TE OGH 1989/9/12 10ObS79/89

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Veröffentlicht am 12.09.1989
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Resch als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag. Engelmaier und Dr. Angst als weitere Richter und die fachkundigen Laienrichter Dr. Johann Herbst und Dr. Elmar Peterlunger (beide AG) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Maria F***, Pensionistin, 2123 Wolfpassing 218, vertreten durch Dr. Leander Schüller, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei S*** DER G*** W***,

1051 Wien, Wiedner Hauptstraße 84-86, vertreten durch Dr. Karl Leitner, Rechtsanwalt in Wien, wegen Ausgleichszulage zur Witwenpension infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 11. November 1988, GZ 32 Rs 214/88-10, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Kreisgerichtes Korneuburg als Arbeits- und Sozialgerichtes vom 27. Juni 1988, GZ 15b Cgs 304/88-6, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen die einschließlich S 116,55 Umsatzsteuer mit S 1.282,05 bestimmten halben Kosten ihres Rechtsmittels zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin bezieht von der beklagten Partei seit dem 1. Februar 1987 eine Witwenpension von S 3.891,60 monatlich. Mit Bescheid vom 27. Oktober 1987 stellte die beklagte Partei die ab dem 1. Februar 1987 gebührende Ausgleichszulage mit S 398,40 monatlich fest.

Das Begehren der dagegen rechtzeitig erhobenen Klage richtet sich auf Leistung der Ausgleichszulage ab dem 1. Februar 1987 "in voller Höhe" (also auf die Differenz zwischen Witwenpension !S 3.891,60 und Richtsatz für Pensionsberechtigte auf Witwenpension !S 4.868,-- von S 976,40) und stützt sich darauf, daß die Klägerin neben der Witwenpension keine Einkünfte habe. Sie beziehe aus einer übergebenen Landwirtschaft tatsächlich keine Einkünfte und könne dies auch nicht. Eine Anrechnung nach § 149 Abs "5" GSVG widerspreche dem Gleichheitsgrundsatz.

Die beklagte Partei beantragt, die Klage wegen eines "fiktiven Ausgedinges" von S 578,-- monatlich abzuweisen.

Das Erstgericht verurteilte die beklagte Partei, der Klägerin ab dem 1. Februar 1987 eine Ausgleichszulage von S 398,40 monatlich zu gewähren und wies das auf eine Ausgleichszulage "in voller Höhe" gerichtete Mehrbegehren ab, weil es die Meinung vertrat, daß der von der beklagten Partei unbestrittenermaßen richtig ermittelte Betrag von S 578,-- monatlich als fiktives Einkommen aus dem übergebenen landwirtschaftlichen Betrieb der Witwenpension zuzurechnen sei. Das Berufungsgericht gab der wegen (in der Anwendung des angeblich gleichheitswidrigen § 149 Abs 7 GSVG erblickten) unrichtigen rechtlichen Beurteilung erhobenen Berufung der Klägerin nicht Folge.

Daß die Anrechnung aufgegebener Ertragsmöglichkeiten von einer feststehenden Bewertung (Einheitswert) ausgehe, befreie die Rechtsanwendung vom Problem (der Beurteilung) der vorteilhafteren oder weniger vorteilhafteren Bewirtschaftung. Dabei sei eine "Durchschnittsbetrachtung", die im Einzelfall zu Härten führen möge, aber dem Durchschnitt der Fälle gerecht werde, nicht gleichheitswidrig. Auch das festgelegte Ausmaß des fiktiven Ertrages verstoße nicht gegen das Gleichheitsgebot, weil dem Gesetzgeber eine zu höheren oder weniger hohen Ausgleichszulagen führende niedrigere oder höhere Bewertung ebenso frei stehe wie die Festsetzung eines höheren oder niedrigeren Ausgleichszulagenrichtsatzes. Auch die Anrechnung eines erzielbaren Einkommens, das nur deshalb nicht wirklich erzielt werde, weil der Pensionist in den letzten Jahren eine landwirtschaftlich nutzbare Fläche übergeben habe, sei nicht unsachlich, weil es unmittelbar einsichtig sei, daß die Übergabe von nutzbaren Vermögenswerten nicht nach Art eines Vertrages zu Lasten Dritter die Träger der Sozialversicherung mit höheren, durch Beitragsleistungen nicht gedeckten Versicherungsleistungen belasten solle.

