Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr.Jensik als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Zehetner, Dr.Klinger, Dr.Schwarz und Dr.Graf als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei S*** W*** wider die beklagten
Parteien 1.) Manfred P***, Angestellter, Voltagasse 28-38/4/11, 1210 Wien, und 2.) Jozefa Krystyna P***, ohne Beruf, Khünplatz 3/3/22, 1040 Wien, beide vertreten durch Dr.Erhard Doczekal, Rechtsanwalt in Wien, wegen Ehenichtigkeit gemäß § 23 EheG infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes vom 15.Juni 1989, GZ 18 R 66/89-30, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes für ZRS Wien vom 19.Dezember 1988, GZ 8 Cg 356/86-26, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die klagende Partei ist schuldig, den beklagten Parteien die mit 4.076,82 S bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin 679,47 S an USt.) binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Die beklagten Parteien lernten einander im Frühjahr 1983 auf dem Flohmarkt in Wien kennen. Im August 1983 zog der Erstbeklagte in die (im 9. Wiener Gemeindebezirk) in der Schubertgasse (Nr. 26/27) gelegene Wohnung der Zweitbeklagten; er hielt sich jedoch dort nicht ständig auf. Am 12.September 1983 schlossen die Beklagten vor dem Standesamt Wien-Floridsdorf die Ehe. Die eheliche Lebensgemeinschaft dauerte jedoch nicht lange, weil der Erstbeklagte den schon vor der Ehe geführten "flotten Lebenswandel" auch weiterhin fortsetzte und es deshalb zwischen den Eheleuten zu Streitigkeiten kam. Diese Streitigkeiten waren letztlich für den Auszug des Erstbeklagten aus der Ehewohnung in der Schubertgasse ausschlaggebend. Der Erstbeklagte besuchte aber weiterhin seine Ehefrau sporadisch und setzte den intimen Kontakt mit ihr bis November 1983 weiter fort. 1984 fuhr er nach Indien; anschließend befand er sich wegen eines Suchtgiftdeliktes in Strafhaft. Die Ehe ist noch aufrecht. Mit der am 29.Dezember 1986 gegen Manfred und Jozefa Krystyna P*** erhobenen Klage begehrte die Staatsanwaltschaft Wien die Nichtigerklärung der von den Beklagten am 12.September 1983 geschlossenen Ehe gemäß § 23 EheG. Die zweitbeklagte Partei sei polnische Staatsangehörige und wolle auf Grund ihrer Eheschließung mit dem Erstbeklagten, der österreichischer Staatsbürger sei, die österreichische Staatsbürgerschaft erwerben. Der Erwerb der österreichischen Staatsbürgerschaft durch die Zweitbeklagte sei auch der eigentliche Eheschließungsgrund gewesen. Die Aufnahme einer Ehegemeinschaft sei nicht beabsichtigt gewesen und auch nicht erfolgt.
Die Beklagten beantragten die Abweisung des Klagebegehrens. Die Lebensgemeinschaft habe schon vor der Eheschließung bestanden und bis Anfang Oktober 1983 auch funktioniert. Es werde nicht bestritten, daß die Zweitbeklagte auf Grund der Eheschließung die österreichische Staatsbürgerschaft erwerben möchte. Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es nahm den bereits wiedergegebenen Sachverhalt als erwiesen an und führte darüber hinaus noch aus, es habe nicht festgestellt werden können, daß die beklagten Parteien die Ehe nur deshalb geschlossen hätten, damit die Zweitbeklagte die österreichische Staatsbürgerschaft erwerben könne. Bei der rechtlichen Beurteilung dieses Sachverhaltes ging das Erstgericht davon aus, daß gemäß § 23 EheG eine Ehe nur dann nichtig sei, wenn die Absicht beider Ehegatten auf Nichtbegründung einer ehelichen Lebensgemeinschaft und ausschließlich oder vorwiegend auf den Erwerb des Familiennamens oder der Staatsangehörigkeit des Mannes durch die Frau gerichtet sei. Im vorliegenden Fall sei der Wille beider Beklagten im Zeitpunkt der Eheschließung auf die Begründung einer ehelichen Lebensgemeinschaft gerichtet gewesen, so daß keine bloße "Staatsbürgerschaftsehe" eingegangen worden sei. Das Gericht zweiter Instanz gab der von der klagenden Partei erhobenen Berufung nicht Folge. Es verneinte das Vorliegen der in der Berufung gerügten Verfahrensmängel, billigte die vom Erstgericht vorgenommene Würdigung der aufgenommenen Beweise und erachtete die Feststellungen des Erstgerichtes als zur abschließenden rechtlichen Beurteilung der Rechtssache ausreichend. Von diesem Sachverhalt ausgehend erkannte das Berufungsgericht auch die Rechtsrüge als nicht begründet.
