Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 19.September 1989 durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Piska als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Walenta, Dr. Felzmann, Hon.Prof. Dr. Brustbauer und Dr. Rzeszut als weitere Richter, in Gegenwart des Rechtspraktikanten Mag. Edelmann als Schriftführer in der Strafsache gegen Zorica V*** wegen des Vergehens des versuchten Diebstahls nach den §§ 15, 127 StGB über die von der Generalprokuratur erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes gegen die Strafverfügung des Strafbezirksgerichtes Wien vom 12.August 1988, GZ 7 U 2406/88-3, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Jerabek, jedoch in Abwesenheit der Verurteilten zu Recht erkannt:
Spruch
Die Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes wird verworfen.
Text
Gründe:
Das Strafbezirksgericht Wien erkannte die am 2.März 1949 geborene jugoslawische Staatsangehörige Zorica V*** mit Strafverfügung vom 12.August 1988, GZ 7 U 2406/88-3, des Vergehens des versuchten Diebstahls nach den §§ 15, 127 StGB schuldig, weil sie am 1.Juni 1988 in Wien versuchte, eine fremde bewegliche Sache, nämlich einen Rock im Wert von 498 S dem Verfügungsberechtigten der Fa. L*** mit dem Vorsatz wegzunehmen, sich durch die Sachzueignung unrechtmäßig zu bereichern.
Diese am 21.September 1988 in Rechtskraft erwachsene Strafverfügung verletzt nach Auffassung der Generalprokuratur zufolge Nichtannahme des Strafausschließungsgrundes der mangelnden Strafwürdigkeit der Tat das Gesetz in der Bestimmung des § 42 StGB. Zur Begründung ihrer Beschwerde nach dem § 33 Abs 2 StPO führt die Generalprokuratur im einzelnen aus:
"Vorweg steht fest, daß die im § 127 StGB normierte Strafdrohung die Annahme mangelnder Strafwürdigkeit grundsätzlich zuläßt (§ 42 StGB Einleitungssatz).
Rechtliche Beurteilung
Geringe Schuld (§ 42 Z 1 StGB) ist anzunehmen, weil sich die geständige und unbescholtene sowie einkommens- und vermögenslose Täterin augenscheinlich impulsiv und ohne einen intensiven Tätervorsatz indizierende Begleitumstände zum Diebstahlsversuch hinreißen ließ, wobei der angestrebte Beutewert weit unter der Geringwertigkeitsgrenze liegt (RZ 1989/60 ua); aus den geschilderten Umständen folgt, daß das tatbildmäßige Verhalten erheblich hinter dem in der betreffenden Strafdrohung typisierten Unrechts- und Schuldgehalt zurückgeblieben ist (SSt 47/55, 51/21 uva). Die im Versuchsstadium gebliebene Tat hat nach der gegebenen Aktenlage auch keinerlei nachteilige Folgen nach sich gezogen (§ 42 Z 2 StGB).
Schließlich kann auf die Verfolgung der Täterin auch unter dem Gesichtspunkt der Spezial- und Generalprävention verzichtet werden. Zum einen liegt ein einziger deliktischer Angriff einer bisher unbescholtenen Täterin vor, zum anderen hat die prompte behördliche Reaktion in Form der sofortigen sicherheitsbehördlichen Amtshandlung am Tatort einen hinreichenden Abschreckungseffekt auf einen potentiellen Täterkreis bewirkt (vgl. Pallin "Die Strafzumessung in rechtlicher Sicht; Rz 157 sowie im WK zu § 42 StGB Rz 17; zuletzt 11 Os 51/89)."
Hiezu erwog der Oberste Gerichtshof:
Angesichts der im § 127 StGB normierten Strafdrohung des Vergehens des Diebstahls (Freiheitsstrafe bis zu sechs Monaten oder Geldstrafe bis zu 360 Tagessätzen) sowie des Umstandes, daß der auf die Zueignung einer Sache mit einem unter der Geringwertigkeitsgrenze (vgl. EvBl 1989/112 = RZ 1989/60) liegenden Beutewert gerichtete Angriff auf fremdes Vermögen beim Versuch blieb und nach der Aktenlage auch keine sonstigen Folgen (im Sinn einer sozialen Störung) nach sich zog, hängt die Beurteilung der Strafwürdigkeit der Tat vom Grad der Schuld der Täterin sowie davon ab, ob ihre Bestrafung aus spezial- und/oder generalpräventiven Erwägungen geboten ist.
Geringe Schuld iS des § 42 Z 1 StGB setzt nach gefestigter Judikatur - wie die Generalprokuratur an sich zutreffend hervorhebt - stets voraus, daß das Gewicht der Einzeltat hinter dem in der betreffenden Strafdrohung typisierten Schuld- und Unrechtsgehalt erheblich zurückbleibt (SSt 47/55, 51/21 ua). Die Schuld des Täters muß absolut und im Vergleich zu den typischen Fällen der jeweiligen Deliktsverwirklichung gering sein. Beurteilt man den an den Obersten Gerichtshof herangetragenen Fall unter diesen Aspekten an Hand einer umfassenden Gesamtbetrachtung aller Tatfaktoren (vgl. hiezu 11 Os 51/89; 16 Os 33/89; Burgstaller, Der Ladendiebstahl und seine private Bekämpfung im österreichischen Strafrecht, S 66 ff), so liegt keine derartige Konstellation vor: Die bloße Unbescholtenheit der Zorica V*** reicht zur Annahme einer besonderen Fallgestaltung nicht hin. Für ein Handeln aus einem privilegierenden Motiv (insbesonders aus echter Not), für eine herabgesetzte Zurechnungsfähigkeit (zB wegen knapper Überschreitung der Strafmündigkeitsgrenze oder wegen Senilitätserscheinungen) oder für eine mangelnde deliktische Intensität (untergeordnete Tatbeteiligung, Verleitung durch andere) fehlt es nach der Aktenlage mit Bezug auf den verfahrensgegenständlichen Versuch, sich einen - beim Passieren der Kasse unter der Bluse versteckten - Damenrock im Wert von 498 S anzueignen, an entsprechenden Anhaltspunkten. Zur Frage der Motivation erklärte Zorica V***, keine Angaben zu machen (S 13). Bei dem aktenkundigen Tatgeschehen sind also von den kumulativen Erfordernissen des § 42 StGB (zur Anwendung des Strafausschließungsgrundes der mangelnden Strafwürdigkeit der Tat) die Voraussetzungen der Z 1 dieser Gesetzesstelle nicht erfüllt. Die Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes mußte daher verworfen werden.
Anmerkung
E18771European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1989:0110OS00098.89.0919.000Dokumentnummer
JJT_19890919_OGH0002_0110OS00098_8900000_000