Dagegen richtet sich die Revision der Klägerin wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung (der Sache) mit den Anträgen, das Berufungsurteil im klagestattgebenden Sinne abzuändern, allenfalls aufzuheben.

Rechtliche Beurteilung

Die beklagte Partei beantragt, der Revision nicht Folge zu geben. Die nach § 46 Abs 4 ASGG ohne die Beschränkungen des Abs 2 dieser Gesetzesstelle zulässige Revision ist nicht berechtigt. Die Revisionswerberin vertritt nach wie vor die Rechtsansicht, daß § 149 Abs 7 GSVG gegen Art 7 Abs 1 B-VG verstoße.

§ 149 GSVG, nach dessen Abs 3 Satz 1 Nettoeinkommen im Sinne seiner Absätze 1 und 2 grundsätzlich die Summe sämtlicher (tatsächlicher) Einkünfte in Geld oder Geldeswert nach Ausgleich mit Verlusten und vermindert um die gesetzlich geregelten Abzüge ist, bestimmt ua im Abs 7 insoweit etwas anderes, als nach Aufgabe der Bewirtschaftung eines land(forst)wirtschaftlichen Betriebes oder nach Übergabe, Verpachtung oder Überlassung des Betriebes auf andere Weise zur Bewirtschaftung der Ermittlung des Einkommens des bisherigen Eigentümers (des Verpächters) ohne Rücksicht auf Art und Ausmaß der ausbedungenen Leistungen 21,6 vH des durchschnittlichen Einheitswertes der übergebenen, verpachteten oder zur Bewirtschaftung überlassenen land(forst)wirtschaftlichen Flächen zugrunde zu legen sind, sofern die Übergabe (Verpachtung, Überlassung) nicht mehr als zehn Jahre, gerechnet vom Stichtag, zurückliegt. Ein Zwölftel des auf diese Weise errechneten Betrages, ...... , gilt als monatliches Einkommen.

Der zitierte Abs 7 ordnet also die Pauschalanrechnung fiktiver Ausgedingsleistungen nur bei land(forst)wirtschaftlichen Betrieben und nur dann an, wenn die Übergabe (Verpachtung, Überlassung) nicht mehr als zehn Jahre, gerechnet vom Stichtag, zurückliegt. Es ist daher richtig, daß diese gesetzliche Bestimmung Pensionisten, die einen land(forst)wirtschaftlichen Betrieb vor nicht mehr als zehn Jahren, gerechnet vom Stichtag, übergeben, verpachtet oder auf andere Weise jemandem zur Bewirtschaftung überlassen haben, insoweit anders behandelt als zB Pensionisten, die einen nicht land(forst)wirtschaftlichen Betrieb oder einen anderen Vermögenswert übergeben, verpachtet oder auf andere Weise überlassen haben, obwohl nach Art 7 Abs 1 B-VG alle Bundesbürger vor dem Gesetz gleich sind.

Dennoch hat der Oberste Gerichtshof aus nachstehenden Erwägungen gegen die Anwendung dieser Gesetzesstelle aus dem Grunde der Verfassungswidrigkeit keine Bedenken, so daß er beim Verfassungsgerichtshof keinen Antrag auf Aufhebung der Gesetzesstelle nach Art 89 Abs 2 B-VG zu stellen hat. Art 7 Abs 1 B-VG verbietet nämlich nur sachlich, also durch tatsächliche Unterschiede, nicht begründete Differenzierungen (VfSlg 2088, 3754, 4140, 4392). Der Gleichheitsgrundsatz verpflichtet den Gesetzgeber daher, an gleiche Tatbestände gleiche Rechtsfolgen zu knüpfen (VfSlg 2956, 5727) und wesentliche Unterschiede im Tatsachenbereich durch entsprechende rechtliche Regelungen zu berücksichtigen (VfSlg 8217, 8806). Deshalb sind nur solche unterschiedliche Regelungen wegen Verstoßes gegen den Gleichheitsgrundsatz verfassungswidrig, die nicht durch entsprechende Unterschiede im Tatsächlichen begründet sind (VfSlg 7947, 8600). Dabei ist unter der Sachlichkeit einer Regelung nicht "Zweckmäßigkeit" oder "Gerechtigkeit" zu verstehen (VfSlg 4711). Der Gesetzgeber darf auch von einer durchschnittlichen Betrachtung ausgehen und auf den Regelfall abstellen (VfSlg 5318, 8871). Ihm kommt auch eine - freilich nicht

