Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Scheiderbauer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Kralik, Dr.Vogel, Dr.Melber und Dr.Kropfitsch als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Irmgard D***, 6773 Vandans 202, vertreten durch Dr.Anton Tschann, Dr.Adolf Concin, Rechtsanwälte in Bludenz, wider die beklagte Partei Oskar F***, Vens 430, 6773 Vandans, vertreten durch Dr.Fritz Miller, Rechtsanwalt in Schruns, wegen Unterlassung, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes Feldkirch als Berufungsgerichtes vom 21.März 1989, GZ 1 b R 37/89-16, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Bezirksgerichtes Montafon vom 5.Jänner 1989, GZ 1 C 899/88 v-11, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit S 3.087,-- bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin S 514,50 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Die Klägerin begehrte den Beklagten schuldig zu erkennen, das Betreten ihrer Liegenschaft zu unterlassen. Sie brachte vor, das Gehrecht, das der Beklagte behaupte, habe nie bestanden. Der Beklagte wendete ein, der strittige Fußweg verbinde den Ortsteil Obervens mit der Untervenserstraße Richtung Bahnhof, werde Sommer und Winter benützt und stelle sich in der Natur deutlich als Wiesenweg dar. Der Beklagte benütze den Weg seit 30 Jahren, es seien auch andere Bewohner des Ortsteiles Obervens seit unvordenklichen Zeiten über diesen Weg gegangen. Da die Kinder des Beklagten auf mehreren Parzellen gebaut hätten, herrsche nun zwischen den Familienmitgliedern ein stärkerer Fußgängerverkehr als früher. Der Weg werde aber seit mehr als 30 Jahren auch schon von anderen Personen als den Familienmitgliedern des Beklagten benützt, ua von 14 Personen, deren Vernehmung als Zeugen beantragt wurde. Das Wegerecht stehe nicht nur dem Beklagten, sondern auch diesen Zeugen zu. Der Ausübung des Rechtes durch den Beklagten bewirke eine leichtere Zugangsmöglichkeit zu seiner Liegenschaft, vor Errichtung des Glusavinaweges sei dies die einzige Möglichkeit gewesen, zur Untervenserstraße und in weiterer Folge zum Bahnhof zu kommen. Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Es traf Feststellungen, seit wann und zu welchem Zweck der Beklagte den Fußweg benützte sowie wann und auf welche Art die Klägerin die Benützung des Weges untersagte. Es stellte außerdem fest, daß die Gemeinde zu ihren Gunsten ein Gehrecht nicht geltend mache. Rechtlich beurteilte das Erstgericht diesen Sachverhalt im wesentlichen dahin, soweit sich der Beklagte auf eine ersessene Servitut berufe, sei er noch innerhalb der Ersitzungszeit unredlich geworden. Außerdem diene der Weg lediglich einem rechtlich unerheblichen Bequemlichkeitsbedürfnis. Was die Ersitzung im Sinne eines "Gemeingebrauches" betreffe, fehle es am Besitzwillen seitens der Gemeinde und außerdem an der Notwendigkeit des Weges. Das Berufungsgericht gab der Berufung des Beklagten nicht Folge, sprach aus, daß der Wert des Streitgegenstandes S 60.000,--, nicht aber S 300.000,-- übersteige, und erklärte die Revision für zulässig. Das Gericht zweiter Instanz nahm eine Beweiswiederholung vor und traf eigene Feststellungen, aus welchen hervorzuheben ist:
Die Gemeinde Vandans macht derzeit über das Grundstück der Klägerin kein Gehrecht zu ihren Gunsten geltend. Sie hatte von diesem Weg auch keine Kenntnis, dieser wurde von ihr auch nicht beansprucht. Es liegt kein diesbezüglicher Gemeinderatsbeschluß vor. Die Gemeinde Vandans hat in keiner Weise zum Ausdruck gebracht, daß sie den Willen hat, den Weg (für die Gemeindeangehörigen) zu besitzen.
In rechtlicher Hinsicht führte das Berufungsgericht aus, der Beklagte habe, weil er nicht während der gesamten Ersitzungszeit von 30 Jahren redlich gewesen sei, das behauptete Recht nicht ersitzen können. Zur Frage der Ersitzung des behaupteten Rechtes durch die Gemeinde Vandans führte das Berufungsgericht aus:
Richtig sei, daß in der Rechtsprechung (JBl 1978, 144) die Ansicht vertreten werde, daß die Gemeinde ein Wegerecht zugunsten der Allgemeinheit ersitzen könne, wenn eine bestimmte Benützung durch eine Vielzahl von Gemeindebewohnern innerhalb der ganzen Ersitzungszeit stattgefunden habe und die Benützer sowie die Organe der Gemeinde die Rechtmäßigkeit der Besitzausübung gutgläubig angenommen hätten. Es werde auch die Ansicht vertreten, daß die Gemeindevertretung den Besitzwillen durch Beschluß auch im Nachhinein (nach Ablauf der Ersitzungszeit) dartun könne. Im gegenständlichen Fall habe die Gemeinde bisher einen solchen Besitzwillen in keiner Weise (auch nicht nachträglich) dargetan. Es könne daher dahingestellt bleiben, ob der Besitzwille durch Gemeinderatsbeschluß dokumentiert werden müsse, oder ob dieser auch stillschweigend erfolgen könne. Das Berufungsgericht vertrete jedenfalls die Ansicht, daß der von der Allgemeinheit (nicht nur von einem bestimmten Personenkreis) ausgeübte Besitz der Gemeinde nicht zurechenbar sei und daher auch nicht deren Besitzwillen zu ersetzen vermöge. Richtig sei, daß in der Rechtsprechung überwiegend die Ansicht vertreten wurde, daß für die Ersitzung eines als unregelmäßige Servitut zu qualifizierenden Wegerechtes zugunsten einer Gemeinde die Notwendigkeit einer solchen Wegeverbindung für erforderlich gehalten werde (JBl 1983, 200 mwN). Allerdings habe der Oberste Gerichtshof in seiner Entscheidung vom 3.November 1981 (JBl 1983, 199) zumindest in Frage gestellt, ob das Erfordernis der Notwendigkeit des Weges aufrecht zu erhalten sei. Iro habe in der diesbezüglichen Entscheidungsbesprechung überzeugend dargetan, daß das Erfordernis der Notwendigkeit des Weges für die Ersitzung der Gemeinde einerseits im Gesetz nicht gedeckt sei (§ 473 ABGB) und andererseits die diesbezüglichen Argumente nicht überzeugen können. Trotzdem komme eine Ersitzung durch die Gemeinde mangels eines entsprechenden Besitzwillens nicht in Betracht. Der Beklagte berufe sich daher zu Unrecht auf "Gemeingebrauch", so daß das Erstgericht zu Recht die hiefür angebotenen Beweise nicht aufgenommen habe. Der Beklagte bekämpft das Urteil des Berufungsgerichtes mit Revision, macht den Anfechtungsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung geltend und beantragt das angefochtene Urteil aufzuheben und die Rechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückzuverweisen.
