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001 Verwaltungsrecht allgemein;Norm
ABGB §7;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Steiner und die Hofräte Mag. Heinzl, Dr. Zorn, Dr. Robl und Dr. Büsser als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Pfau, über die Beschwerde des R H in L, vertreten durch Leitner + Leitner GmbH & Co KEG, Wirtschaftsprüfungsgesellschaft in 4040 Linz, Ottensheimerstraße 30, 32 und 36, gegen den Bescheid des unabhängigen Finanzsenates, Außenstelle Linz, vom 12. August 2004, RV/0421-L/04, betreffend Kinderabsetzbetrag 1994 bis 1996, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 381,90 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer ist in Österreich wohnhaft und nichtselbständig tätig. Seine Ehefrau und seine Kinder wohnen in Deutschland, wo die Ehefrau für die Kinder "Kindergeld" bezogen hat.
Für Zeiträume von Jänner 1994 bis Dezember 1995 gewährte das Finanzamt dem Beschwerdeführer für die in Deutschland lebenden Kinder "nach der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 und der Verordnung (EWG) Nr. 574/72" Differenzzahlungen zwischen der (höheren) österreichischen Familienbeihilfe und der in Deutschland - in Form des "Kindergeldes" - gewährten Beihilfe (ab 1996 war die österreichische Familienbeihilfe niedriger als das in Deutschland gewährte "Kindergeld").
Mit Eingabe vom 18. Februar 2002 beantragte der Beschwerdeführer, dass ihm für seine in Deutschland lebenden Kinder rückwirkend ab Jänner 1994 der Kinderabsetzbetrag iSd § 33 Abs 4 Z 3 lit a EStG 1988 gewährt werde.
Mit Bescheid vom 26. Juli 2002 wies das Finanzamt den Antrag hinsichtlich des Zeitraumes 1994 bis 1999 ab. Für Zeiträume vor 2000 werde an im Inland beschäftigte EU-Bürger, deren Kinder sich ständig in einem Mitgliedstaat aufhielten, der Kinderabsetzbetrag nur gewährt, wenn der Nachweis erbracht sei, dass der andere EUbzw EWR-Staat (in diesem Fall Deutschland) den österreichischen Kinderabsetzbetrag bei seiner Zahlung in Abzug gebracht habe. Bis zum Jahr 1999 habe Deutschland den Unterschiedsbetrag zwischen dem höheren deutschen "Kindergeld" und der österreichischen Familienbeihilfe ausbezahlt.
Der Beschwerdeführer brachte gegen diesen Bescheid Berufung ein und brachte im Wesentlichen vor, bis zum Jahr 2000 seien Kinderabsetzbeträge weder von Österreich noch von Deutschland berücksichtigt worden.
Mit dem angefochtenen Bescheid wurde der Berufung insoweit Folge gegeben, als ausgesprochen wurde, dass der Kinderabsetzbetrag für den Zeitraum Jänner 1997 bis Dezember 1999 "nachgezahlt" wird. Gemäß § 33 Abs 4 Z 3 lit a EStG 1988 stehe für Kinder, die sich ständig im Ausland aufhielten, der Kinderabsetzbetrag nicht zu. Allerdings sei auf Grund des Art 4 Abs 1 iVm Art 3 der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 "zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern" und der dazu ergangenen Judikatur des EuGH (Hinweis auf das Urteil vom 16. Juli 1992, C-78/91) der Kinderabsetzbetrag - neben der Familienbeihilfe - als Familienleistung anzusehen. Dem Grunde nach stehe dem Beschwerdeführer daher ab dem Jahr 1994 der Kinderabsetzbetrag zu.
Gemäß § 33 Abs 4 Z 3 lit a EStG 1988 sei der Kinderabsetzbetrag nach den Vorschriften des FLAG geltend zu machen. Der Verwaltungsgerichtshof habe im Erkenntnis vom 17. Februar 1982, 82/13/0014, darauf hingewiesen, dass mit Ablauf der Verjährungsfrist der Anspruch auf Familienbeihilfe für weiter zurückliegende Zeiträume erloschen sei. Stoll, BAO-Kommentar, 2168, führe aus, das FLAG enthalte Sonderregelungen über die Verjährung der Ansprüche der Parteien auf Familienbeihilfe. Im "Zuerkennungsverfahren" sei nämlich § 10 Abs 3 FLAG zu berücksichtigen. Mit Ablauf der in dieser Gesetzesstelle genannten Frist sei der Anspruch auf Familienbeihilfe für weiter zurückliegende Zeiträume erloschen.
