TE OGH 1989/11/9 7Ob687/89 (7Ob688/89)

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Veröffentlicht am 09.11.1989
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Flick als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Wurz, Dr. Warta, Dr. Egermann und Dr. Niederreiter als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden und widerbeklagten Partei Irene K***, Angestellte, Brunn am Gebirge, Oswald Meixnergasse 3, vertreten durch Dr. Christa A. Heller, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte und widerklagende Partei Alfred K***, Pensionist, Wien 19, Grinzingerstraße 145/2/1/2, vertreten durch Dr. walter Mardetschläger und Dr. Peter Mardetschläger, Rechtsanwälte in Wien, wegen Ehescheidung, infolge Revision der klagenden und widerbeklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes vom 2.Juni 1989, GZ 13 R 79/89-99, womit infolge Berufung der beklagten und widerklagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes für ZRS Wien vom 22.Dezember 1988, GZ 19 Cg 143/84-94, teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende und widerbeklagte Partei ist schuldig, der beklagten und widerklagenden Partei die mit S 6.172,20 (darin S 1.028,70 an Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin und Widerbeklagte (in der Folge nur Klägerin) und der Beklagte und Widerkläger (in der Folge nur Beklagter) schlossen die Ehe am 20.4.1978. Der Ehe, die für die Klägerin die erste, für den Beklagten die zweite war, entstammt die am 17.7.1979 geborene Stefanie. Beide Ehegatten sind österreichische Staatsbürger. Ihr gemeinsamer gewöhnlicher Aufenthalt befand sich in Brunn am Gebirge. Mit der am 11.5.1984 eingebrachten Klage begehrte die Klägerin die Scheidung der Ehe aus dem Verschulden des Beklagten. Der Beklagte beantragte die Abweisung dieser Klage, in eventu den Ausspruch des überwiegenden Verschuldens der Klägerin. Am 24.5.1985 erhob er eine Widerklage und beantragte die Scheidung der Ehe aus dem Verschulden der Klägerin.

Die Klägerin bestritt die ihr angelasteten Eheverfehlungen und stützte ihr Begehren hilfsweise auch auf § 55 EheG, weil die eheliche Gemeinschaft seit dem 19.12.1984 aufgehoben und die Ehe unheilbar zerrüttet sei.

Der Beklagte gab die behauptete Auflösung der ehelichen Gemeinschaft als richtig zu, beantragte aber, gemäß § 61 Abs 3 EheG auszusprechen, daß die Klägerin die Zerrüttung der Ehe allein verschuldet habe.

Das Erstgericht schied die Ehe aus dem überwiegenden Verschulden des Beklagten. Es traf folgende Feststellungen:

Schon bald nach der Eheschließung hielt der Beklagte sein jähzorniges und herrschsüchtiges Wesen nicht mehr im Zaum. Er war auch grundlos eifersüchtig, insbesondere auf seinen Schwager, den Ehemann der Schwester der Klägerin, Ingeborg M***. So sagte er im Februar 1983 in Filzmoos auf einem Familienurlaub in Anwesenheit des Ehepaares M*** und einer Gertrude K*** aus einem nichtigen Anlaß, er werde alle spitalsreif schlagen. Der Beklagte war auch öfters betrunken, doch war er in diesem Zustand gelöster, am ärgsten trieb er es in nüchternem Zustand. Er beschimpfte die Klägerin wiederholt mit Trampel etc. und schrie mit dem Kind herum, so daß die mit Stefanie befreundeten Kinder, wenn sie auf Besuch kamen, erst fragten, ob der Beklagte zu Hause sei, und sich bejahendenfalls gleich wieder entfernten. Auch die Erwachsenen, die anfangs gelegentlich auf Besuch kamen, stieß der Beklagte mit der Zeit ab. Er benahm sich nämlich in Anwesenheit der Gäste "wie ein Pascha", nörgelte aus ncihtigen Anlässen an der Klägerin herum und beschimpfte sie. Er erniedrigte sie, wo er nur konnte. Die Klägerin versuchte dies mit Scherz zu überspielen, aber den Gästen war es peinlich, so daß sie schließlich ausblieben. Die Lebensgefährtin des Gynäkologen der Klägerin beschuldigte der Beklagte, sie sei zu dem Pelzmantel, den sie trage, "durch das Bett" gekommen, worauf sie von weiteren Besuchen Abstand nahm. Anfang 1984 schrie der Beklagte auf der Straße die Klägerin und das Kind an, als sie etwas später als vorgesehen von der Kirche zurückkamen. Der Klägerin schrie er zu, ob sie dem Pfarrer in den Hintern krieche. Er rief auch Friedrich K***, der damals stellvertretender Vorsitzender des Pfarrgemeinderates war, an und sagte, er wolle mit dem Pfarrer wegen der Bösartigkeit seiner Frau reden, sie gehe zu oft in die Kirche und krieche dem Pfarrer hinten hinein. Dann rief er nochmals an und sagte, mit dem Pfarrer könne er nicht reden, weil seine Frau mit ihm ein Verhältnis habe. Die Klägerin kam öfters zur Frau des Friedrich K***, um sich wegen des Verhaltens des Beklagten