Das Erstgericht habe richtig dargelegt, daß es auf die Absicht der Beteiligten zum Zeitpunkt der Eheschließung ankomme (EFSlg 24.919). Auf Grund der Feststellungen habe bei beiden Beklagten im Zeitpunkt der Eheschließung die Absicht auf Begründung einer ehelichen Lebensgemeinschaft vorgelegen. Die Motive dazu habe das Erstgericht bei jedem Ehepartner zutreffend hervorgehoben. Der Nichtigkeitsgrund gemäß § 23 EheG bestehe nicht in einer objektiv feststellbaren Tatsache, sondern in einer Absicht der Eheschließenden. Es genüge dabei nicht, daß die Ehe ausschließlich oder vorwiegend zu dem Zweck geschlossen werde, der Frau die Staatsangehörigkeit des Mannes zu verschaffen. Es müsse überdies auch noch beiden Teilen die Absicht fehlen, die eheliche Lebensgemeinschaft zu begründen, oder umgekehrt zwischen beiden Einverständnis darüber herrschen, keine eheliche Lebensgemeinschaft einzugehen (EFSlg 22.675). Somit liege der Ehenichtigkeitsgrund des § 23 EheG nur vor, wenn beide Teile übereinstimmend den Willen hätten, eine eheliche Lebensgemeinschaft nicht zu begründen, sondern die Ehe ausschließlich oder überwiegend zu dem Zweck zu schließen, der Frau den Erwerb der Staatsangehörigkeit des Mannes zu ermöglichen (EFSlg 22.675; Wentzel in Klang2 I/1, 583; Schwind, Kommentar zum österreichischen Eherecht2, 144). Der Berufung sei daher ein Erfolg zu versagen gewesen.
Gegen diese Entscheidung des Gerichtes zweiter Instanz richtet sich die auf die Anfechtungsgründe der "Mangelhaftigkeit des erstinstanzlichen Verfahrens" und der unrichtigen rechtlichen Beurteilung gestützte Revision der klagenden Partei mit dem Antrag, die Urteile der Vorinstanzen im Sinne der Stattgebung des Klagebegehrens abzuändern; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Die beklagten Parteien beantragten in ihrer Revisionsbeantwortung, der Revision keine Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist zulässig, aber nicht berechtigt.
In ihrer Mängelrüge wendet sich die Revisionswerberin gegen die Ablehnung der von ihr in der Berufung erhobenen Mängelrüge durch das Berufungsgericht. Ihrer Ansicht nach wäre die Vernehmung der von ihr im Verfahren erster Instanz geführten Zeugen doch notwendig gewesen, um den wahren Sachverhalt, insbesondere den wahren Willen der Eheschließenden feststellen zu können.
Wenngleich zufolge der im Verfahren über die Nichtigkeit oder Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens einer Ehe geltenden Offizialmaxime ein angeblicher Verfahrensmangel erster Instanz, den das Berufungsgericht nicht für gegeben erachtete, mit Revision gerügt werden kann, so muß doch gesagt werden, daß die Beurteilung, ob die zusätzliche Einvernahme von Zeugen für die Möglichkeit, eine bestimmte Tatsache festzustellen, erforderlich oder entbehrlich ist oder weitere Beweise an dem festgestellten Sachverhalt nichts ändern können, in den im Revisionsverfahren nicht überprüfbaren Bereich der Beweiswürdigung fällt und daß auch die sogenannte vorgreifende Beweiswürdigung in dritter Instanz nicht überprüfbar ist. Im vorliegenden Fall hat das Berufungsgericht die Unterlassung der Vernehmung eines Zeugen durch das Erstgericht mit Recht im Hinblick darauf gebilligt, daß die klagende Partei die Mitteilung einer ladungsfähigen Adresse dieses Zeugen trotz Hinweis auf den Zustellanstand unterlassen hat. Darüber hinaus erachtete es die Vernehmung dieses Zeugen für entbehrlich, weil das Erstgericht dessen Angaben vor dem Sicherheitsbüro ohnedies in seiner Beweiswürdigung berücksichtigt hat. In Ansehung der Unterlassung der Vernehmnung der zweiten Zeugin setzte sich das Berufungsgericht mit den dazu vorgenommenen Ausführungen des Erstgerichtes - diese billigend - eingehend auseinander. Die von der Revisionswerberin in ihrer Mängelrüge erstatteten Ausführungen stellen sich daher in Wahrheit lediglich als ein im Revisionsverfahren unzulässiger Versuch der Bekämpfung der von den Vorinstanzen auf Grund ihrer Beweiswürdigung getroffenen Feststellungen dar.
