Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.-Prof.Dr. Kuderna als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Gamerith und Dr. Maier sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Robert Müller und Anton Prager als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Helmut H***, Gendarmeriebeamter, Rettenegg 166, vertreten durch Werner L***, Referent der Kammer für Arbeiter und Angestellte für Steiermark, Graz, Hans-Ressel-Gasse 8-10, (im Revisionsverfahren nicht vertreten), wider die beklagte Partei Theodor B*** KG, Vorau, Spittalstraße 9, vertreten durch Dr. Dieter Gorscheg und Dr. Guido Lindner, Rechtsanwälte in Gleisdorf, wegen S 11.696,-- netto sA, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 27. April 1989, GZ 7 Ra 13/89-14, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Graz als Arbeits- und Sozialgericht vom 24. August 1988, GZ 30 Cga 62/88-10, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die beklagte Partei hat die Kosten des Revisionsverfahrens selbst zu tragen.
Text
Entscheidungsgründe:
Der Kläger und seine Gattin suchten bereits seit längerer Zeit einen Lehrplatz für ihre am 22. August 1964 geborene Tochter. Als sie erfuhren, daß bei der Beklagten eine Lehrstelle für einen kaufmännischen Lehrling frei wäre, nahmen sie mit dem für die Personalangelegenheiten der Beklagten zuständigen Gesellschafter Theodor B*** senior Kontakt auf. Dieser meinte, daß für ihn die Ausbildungskosten zu hoch seien und daß er daher für die Tochter des Klägers eine monatliche "Ausbildungsbeihilfe" von S 1.000,-- verlangen müsse. Der Kläger war über diese Forderung zwar überrascht, willigte aber in das Zahlungsbegehren ein, damit seine Tochter zu einer Lehrstelle komme.
Die Tochter des Klägers begann am 1. August 1984 als Lehrling im Lehrberuf eines Einzelhandelskaufmanns bei der Beklagten. Das Lehrverhältnis endete durch einvernehmliche Auflösung zum 30. Juni 1985. Während dieser 11 Monate zahlte der Kläger insgesamt S 11.000,-- an "Ausbildungsbeihilfe" an die Beklagte. Überdies erhielt die Beklagte für die Tochter des Klägers vom Arbeitsamt für diese Zeit noch eine Lehrstellenförderung in der monatlichen Höhe von S 2.200,--. Vom 6. Mai 1985 bis 28. Juni 1985 war die Tochter des Klägers im Berufsschulinternat. Die Differenz der Kosten des Internats zu ihrer monatlichen Lehrlingsentschädigung von S 2.352,-- beträgt S 696,--.
Mit der am 17. Februar 1988 eingebrachten Klage begehrt der Kläger den der Höhe nach außer Streit stehenden Betrag von S 11.696,--. Die Vereinbarung einer "Ausbildungsbeihilfe" verstoße gegen die guten Sitten, da dadurch die nach dem Kollektivvertrag allein vom Lehrberechtigten zu zahlende Lehrlingsentschädigung zum Teil durch den Kläger getragen worden sei. Vereinbarungsgemäß habe er auch die für den Besuch der ersten Klasse der Berufschule anfallenden Internatskosten von S 5.400,-- übernommen. Auch diese Leistung entbehre eines Rechtsgrunds. Abzüglich der Lehrlingsentschädigung stehe dem Kläger ein Rückzahlungsanspruch von S 696,-- zu.