auszuweinen. Der Beklagte sagte einmal 1983 oder 1984 zu Friedrich K***, als er ihn einmal beim Bäcker traf, er möge seinen Kindern untersagen, sich um Stefanie zu kümmern. Offenbar wünschte er nicht, daß man sein Zusammenleben mit der Klägerin weiter kennenlerne. Die Klägerin wollte zunächst trotzdem die Ehe aufrechterhalten. Als aber der Beklagte am Palmsonntag 1984 die Klägerin, die nach der Palmweihe vor der Kirche auf Stefanie wartete, um dann mit ihr gemeinsam nach Hause zu gehen, öffentlich zur Rede stellte, wieso sie noch nicht gegangen sei, und dabei neuerlich sagte, sie brauche dem Pfarrer nicht hinten hineinzukriechen, hatte die Klägerin genug und entschloß sich zur Scheidung. Das teilte sie auch dem Beklagten mit. Es kam deswegen zu einer Auseinandersetzung zwischen den Streitteilen, in deren Verlauf die Klägerin auch eine Selbstanzeige beim Finanzamt ankündigte. Sie hatte nämlich von ihrem Adoptivvater Gustav C*** Vermögen geerbt und aus der Erbschaft 44 Inhabersparbücher des Bankhauses Schöller & Co. Bank-AG mit einer Gesamteinlage von S 6,700.000,-- angelegt. Die Klägerin hatte den Beklagten ermächtigt, diese Sparbücher, deren Losungswort der Beklagte kannte, zu verwalten. Die Sparbücher wurden in einer Eisenkasse auf dem Dachboden aufbewahrt. Der Beklagte nahm nun, ohne der Klägerin etwas davon zu sagen, diese Sparbücher an sich und tauschte sie auf neue mit unterschiedlichen Beträgen um. Die neuen Sparbücher waren Überbringersparbücher ohne Losungswort. Der Beklagte schrieb sich nicht einmal die Nummern dieser Sparbücher auf. Kurz darauf waren die Sparbücher verschwunden. Der Beklagte weigerte sich, bei der Auffindung der Sparbücher mitzuhelfen.