unbegrenzte - rechtspolitische Gestaltungsfreiheit zu, die außer bei einem Exzeß nicht der verfassungsgerichtlichen Kontrolle unterliegt und insoweit auch nicht mit den aus dem Gleichheitsgrundsatz ableitbaren Maßstäben zu messen ist. Innerhalb dieser Grenzen ist die Rechtskontrolle nicht zur Beurteilung der Rechtspolitik berufen (VfSlg 9583 mwN) (so auch SSV-NF 2/14, 22, 27, 81, 88, 138). Unter diesen Gesichtspunkten erscheint § 149 Abs 7 GSVG als verfassungsrechtlich unbedenklich.

Eigentümer oder frühere Eigentümer eines land(forst)wirtschaftlichen Betriebes, auf die diese Gesetzesstelle anzuwenden ist, unterscheiden sich von den übrigen Pensionisten vor allem durch die in der Land- und Forstwirtschaft noch immer weit verbreitete Gepflogenheit, daß der Übergeber eines Betriebes vom Betriebsnachfolger ein "Ausgedinge" erhält, das dem Altbauern (zusammen mit der Pension) einen ruhigen Lebensabend sichern soll (Koziol-Welser, Grundriß des bürgerlichen Rechts II8, 161; Petrasch in Rummel ABGB I Rz 5 zu § 530; Krejci in Rummel ABGB II Rz 42 f zu §§ 1284-1286). Es handelt sich dabei um eine besondere, regelmäßig durch Rechtsgeschäft begründete, für bäuerliche Übergabsverträge typische, der Versorgung des Übergebers oder naher Angehöriger dienende und daher auf seine (deren) Lebenszeit beschränkte Reallast. Ihr im Einzelfall näher bestimmter Umfang umfaßt regelmäßig die Leistung des vollen Unterhalts in Geld-, Natural- und Arbeitsleistungen einschließlich sonst als Pfandrecht oder Servitut behandelter Teilverpflichtungen zu einer Einheit (Petrasch aaO; Krejci aaO Rz 48 bis 58).

Diese bei der Aufgabe der Bewirtschaftung bäuerlicher Betriebe typische, wenn auch nicht in jedem einzelnen Fall

vereinbarte - heute regelmäßig zusätzliche - Sicherung des Lebensabends stellt einen wesentlichen Unterschied im Tatsächlichen dar, der eine entsprechende rechtliche Regelung rechtfertigt, durch die die Beseitigung des vom Gesetzgeber offenbar erwünschten, tatsächlichen Unterschiedes hintangehalten werden kann (vgl zB RV zur 29. ASVG-Nov 404 BlgNR 13. GP 110 ff).

Abgesehen davon, daß die genaue Bewertung der Ausgedingsleistungen, insbesondere der häufig vereinbarten Pflege, in jedem einzelnen Ausgleichszulagenfeststellungsverfahren sehr schwierig wäre, so daß eine durchschnittliche Betrachtung des Regelfalls aus verwaltungsökonomischen Überlegungen zweckmäßig erscheint, würde eine individuelle Bewertung auch dazu führen, daß die in der Landwirtschaft aus altem Herkommen vereinbarten Ausgedingsleistungen über kurz oder lang verschwinden würden (so auch die schon zit RV zur 29. ASVG-Nov; Teschner in Tomandl, SV-System 4. ErgLgf. 412/1 und 2).

Da sich die Höhe der vereinbarten Ausgedingsleistungen im allgemeinen nach der Ertragsfähigkeit des übergebenen land(forst)wirtschaftlichen Betriebes richtet, erscheint es nicht sachfremd, das nach § 149 Abs 7 GSVG zu pauschalierende fiktive Ausgedingseinkommen in einem Prozentsatz des Einheitswertes auszudrücken (so auch VfGH 27. Februar 1969 B 171/68 VfSlg 5882 zur vergleichbaren Regelung des § 13 Abs 5 KOVG; die schon zitierte RV zur 29. ASVG-Nov; Teschner aaO 412/1).

