TE OGH 1989/9/6 1Ob602/89

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Veröffentlicht am 06.09.1989
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schragel als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schubert, Dr. Hofmann, Dr. Schlosser und Dr. Graf als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Klaudia L***, Angestellte, Königswiesen 42, vertreten durch Dr. Wolfgang Dartmann, Rechtsanwalt in Linz, wider die beklagte Partei Andreas S***, Hilfsarbeiter, Königswiesen 186, vertreten durch Dr. Christoph Rogler, Rechtsanwalt in Steyr, wegen restlicher S 458.025,-- samt Anhang und Feststellung (Streitwert S 40.000,--) infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgerichtes vom 28.Februar 1989, GZ 4 R 245/88-39, womit infolge Berufungen der klagenden und der beklagten Parteien das Urteil des Landesgerichtes Linz vom 25.Mai 1988, GZ 3 Cg 97/87-31, teils bestätigt und teils abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit S 17.317,80 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin enthalten S 2.886,30 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen bei Exekution zu bezahlen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die am 3.10.1968 geborene ledige Klägerin besuchte am 16.2.1985 einen Maskenball im Gasthaus D*** in Königswiesen. Die katholische Jugend von Königswiesen, deren Mitglied die Klägerin war, hatte beschlossen, als Steinzeit- bzw. Urmenschen verkleidet am Ball teilzunehmen. Die Verkleidung bestand aus ausgeschnittenen Kartoffeljutesäcken, die mit Hanf beklebt wurden. Auf das Kostüm wurde, wovon die Klägerin in Kenntnis war, dunkelbrauner Schuhspray und Körperspray angebracht. Etwa um 20 Uhr verließ die Klägerin das Gasthaus D*** und begab sich ins Cafe S***. Der am 28.7.1967 geborene Beklagte setzte sich dicht neben die Klägerin an die Theke und unterhielt sich mit ihr. Dabei spielte er mit seinem entflammten Feuerzeug vor dem Gesicht der Klägerin herum, die ihn deshalb fragte, "ob er spinne". Der Beklagte steckte dann zwar das Feuerzeug ein, beabsichtigte aber kurz darauf, sich eine Zigarette anzuzünden. Er nahm mit der rechten Hand die Zigarette, mit der linken aber das Gasfeuerzeug aus der Hüfttasche seiner Jeansjacke. Der Beklagte entzündete das Feuerzeug bereits zu dem Zeitpunkt, als er es aus seiner Tasche nahm. Dadurch fing die Bekleidung der Klägerin in Hüfthöhe zu brennen an. Auf Grund des leicht brennbaren Materials stand Sekunden später das ganze Kleid der Klägerin in Flammen, was auch durch dessen Imprägnierung mit einem leicht brennbaren Schuhspray bzw. die verhältnismäßig große Oberfläche der Hanffäden bedingt war. Die Klägerin erlitt dadurch Brandwunden zweiten und dritten Grades am Körper, an beiden Armen und an den Oberschenkeln. Ca. 60 % der Hautoberfläche war von Verbrennungen betroffen. Verbrennungen dritten Grades befanden sich an der Innenseite der Arme, im Bereich des Unterbauches und der Leistengegend. Früher führten solche Verletzungen zum Tode. Die Klägerin erhielt eine intensive Infusionsbehandlung, die Blasen wurden exakt abgetragen, mehrfach wurde Eigen- und Fremdhaut übertragen. Am 19.7.1985 wurde die Klägerin in häusliche Pflege entlassen. Bis einschließlich Mai 1986 war sie pflegebedürftig. Die Klägerin litt insgesamt 60 Tage starke, 90 Tage mittelstarke und 4 bis 6 Monate leichte Schmerzen. Es blieben ausgedehnte auffällige Narben, insbesondere im Bereich des Halses, der linken Brust, des Bauches, der Leistengegend, der Schulterblätter, der Arme und der Oberschenkel zurück. An den Schultern besteht eine Hautatrophie. Der Zustand der Narben läßt sich nicht mehr verbessern. Es ist zwar zu einer Abheilung der Geschwüre gekommen, die Narben sind heller geworden; sie sind aber dennoch deutlich sichtbar und empfindlich gegenüber Sonnenbestrahlung sowie chemischen Reizstoffen. Es ist nicht auszuschließen, daß es etwa durch Reiben von Kleidungsstücken oder durch Schwitzen zu neuerlichen Entzündungen und Geschwüren kommt. Dies ist weitgehend von der Vorsicht der Klägerin abhängig. Daneben ist es notwendig, eine laufende Salbenbehandlung durchzuführen und sportliche Betätigungen, bei denen es zu Schweißabsonderungen kommt, möglichst zu vermeiden. Durch die ausgedehnten Narben kann die Klägerin verschiedene Berufe nicht ergreifen. Auf Grund des Unfalles mußte sie die zweite Klasse Handelsschule wiederholen. Seit 13.7.1987 ist die Klägerin bei einem Rechtsanwalt als Sekretärin angestellt. Das gegen den Beschuldigten eingeleitete Strafverfahren wurde mit der Erklärung der Staatsanwaltschaft, gemäß § 12 Abs 1 JGG werde von einer Verfolgung abgesehen, beendet.