Die Streitteile benützten die Räumlichkeiten des der Klägerin gehörenden Hauses in Brunn am Gebirge als Ehewohnung. Am 5.11.1984 merkte der Beklagte, daß die Klägerin gegen seinen Willen das Farbfernsehgerät und eine Sitzbank aus einem Zimmer, in dem der Beklagte den Fernseher täglich benützt hatte, in das Frühstückszimmer geschafft hatte. Bis dahin konnte der Beklagte alle Räume des Hauses mit einem Zentralschlüssel öffnen. Am 5.11.1984 nun stellte der Beklagte fest, daß die Klägerin ohne seine Zustimmung die Zylinder der Schlösser der Saunatüre und der Garagendurchgangstüre ausgetauscht und beide Schlösser versperrt hatte, so daß der Beklagte zu diesen Räumen keinen Zugang mehr hatte. Dasselbe geschah auch mit dem Schloß der Frühstückszimmertür. Am 6.11.1984 versperrte die Klägerin die Hauseingangstüre von innen und ließ den Schlüssel stecken. Der Beklagte war dadurch ausgesperrt; doch öffnete die Klägerin die Eingangstüre wieder. Am 19.12.1984 wechselte die Klägerin die Schlösser der Hauseingangstür, des Gartentores und der beiden Garagentore aus, während der Beklagte allein auf Urlaub gefahren war. Seither ist er endgültig ausgesperrt. Der Beklagte klagte die Klägerin deswegen auf Besitzstörung. Der Klage wurde stattgegeben, die von der Klägerin dagegen erhobene Oppositionsklage wurde abgewiesen. Die Streitteile vereinbarten am 14.3.1985 in einem Vergleich, daß der Beklagte das Recht auf Besuch der ehelichen Tochter Stefanie nur zusammen mit einer Vertrauensperson ausüben dürfe; sie einigten sich dabei auf drei bestimmte Frauen. Als diese an dem ersten Tag, an dem das Besuchsrecht ausgeübt werden sollte, nämlich am 16.3.1985, verhindert waren, nahm der Beklagte die Braut seines Sohnes, Katharina N***, eine angehende Mittelschullehrerin, mit. Als der Beklagte am Gartentor anläutete, kam die Klägerin mit dem Kind an der Hand aus dem Haustor und schrie: "Wer ist dieses miese Weib?" Sie schob das Kind in das Haus zurück, ging auch selbst hinein und schloß die Türe. Dann öffnete sie ein Fenster und schrie hinaus: "Du Schwein, verschwinde." Den Beklagten packte die Wut. Er hob einen Holzprügel auf und warf ihn zum Fenster, das die Klägerin allerdings inzwischen geschlossen hatte, so daß der Holzprügel die Scheiben durchschlug. Dann stieß er in seiner Wut mit dem Knie gegen den Briefkasten, der dadurch verbeult wurde und an dessen Einwurfschlitz das Dach brach. Schließlich setzte sich der Beklagte mit seiner Begleiterin ins Auto und fuhr unverrichteter Dinge weg, wobei er beim Reversieren ohne Notwendigkeit in die Garagenabfahrt hinunterfuhr und dabei an das Garagentor auffuhr, so daß dieses leicht beschädigt wurde.

Am 14.8.1985 kam der Beklagte wieder zum Haus und läutete an. Er wollte das Kind sehen und verschiedene ihm gehörige Sachen abholen. Wolfgang K***, der Sohn des Friedrich K***, war

gerade mit dem Ausbessern von Türen beschäftigt und öffnete dem Beklagten nicht, da er Kenntnis von dem Ehestreit hatte. Der Beklagte ging daraufhin fort, kam aber nach einiger Zeit wieder zurück und läutete diesmal nicht mehr an, sondern stieg über den Gartenzaun. Er fand das Haustor offen und trat ein. Den innen steckenden Schlüssel zog er ab und steckte ihn in die Hosentasche. Inzwischen kam die Klägerin mit dem Kind zurück. Sie war diesmal nicht unfreundlich und hatte gegen die Abholung der Sachen nichts einzuwenden. Als ihr aber Wolfgang K*** sagte, daß der Beklagte den Haustorschlüssel an sich genommen habe, kam es zu einem Handgemenge zwischen den drei Erwachsenen, bei dem alle leicht verletzt wurden.

