Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schragel als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schubert, Dr. Hofmann, Dr. Schlosser und Dr. Graf als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Adolf Karl D***, Schneider, derzeit Justizanstalt Sonnberg, Sonnberg 1, 2020 Hollabrunn, vertreten durch Dr. Manfred Schnurer, Rechtsanwalt in Graz, wider die beklagte Partei R*** Ö***, vertreten durch die Finanzprokuratur, Singerstraße 17-19, 1011 Wien, wegen S 135.000 infolge außerordentlicher Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgerichtes vom 6. Juli 1989, GZ. 4 a R 122/89-14, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes für ZRS Graz vom 30. März 1989, GZ. 13 Cg 256/88-9, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird Folge gegeben.
Die Urteile der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, daß sie zu lauten haben:
"Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei S 135.000 und die mit S 19.090,15 (darin enthalten S 2.514,65 an Umsatzsteuer) bestimmten Verfahrenskosten aller Instanzen binnen 14 Tagen zu bezahlen."
Text
Entscheidungsgründe:
Mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 27. März 1975 wurde der Kläger wegen Verbrechens des Diebstahls nach den §§ 171, 173, 174 I d, 176 I a und b, 179, 8 StG als gefährlicher Rückfallstäter zu sechs Jahren schweren Kerkers verurteilt; gemäß §§ 23 und 322 Abs. 2 StGB wurde außerdem seine Einweisung in eine Anstalt für gefährliche Rückfallstäter angeordnet. Mit Beschluß vom 3. Juli 1980 sprach das Kreisgericht Steyr als Strafvollzugsgericht aus, daß der Vollzug der mit Freiheitsentziehung verbundenen vorbeugenden Maßnahme gemäß § 24 Abs. 2 StGB vorläufig unterbleibe und der Maßnahmenvollzug auf eine Probezeit von zehn Jahren aufgeschoben werde. Der Kläger wurde daher am 5. November 1980 nach Leoben, dem Wohnsitz seiner angeblichen künftigen Lebensgefährtin, entlassen. Er beging jedoch bereits in der Zeit zwischen 9. und 23. Februar 1981 in Leoben sechs Diebstähle, derentwegen er am 24. Februar 1981 verhaftet und im kreisgerichtlichen Gefangenenhaus Leoben in Untersuchungshaft genommen wurde. Am 27. März 1981 entwich der Kläger aus der Untersuchungshaft und gelangte nach Verübung einer Reihe weiterer Einbruchsdiebstähle in die Bundesrepublik Deutschland. Nach Ausschreibung zur Verhaftung wurde er am 2. Juli 1981 beim Versuch, nach Österreich einzureisen, von bayerischen Grenzbehörden verhaftet. Trotz einer zwischenzeitigen Nachtragsanzeige und der Anklageerhebung vom 8. Mai 1981 wegen der während seiner Flucht zum Teil in Gesellschaft eines Diebsgenossen begangenen Einbruchsdiebstähle erwirkte das Kreisgericht Leoben lediglich für die in der Zeit vom 9. bis 23. Februar 1981 begangenen Delikte seine Auslieferung. Am 22. September 1981 wurde der Kläger - nach Verbüßung einer in der Bundesrepublik Deutschland verhängten Strafe - den österreichischen Behörden übergeben. Das Kreisgericht Leoben verurteilte ihn am 18. November 1981 rechtskräftig wegen der im Auslieferungsbegehren genannten, aber auch wegen der während seiner Flucht begangenen Straftaten wegen Verbrechens des schweren Diebstahls durch Einbruch nach den §§ 127 Abs. 1 und 2 Z 1, 128 Abs. 2, 129 Z 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren. Zur Strafverbüßung (mit Strafende 30. Mai 1985) wurde der Kläger sodann in die Strafvollzugsanstalt Garsten überstellt.
Am 10. Dezember 1981 beantragte die Staatsanwaltschaft beim Kreisgericht Leoben den Widerruf des bedingten Aufschubs des Maßnahmenvollzuges gegen den Kläger, ohne allerdings die Erwirkung der Zustimmung des ausliefernden Staates, der Bundesrepublik Deutschland, zur Vollstreckung der Besserungsmaßnahme im Sinne des § 23 StGB zu beantragen. Mit Beschluß vom 17. März 1982 widerrief das Kreisgericht Leoben das Unterbleiben des Maßnahmenvollzuges. Der Beschluß wurde dem Kläger am 1. April 1982 eigenhändig zugestellt. Mangels rechtzeitiger Beschwerde wurde dieser Beschluß rechtskräftig. Versuche des Klägers, durch Wiedereinsetzungsanträge und verschiedene Beschwerden eine Sachentscheidung über seine Beschwerde zu erwirken, blieben erfolglos.