Die Klägerin begehrt zuletzt den Zuspruch des Betrages von S 878.550 samt Anhang, darunter S 550.000 Schmerzengeld und S 250.000 Verunstaltungsentschädigung sowie die Feststellung, der Beklagte hafte ihr für sämtliche in Zukunft eintretende Schäden und Folgen aus dem Unfall vom 16.2.1985.

Der Beklagte bestritt die geltend gemachten Ansprüche dem Grunde und der Höhe nach und wendete u.a. ein, die Klägerin treffe ein überwiegendes Mitverschulden. Die Klägerin habe ein leicht brennbares Faschingskostüm getragen, das noch dazu mit einem leicht brennbaren Schuhspray behaftet gewesen sei. Die Klägerin hätte damit rechnen müssen, daß in ihrer unmittelbaren Umgebung Zigaretten angezündet und geraucht werden. Diese außergewöhnliche Empfindlichkeit und Brennbarkeit der Kleidung der Klägerin sei für den Beklagten nicht erkennbar gewesen. Die Klägerin habe auf eigene Gefahr gehandelt.

Das Erstgericht gab unter Annahme eines Mitverschuldens der Klägerin von 1/4 dem Leistungsbegehren mit S 583.912,50 samt Anhang und dem Feststellungsbegehren zu 3/4 statt. Der Unfall sei überwiegend vom Beklagten verschuldet worden, da er nicht die zum Anzünden der Zigarette notwendige Sorgfalt beachtet habe, vielmehr mit seinem Feuerzeug unsachgemäß hantiert und trotz der Nähe des als brennbar erkennbaren Faschingskostüms der Klägerin mit dem Feuerzeug gespielt und es angezündet habe, ohne den notwendigen Abstand zur Klägerin einzuhalten. Allerdings müsse ein Mitverschulden der Klägerin im Ausmaß von 1/4 angenommen werden, da sie sich mit dem leicht brennbaren Kleid in ein öffentliches Lokal begeben habe und daher für sie größte Vorsicht geboten gewesen sei, zumal in einem Gasthaus damit gerechnet werden müsse, daß alkoholisierte Personen gerade diese Bekleidung als Aufforderung für Aggressions- oder Schreckhandlungen ansehen. Gerade weil der Beklagte mit seinem Feuerzeug vor dem Gesicht der Klägerin gespielt habe, hätte sie dem weiteren Verhalten des Beklagten besondere Aufmerksamkeit widmen und einen größeren Abstand zum Beklagten einnehmen müssen. Auch der Klägerin habe die leichte Brennbarkeit des Materials, insbesondere auch wegen der Behandlung mit Schuhspray und wegen der abstehenden Hanfzoten, bekannt sein müssen. Das Erstgericht hielt ein Schmerzengeld von S 450.000 und eine Verunstaltungsentschädigung von S 250.000 für angemessen.