In seiner rechtlichen Beurteilung vertrat das Erstgericht die Ansicht, die Ehe sei tiefgreifend und unheilbar zerrüttet. Das Verschulden daran treffe beide Teile, doch überwiege jenes des Beklagten beträchtlich, weil er durch sein eifersüchtiges, herrschsüchtiges nörgelndes und erniedrigendes Gehaben seine Aussperrung durch die Klägerin geradezu herausgefordert habe. Darüber hinaus breche er seit März 1986 mit Christine L*** die Ehe, doch wiege dies mit Rücksicht auf seine Aussperrung durch die Klägerin nicht so schwer. Eine schwere Eheverfehlung aber sei es, daß der Beklagte ohne Sondervollmacht und ohne Wissen der Klägerin deren Einlagebücher aufgelöst, das Geld auf andere Sparbücher eingelegt habe und sich weigere, bei der Wiederauffindung der Bücher mitzuhelfen. Das in der Aussperrung gelegene Verschulden der Klägerin erscheine demgegenüber gering.

Das Berufungsgericht änderte das Urteil des Erstgerichtes, das im Ausspruch über die Scheidung der Ehe unangefochten blieb, im Verschuldensausspruch dahin ab, daß das Verschulden an der Ehescheidung beide Parteien treffe. Es übernahm die Feststellungen des Erstgerichtes mit der Einschränkung, daß die im Zusammenhang mit einer Äußerung gegenüber Friedrich K*** getroffene Feststellung, der Beklagte habe offenbar nicht gewünscht, daß man sein Zusammenleben mit der Klägerin weiter kennenlerne, einem Eindruck des Friedrich K*** entsprochen habe.

In seiner rechtlichen Beurteilung hielt die zweite Instanz fest, daß dem Beklagten aus den vom Erstgericht dargestellten Gründen Eheverfehlungen vorzuwerfen seien, die die Scheidung aus seinem Verschulden rechtfertigen. Der Beklagte habe durch sein nörgelndes, schimpfendes und erniedrigendes Verhalten gegenüber der Klägerin, das er auch in Gegenwart von Gästen gesetzt, und das eine gesellschaftliche Isolierung bewirkt habe, ein wesentliches Fehlverhalten gesetzt, das zu einer schweren Trübung der Beziehungen zur Klägerin geführt habe. Der Umstand, daß der Beklagte die Sparbücher der Klägerin geändert und sich die Nummern der neuen Sparbücher nicht aufgeschrieben habe, sei allerdings nicht als besonders gravierend zu beurteilen, weil nicht festgestellt habe werden können, ob nicht letztlich ohnedies die Klägerin selbst die Sparbücher bzw. deren Einlage besitze. Auch die ehebrecherischen Beziehungen des Beklagten zu Christine L*** seit März 1986 wögen nicht sehr schwer, weil die Ehe infolge der Aussperrung des Beklagten durch die Klägerin im Dezember 1984 bereits völlig zerrüttet gewesen sei. Das Überwiegen der Schuld eines Ehegatten sei jedoch nur auszusprechen, wenn sein Verschulden erheblich schwerer wiege, als das des anderen, wenn das Verschulden des einen Ehegatten gegenüber jenem des anderen fast völlig in den Hintergrund trete. Der Klägerin sei anzulasten, daß sie sich nach dem keineswegs bedeutsamen Vorfall der Beschimpfung am Palmsonntag 1984 zur Scheidung entschlossen und einer Versöhnung nicht mehr zugänglich gezeigt, sondern alles unternommen habe, um eine eheste Trennung herbeizuführen. Als sie mit ihrem Antrag auf Ausweisung des Beklagten mangels Vorliegens der Voraussetzungen keinen Erfolg gehabt habe, habe sie ihn zunächst teilweise und dann gänzlich aus dem Haus ausgeschlossen und habe ihn auch nach einem Unterliegen im Besitzstörungsverfahren, der Erfolglosigkeit weiterer Anträge auf Ausweisung und nach Abweisung ihrer Oppositionsklage (gegen die vom Beklagten auf Grund der Entscheidung im Besitzstörungsverfahren geführte Exekution) nicht mehr eingelassen. Die vom Erstgericht getroffenen Feststellungen rechtfertigten dieses Verhalten nicht, weil sich aus ihnen nicht ergebe, daß ein weiteres Zusammenleben für die Klägerin unerträglich gewesen wäre. Die meisten weiteren Vorfälle resultierten im übrigen erst aus der von der Klägerin vorgenommenen und aufrechterhaltenen Aussperrung. Die Klägerin habe somit durch dieses Verhalten ganz entscheidend zur völligen Zerstörung und Zerrüttung der Ehe beigetragen. Sie habe auch dem Beklagten die Ausübung des Besuchsrechtes, betreffend die Tochter, schwergemacht und ihn am 16.3.1985 in diesem Zusammenhang beschimpft. Ihr ehewidriges Verhalten sei eine sehr wesentliche Komponente für das endgültige Scheitern der Ehe, auch wenn man berücksichtige, daß das Verhalten des Beklagten gegenüber der Klägerin die Entfremdung der Ehegatten eingeleitet habe. Ein eindeutiges Überwiegen des Fehlverhaltens des Beklagten sei nicht gegeben.