Die belangte Behörde halte es für wesentlich, dass der Kinderabsetzbetrag im EStG geregelt sei und die dort vorgesehene Verknüpfung mit dem FLAG lediglich den Auszahlungsmodus betreffe. Der Gesetzgeber ordne in § 33 EStG auch noch an, dass hinsichtlich der Rückzahlung zu Unrecht bezogener Kinderabsetzbeträge § 26 FLAG zur Anwendung komme. Hätte der Gesetzgeber auch die Ausschlussbestimmung des § 10 Abs 3 FLAG auf Kinderabsetzbeträge angewendet wissen wollen, hätte er eine entsprechende Anordnung getroffen. Auf den Anspruch auf Kinderabsetzbetrag sei daher die Verjährungsregelung des § 207 BAO anzuwenden.
Im Beschwerdefall sei der Antrag auf Gewährung des Kinderabsetzbetrages im Februar 2002 eingebracht worden. Hinsichtlich der Jahre 1997 bis 1999 sei der Antrag damit innerhalb der fünfjährigen Verjährungsfrist des § 207 Abs 2 BAO gestellt worden. Für die Jahre 1994 bis 1996 stehe der Kinderabsetzbetrag demgegenüber wegen des Eintritts der Verjährung nicht zu. Eine Unterbrechung iSd § 209 BAO sei nicht eingetreten. Der Beschwerdeführer habe eingewendet, eine Unterbrechung ergebe sich aus diversen Mitteilungen des Finanzamtes über den Bezug der Familienbeihilfe aus den Jahren 1998, 2000, 2001 und 2002 und aus zwei Bescheiden über die Gewährung der Familienbeihilfen-Differenzzahlung für die Jahre 1994 und 1995. Die genannten Mitteilungen stellten nach Ansicht der belangten Behörde keine Überprüfung des Anspruches für den Streitzeitraum 1994 bis 1996 dar. Der auf diesen Mitteilungen enthaltene Hinweis ("Für Ansprüche ab Jänner 1994 gilt: Der Kinderabsetzbetrag steht im gekennzeichneten Zeitraum nicht zu.") stelle die Mitteilung einer Rechtsansicht dar und beziehe sich nicht auf den Streitzeitraum 1994 bis 1996. Eine die Verjährung unterbrechende Handlung liege daher nicht vor. Unterbrechende Wirkung komme auch den Bescheiden betreffend die Gewährung einer Familienbeihilfen-Differenzzahlung für die Jahre 1994 und 1995 nicht zu.
Gegen diesen Bescheid wendet sich die Beschwerde, in der ausgeführt wird, Verjährung sei nicht eingetreten, eine Amtshandlung, welche die Unterbrechung der Verjährung bewirkt habe, sei nämlich im Wege der behördlichen "Mitteilungen über den Bezug der Familienbeihilfe" für die Jahre 1998, 2000, 2001 und 2002 erfolgt. Diese Mitteilungen enthielten den Hinweis, dass der Kinderabsetzbetrag für Zeiträume ab Jänner 1994 nicht zustehe. Diese Mitteilungen bezögen sich deshalb auf den Streitzeitraum 1994 bis 1996, weil sie zum Ausdruck brächten, dass der Anspruch auf Kinderabsetzbetrag generell ab dem Jahr 1994 nicht mehr zustehe. Überdies gehe, wenn eine behördliche Maßnahme nicht klar einem bestimmten Zeitraum zugeordnet werden könne, die diesbezügliche Unklarheit zu Lasten der Behörde.
Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Beschwerde erwogen:
§ 2 BAO lautet:
"§ 2. Die Bestimmungen dieses Bundesgesetzes gelten, soweit sie hierauf nicht unmittelbar anwendbar sind und nicht anderes bestimmt ist, sinngemäß in Angelegenheiten
a) der von den Abgabenbehörden des Bundes zuzuerkennenden oder rückzufordernden bundesrechtlich geregelten
1. Beihilfen aller Art und
2. Erstattungen, Vergütungen und Abgeltungen von Abgaben und Beiträgen;
b) des Tabak-, Branntwein- und Salzmonopols, soweit die Abgabenbehörden des Bundes nach den diese Monopole regelnden Vorschriften behördliche Aufgaben zu besorgen haben."
