Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof.Dr.Petrasch als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Hule, Dr.Warta, Dr.Klinger und Dr.Angst als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden und widerbeklagten Partei Robert U***, Pensionist, Weiden am See, Seeweiden Nr. 126, vertreten durch Dr.Gerhard Winterstein, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte und widerklagende Partei Maria U***, Pensionistin, Wien 2, Ulrichgasse 4/1/3/7, vertreten durch Dr.Johannes Schriefl ua, Rechtsanwälte in Wien, wegen Ehescheidung, infolge Revision beider Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes vom 23.November 1988, GZ 16 R 55/88-45, womit infolge Berufung der klagenden und widerbeklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien vom 24. November 1987, GZ 15 Cg 19/86-34, teils bestätigt, teils abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Den Revisionen wird nicht Folge gegeben.
Die Kosten des Revisionsverfahrens werden gegeneinander aufgehoben.
Text
Entscheidungsgründe:
Die seit dem Jahr 1973 verehelichten Streitteile begehren in zwei an aufeinanderfolgenden Tagen eingebrachten zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbundenen Klagen jeweils die Scheidung ihrer Ehe wegen schwerer Eheverfehlungen des jeweils anderen Teils und beantragen jeweils die Abweisung des Klagebegehrens der Gegenseite. Der Diktion der Vorinstanzen folgend wird der Mann als Kläger und Widerbeklagter (kurz Kläger) und die Frau als Beklagte und Widerklägerin (kurz Beklagte) bezeichnet. Das Erstgericht gab der Scheidungsklage der Beklagten statt, sprach aus, daß den Kläger das Alleinverschulden treffe und wies die Scheidungsklage des Klägers ab.
Es traf im wesentlichen folgende Tatsachenfeststellungen:
Die Streitteile lernten einander 1965 kennen und nahmen im Jahr 1966 eine Lebensgemeinschaft auf. Zufolge eines Strafverfahrens verbrachte der Kläger ab September 1966 zwei Jahre und acht Monate in Haft (also vor der Eheschließung) und schuldete dann der Republik Österreich etwa 2 Mill. S. Von seinem Einkommen von 9.000 S, später 10.000 S leistete er Abzahlungen von monatlich 1.400 S, nach der im Jahr 1984 erfolgten Pensionierung von monatlich 500 S. Die Beklagte verdiente an die 15.000 S monatlich, verwendete aber dieses Einkommen einschließlich ihrer Ersparnisse, einer Abfertigung anläßlich ihrer Pensionierung und eines Erbteils zum Ankauf und zur Einrichtung eines Ferienhauses in Weiden. Die eheliche Wohnung war in Wien.
Schon in den ersten Ehejahren kam es zu häufigen Streitigkeiten. Die Beklagte warf dem Kläger seine finanzielle Situation vor. Dieser begann aus geringfügigen Anlässen Streit, zB weil er aufgefordert wurde, im Auto die Heizung aufzudrehen, oder einmal, weil er frisches warmes Essen statt im Kühlschrank vorhandener faschierter Leibchen wünschte. Als der Kläger an einem Silvestertag der Jahre 1981 bis 1983 eingeschlafen war und von der Beklagten durch Kitzeln an der Nase geweckt wurde, schlug er ihr mit der flachen Hand ins Gesicht. Am Muttertag 1985 schlug die Beklagte im Zuge einer Auseinandersetzung mit einer Zeitung gegen den Kläger, worauf ihr dieser eine kräftige Ohrfeige versetzte, die ein großflächiges Hämatom verursachte. Im Zuge heftiger ehelicher Auseinandersetzungen äußerte der Kläger laufend Selbstmorddrohungen und schloß sich einmal einen ganzen Vormittag im WC ein. Er litt aber zu keiner Zeit an einer manisch-depressiven Erkrankung. Es kam auch wiederholt zu wechselseitigen Beschimpfungen. Der Kläger half kaum im Haushalt (außer der Vornahme von Einkäufen mit dem PKW und der gelegentlichen Mithilfe bei der Zubereitung von Speisen).