Die Klägerin bekämpft den Verschuldensausspruch mit Revision aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, die Entscheidung des Erstgerichtes wiederherzustellen. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Der Beklagte beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht berechtigt.

Die Klägerin macht geltend, der Vorfall vom Palmsonntag 1984, auf Grund dessen sie sich zur Scheidung entschlossen habe, habe nur "das Faß zum Überlaufen gebracht", nachdem sie das bösartige und ehezerstörende Verhalten des Beklagten schon im Hinblick auf das gemeinsame Kind nahezu sechs Jahre ertragen und auf Besserung gehofft habe. Es sei unverständlich, daß das Berufungsgericht die Ansicht vertrete, die Ausperrung des Beklagten durch die Klägerin sei nicht gerechtfertigt gewesen. Die Aussperrung sei als eine vom Beklagten provozierte Verzweiflungshandlung der Klägerin zu werten und ebenso wie die Einbringung der Scheidungsklage nur Folge des Verhaltens des Beklagten gewesen.

Das Gesetz verpflichtet die Ehegatten unter anderem zur anständigen Begegnung (§ 90 ABGB). Dieser Begriff ist objektiv auszulegen. Schwere und beharrliche Verstöße gegen dieses Verhaltensgebot, in denen sich eine mangelnde Schätzung der Persönlichkeit des Ehepartners ausdrückt, stellen eine schwere Eheverfehlung dar. Ein Ehepartner verstößt gegen die Verpflichtung zur gegenseitigen Achtung, Rücksichtnahme und zum ehrlichen Bemühen, dem anderen Ehepartner das Zusammenleben erträglich zu machen, wenn er ein Verhalten an den Tag legt, das den anderen kränkt oder geeignet ist, ihm Aufregung zu bereiten. Durch sein Verhalten in einem nicht näher festgestellten Zeitraum vor dem Palmsonntag des Jahres 1984 - offenbar insbesondere seit dem Vorfall vom Februar 1983 - hat der Beklagte zweifellos gegen diese Verpflichtung verstoßen.

Das ändert allerdings nichts daran, daß die Klägerin, nachdem sie im April/Mai 1984 den Entschluß gefaßt hatte, die Ehe mit dem Beklagten scheiden zu lassen, alles getan hat, um diesem Bestreben Nachdruck zu verleihen. Sie ist dabei weit über das hinausgegangen, was als verständliche Reaktion angesehen werden könnte. Eine derartige Wertung ist insbesondere keinesfalls bei der Aussperrung des Beklagten gerechtfertigt. Die Klägerin hat mehrfach versucht, einen Auftrag an den Beklagten zum Verlassen der Ehewohnung zu erwirken, weil dieser ihr das weitere Zusammenleben unerträglich mache (§ 382 Z 8 lit b EO). Ihre Anträge sind mangels Bescheinigung eines unerträglichen Verhaltens des Beklagten stets erfolglos geblieben. Es ist verfehlt, wenn die Klägerin jetzt versucht, die Aussperrung als eine vom Beklagten provozierte Verzweiflungshandlung, als eine natürliche Reaktion hinzustellen. Dabei darf nicht übersehen werden, daß die Klägerin den Beklagten zunächst durch allmähliche Aussperrung aus immer mehr Räumen des Hauses hinauszuekeln versucht hat, und, als ihr dies nicht gelang, seine urlaubsbedingte Abwesenheit zur vollständigen Aussperrung durch Auswechseln der Schlösser benützte, ohne daß ein konkreter Anlaß hiezu von der Klägerin auch nur behauptet wurde. Von einer "Verzweiflungshandlung", einer "Reaktion", kann daher keine Rede sein.

