TE OGH 1989/11/7 10ObS349/89

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Veröffentlicht am 07.11.1989
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Resch als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Angst und Dr.Bauer als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Dr.Christian Kleemann und Norbert Bartholomay in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Stevan F***, Demmergasse 9/1, 1210 Wien, vertreten durch Dr.Gerhard Millauer, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei P*** DER A***, Roßauer Lände 3, 1090 Wien, im Revisionsverfahren nicht vertreten, wegen Invaliditätspension infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 19.April 1989, GZ 31 Rs 91/89-33, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 3.August 1988, GZ 10 Cgs 86/88-19, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil wird aufgehoben. Die Rechtssache wird zur Ergänzung des Verfahrens und zur neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens bilden weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

Der Kläger begehrt, die beklagte Partei zur Leistung der Invaliditätspension zu verpflichten. Er sei in den letzten 15 Jahren vor der Antragstellung als Fleischwarenarbeiter beschäftigt gewesen, leide an Schmerzen in der linken Lunge und sei zufolge dieses Leidenszustand nicht mehr in der Lage, einer geregelten Beschäftigung nachzugehen.

Die beklagte Partei beantragt die Abweisung der Klage. Das Erstgericht wies das Begehren des Klägers ab, wobei es seiner Entscheidung nachstehenden Sachverhalt zugrundelegte:

Beim Kläger besteht eine weitgehend rückgebildete Unterlappentuberkolose links sowie ein Tuberkulom im linken Oberlappen. Der Prozeß kann als konsolidiert beurteilt werden. Die Lungenfunktion ist normal. Beim Kläger bestehen keine Einschränkungen der Arbeitsfähigkeit.

