TE OGH 1989/9/26 10ObS301/89

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Veröffentlicht am 26.09.1989
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Resch als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag. Engelmaier und Dr. Angst als weitere Richter und die fachkundigen Laienrichter Dr. Reinhard Drössler und Dr. Günther Schön (beide Arbeitgeber) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Johann D***, Pensionist, 6370 Aurach 49, vor dem Obersten Gerichtshof nicht vertreten, wider die beklagte Partei S*** DER B*** (Landesstelle Tirol),

1031 Wien, Ghegastraße 1, vertreten durch Dr. Herbert Macher, Rechtsanwalt in Wien, wegen Hilflosenzuschusses infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 31. Mai 1989, GZ. 5 Rs 62/89-15, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck als Arbeits- und Sozialgerichtes vom 13. Dezember 1988, GZ. 47 Cgs 112/88-8, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, daß das Klagebegehren, die beklagte Partei sei schuldig, dem Kläger ab 1. September 1988 zur Alterspension einen Hilflosenzuschuß im gesetzlichen Ausmaß zu gewähren, abgewiesen wird.

Text

Entscheidungsgründe:

Der am 23. Juni 1914 geborene Kläger bezieht von der beklagten Partei seit 1. Juli 1979 eine Alterspension, deren Höhe den Richtsatz nicht erreicht.

Seine Anträge auf Hilflosenzuschuß vom 8. März 1980, 4. März 1983 und 12. Februar 1986 wurden abgelehnt. Mit Bescheid vom 17. Oktober 1988 lehnte die beklagte Partei auch seinen Antrag vom 1. September 1988 mangels Hilflosigkeit ab.

Das Erstgericht gab der dagegen rechtzeitig erhobenen Klage statt und verurteilte die beklagte Partei, dem Kläger ab 1. September 1988 den Hilflosenzuschuß in der gesetzlichen Höhe zu gewähren, ohne die Leistung festzusetzen oder eine vorläufige Zahlung anzuordnen.

Nach den wesentlichen Feststellungen des Erstgerichtes (auf Grund der Untersuchung durch den ärztlichen Sachverständigen am 14. November 1988) kann sich der Kläger allein an- und auskleiden (Schnüren der Schuhe nur unter erschwerten Bedingungen), seinen ganzen Körper reinigen, einfache Nahrung zubereiten und zu sich nehmen, die Notdurft verrichten, den Eisenofen mit Holz und Briketts beheizen und die kleine Wäsche waschen. Die große Wäsche kann er nicht mehr waschen, den groben Hausputz nicht mehr vornehmen. Zur Herbeischaffung der Nahrungsmittel und sonstigen Bedarfsgüter des täglichen Lebens muß er einen Weg von 25 Minuten bergauf und bergab gehen. Mit einem Rucksack oder einer Umhängtasche kann er höchstens drei bis vier Kilogramm transportieren. Besonders unter winterlichen Verhältnissen und bei extrem schlechtem Wetter ist ihm das Einkaufen überhaupt nicht möglich. Wegen der Hüftoperation am 13. April 1988 konnte der Kläger Ende August 1988 keinen Ofen beheizen, keine Nahrungsmittel besorgen und auch keine oberflächliche Wohnungsreinigung vornehmen. Die üblichen Stundenhonorare für entgeltliche Nachbarschaftshilfe liegen bei rund 80 S, für ambulante Betreuung in den Tiroler Sozial- und Gesundheitssprengeln zwischen 70 und 80 S, wenn (wie hier) kein qualifiziertes Personal eingesetzt werden muß. Den Zeitaufwand für eine Hilfskraft schätzte das Erstgericht unter Berücksichtigung der Wohnlage des Klägers - 25 Minuten Gehweg vom Haus bis zum Geschäft und ländliche Umgebung - auf 9,5 Stunden pro Woche und 38 Stunden pro Monat. Dadurch entstehe ein durchschnittlicher monatlicher Mehraufwand, der den begehrten Hilflosenzuschuß erreiche, weshalb der Kläger ständig der Wartung und Hilfe bedürfe.