Die Beklagte beantragte, die Klage abzuweisen. Sie sei ein Klein- bzw. Mittelbetrieb, für den es untragbar sei, die enorme Kostenbelastung durch Lehrlinge zu übernehmen. Deshalb habe sich der Gesellschafter Theodor B*** nur unter der Bedingung zur Aufnahme der Tochter des Klägers als Lehrling bereit erklärt, daß von den Eltern eine zusätzliche Kostenvergütung von monatlich S 1.000,-- gezahlt werde. Dazu habe sich der Kläger freiwillig verpflichtet, so daß keine Rede davon sein könne, daß diese zulässige privatrechtliche Vereinbarung gegen die guten Sitten verstoße. Im übrigen seien die Ansprüche auf Rückerstattung der von August 1984 bis Februar 1985 geleisteten Beiträge in Höhe von S 7.000,-- verjährt. Hinsichtlich des Differenzbetrages von S 696,-- erscheine nur die Tochter des Klägers anspruchsberechtigt, weshalb diesbezüglich die Klagelegitimation des Klägers bestritten werde. Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es vertrat die Rechtsansicht, daß die zwischen den Parteien getroffene Vereinbarung weder gegen eine Verbotsnorm verstoße noch sittenwidrig sei. Der Kläger sei bewußt und ohne Irrtum eine Verpflichtung eingegangen, ohne die er in dieser Krisenregion weiter nach einem Lehrplatz für seine Tochter suchen hätte müssen, wobei jede weiter entfernte Lehrstelle höhere Kosten verursacht hätte. Dem Klagebegehren fehle daher eine rechtliche Grundlage.
Das Berufungsgericht änderte diese Entscheidung im Sinne des Klagebegehrens ab. Es vertrat die Rechtsauffassung, daß eine für den Lehrling ungünstigere Vereinbarung im Lehrvertrag, die gegen das Berufsausbildungsgesetz und den Kollektivvertrag der Handelsangestellten verstoße, rechtsunwirksam sei. So könne für die Bereitschaft zum Abschluß eines Lehrvertrages keine über Gesetz und Kollektivvertrag hinausreichende Leistung verlangt werden. Dies gelte auch für ein Umgehungsgeschäft, mit dem die Gegenleistung nicht dem Lehrling, sondern einem Dritten abverlangt werde. Im Dreipersonenverhältnis zwischen Kläger, Lehrherrn und Lehrling treffe den Kläger gegenüber seiner Tochter eine Unterhaltspflicht. Zwischen dem Eigeneinkommen der Tochter und dem des Klägers bestehe eine gemeinsame bewegliche Vermögenssphäre, aus der sich die konkrete Pflichtenlage ergebe. Die Lehrlingsentschädigung vergrößere die gemeinsame bewegliche Vermögenssubstanz, so daß ein Rechtsgeschäft, das diese Vergrößerung umgehe, auch eine Umgehung des gesetzlichen Verbots bedeute, einem Lehrling weniger zu zahlen als ihm gesetzlich zustehe. Durch die Zahlung des Lehrgelds aus der gemeinsamen Vermögenssubstanz vermindere sich der Unterhaltsanspruch des Lehrlings gegen den Pflichtigen um den Betrag des Lehrgelds, das bereits für den Lehrling akonto Unterhalt ausgelegt werde.
Auch die Vereinbarung der Zahlung der Differenz zwischen den Internatskosten und der niedrigeren Lehrlingsentschädigung durch den Kläger widerspreche dem Berufsausbildungsgesetz. Die Legitimation zur Klage liege, da der Lehrling den Ersatzanspruch nach § 9 Abs 5 BAG wegen Deckung der Forderung durch den Kläger nicht mehr habe, beim Schuldübernehmer. Insoweit sei das Gläubigerrecht des Lehrlings gegen die Beklagte gemäß § 1358 ABGB auf den Kläger als Zahler übergegangen.
Gegen dieses Urteil richtet sich die aus dem Grunde der unrichtigen rechtlichen Beurteilung erhobene Revision der Beklagten mit dem Antrag auf Wiederherstellung der erstgerichtlichen Entscheidung.
Der Kläger hat sich am Revisionsverfahren nicht beteiligt.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist nicht berechtigt.
Der Revisionswerberin ist lediglich darin beizupflichten, daß Fragen einer "gemeinsamen beweglichen Vermögenssubstanz" oder Unterhaltskürzung mangels jeglicher darauf abzielender Behauptungen nicht Gegenstand des Verfahrens erster Instanz waren. Im übrigen räumt die Revisionswerberin selbst ein, daß der alleinige Grund für die Forderung und Zahlung einer "Ausbildungsbeihilfe" darin gelegen sei, daß sich die Beklagte sonst nicht bereit erklärt hätte, die Tochter des Kläger als Lehrling aufzunehmen. Die zur Verringerung der Ausbildungskosten verlangte "Ausbildungsbeihilfe" ist somit nichts anderes als das im § 97 Abs 1 der (alten) Gewerbeordnung angeführte Lehrgeld (vgl. Arb. 3.977, 4.557 ua). Die Vereinbarung eines Lehrgelds ist aber nach der inzwischen geänderten Rechtslage sittenwidrig und daher unzulässig (vgl. Berger-Fida-Gruber, BAG § 12 Erl. 66, § 17 Erl. 20, § 30 Erl. 27).