§ 207 BAO in der im Beschwerdefall anzuwendenden Fassung vor der durch BGBl I Nr 57/2004 vorgenommenen Änderung lautet:
"(1) Das Recht, eine Abgabe festzusetzen, unterliegt nach Maßgabe der nachstehenden Bestimmungen der Verjährung.
(2) Die Verjährungsfrist beträgt bei den Verbrauchsteuern, bei den festen Stempelgebühren nach dem II. Abschnitt des Gebührengesetzes 1957, weiters bei den Gebühren gemäß § 17a des Verfassungsgerichtshofgesetzes 1953 und § 24 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 drei Jahre, bei allen übrigen Abgaben fünf Jahre. Bei hinterzogenen Abgaben beträgt die Verjährungsfrist zehn Jahre. Das Recht, einen Verspätungszuschlag, Anspruchszinsen oder Abgabenerhöhungen festzusetzen, verjährt gleichzeitig mit dem Recht auf Festsetzung der Abgabe.
(3) Das Recht zur Verhängung von Zwangs-, Ordnungs- und Mutwillensstrafen sowie zur Anforderung von Kostenersätzen im Abgabenverfahren verjährt in einem Jahr.
(4) Das Recht, den Ersatz zu Unrecht geleisteter oder die Rückzahlung zu Unrecht bezogener Beihilfen zu fordern, sowie das Recht auf Rückforderung zu Unrecht zuerkannter Erstattungen, Vergütungen oder Abgeltungen von Abgaben verjährt in fünf Jahren."
Gemäß § 208 Abs 1 lit a BAO beginnt die Verjährung in den Fällen des § 207 Abs 2 BAO grundsätzlich mit dem Ablauf des Jahres, in dem der Abgabenanspruch entstanden ist.
Gemäß § 209 Abs 1 BAO in der im Beschwerdefall anzuwendenden Fassung wird die Verjährung durch jede zur Geltendmachung des Abgabenanspruches oder zur Feststellung des Abgabepflichtigen (§ 77) von der Abgabenbehörde unternommene, nach außen erkennbare Amtshandlung unterbrochen. Mit Ablauf des Jahres, in welchem die Unterbrechung eingetreten ist, beginnt die Verjährungsfrist neu zu laufen.
§ 33 Abs 4 Z 3 lit a EStG idF 818/1993 lautet:
"Einem Steuerpflichtigen, dem auf Grund des Familienlastenausgleichsgesetzes 1967 Familienbeihilfe gewährt wird, steht im Wege der gemeinsamen Auszahlung mit der Familienbeihilfe ein Kinderabsetzbetrag von monatlich 350 S für das erste Kind, 525 S für das zweite Kind und 700 S für jedes
weitere Kind zu. ... Wurden Kinderabsetzbeträge zu Unrecht
bezogen, ist § 26 des Familienlastenausgleichsgesetzes 1967 anzuwenden."
§ 10 Abs 3 FLAG lautet:
"Die Familienbeihilfe und die erhöhte Familienbeihilfe für ein erheblich behindertes Kind (§ 8 Abs. 4) werden höchstens für fünf Jahre rückwirkend vom Beginn des Monats der Antragstellung gewährt. In bezug auf geltend gemachte Ansprüche ist § 209 Abs. 3 der Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961, anzuwenden."
Aus der Regelung des § 33 Abs 4 Z 3 lit a EStG 1988, wonach die Auszahlung des Kinderabsetzbetrages gemeinsam mit der Familienbeihilfe erfolgt, ist abzuleiten, dass der Kinderabsetzbetrag nach den Vorschriften des FLAG geltend zu machen ist (vgl Doralt, EStG6, § 33 Tz 39). Er ist beispielsweise nicht im Wege einer Einkommensteuerveranlagung geltend zu machen (vgl das hg Erkenntnis vom 27. Juli 1999, 99/14/0124).