Im Rahmen der Pflicht des Revisionsgerichtes zur allseitigen Rechtsprüfung sind vorerst die wegen der ausländischen Staatsangehörigkeit der Zweitbeklagten bedeutsamen kollisionsrechtlichen Fragen zu klären. Ungeachtet der hier gegebenen Auslandsberührung des zur Entscheidung gestellten Begehrens haben sich die Vorinstanzen nicht mit der Frage befaßt, ob überhaupt die Voraussetzungen für die Anwendung der von ihnen herangezogenen Bestimmung des österreichischen Familienrechtes vorliegen.
Gemäß § 17 Abs 1 IPRG sind die Voraussetzungen der Eheschließung, der Ehenichtigkeit und der Aufhebung für jeden der Verlobten nach seinem Personalstatut, also gemäß § 9 nach dem Recht des Staates, dem die Person angehört, zu beurteilen. § 17 IPRG regelt sohin nicht nur die sachlichen (nicht zur Form des § 16 IPRG zählenden) Ehevoraussetzungen, sondern auch die Rechtsfolgen einer Verletzung der sachlichen Ehevoraussetzungen, und zwar alle Rechtsfolgen des maßgeblichen Rechtes, die an die Mißachtung sachlicher Voraussetzungen geknüpft sind. Von der Wirkung einer derartigen Verletzung wird freilich immer das gesamte Eheverhältnis erfaßt, unabhängig davon, ob die Verletzung beide Personalstatuten - wenn auch aus verschiedenen Gründen - oder nur eines von ihnen betrifft (Schwimann in Rummel II Rz 2 und 3 zu § 17 IRPG; 8 Ob 700/88). Deshalb sind zunächst die in Frage kommenden Bestimmungen des österreichischen und des - für die Zweitbeklagte maßgeblichen - polnischen Rechtes einander gegenüberzustellen und zu beurteilen.
Gemäß § 23 Abs 1 öEheG ist eine Ehe nichtig, wenn sie ausschließlich oder vorwiegend zu dem Zweck geschlossen ist, der Frau (die Führung des Familiennamens des Mannes oder) den Erwerb der Staatsangehörigkeit des Mannes zu ermöglichen, ohne daß die eheliche Lebensgemeinschaft begründet werden soll.
In der für die Zweitbeklagte maßgeblichen Rechtsordnung der Volksrepublik Polen - sämtliche Beteiligten sind vom Vorliegen der polnischen Staatsangehörigkeit der Zweitbeklagten ausgegangen, Gegenteiliges ist der Aktenlage nicht zu entnehmen - findet sich ein dem Tatbestand der Staatsangehörigkeitsehe des § 23 Abs 1 zweiter Fall EheG identer oder vergleichbarer Ehenichtigkeitsgrund nicht. Die Nichtigerklärung einer Ehe nach polnischem Recht kann nur wegen eines Verstoßes gegen die in den Art. 10 bis 16 des Familien- und Vormundschaftsgesetzbuches vom 25.Februar 1964 (FVBG) enthaltenen Verbote erfolgen; aus anderen Gründen ist sie ausgeschlossen (Art. 17 FVGB) (Nachweis bei Bergmann-Ferid, Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht, Länderteil Polen; vgl ebendort
III. A. 4. 17f; III. B. 5. 37f). Da in den Art. 10 bis 16 FVGB ein der Bestimmung des § 23 Abs 1 EheG entsprechendes Verbot nicht normiert ist und die Anwendung der zivilrechtlichen Vorschriften des Zivilgesetzbuches (ZGB) vom 23.April 1964 über Willensmängel bei der Eheschließung ausgeschlossen ist (Bergmann-Ferid, aaO, III. A. 4. 14), kann eine Ehe, die nach österreichischem Recht als sogenannte Staatsangehörigkeitsehe anzusehen ist, wegen dieser in Österreich verpönten Abschlußmotive nach polnischem Recht nicht für nichtig erklärt werden. Daß eine solche Eheschließung mangels Verletzung sachlicher Ehevoraussetzungen nach polnischem Recht nicht die Rechtsfolge der Ehenichtigkeit auslöst, spielt - wie bereits dargestellt - keine Rolle, weil von der Wirkung der Verletzung einer sachlichen Ehevoraussetzung nach österreichischem Recht das gesamte eheliche Verhältnis erfaßt wird. Da die in Österreich geschlossene Ehe der Beklagten auch nach polnischem Recht gültig ist (Art. 15 des Gesetzes über das Internationale Privatrecht vom 12.11.1965; siehe Bergmann-Ferid, aaO, III. B. 1. 