Es kam zwischen den Streitteilen selten zu einem ehelichen Verkehr. Seit der Pensionierung des Klägers fand überhaupt kein Geschlechtsverkehr mehr statt.
Als sich die Beklagte seit dem Jahr 1978 wegen der Schwierigkeiten in der Ehe einer fachärztlichen Behandlung unterzog, war der Kläger nicht bereit, an dieser Behandlung teilzunehmen, suchte aber den behandelnden Arzt auf. Der Kläger verbrachte die meiste Zeit beim Lesen von Zeitungen. Öfters widmete er sich bis in die Nachtstunden dem Fernsehen, was die Beklagte am Einschlafen hinderte. Ein solcher Vorfall am 18.Juli 1985 führte zu einer ehelichen Auseinandersetzung, die die Beklagte in sehr schlechter seelischer Verfassung zum Anlaß nahm, die Wohnung im Ferienhaus in Weiden zu verlassen. Sie hielt sich vorübergehend bei ihrer Tochter auf und zog später in die Wiener Wohnung und brachte dort ein neues Schloß an. Umgekehrt blieb der Kläger zur Gänze im Ferienhaus in Weiden und brachte seinerseits dort ein neues Schloß an, nachdem die Klägerin dort Geschirr ua abgeholt hatte und der Kläger einen Einbruch Dritter vermutete, bot jedoch der Beklagten an, ihr einen Ersatzschlüssel zu geben.
Zu einem unbekannten Zeitpunkt hatte sich die Beklagte in den Besitz eines Taschenkalenders des Klägers mit persönlichen Aufzeichnungen gebracht, der im Zuge des Verfahrens zurückgegeben wurde.
Ob dem Kläger an dem im bücherlichen Alleineigentum der Beklagten stehenden Ferienhaus in Weiden Rechte eingeräumt wurden, ist mangels präziser Angaben des Klägers nicht feststellbar. Das Erstgericht erblickte im Gesamtverhalten des Klägers schwere Eheverfehlungen und wertete die Verfehlungen der Beklagten als bloße Reaktionshandlungen. Mangels erwiesener Vereinbarungen liege auch der vom Kläger geltend gemachte Vertrauensbruch - gemeint ist der ohne Beiziehung des Klägers zustandegekommene, von beiden Teilen übereinstimmend dargestellte Abschluß eines Schenkungsvertrages über die Liegenschaft in Weiden zugunsten der Kinder der Beklagten - keine Eheverfehlung.
Das Berufungsgericht änderte das Urteil des Erstgerichtes teilweise dahin ab, daß die Ehe aus dem überwiegenden Verschulden des Klägers geschieden wurde.
Es übernahm die Tatsachenfeststellungen des Erstgerichtes und traf ergänzend dazu noch folgende Feststellungen:
Der Kläger war unleidlich, ichbezogen und provokant. An einem wirklichen ehelichen Zusammenleben mit der Beklagten war er nicht interessiert. Auf die Wünsche und Bedürfnisse der Beklagten ging er nicht ein. Das Desinteresse am ehelichen Verkehr ging vom Kläger aus. Er verbrachte seine Zeit mit Lesen, Radiohören und Fernsehen, dies auch obwohl er wußte, daß die Beklagte dadurch irritiert wurde. Wenn die Beklagte den Wunsch äußerte, er möge nicht Radio hören, gab es Streit. Oft beschimpfte dabei der Kläger die Beklagte, so etwa mehrmals mit dem Schimpfwort "blöde Blunzn". Im Zuge solcher Streitigkeiten kam es auch vor, daß die Beklagte den Kläger beschimpfte, wobei allerdings die Verwendung unflätiger Ausdrücke nicht erwiesen ist. Einmal beschimpfte allerdings die Beklagte den Kläger als "Schwein", nachdem er seine Notdurft in der Waschmuschel des Badezimmers verrichtet hatte. Die Beklagte hat am 19.Juli 1985 das Ferienhaus in Weiden nicht in der Absicht verlassen, nicht mehr zurückzukehren, sie faßte den