel geführt hat und aus den bereits dargelegten Gründen in Zukunft mit ihrem Wohlverhalten gerechnet werden kann. Eine - schon spezialpräventiv nicht
ausreichende - bedingte Nachsicht der gesamten Strafe hingegen kam auch aus generalpräventiven Erwägungen nicht in Betracht. Den Berufungen mußte daher gleichfalls ein Erfolg versagt bleiben.
Die Kostenentscheidung beruht auf der bezogenen Gesetzesstelle.
Anmerkung
E19170European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1989:0140OS00094.89.0906.000Dokumentnummer
JJT_19890906_OGH0002_0140OS00094_8900000_000