Gemäß § 17 Abs 1 BAG gebührt dem Lehrling eine Lehrlingsentschädigung, zu deren Zahlung der Lehrberechtigte verpflichtet ist. Der Kollektivvertrag für die Handelsangestellten Österreichs erklärt die im Anhang enthaltene Gehaltsordnung zu einem "integrierenden Bestandteil" und ordnet in dieser Gehaltsordnung an, daß den Lehrlingen ein monatliches Mindestentgelt nach den in den Gehaltstafeln gestaffelten Sätzen zu zahlen ist. Der Anspruch des Lehrlings auf Lehrlingsentschädigung ist sohin sowohl dem Grunde als auch der Höhe nach unabdingbar (vgl. Berger aaO § 17 Erl. 4). Auch wenn die Zahlung eines Lehrgelds durch den Lehrling bzw. seine Eltern im Berufsausbildungsgesetz nicht ausdrücklich verboten ist (vgl. dazu § 5 II Nr. 1 BBiG; Schaub, Arbeitsrechts-Handbuch6 1134; NJW 1983, 783 ua), würde durch ein - auch von den Eltern des Lehrlings geleistetes - Lehrgeld die durch Gesetz und Kollektivvertrag zwingend statuierte Unabdingbarkeit der vorgeschriebenen Lehrlingsentschädigung unterlaufen. Die gesetzliche und kollektivvertragliche Regelung bezweckt unter anderem auch, daß der Zugang zu einer durch das Berufsausbildungsgesetz geregelten Ausbildung nicht vom finanziellen Leistungsvermögen des Lehrlings oder seiner Eltern abhängen soll. Einerseits darf es zu keiner "Versteigerung von Lehrstellen" kommen und andererseits soll auch keine bloß durch Lehrgeldzahlung angereizte Ausbildung ohne Rücksicht auf einen späteren Bedarf erfolgen. Insoweit ist mit Hilfe des positiven Rechts eine Verletzung der guten Sitten durch die Lehrgeldvereinbarung zu konkretisieren (vgl. Krejci in Rummel, ABGB § 879 Rz 56).
Von der Nichtigkeit (§ 879 Abs 1 ABGB) ist auch die zwischen dem Kläger und der Beklagten geschlossene Vereinbarung betroffen. Wenn die Berufsausbildung nicht mit finanziellen Aufwendungen zu Lasten des Lehrlings belegt werden darf, ist es unerheblich, ob die dagegen verstoßende Vereinbarung mit dem Lehrling selbst oder - wie hier - mit dem Vater des Lehrlings abgeschlossen wurde, zumal der Lehrling am Beginn seiner Ausbildung eine solche Verpflichtung gar nicht erfüllen könnte. Es ist daher für den Lehrberechtigten naheliegend, die Eltern einzuschalten und diese zu verpflichten. Dabei ist es unerheblich, daß die Tochter des Klägers beim Abschluß des Lehrvertrags bereits volljährig war (vgl. NJW 1983, 783 mwH). Da die unzulässigen Zahlungen unbestritten durch den Kläger erfolgten, ist er auch, unabhängig davon, welche Ansprüche seiner Tochter zustehen, zur Klage legitimiert. Wie das Berufungsgericht richtig erkannte, ist schließlich auch der von der Beklagten erhobene Einwand der Verjährung von Teilforderungen unberechtigt, da solche Rückabwicklungsansprüche in 30 Jahren verjähren (vgl. Krejci aaO § 879 Rz 261).
Die Kostenentscheidung ist in den §§ 40 und 50 ZPO begründet.
Anmerkung
E18315European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1989:009OBA00249.89.0913.000Dokumentnummer
JJT_19890913_OGH0002_009OBA00249_8900000_000