Beide Teile erhoben Berufung. Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin zur Gänze, der des Beklagten teilweise Folge. Es änderte das Urteil des Erstgerichtes unter Ausschaltung eines Mitverschuldens der Klägerin dahin ab, daß es ihr insgesamt S 778.550, darunter S 550.000 Schmerzengeld und S 150.000 Verunstaltungsentschädigung, zuerkannte und dem Feststellungsbegehren zur Gänze stattgab. Es sei zu berücksichtigen, daß das Faschingskostüm der Klägerin nicht durch die Glut einer Zigarette, sondern durch die Flamme des Feuerzeuges des Beklagten entzündet worden sei. Es komme also nur darauf an, ob die Klägerin gerade mit diesem Vorfall habe rechnen müssen. Es gehöre zum Faschingstreiben in Österreich, daß mehr oder minder aufwendig kostümierte Personen auch öffentliche Lokale aufsuchten, in denen Kostümbälle veranstaltet werden. Die Faschingskostüme unterschieden sich wesentlich von der Alltagskleidung. Sie wichen von der gerade geltenden Mode ab; wegen der Kurzlebigkeit des Faschingstreibens würden keine qualitativ hochwertigen Materialien verwendet. Es werde viel improvisiert, zumal bei vielen Personen das Bestreben bestehe, den Arbeits- und Kostenaufwand für die Herstellung der Kostüme gering zu halten. Daher bestehe bei dem von der Klägerin am 16.2.1985 getragenen Faschingskostüm kein für sie auffälliges Abweichen von dem sonst üblichen Standard der Faschingskostüme. Es entspreche auch dem üblichen Faschingstreiben, daß Faschingskostüme nicht nur bei Umzügen im Freien getragen werden, sondern auch in öffentliche Lokalen. Durch die Art der verwendeten Materialien und durch die Gestaltung der Faschingskostüme bestehe naturgemäß eine gegenüber der Alltagskleidung erhöhte Brandgefahr, die nicht nur den Trägern dieser Kostüme, sondern auch der übrigen Bevölkerung bewußt sein müßte. Daher müßten sich die Träger solcher Faschingskostüme beim Besuch öffentlicher Veranstaltungen und öffentlicher Lokale darauf verlassen können, daß niemand in ihrer Nähe unvorsichtig mit Feuer hantiere. Demgemäß habe die Klägerin nicht damit rechnen müssen, daß der Beklagte sein Feuerzeug unmittelbar nach dem Herausziehen aus der Tasche ohne Rücksicht auf die Nähe und Eigenart ihres Faschingskostüms sofort betätigen und die Flamme möglicherweise sogar in einem Bogen auf die Höhe des Gesichtes führen werde. Sie habe vielmehr darauf vertrauen dürfen, daß ihre vorherige Vorhaltung wegen des leichtsinnigen Vorgehens des Beklagten ihn zu entsprechender Vorsicht und Aufmerksamkeit bewegen werde.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision des Beklagten, mit der er wie schon in seiner Berufung die Annahme eines 50 %igen Mitverschuldens der Klägerin anstrebt sowie der Höhe nach Schmerzengeld in der Höhe von S 450.000 und eine Verunstaltungsentschädigung von S 100.000 für gerechtfertigt ansieht, ist nicht berechtigt.

Es entspricht einhelliger Lehre und Rechtsprechung, daß Mitverschulden im Sinne des § 1304 ABGB kein Verschulden im technischen Sinn voraussetzt; schon Sorglosigkeit gegenüber eigenen Gütern führt dazu, daß der Geschädigte weniger schutzwürdig erscheint, so daß dem Schädiger nicht mehr der Ersatz des ganzen Schadens aufzuerlegen ist (ZVR 1985/28; ZVR 1985/9; ZVR 1984/207; ZVR 1984/122 mwN; Reischauer in Rummel, ABGB, Rz 1 zu § 1304; Harrer in Schwimann, ABGB, Rz 8 zu § 1304). Geht es um die Unterlassung von Schutzmaßnahmen zur eigenen Sicherheit, so ist im Verhältnis zum Schädiger der Vorwurf des Mitverschuldens nur begründet, wenn sich bereits ein allgemeines Bewußtsein der beteiligten Kreise dahin gebildet hat, daß jeder Einsichtige und Vernünftige solche Schutzmaßnahmen anzuwenden pflegt (ZVR 1984/122 ua, zuletzt 7 Ob 603/86; Schlegelmilch in Geigel19 39). Der Verletzte darf sich nicht allzu weit von einer durchschnittlichen Lebensführung entfernen (Soergel-Mertens11 Rz 3 zu § 254 BGB).

