Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 14.November 1989 durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Piska als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Walenta, Dr. Reisenleitner, Dr. Felzmann und Dr. Rzeszut als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Edelmann als Schriftführer in der Strafsache gegen Gert Michael K*** wegen des Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung nach dem § 88 Abs. 1 und 4 (1. Fall) StGB über die von der Generalprokuratur erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes gegen die Urteile des Bezirksgerichtes Klagenfurt vom 22.November 1988, GZ 18 U 110/88-28, und des Landesgerichtes Klagenfurt als Berufungsgericht vom 6.April 1989, AZ 4 Bl 78/89, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, des Generalanwaltes Dr. Raunig, des Angeklagten Gert Michael K*** und des Verteidigers Dr. Oberlercher zu Recht erkannt:
Spruch
Das Urteil des Bezirksgerichtes Klagenfurt vom 22.November 1988, GZ 18 U 110/88-28, und
das Urteil des Landesgerichtes Klagenfurt als Berufungsgericht vom 6.April 1989, AZ 4 Bl 78/89 (ON 36 des vorangeführten Aktes des Bezirksgerichtes Klagenfurt) verletzen das Gesetz in der Bestimmung des § 88 Abs. 1 und 4, erster Fall StGB (iVm den §§ 52 lit a Z 10 a und 53 Z 17 a StVO).
Beide Urteile werden aufgehoben und es wird gemäß den §§ 288 Abs. 2 Z 3, 292 StPO in der Sache selbst erkannt:
Gert Michael K*** wird von dem wider ihn erhobenen Antrag auf gesetzliche Bestrafung (§ 451 Abs. 1 StPO), er habe am 29. Dezember 1987 in Klagenfurt dadurch, daß er sich mit seinem PKW VW Polo mit dem Kennzeichen K 27.513 unter Einhaltung einer für das Ortsgebiet (50 km/h) überhöhten Geschwindigkeit von zumindest 68 km/h der Kreuzung der Autobahnabfahrt mit dem Egger-Lienz-Weg näherte und trotz einer Vollbremsung mit dem vorschriftswidrig von der Koschatstraße nach links in den Egger-Lienz-Weg einbiegenden und von der gesondert Verfolgten Gabriele W*** gelenkten PKW Renault 11 mit dem Kennzeichen K 302.782 kollidierte, fahrlässig Anna und Inge W*** am Körper verletzt, wobei die Tat bei Anna W*** ein stumpfes Bauchtrauma mit einem Milzriß, somit eine an sich schwere Verletzung mit einer länger als 24-tägigen Gesundheitsschädigung und Berufsunfähigkeit und bei Inge W*** eine Zerrung der Halswirbelsäule, Rißquetschwunden im Bereich des linken Auges und im Mundbereich sowie eine Hautabschürfung am rechten Jochbogen mit einer länger als 3 Tage währenden Gesundheitsschädigung zur Folge hatte, gemäß dem § 259 Z 3 StPO freigesprochen.
Gemäß dem § 366 Abs. 1 StPO werden die Privatbeteiligten Inge W*** und Anna W*** mit ihren Ansprüchen auf den Zivilrechtsweg verwiesen.
Text
Gründe:
Mit dem Urteil des Bezirksgerichtes Klagenfurt vom 22. November 1988, GZ 18 U 110/88-28, wurde Gert Michael K*** des Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung nach dem § 88 Abs. 1 und 4 (1. Fall) StGB schuldig erkannt und hiefür zu einer Geldstrafe verurteilt.