Das Berufungsgericht gab der wegen unrichtiger Tatsachenfeststellung und unrichtiger rechtlicher Beurteilung erhobenen Berufung der beklagten Partei nicht Folge. Es veranschlagte für den gründlichen Hausputz und die große Wäsche wöchentlich mindestens drei bis vier Stunden und monatlich durchschnittlich 14 Stunden. Wegen extremer Witterungsbedingungen sei der Kläger während etwa sieben Monaten außerstande, selbst einzukaufen. Bei durchschnittlich drei Einkäufen pro Woche mit einer jeweiligen Dauer von eineinhalb Stunden seien im Jahresdurchschnitt weitere zehn Stunden pro Monat anzusetzen. Zusammen mit dem für die Zubereitung besserer Mahlzeiten erforderlichen Zeitaufwand von mindestens 12 Stunden pro Monat wären 36 Arbeitsstunden einer Hilfskraft zu etwa 80 S erforderlich, so daß der diesbezügliche Mehraufwand den begehrten Hilflosenzuschuß erreichen würde. Dagegen richtet sich die nicht beantwortete Revision der beklagten Partei wegen Aktenwidrigkeit und unrichtiger rechtlicher Beurteilung (der Sache) mit den Anträgen, das angefochtene Urteil im klageabweisenden Sinne abzuändern oder es allenfalls aufzuheben.

Rechtliche Beurteilung

Die nach § 46 Abs. 4 ASGG ohne die Beschränkungen des Abs. 2 dieser Gesetzesstelle zulässige Revision ist berechtigt. Nach den rechtlich zu beurteilenden Feststellungen kann sich der Kläger einfache Nahrung selbst zubereiten. Darunter ist im Sinne des Gutachtens des ärztlichen Sachverständigen zu verstehen, daß der Kläger gesundheitlich imstande ist, sich einfach zuzubereitende Mahlzeiten zu machen. Damit kann er sich nicht nur einfachste Mahlzeiten, sondern alle einfach zuzubereitenden, auch selbst gekochte Speisen machen, und zwar - entgegen der Meinung des Berufungsgerichtes - auch aus frischen Zutaten bestehende Mahlzeiten. Berücksichtigt man weiters das vielfältige Angebot von halbfertigen und fertigen Gerichten, die in der Regel einfach eßfertig gemacht werden können (Suppen, Nudel- und Reisgerichte, Konserven und Tiefkühlkost), dann erscheint die Meinung des Berufungsgerichtes, der Kläger könne sich die zu einer menschengerechten Lebensführung erforderlichen Mahlzeiten - wegen seiner Leiden - nicht selbst zubereiten, als nicht zutreffend (vgl. zB SSV-NF 2/126).

Berücksichtigt man überdies, daß der Übernehmer der vom Kläger und dessen Ehegattin übergebenen Liegenschaft den Übergebern nach Punkt V/2 des im Pensionsakt erliegenden Übergabsvertrages vom 24. August 1979 täglich einen Liter Vollmilch, monatlich 30 Eier und jährlich ein Schwein mit 90 kg Lebendgewicht abzugeben und unter anderem das Mitbenützungsrecht der Gefriertruhe einzuräumen hat, dann erscheinen auch die vom Berufungsgericht angenommenen durchschnittlich drei wöchentlichen Einkäufe als nicht notwendig. Schon daraus ergibt sich, daß die für die notwendigen Dienstleistungen nach dem Lebenskreis des Klägers üblicherweise aufzuwendenden Kosten von den Vorinstanzen überschätzt wurden und nicht annähernd so hoch sind wie der begehrte Hilflosenzuschuß. Daher ist der Kläger nach der ständigen Rechtsprechung des erkennenden Senates (SSV-NF 1/46; SSV-NF 2/44, 94, 132 uva.) noch nicht derart hilflos, daß er ständig der Wartung und Hilfe bedürfte. Dies gilt auch für die Zeit der weitergehenden gesundheitlichen Einschränkungen im Anschluß an die Hüftoperation vom 13. April 1988, weil in der wärmeren Jahreszeit nicht geheizt werden mußte, so daß zu den derzeitigen Einschränkungen nur die Unmöglichkeit zum Herbeischaffen der Lebensmittel hinzutrat. Deshalb gebührt ihm nach § 70 Abs. 1 BSVG zur Pension kein Hilflosenzuschuß. Der Revision war daher Folge zu geben, die Entscheidungen der Vorinstanzen waren im klageabweisenden Sinne abzuändern.

Anmerkung

E18748

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1989:010OBS00301.89.0926.000

Dokumentnummer

JJT_19890926_OGH0002_010OBS00301_8900000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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