Gerade diese Aussperrung aber war es, die die Mehrzahl der im umfangreichen Verfahren konkret behandelten Vorfälle zur Folge hatte und die zu einem erheblichen Teil der Klägerin anzulasten sind. Dies betrifft insbesondere die fast vollständige Verhinderung des dem Beklagten eingeräumten Besuchsrechtes des ehelichen Kindes, als auch die in diesem Zusammenhang vorgefallenen Beschimpfungen des Beklagten und seiner Begleiterin sowie das aggressive Verhalten der Klägerin am 14.8.1985, als der Versuch des Beklagten, verschiedene ihm gehörige Sachen aus der Wohnung zu holen, mit einem Handgemenge endete.

Spielt es daher bei der Abwägung des beiderseitigen Verschuldens auch eine maßgebliche Rolle, wer den ersten Anstoß zur Zerrüttung der Ehe gegeben hat, wer mit der schuldhaften Zerrüttung der Ehe den Anfang machte und wie weit spätere Eheverfehlungen des einen Ehegatten eine Folge der bereits durch das Verschulden des anderen eingeleiteten Zerrüttung waren, ist es doch von nicht geringerer Bedeutung, wer den entscheidenen Beitrag zur unheilbaren Zerrüttung der Ehe geleistet hat (EFSlg 48.821, EFSlg 51.647). Hat aber auch der Beklagte dadurch, daß er in seinem Verhalten gegenüber der Klägerin gegen die Verpflichtung der Ehegatten zur anständigen Begegnung schwer verstoßen hat, mit der schuldhaften Zerrüttung der Ehe den Anfang gemacht, hat doch die Klägerin durch die Aussperrung des Beklagten und ihr nachfolgendes Verhalten den entscheidenden Beitrag dazu geleistet, daß die eingeleitete Zerrüttung zu einer unheilbaren geworden ist. Der Ausspruch eines überwiegenden Verschuldens eines der beiden Ehegatten ist nur dann gerechtfertigt, wenn ein sehr unterschiedlicher Grad des Verschuldens der Ehegatten hervorkommt, wenn dieser Unterschied also offenkundig ist und das Verschulden des einen Ehegatten gegenüber jenem des anderen fast völlig in den Hintergrund tritt. Mag nun auch ein gradueller Unterschied in dem Verschulden der Streitteile an der Zerrüttung ihrer Ehe vorliegen, weil der Beklagte diese Zerrüttung eingeleitet hat, kann doch keinesfalls gesagt werden, daß das Verschulden der Klägerin fast völlig in den Hintergrund tritt. Der Gesetzgeber hat dem Richter nicht die Pflicht auferlegt, hinsichtlich des Verschuldensausmaßes subtile Abwägungen vorzunehmen. Soll nur das erheblich schwerere Verschulden eines Teils im Scheidungsurteil zum Ausdruck kommen, vermag ein zwar verschiedener, aber nicht entsprechend deutlich verschiedener Verschuldensgrad den Ausspruch eines überwiegenden Verschuldens nicht zu rechtfertigen. Mit Recht hat daher das Berufungsgericht von einem derartigen Ausspruch abgesehen.

Die Kostenentscheidung erfolgte nach den §§ 41, 50 ZPO.

Anmerkung

E19313

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1989:0070OB00687.89.1109.000

Dokumentnummer

JJT_19891109_OGH0002_0070OB00687_8900000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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