Nach dem Inhalt dieses Schuldspruches liegt dem Verurteilten zur Last, am 29.Dezember 1987 in Klagenfurt dadurch, daß er sich mit seinem PKW mit dem Kennzeichen K 27.513 unter Einhaltung in einer für das Ortsgebiet (50 km/h) überhöhten Geschwindigkeit von zumindest 68 km/h der Kreuzung der Autobahnabfahrt mit dem Egger-Lienz-Weg näherte und trotz einer Vollbremsung mit dem (zu ergänzen ist: im Gegenverkehr befindlichen) vorschriftswidrig von der Koschatstraße nach links in den Egger-Lienz-Weg einbiegenden und von der gesondert verfolgten Gabriele W*** gelenkten PKW mit dem Kennzeichen K 302.782 kollidierte, Anna und Inge W*** fahrlässig verletzt zu haben, wobei die Tat bei Anna W*** ein stumpfes Bauchtrauma mit einem Milzriß, somit eine an sich schwere Verletzung mit einer länger als 24-tägigen Gesundheitsschädigung und Berufsunfähigkeit und bei Inge W*** eine Zerrung der Halswirbelsäule, Rißquetschwunden im Bereich des linken Auges und im Mundbereich sowie eine Hautabschürfung am rechten Jochbogen mit einer länger als drei Tage währenden Gesundheitsschädigung zur Folge hatte.
Nach den Urteilsfeststellungen war - in der Fahrtrichtung des Verurteilten gesehen - rund 350 m bis 400 m vor der Unfallstelle ein Vorschriftszeichen nach dem § 52 lit a Z 10 a StVO 1960 angebracht, das eine Fahrgeschwindigkeit bis zu 70 km/h gestattete. Auf dieses Zeichen folgten zunächst in einer Entfernung von rund 38 m vor der Haltelinie der vom Verurteilten benützten Autobahnabfahrt - etwa 4 m vom südlichen (somit vom rechten) Fahrbahnrand abgesetzt - das den Beginn des Ortsgebietes von Klagenfurt kennzeichende Hinweiszeichen "Ortstafel, Ortsanfang" im Sinn des § 53 Z 17 a StVO und schließlich rund 10 m nach der östlichen Fluchtlinie des (rechtwinkelig in die unfallsgegenständliche Kreuzung einmündenden) Egger-Lienz-Weges am rechten Fahrbahnrand der (die Fortsetzung der erwähnten Autobahnabfahrt bildenden) Koschatstraße ein Vorschriftszeichen nach § 52 lit a Z 10 a StVO mit einer Begrenzung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit auf 50 km/h. Hingegen war im Bereich der Annäherungsstrecke des Verurteilten kein Vorschriftszeichen nach dem § 52 lit a Z 10 b StVO aufgestellt. Wie das Erstgericht ferner als erwiesen annahm, wäre der Unfall vermieden worden, hätte die Annäherungs- und damit auch die Bremsausgangsgeschwindigkeit des vom Angeklagten gelenkten PKWs bloß 50 km/h statt - wie tatsächlich - (zumindest) 68 km/h betragen.
Gestützt auf dieses Tatsachensubstrat ging das Bezirksgericht Klagenfurt in rechtlicher Hinsicht davon aus, daß durch die Ortstafel "Klagenfurt" der Geltungsbereich des eine Höchstgeschwindigkeit von 70 km/h zulassenden Vorschriftszeichens nach dem § 52 lit a Z 10 a StVO aufgehoben gewesen wäre und der Angeklagte demnach ab Passieren dieser Ortstafel die im Ortsgebiet zulässige Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h (§ 20 Abs. 2 StVO) nicht hätte überschreiten dürfen. Daher erblickte es in der Einhaltung einer Fahrgeschwindigkeit von 68 km/h ein strafbegründendes (Mit-)Verschulden des Angeklagten an der - im Ortsgebiet von Klagenfurt stattgefundenen - Kollision mit dem von Gabriele W*** gelenkten Kraftfahrzeug.
Dieser Rechtsauffassung schloß sich auch das Landesgericht Klagenfurt als Berufungsgericht an, das mit seiner Entscheidung vom 6. April 1989, AZ 4 Bl 78/89, der gegen das Urteil des Bezirksgerichtes Klagenfurt gerichteten Berufung des Gert Michael K*** wegen Nichtigkeit und Schuld nicht Folge gab.