Diesen Erfordernissen entsprach die Kostümierung der Klägerin anläßlich des Maskenballes. Die Behauptung des Beklagten, daß die von der Klägerin getragenen Kleidungsstücke insgesamt "als leicht brennbare Stoffe im Sinne der einschlägigen ÖNORM" zu qualifizieren seien, ist tatsachenwidrig; das Erstgericht stellte nur fest, daß es sich um leicht brennbares Material handelte. Der Beklagte will mit seinen Ausführungen offensichtlich auf das im Strafverfahren eingeholte Gutachten der staatlich autorisierten Prüfanstalt der Brandverhütungsstelle für Oberösterreich Bezug nehmen. Diese stufte nicht nur die aus Hanf oder Jute, sondern auch die aus Nylon (Strumpfhose) bestehenden Kleidungsstücke der Klägerin als leicht brennbar im Sinn der ÖNORM B 3800 Teil 1 ein. Diese ÖNORM beschäftigt sich aber nicht mit dem Brennverhalten von Textilien (siehe ÖNORM S 1450), sondern mit dem Brandverhalten von Baustoffen und Bauteilen. Daß das von der Klägerin getragene Kostüm bei direkter Einwirkung einer offenen Flamme leicht entflammbar war, mußte ohnehin jedem Einsichtigen klar sein. Der Beklagte wurde von der Klägerin, als er ihr das entflammte Feuerzeug vor das Gesicht hielt, mit den Worten "spinnst Du" auf die Gefährlichkeit ihrer Bekleidung hingewiesen. Er verstand die Klägerin offensichtlich auch in dieser Richtung, hörte er doch mit dem Unfug vorerst auf und steckte das Feuerzeug ein. Nun ist es, wie das Berufungsgericht zutreffend hervorhob, bei Faschingsveranstaltungen durchaus üblich, daß gegenüber dem normalen Alltag Kostüme verwendet werden, bei denen eine erhöhte Brandgefahr, die nicht nur dem Träger dieser Kostüme, sondern auch der übrigen Bevölkerung bewußt ist, verwendet werden. Benützte die Klägerin ein solches Kostüm, hielt sie sich im Rahmen der durchschnittlichen Lebensführung von Personen, die an Faschingsveranstaltungen teilnehmen. Hielt sie zusätzlich dem Beklagten noch die Gefährlichkeit seines Verhaltens vor, kann ein dem grob fahrlässigen Verhalten des Beklagten gegenüber ins Gewicht fallendes Mitverschulden der Klägerin nicht angenommen werden. Auch das zuerkannte Schmerzengeld und die zugesprochene Verunstaltungsentschädigung halten sich im Rahmen vergleichbarer Fälle. Bei Ausmittlung des Schmerzengeldes sind im Zusammenhang mit körperlichen Verletzungen stehende seelische Schmerzen zu berücksichtigen (Jarosch-Müller-Piegler, Das Schmerzengeld5 151 mwN in FN 32; Danzl in ZVR Sonderheft 1987, 5 mwN in FN 36). Die Klägerin soll sportliche Betätigungen, bei denen es zu Schweißabsonderungen kommt, möglichst vermeiden. Vor dem Besuch eines Schwimmbades außerhalb ihrer Heimatgemeinde scheut die Klägerin auf Grund der den ganzen Körper bedeckenden Brandnarben verständlicherweise zurück. Daß ein 16 1/2jähriges Mädchen, das wochenlang unter stärksten Schmerzen zwischen Leben und Tod schwebt, einen, wie der Sachverständige ausführte, erheblichen Knick in seiner Persönlichkeitsentfaltung erleidet, bedarf keiner näheren Begründung. Liegt aber ein derart schwerer Fall vor, kann das zuerkannte Schmerzengeld von S 550.000 nicht als überhöht angesehen werden (vgl. den von Danzl aaO unter Nr.223 berichteten Fall). Daß durch die über den Körperstamm und die Extremitäten sich erstreckenden auffälligen Brandnarben eine gravierende Beeinträchtigung der Heiratsaussichten der jugendlichen Klägerin eingetreten ist, kann ebenfalls nicht bezweifelt werden. Gewisse Berufe, bei denen es auf einen makellosen Körper ankommt, bleiben ihr verschlossen. Der für diese Beeinträchtigung und Minderung zuerkannte einmalige Betrag von S 150.000 liegt im Rahmen der bei ähnlich schweren Verletzungen sonst zuerkannten Beträge (vgl. Danzl, Verunstaltungsentschädigung in ZVR 1988 Nr.31 bis 35). Der Revision ist der Erfolg zu versagen.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO.

Anmerkung

E18264

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1989:0010OB00602.89.0906.000

Dokumentnummer

JJT_19890906_OGH0002_0010OB00602_8900000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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