§ 207 Abs. 4 BAO enthält Regelungen über die Verjährung des Rechts, den Ersatz zu Unrecht geleisteter oder die Rückzahlung zu Unrecht bezogener Beihilfen zu fordern, aber keine Regelungen über die Verjährung des Anspruches auf Familienbeihilfe oder des Anspruches auf den Kinderabsetzbetrag. § 209 Abs 1 BAO misst nur den von einer (Abgaben)Behörde unternommenen Amtshandlungen (nicht aber beispielsweise den Handlungen eines Anspruchsberechtigten nach dem FLAG) verjährungsunterbrechende Wirkung bei. Aus diesen Regelungen ist abzuleiten, dass das Rechtsinstitut der Verjährung nach § 207 BAO auf Ansprüche von Personen, wie den Beihilfenanspruch oder den Anspruch auf Kinderabsetzbetrag, keine Anwendung findet.
Die zeitliche Begrenzung der Möglichkeit der Geltendmachung des Anspruches auf Familienbeihilfe ergibt sich aus § 10 Abs 3 FLAG.
Gesetzesanalogie hat zur Voraussetzung, dass ein zu beurteilender Sachverhalt nicht ausdrücklich von einem bestimmten Tatbestand erfasst wird, aufgrund der weitgehenden Ähnlichkeit mit dem unter den gesetzlichen Tatbestand fallenden Sachverhalt und im Hinblick auf die ratio legis aber von einer planwidrigen Unvollständigkeit des Gesetzes ausgegangen werden muss (vgl Werndl, Zur Analogie im Steuerrecht, ÖJZ 1997, 298, und das hg Erkenntnis vom 23. Oktober 1997, 96/15/0234). Bei einer - durch Analogie zu schließenden - Gesetzeslücke handelt es sich um eine planwidrige Unvollständigkeit innerhalb des positiven Rechts, gemessen am Maßstab der gesamten geltenden Rechtsordnung. Eine Lücke ist demnach anzunehmen, wo das Gesetz, gemessen an seiner eigenen Absicht und immanenten Teleologie, unvollständig, also ergänzungsbedürftig ist, und wo seine Ergänzung nicht etwa einer vom Gesetz gewollten Beschränkung widerspricht (vgl das hg Erkenntnis vom 22. Mai 2002, 2002/15/0022).
Im Hinblick darauf, dass das Rechtsinstitut der Verjährung nach § 207 BAO auf den öffentlich-rechtlichen Anspruch auf Gewährung des Kinderabsetzbetrages nach § 33 Abs 4 Z 3 lit a EStG - wie oben ausgeführt - nicht anwendbar ist, andererseits aber die Rechtsordnung generell zeitliche Schranken für das erfolgreiche Geltendmachen von Ansprüchen setzt und mit § 10 Abs 3 FLAG eine Regelung über die zeitliche Begrenzung der Geltendmachung der - dem Kinderabsetzbetrag seinem Zweck und Auszahlungsmodus nach vergleichbaren - Familienbeihilfe getroffen hat, hat diese Regelung des § 10 Abs 3 FLAG auch auf den Anspruch auf Kinderabsetzbetrag Anwendung zu finden.
Nach § 10 Abs 3 FLAG ist für Zeiträume, die weiter als fünf Jahre, gerechnet vom Beginn des Monats der Antragstellung, zurückliegen, Familienbeihilfe nicht zu gewähren. Mit Ablauf dieser Frist ist der Anspruch auf Familienbeihilfe für weiter zurückliegende Zeiträume erloschen, ohne dass der Gesetzgeber dabei darauf abstellt, ob dem Antragsteller allenfalls nicht die gesamte Frist zur Antragstellung offen stand (vgl das hg Erkenntnis vom 17. Februar 1982, 82/13/0014).
Aus dem Vorstehenden folgt für den Beschwerdefall: Der Beschwerdeführer hat den Antrag auf Gewährung des Kinderabsetzbetrages ab dem Jahr 1994 im Februar 2002 eingebracht. Im Hinblick auf die Fünfjahresfrist des § 10 Abs 3 FLAG kann der belangten Behörde im Ergebnis nicht entgegen getreten werden, wenn sie für den Zeitraum 1994 bis 1996 den Kinderabsetzbetrag nicht gewährt hat.
Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl II 333/2003.
Wien, am 15. November 2005
Schlagworte
Auslegung Anwendung der Auslegungsmethoden Analogie Schließung von Gesetzeslücken VwRallg3/2/3European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2005:2004140106.X00Im RIS seit
08.01.2006Zuletzt aktualisiert am
17.05.2013