30), also auch nach dem Personalstatut der Ehefrau keine Nichtehe vorliegt, käme hier nur eine Verletzung des Personalstatutes des beklagten Ehemannes in Frage; es könnte damit auch nur die Sanktion des österreichischen Personalstatutes zur Geltung kommen, die Eheabschlußmotive iS des § 23 Abs 1 EheG müßten vielmehr nach dem anderen Personalstatut ohne Sanktion bleiben. Die Geltendmachung des bloß nach österreichischem Eherecht bestehenden Nichtigkeitstatbestandes der Staatsangehörigkeit sehe gemäß § 23 Abs 1 zweiter Fall EheG durch den österreichischen Staatsanwalt führt daher zur Anwendung österreichischen Sachrechts.
In ihrer Rechtsrüge räumt die Revisionswerberin mit Recht ein, daß eine Ehe gemäß § 23 EheG dann nichtig ist, wenn diese ausschließlich oder vorwiegend zu dem Zwecke geschlossen wurde, der Frau den Erwerb der Staatsbürgerschaft des Mannes, hier also der österreichischen Staatsbürgerschaft, zu verschaffen, ohne daß eine eheliche Lebensgemeinschaft begründet werden soll, und bei der Prüfung der Verwirklichung des Tatbestandes des § 23 EheG auf den Zeitpunkt der Eheschließung abzustellen ist (vgl EFSlg 48.716 ua). Da nach der für die rechtliche Beurteilung allein maßgeblichen Sachverhaltsgrundlage der Vorinstanzen nicht davon ausgegangen werden kann, die Absicht beider Beklagten wäre bei der Eheschließung auf Aufhebung der bereits beestehenden Lebensgemeinschaft und auf Nichtbegründung einer ehelichen Lebensgemeinschaft gerichtet gewesen, kann nicht gesagt werden, die Beklagten hätten den Eheabschlußwillen nur vorgetäuscht, um Rechtsfolgen, nämlich den Erwerb der österreichischen Staatsbürgerschaft durch die Frau, herbeizuführen, die sie sonst nicht oder nur schwer hätten erreichen können, es sich also um ein Scheingeschäft handelt (vgl Koziol-Welser II8, 180). Da somit mit der mangelnden Absicht der Eheleute zur Nichtbegründung einer ehelichen Lebensgemeinschaft eine wesentliche Voraussetzung für das Vorliegen einer Staatsangehörigkeitsehe fehlt (vgl Pichler in Rummel, ABGB, Rz 1 zu § 23 EheG), entspricht die Abweisung des Klagebegehrens durch die Vorinstanzen der Sach- und Rechtslage.
Entgegen der Ansicht der Revisionswerberin liegen Feststellungsmängel nicht vor, weil die Vorinstanzen ohnedies mit Recht von der Annahme der Absicht der Zweitbeklagten ausgegangen sind, die österreichische Staatsbürgerschaft zu erwerben und die in der Revision vermißten Feststellungen über die von der Zweitbeklagten zum Zwecke der Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft gesetzten Aktivitäten für die rechtliche Beurteilung des Vorliegens einer Staatsangehörigkeitsehe an sich nicht rechtserheblich sind, zumal diese Feststellungen lediglich jenem Tatbestandsmerkmal zuzuordnen sind, da von den Vorinstanzen ohnedies als gegeben erachtet wurde, nämlich dem ausschließlichen oder vorwiegenden Wunsch der Frau auf Erwerb der Staatsangehörigkeit des Mannes.
Damit erweist sich aber die Revision als unberechtigt, weshalb ihr der Erfolg versagt werden mußte.
Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf den §§ 41 und 50 ZPO.
Anmerkung
E18873European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1989:0050OB00609.89.1003.000Dokumentnummer
JJT_19891003_OGH0002_0050OB00609_8900000_000