Hieraus zog das Erstgericht den Schluß, daß die Voraussetzungen des § 255 ASVG nicht erfüllt seien, da der Kläger in der Lage sei, alle Arbeiten ohne Einschränkungen zu verrichten.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers nicht Folge. Das Prozeßvorbringen des Klägers in erster Instanz lasse keinen Schluß darauf zu, daß er als qualifizierter Fleischhauer oder Fleischwarenarbeiter tätig gewesen sei; sein diesbezügliches Vorbringen in der Berufung verstoße gegen das Neuerungsverbot, sodaß hierauf nicht einzugehen sei. Da der Kläger nach den Verfahrensergebnissen voll arbeitsfähig sei, habe das Erstgericht sein Begehren zu Recht abgewiesen.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Klägers aus den Revisionsgründen der Mangelhaftigkeit des Verfahrens und der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, es im Sinne einer Klagestattgebung abzuändern; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die beklagte Partei hat sich im Berufungsverfahren nicht beteiligt.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist im Sinne des Eventualantrages berechtigt. Zutreffend macht der Kläger geltend, daß der Inhalt seiner Berufstätigkeit ungeprüft blieb. In der Klage wurde vorgebracht, daß der Kläger in den letzten 15 Jahren als Fleischwarenarbeiter tätig gewesen sei. Über die berufliche Qualifikation wird damit keine Aussage getroffen. Wohl wurde erstmalig in der Berufung eine konkrete Behauptung dahin aufgestellt, daß der Kläger einer qualifizierten Beschäftigung nachgegangen sei, doch kann der Rechtsmeinung des Berufungsgerichtes, daß damit gegen das Neuerungsverbot verstoßen wurde, nicht beigetreten werden. Die Klärung der Frage, ob ein Versicherter Berufsschutz genießt, ist in allen Fällen, in denen ausgehend vom Bestehen eines Berufsschutzes die Verweisbarkeit in Frage gestellt ist, unabdingbare Entscheidungsvoraussetzung. Wenn wie hier nach dem Inhalt des Prozeßvorbringens hierüber keine Klarheit besteht - aus den Angaben in seinem Antrag bei der beklagten Partei kann im Hinblick auf die Klagsbehauptung nicht ohne weiteres der Schluß gezogen werden, daß der Kläger als einfacher Hilfsarbeiter tätig war - hat das Gericht auf Grund der Bestimmung des § 87 Abs 1 ASGG diese Frage von Amts wegen zu überprüfen und hierüber Feststellungen zu treffen. Der Frage, ob der Kläger als Fleischhauer Berufsschutz genießt, könnte jedoch im vorliegenden Fall relevante Bedeutung zukommen. Gemäß § 1 Abs 1 BazillenausscheiderG (StGBl 1945/153 idF BGBl 1964/131) kann das Bundesministerium für Soziale Verwaltung im Einvernehmen mit den beteiligten Bundesministerien anordnen, daß in Betrieben und Unternehmungen bestimmter Art, in denen zum unmittelbar menschlichen Genuß dienende Nahrungs- und Genußmittel erzeugt, hergestellt oder abgegeben werden, für die Erzeugung, Herstellung oder Abgabe nur solche Personen neu aufgenommen, zu dieser Beschäftigung erstmalig herangezogen oder von einem zu bestimmenden Zeitpunkt an weiter verwendet werden dürfen, die durch ein vom zustsändigen Amtsarzt auf Grund vorgenommener Untersuchung ausgestelltes amtsärztliches Zeugnis nachweisen können, daß sie in einem Betrieb oder Unternehmen dieser Art ohne Gefahr für die Verbraucher von Nahrungs- und Genußmitteln sowie ohne Gefährdung ihrer Mitarbeiter verwendet werden dürfen. Gemäß § 2 leg cit kann das Bundesministerium für Soziale Verwaltung im Einvernehmen mit den beteiligten Bundesministerien anordnen, daß eine Weiterverwendung der im § 1 angeführten Personen in ihrer bisherigen Beschäftigung in bestimmten Betrieben und Unternehmungen nur dann erfolgen darf, wenn durch eine in bestimmten Zeitabständen zu wiederholende amtsärztliche Untersuchung festgestellt wird, daß gegen die Weiterverwendung keine Bedenken obwalten. Gemäß § 4 Abs 1 ist bei der vorzunehmenden ärztlichen Untersuchung jedenfalls auf das Freisein von akuten und chronischen Infektionskrankheiten, Parasiten sowie ekelerregenden Krankheiten zu achten. Erforderlichenfalls ist auch eine Röntgenuntersuchung der Lunge durchzuführen oder zu veranlassen. In Ausführung dieses Gesetzes erging die Verordnung vom 22.8.1945, StGBl 1946/128 idF der Verordnungen BGBl 1954/203, BGBl 1967/364 und BGBl 1969/358. Gemäß § 1 Z 6 dieser Verordnung fallen unter die im § 1 Abs 1 BazillenauscheiderG genannten Betriebe, Schlachthäuser, Unternehmungen, welche Fleischwaren erzeugen, und Abgabestellen, welche Fleischerzeugnisse verkaufen. Die Bestimmungen der §§ 1 bis 3 leg cit finden gemäß § 2 dieser Verordnung Anwendung auf alle Personen, die mit der Gewinnung, Zubereitung, Verpackung und Abgabe von Nahrungs- und Genußmitteln in den im § 1 der Verordnung aufgezählten Betrieben und Unternehmungen beschäftigt sind (wie Köche, Küchenhilfskräfte, Küchenfleischhauer, Melker usw) sowie auf alle Personen, die mit der unmittelbaren Abgabe ua von Fleischprodukten befaßt sind. Gemäß § 4 dieser Verordnung sind Wiederholungsuntersuchungen im Sinne der Bestimmung des § 2 BazillenausscheiderG ab dem der Verlautbarung folgenden Monatsersten in Zeitabständen von je 12 Monaten durchzuführen. Gemäß § 29 (1) FleischhygieneV dürfen Personen Fleisch ua dann nicht in Verkehr bringen, wenn sie an einer akuten oder chronischen Infektionskrankheit leiden oder Krankheitserreger ausscheiden. Beim Kläger besteht ein Lungen-TBC-Leiden. Wohl steht fest, daß dieses Leiden als konsolidiert zu betrachte ist und daß grundsätzliche Einschränkungen seiner Arbeitsfähigkeit nicht bestehen, doch könnte dieses Leiden dennoch auf Grund der Bestimmungen des Bazillenausscheidergesetzes und der dazu ergangenen Verordnung bzw der FleischhygieneV einer weiteren Beschäftigung im bisherigen Beruf entgegenstehen. Sollten die Voraussetzungen des § 255 Abs 1 oder Abs 2 ASVG vorliegen, so wäre dann seine Verweisung auf den Arbeitsmarkt nur möglich, wenn in dieser Berufssparte Tätigkeiten zur Verfügung stehen, die den Bestimmungen des Bazillenausscheidergesetzes nicht unterliegen. In dieser Richtung erweist sich das Verfahren ergänzungsbedürftig.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 52 ZPO.

Anmerkung

E19135

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1989:010OBS00349.89.1107.000

Dokumentnummer

JJT_19891107_OGH0002_010OBS00349_8900000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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