Rechtliche Beurteilung
Die sowohl vom Bezirksgericht Klagenfurt als auch vom Landesgericht Klagenfurt vertretene Rechtsansicht steht mit dem Gesetz nicht im Einklang:
Nach herrschender Meinung endet nämlich der Geltungsbereich einer mit dem Zeichen nach § 52 lit a Z 10 a StVO verfügten Geschwindigkeitsregelung entweder durch Anordnung einer anderen zulässigen Höchstgeschwindigkeit mit einem neuerlichen Zeichen im Sinn dieser Gesetzesstelle oder durch das Zeichen gemäß dem § 52 lit a Z 10 b StVO ("Ende der Geschwindigkeitsbeschränkung"). Durch Ortstafeln wird aber, ohne daß zwischen den Hinweiszeichen "Ortstafel" (§ 53 Z 17 a StVO) und "Ortsende" (§ 53 Z 17 b StVO) zu differenzieren ist, eine kraft der angeführten Vorschriftszeichen nach dem § 52 lit a Z 10 a StVO getroffene Geschwindigkeitsregelung nicht aufgehoben (vgl dazu insbesondere Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes vom 11.Dezember 1974, Z 1543/73 = ZVR 1975/189 = Slg 8.724 (A); ebenso Dittrich-Veit, Straßenverkehrsrecht, I. Teil, StVO, Rz 51 und Gerhard Terlitza, Straßenverkehrsordnung 1960, E 41; ferner Benes-Messiner, Straßenverkehrsordnung8, Anm 19 und E 40 - jeweils zu § 52 StVO). Für die gegenteilige Meinung läßt sich auch aus der vom Erstgericht zitierten Bestimmung des § 44 Abs. 4 StVO nichts gewinnen. Danach werden Verordnungen, die sich durch Vorschriftszeichen ausdrücken lassen und für ein ganzes Ortsgebiet oder für Straßen mit bestimmten Merkmalen innerhalb eines Ortsgebietes gelten, mit den entsprechenden Vorschriftszeichen und der etwa erforderlichen Zusatztafel in unmittelbarer Verbindung mit dem Hinweiszeichen "Ortstafel" gehörig kundgemacht. Denn diese Kundmachungsvorschrift regelt nach ihrem eindeutigen Wortlaut (siehe auch § 51 Abs. 4 StVO) ausschließlich die Anbringung von Vorschriftszeichen, die sich auf ein ganzes Ortsgebiet oder (generell) auf (alle) Straßen mit bestimmten Merkmalen innerhalb eines Ortsgebietes beziehen, nicht jedoch von Verordnungen, deren räumlicher Geltungsbereich auf ein individuelles, bestimmtes Straßenstück beschränkt ist. Demnach müssen Vorschriftszeichen, die auf einer einzelnen, teils außerhalb, teils innerhalb eines Ortsgebietes gelegenen Straßenstrecke angeordnete Geschwindigkeitsbeschränkungen anzeigen, keineswegs in unmittelbarer Verbindung mit dem Hinweiszeichen "Ortstafel" angebracht oder auch nur in dessen Nähe aufgestellt werden; sie sind vielmehr nach der allgemeinen Regelung des § 51 Abs. 1 StVO jeweils vor der Stelle, für die sie gelten, anzubringen (vgl auch Benes-Messiner StVO8 Anm 26 zu § 43).
Hieraus folgt aber, daß Gert Michael K*** zur Einhaltung einer - die sonst im Ortsbereich geltende Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h übersteigenden - Fahrgeschwindigkeit bis zu maximal 70 km/h befugt und erst ab Erreichen des in seiner Fahrtrichtung nach der unfallsgegenständlichen Kreuzung postierten Vorschriftszeichens "50 km/h" (dem daher nicht der Charakter einer bloßen Erinnerung an die ohnedies bereits im Gesetz vorgesehene Regelung zukam) zu einer entsprechenden Geschwindigkeitsreduktion verhalten war. Seine Annäherung an die Unfallstelle mit einer Fahrgeschwindigkeit von rund 68 km/h vermag daher eine objektive Sorgfaltswidrigkeit nicht zu begründen.
Der von der Generalprokuratur gemäß dem § 33 Abs. 2 StPO erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes war daher stattzugeben und gemäß dem § 292 StPO wie im Spruch zu erkennen.
Anmerkung
E18955European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1989:0110OS00118.89.1114.000Dokumentnummer
JJT_19891114_OGH0002_0110OS00118_8900000_000