Entschluß, den Kläger zu verlassen, vielmehr erst während ihres folgenden Aufenthaltes in Wien. Der Grund ihres Weggangs war, daß sie das Verhalten des Klägers nicht mehr ertragen konnte. Der Kläger hatte in dieser Nacht bis vier Uhr früh auf der Terrasse ferngesehen, wodurch die Beklagte und ihre zu Besuch weilende Enkelin gestört wurden und nicht einschlafen konnten. Auf ihre Bitte, leiser zu sein, nahm der Kläger zwar Kopfhörer, der Lautsprecher lief aber trotzdem weiter. Die Beklagte wurde auch durch das Geräusch des Hin- und Herschaukelns mit dem Stuhl gestört. Als sich der Kläger um vier Uhr schlafen legte und zu schnarchen begann, konnte die Beklagte nicht mehr einschlafen. In der Früh hatte sie starke Herzbeschwerden und befürchtete einen Herzinfarkt, - die Beklagte litt aber an hohem Blutdruck und hatte sich schon einer Bypassoperation unterzogen -, weshalb sie der Kläger zum Arzt brachte. Als dieser aber am Herzen nichts feststellte, wurde der Kläger böse und verlangte von der Beklagten eine Entschuldigung, was diese ablehnte und was zu einem Streit führte. Der Kläger wollte fortfahren und die Beklagte zurücklassen, sie war dagegen. Es kam zu einer Ranglerei auf dem Bootssteg, bei der der Kläger die Beklagte fast ins Wasser gestoßen hätte. Die Beklagte begab sich dann in die Wiener Wohnung und sagte dem Kläger, sie wolle sich dort einer ärztlichen Behandlung unterziehen. Der Kläger erkundigte sich in den nächsten Tagen nicht nach ihrem Befinden. Das einzige, was ihn an ihrem Weggang interessierte, war, daß sie das Auto mitgenommen hatte.
Auf Grund dieser erweiterten Feststellungsgrundlage gelangte das Berufungsgericht in rechtlicher Hinsicht zum Ergebnis, daß auch der Beklagten ein Verschulden an der Zerrüttung der Ehe anzulasten sei. Eine Verfehlung der Frau liege vor allem in der ohne Rücksprache mit dem Mann im Herbst 1985 erfolgten Verfügung über das von beiden Streitteilen bis zur Trennung regelmäßig benützte Sommerhaus in Weiden, das überdies dem Kläger seit der Trennung als regelmäßiger Wohnsitz diente. Im übrigen seien jedoch die Verfehlungen des Klägers erheblich schwerer als diejenigen der Beklagten.
Rechtliche Beurteilung
Die Revisionen beider Streitteile sind nicht berechtigt. Die in der Revision des Klägers geltend gemachte Aktenwidrigkeit liegt nicht vor (§ 510 Abs 3 ZPO).
Auch die Rechtsrüge beider Parteien dringt nicht durch. Beim Verschuldensausspruch ist auf das Gesamtverhalten der Ehegatten abzustellen (EFSlg 51.642) und vor allem zu berücksichtigen, wer mit der schuldhaften Zerstörung der Ehe begonnen hat und die entscheidenden Beiträge zur unheilbaren Zerrüttung der Ehe geleistet hat (EFSlg 51.643). Der Ausspruch eines Mitverschuldens der klagenden Ehegatten im Sinne des § 60 Abs 3 EheG ist nur zulässig, wenn der beklagte Ehegatte auf Grund der festgestellten Umstände auf Scheidung wegen Verschuldens hätte klagen können (EFSlg 51.655). Eine bloße angemessene Reaktion auf das Verhalten des anderen Ehegatten wäre daher keine Grundlage für einen Mitschuldantrag (EFSlg 51.656). Ein überwiegendes Verschulden liegt nur vor, wenn die Schuld des einen Gatten erheblich schwerer ist, das Verschulden des anderen fast völlig in den Hintergrund tritt (EFSlg 51.658) und dieser Unterschied offenkundig hervortritt (EFSlg 51.659).
