TE OGH 1989/9/12 2Ob107/89

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Veröffentlicht am 12.09.1989
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Scheiderbauer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kralik, Dr. Vogel, Dr. Melber und Dr. Kropfitsch als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Johann L***, Pensionist, Föhrenstraße 8, 8790 Eisenerz, vertreten durch Dr. Adelheid Simon, Rechtsanwältin in Eisenerz, wider die beklagte Partei Reinhold B***, Bundesbahnbediensteter,

8715 St. Lorenzen 92, vertreten durch Dr. Anton Eichinger, Dr. Michael Augustin, Rechtsanwälte in Leoben, wegen 500.000 S und Feststellung, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgerichtes vom 16. Mai 1989, GZ 6 R 62/89-29, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Kreisgerichtes Leoben vom 30. Dezember 1988, GZ 3 Cg 162/87-23, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 11.341,80 S bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin 1.890,30 S Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Am 17. Februar 1986 ereignete sich auf der Bundesstraße 115 ein Verkehrsunfall, bei welchem der Kläger schwere Verletzungen erlitt. Der Kläger fuhr damals mit seinem PKW auf der Bundesstraße 115 in Richtung Westen. Als er den von rechts aus der (benachrangten) Seestraße kommenden, vom Beklagten gelenkten PKW bemerkte, setzte er ein Fahrmanöver, durch das er auf der schneebedeckten Fahrbahn ins Schleudern kam und mit einem entgegenkommenden PKW kollidierte. Der Kläger begehrte - gestützt auf eine Vorrangverletzung des Beklagten - einen Schadenersatzbetrag von 500.000 S. Außerdem stellte er ein Feststellungsbegehren.

Der Beklagte wendete ein, es treffe ihn kein Verschulden, er habe sein Fahrzeug nur bis zur nördlichen Begrenzung der Bundesstraße vorrollen lassen und habe den Vorrang des Klägers daher nicht verletzt.

Das Erstgericht gab dem Feststellungsbegehren zur Gänze und dem Leistungsbegehren mit einem Betrag von 360.000 S statt. Das Leistungsmehrbegehren wurde abgewiesen. Aus den vom Erstgericht getroffenen Feststellungen ist folgendes hervorzuheben:

Die Sicht des Beklagten nach links in die Bundesstraße war durch Schneeanhäufungen beeinträchtigt. Eine Beobachtung des Querverkehrs in beiden Richtungen war dem Beklagten erst aus einer Position möglich, bei der er rund 70 cm in die Fahrbahn der Bundesstraße eingefahren war. Der Beklagte ließ sein Fahrzeug zunächst bis an den Asphaltrand heranrollen und hielt an. Da er keine ausreichende Sicht auf den Querverkehr hatte, fuhr er mit geringer Beschleunigung in einem Zug in die Bundesstraße ein. Als er das Fahrzeug des Klägers wahrnahm, bremste er sogleich und brachte seinen PKW derart zum Stillstand, daß dieser mit der Front etwa 1,30 m in die Bundesstraße ragte. Der Kläger, der mit einem Abstand von etwa 1 m zu dem am rechten Fahrbahnrand befindlichen Schneewulst und einer Geschwindigkeit von rund 70 km/h gefahren war, bemerkte das in die Bundesstraße einfahrende Fahrzeug des Beklagten auf eine Entfernung von rund 28 m, geriet in Schrecken und reagierte mit einer starken Bremsung und einem Verreißen nach links. Dadurch geriet sein Fahrzeug ins Schleudern und kollidierte mit einem entgegenkommenden Fahrzeug auf dessen Fahrbahnhälfte.