Es ist richtig, daß die bei der Übergabe bäuerlicher Betriebe üblicherweise, wenn auch nicht in jedem Fall, vereinbarten Ausgedingsleistungen ohne Rücksicht darauf, ob und in welchem Umfang sie im einzelnen tatsächlich empfangen werden, durch Hinzurechnung eines Pauschalbetrages berücksichtigt werden. Es liegt im Wesen einer solchen Pauschalanrechnung, daß in Einzelfällen Härten auftreten, die als ungerecht empfunden werden. Diese Härten ließen sich nur vermeiden, wenn es möglich wäre, die tatsächlich empfangenen Ausgedingsleistungen in ihrem tatsächlichen Ausmaß zu erfassen und dem Einkommen des Pensionisten zugrunde zu legen. Eine solche gesetzliche Regelung hätte aber, wie schon erwähnt, zur Folge, daß die im weiten Umfang auch derzeit noch üblichen Ausgedingsleistungen entfallen oder zumindest nicht mehr vereinbart würden, weil es die Übernehmer land(forst)wirtschaftlicher Betriebe dann in der Hand hätten, ihre traditionellen Verpflichtungen gegenüber den Übergebern auf die Allgemeinheit zu überwälzen (so auch die wiederholt zitierte RV zur 29. ASVG-Nov; SSV-NF 2/45). Der Gesetzgeber durfte daher von einer durchschnittlichen Betrachtung ausgehen und auf den Regelfall abstellen.

Die Meinung der Revisionswerberin, die Übergabe von Vermögenswerten anderer Art als land(forst)wirtschaftlicher Betriebe, zB eines Miethauses, würde keinerlei (ausgleichszulagenrechtliche) Anrechnung nach sich ziehen, ist unrichtig. Die Vereinbarung eines Ausgedinges bei Übergabe eines Wohnhauses ist zwar nicht typisch, aber möglich (Petrasch in Rummel aaO; EvBl 1954/189). Solche Ausgedingsleistungen zählen daher zum aus übrigen Einkünften der Pensionsberechtigten erwachsenen Nettoeinkommen im Sinne des § 149 Abs 1 bis 3 GSVG, wobei für die Bewertung der Sachbezüge die Bewertung für Zwecke der Lohnsteuer mit der aus Satz 2 des letztgenannten Absatzes genannten Maßgabe heranzuziehen ist.

Wie ein Vergleich zwischen dem die Ermittlung des Nettoeinkommens aus einem noch nicht aufgegebenen oder jemandem zur Bewirtschaftung überlassenen land(forst)wirtschaftlichen Betrieb regelnden Abs 5 und dem die Ermittlung des Einkommens des bisherigen Eigentümers (des Verpächters) regelnden Abs 7 des § 149 GSVG zeigt, ergibt sich auch aus diesen Pauschalanrechnungsbestimmungen keine verfassungswidrige ungleiche Behandlung. Dies trifft auch auf die von der Revisionswerberin aufgezeigten Zusammenhänge zwischen dem Einheitswert und dem Ertragswert iS des § 32 Abs 2 BewertungsG 1955 zu.

Der Oberste Gerichtshof hat daher gegen die Anwendung des § 149 Abs 7 GSVG aus den Gründen der Verfassungswidrigkeit ebenso keine Bedenken wie der Verfassungsgerichtshof in seinem bereits zit E VfSlg 5882 gegen die Anwendung des vergleichbaren § 13 Abs 5 KOVG. Daß das angefochtene Urteil bei der von der Klägerin schon in erster Instanz zugestandenen richtigen Anwendung des § 149 Abs 7 ff GSVG unrichtig wäre, wurde nicht behauptet. Der Revision war daher nicht Folge zu geben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG !SSV-NF 1/66 .

Anmerkung

E18750

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1989:010OBS00079.89.0912.000

Dokumentnummer

JJT_19890912_OGH0002_010OBS00079_8900000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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