Wenn der Kläger in der Revision geltend macht, auch die Beklagte sei nicht auf seine Wünsche eingegangen, wird eine unzulässige Neuerung vorgetragen und in ebenfalls unzulässiger Weise nicht von den Tatsachenfeststellungen der Vorinstanzen ausgegangen. Im Zusammenhang mit den Gründen des unterbliebenen ehelichen Verkehrs liegt kein Feststellungsmangel vor, sondern das Berufungsgericht schenkte hier der Parteienaussage der Beklagten Glauben und nicht der gegenteiligen des Klägers. Eine weitere Aufklärung ist nicht nötig. Wenn der Kläger alle festgestellten Verfehlungen als gewöhnliche Unstimmigkeiten einer Ehe zu bezeichnen sucht, wird der wirkliche Gehalt der einzelnen Fakten mißverstanden. Die Anführung einer in der Parteienaussage des Klägers vorkommenden Formulierung über die Wahl seiner "Beschimpfungen" diente nur der Begründung der Feststellung, daß der Kläger die Beklagte sehr wohl überhaupt beschimpft hat, was nach dem Prozeßstandpunkt des Klägers strittig war. Wenn das Berufungsgericht angesichts einer solchen Aussage des Klägers letztlich der Aussage der Beklagten Glauben schenkte, liegt wiederum nur eine Frage der im Revisionsverfahren nicht überprüfbaren Beweiswürdigung vor.
Anhaltspunkte dafür, daß die Beklagte eine Erkrankung nur aus taktischen Gründen vorgeschoben hat, finden in den Tatsachenfeststellungen der Vorinstanzen keine Stütze, sodaß auch in diesem Zusammenhang von einem urteilsfremden Sachverhalt ausgegangen wird.
Neu und urteilsfremd ist auch der Vorwurf, die Beklagte hätte dem Kläger das in Weiden lebenswichtige Auto entzogen; denn das Berufungsgericht hat diese Feststellung nur im Zusammenhang damit getroffen, daß dem Kläger mehr am Auto als an seiner Frau gelegen sei.
Ausgehend von den getroffenen Tatsachenfeststellungen ergibt sich kurz zusammengefaßt aber folgendes Bild:
Verfehlungen der Beklagten waren es, dem Kläger seine schwierige finanzielle Situation vorzuhalten, obschon sie ihn in Kenntnis derselben geehelicht hat, ihn bei Streitigkeiten immerhin auch zu beschimpfen, also doch mehr zu tun als nur zu reagieren, und den Kläger nach einer letztlich nicht besonders schwerwiegenden ehelichen Auseinandersetzung endgültig zu verlassen, sowie, nach der von ihr vollzogenen Trennung, mag hier die Ehe auch schon weitgehend zerrüttet gewesen sein, auch noch einseitige Schritte gesetzt haben, die für den Mann angesichts seiner finanziell nicht besonders guten Lage eine gewisse Gefährdung der Wohnungsgrundlage und der Verfügungsmöglichkeit über das Auto bedeuten konnten. Wesentlich erheblicher sind jedoch die Verfehlungen des Klägers. Er hat sich nie um die Beklagte gekümmert, ging nie auf ihre Wünsche ein, lebte rücksichtslos immer nur nach seinen eigenen Bedürfnissen (vgl E wie EFSlg 51.584), beschimpfte die Frau oft, begann immer wieder ohne triftigen Grund Streitigkeiten und schreckte auch vor Mißhandlungen nicht zurück. Schließlich terrorisierte er sie durch wiederholte Selbstmorddrohungen (vgl. EFSlg 38.704) und vernachlässigte sie auch in sexueller Hinsicht. Dieses Verhalten wiegt ungleich schwerer als die relativ geringen Verfehlungen der Ehefrau, sodaß der Ausspruch des überwiegenden Verschuldens des Klägers gerechtfertigt ist.
Die Kostenentscheidung stützt sich auf die §§ 41 und 50 ZPO. Jeder Teil hat daher dem andern die jeweils gleich hohen Kosten der Revisionsbeantwortung zu ersetzen, was im Ergebnis zur Kostenaufhebung führt.
Anmerkung
E18675European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1989:0030OB00546.89.1004.000Dokumentnummer
JJT_19891004_OGH0002_0030OB00546_8900000_000