Rechtlich beurteilte das Erstgericht diesen Sachverhalt dahin, der Beklagte hätte sich wegen der schlechten Sichtverhältnisse "vortasten" und in einer Position 70 cm innerhalb der Fahrbahn der Bundesstraße anhalten müssen. Er habe dies jedoch nicht getan, sondern sei, nachdem er vor der Kreuzung angehalten habe, in einem Zug 1,30 m weit in die Bundesstraße eingefahren. Dadurch habe er den Vorrang des Klägers verletzt. Ein Mitverschulden des Klägers sei nicht gegeben, möge auch im Nachhinein betrachtet eine Überreaktion auf das grob verkehrswidrige Verhalten des Beklagten vorliegen. Das Berufungsgericht gab der Berufung des Beklagten nicht Folge. Es nahm zur Beweisrüge des Beklagten Stellung, übernahm die vom Erstgericht getroffenen Feststellungen und billigte auch die rechtliche Beurteilung des Gerichtes erster Instanz. Der Beklagte bekämpft das Urteil des Berufungsgerichtes mit Revision, macht die Anfechtungsgründe der Mangelhaftigkeit des Verfahrens, der Aktenwidrigkeit sowie der unrichtigen rechtlichen Beurteilung geltend und beantragt das angefochtene Urteil dahin abzuändern, daß das Klagebegehren abgewiesen werde. Der Kläger beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht berechtigt.

Die Ausführungen zu den Anfechtungsgründen der Mangelhaftigkeit des Verfahrens und der Aktenwidrigkeit stellen ausschließlich den unzulässigen Versuch dar, die vom Erstgericht getroffenen und vom Berufungsgericht übernommenen Feststellungen zu bekämpfen. Auf diese Ausführungen ist daher nicht weiter einzugehen. Eine Mangelhaftigkeit des Verfahrens und eine Aktenwidrigkeit liegen nicht vor (§ 510 Abs 3 ZPO).

Die Rechtsrüge ist, soweit mit ihr ebenfalls die Tatfrage bekämpft wird, nicht gesetzmäßig ausgeführt. Verfehlt sind die Rechtsausführungen der Revision auch insoweit, als sie von der Aussage des Klägers ausgehen, von welcher die Vorinstanzen annahmen, sie beruhe auf einem Irrtum des Klägers. Auszugehen ist bei der rechtlichen Beurteilung von den getroffenen Feststellungen, also davon, daß durch den Schneewall eine erhebliche Sichtbehinderung bestand, der Beklagte erst aus einer Position von 70 cm innerhalb der Fahrbahn der Bundesstraße ausreichende Sicht gehabt hätte und er in einem Zug 1,30 m weit in die Bundesstraße einfuhr. Die Revisionsausführungen, der Beklagte habe durch dieses Fahrverhalten den Vorrang des Klägers nicht verletzt, sind verfehlt. Die Ansicht der Vorinstanzen, der Beklagte hätte sich aufgrund der ungünstigen Sichtverhältnisse "vortasten" müssen, entspricht der ständigen Rechtsprechung (ZVR 1978/279, ZVR 1989/81 uva). Dadurch, daß der Kläger in einem Zug 1,30 m weit in die Bundesstraße eingefahren ist, hat er seiner Wartepflicht im Sinne des § 19 Abs 7 StVO nicht entsprochen, er hat den Vorrang des Klägers verletzt, weshalb ihm ein Verschulden anzulasten ist.

Ein Mitverschulden des Klägers liegt hingegen nicht vor. Aus dem festgestellten Sachverhalt ergibt sich, daß der Kläger eine Reaktion setzen mußte. Da er mit einem Seitenabstand von 1 m zu dem rechts befindlichen Schneewulst fuhr und der Beklagte 1,30 m weit in die Bundesstraße einfuhr, wäre es nämlich ohne Reaktion des Klägers zu einer Kollision zwischen den von diesen beiden Personen gelenkten Fahrzeugen gekommen. Die - rückblickend betrachtet - unrichtige Maßnahme auf die durch den Beklagten herbeigeführte plötzlich auftretende Gefahr kann dem Kläger aber im Sinne der ständigen Rechtsprechung nicht als Verschulden angelastet werden (ZVR 1983/326, ZVR 1989/74 uva).

Aus diesen Gründen mußte der Revision ein Erfolg versagt bleiben. Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO.

Anmerkung

E18494

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1989:0020OB00107.89.0912.000

Dokumentnummer

JJT_19890912_OGH0002_0020OB00107_8900000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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