Die Klägerin beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist nicht berechtigt.
Der Oberste Gerichtshof hat in seiner Entscheidung SZ 59/50, in der er sich mit der Lehre und der bisherigen Rechtsprechung auseinandersetzte, zur Frage der Ersitzung eines Wegerechtes für die Allgemeinheit durch die Gemeinde eingehend Stellung genommen. Er gelangte zu dem Ergebnis, daß mindestens im Tatsächlichen der Besitz unbestrittenermaßen auch durch Vertreter ausgeübt werden könne. Für das Zustandekommen und die Äußerung des Besitzwillens sei aber auch eine bestimmte Form nicht vorgeschrieben. Demnach bestehe kein Zweifel, daß der Besitzwille einer Gemeinde gemäß § 863 Abs 2 ABGB auch schlüssig erklärt werden könne. Darüber hinaus werde er ganz allgemein vermutet, wenn Handlungen gesetzt werden, die einer Rechtsausübung entsprechen. Sei nun das Verhalten nicht nur einzelner Gemeindebewohner, sondern aller nach der räumlichen Nähe in Betracht kommenden Personen (Gemeindeangehörigen wie Fremden) offenkundig auf die Benützung eines Weges zum allgemeinen Vorteil gerichtet, so sei einerseits die Signalwirkung dieser allgemeinen Benützung des Weges für den Belasteten unübersehbar und andererseits im Zweifel, also bis zum Beweis des Gegenteils, ebenso leicht erkennbar, daß die Gemeinde als Träger des Interesses für das Wohl der Gemeindeangehörigen einen durch diese vermittelten Besitz auch ausüben und erhalten wolle.
Dieser Ansicht schließt sich auch der erkennende Senat an. Damit ist für den Beklagten aber nichts gewonnen. Schon dem Vorbringen des Beklagten kann nämlich nicht entnommen werden, daß die Voraussetzungen für eine Ersitzung durch die Gemeinde vorliegen. Aus den Behauptungen des Beklagten ergibt sich nicht, daß der Wille aller nach der räumlichen Nähe in Betracht kommenden Personen offenkundig auf die Benützung des Weges zum allgemeinen Vorteil gerichtet war, der Beklagte brachte vielmehr lediglich vor, der Weg werde außer von den Mitgliedern seiner Familie noch von anderen Personen seit mehr als 30 Jahren benützt. Das Verhalten einzelner Gemeindemitglieder stellt aber keine der Gemeinde zuzurechnende Besitzausübung dar. Der Beklagte hat in der Tagsatzung zur mündlichen Streitverhandlung vom 30.November 1988, in der er sein Vorbringen ergänzte, selbst ausgeführt, das Wegerecht stehe nicht nur ihm, sondern auch den angebotenen Zeugen zu. Von einem Wegerecht, das zugunsten der Gemeinde ersessen wurde, sprach er hier also nicht einmal selbst. Ob allenfalls die beantragten Zeugen oder einzelne von ihnen ein Wegerecht ersessen haben, ist in diesem Verfahren ohne Bedeutung, weil der Beklagte daraus kein Benützungsrecht ableiten könnte. Aus diesem Grund war die Vernehmung der vom Beklagten beantragten 14 Zeugen nicht erforderlich. Es fehlt nach den Feststellungen überdies eindeutig auch am Willen der Gemeinde, ein Wegerecht auszuüben und zu erhalten.
Aus diesen Gründen ist das Unterlassungsbegehren der Klägerin berechtigt, ohne daß es erforderlich gewesen wäre zu erörtern, ob für die Ersitzung auch Nützlichkeit oder Notwendigkeit der Wegebenützung vorliegen müssen (siehe dazu SZ 59/50 mwN) und ob diese Voraussetzungen im vorliegenden Fall gegeben wären. Der Revision mußte daher ein Erfolg versagt bleiben. Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO.
Anmerkung
E18490European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1989:0020OB00550.89.0912.000Dokumentnummer
JJT_19890912_OGH0002_0020OB00550_8900000_000