Rechtliche Beurteilung
Über eine Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes sprach der Oberste Gerichtshof mit Urteil vom 25. September 1984, 9 Os 140/84, ZfRV 1985, 133, den Kläger wegen der auf der Flucht begangenen Verbrechen gemäß § 259 Z 3 StPO frei und setzte demgemäß die Freiheitsstrafe um drei Monate herab, weil mangels Zustimmung der Bundesrepublik Deutschland zur Verfolgung auch dieser Straftaten der in Österreich herrschende Grundsatz der Spezialität der Auslieferung verletzt worden und einer Verurteilung des Klägers somit ein materiellrechtliches Verfolgungshindernis entgegengestanden sei.
Das Kreisgericht Steyr als Vollzugsgericht sprach bei seiner amtswegigen Prüfung gemäß § 24 Abs. 2 StGB, §§ 151 Abs. 3, 162 Abs. 2 StVG mit Beschluß vom 27. Februar 1985 aus, daß die Unterbringung des Klägers in der Anstalt für gefährliche Rückfallstäter notwendig sei. Der Kläger erhob dagegen fristgerecht Beschwerde, welcher das Oberlandesgericht Linz mit Beschluß vom 27. März 1985, 11 Bs 47/85, nicht Folge gab. Eine gegen diese Entscheidung vom Kläger erhobene Beschwerde wurde vom Obersten Gerichtshof als unzulässig zurückgewiesen (11 Os 72/85). Der Kläger wurde am 28. Mai 1985 zur Durchführung des Maßnahmenvollzuges in die Strafvollzugsanstalt Sonnberg überstellt.
Erst am 18. Oktober 1985 beantragte die Staatsanwaltschaft beim Kreisgericht Leoben, die nachträgliche Zustimmung der Bundesrepublik Deutschland zur Vollstreckung dieser Besserungsmaßnahme im Sinne der §§ 68 Abs. 1 und 70 Abs. 1 ARHG einzuholen. Auf Grund eines Ersuchens des Bundesministeriums für Justiz vom 2. Jänner 1986 (laut Ersturteil und Antwortschreiben: vom 19. Februar 1986) teilte das Bayerische Staatsministerium der Justiz am 17. April 1986 mit, daß es der weiteren Vollstreckung der Einweisung des am 22. September 1981 nach Österreich ausgelieferten Klägers in eine Anstalt für gefährliche Rückfallstäter auf Grund des Urteiles des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 27. März 1975 zugestimmt hat.
Mit der Behauptung, für die Zeit vom 30. Mai 1985 bis 19. Februar 1986 habe der vollzogenen Haft jegliche gesetzliche Berechtigung gefehlt, da die Zustimmung des ausliefernden Staates erst nachträglich eingeholt worden sei, begehrte der Kläger mit seiner Amtshaftungsklage Schadenersatz von S 135.000 samt 4 % Zinsen seit dem Klagstage (monatlich S 15.000 bzw. täglich S 500). Die beklagte Partei beantragte Abweisung des Klagebegehrens. Sie wendete ein, der Kläger habe mangels ordentlicher Anfechtung des Widerrufsbeschlusses des Kreisgerichtes Leoben und des Überprüfungsbeschlusses des Kreisgerichtes Steyr seine Rettungspflicht gemäß § 2 Abs. 2 AHG verletzt; im übrigen sei die ursprünglich gesetzwidrige Anhaltung des Klägers zum Zwecke des Maßnahmenvollzuges durch die nachträglich erteilte Zustimmung des ausliefernden Staates mit Wirkung ex tunc saniert worden; eine derartige Rechtsansicht der betroffenen Gerichte sei jedenfalls vertretbar.
Das Erstgericht wies das Zinsenbegehren zurück und das Klagebegehren ab. Die Unterlassung einer wirksamen Beschwerde gegen den Widerrufsbeschluß des Kreisgerichtes Leoben vom 17. März 1982 sei vom Kläger verschuldet und für den Eintritt seines Schadens kausal, weil die Beschwerde "nach typischen Voraussetzungen" erfolgreich hätte sein müssen.
Das Gericht zweiter Instanz bestätigte das Urteil des Erstgerichtes und ließ die Revision nicht zu. Die Anfechtung des Zurückweisungsbeschlusses erledigte es nicht. Der Kläger hätte in Wahrnehmung seiner Rettungspflicht gemäß § 2 Abs. 2 AHG durch Beschwerdeführung gegen den Widerrufsbeschluß des Kreisgerichtes Leoben, aber auch noch gegen die Überprüfungsentscheidung des Kreisgerichtes Steyr letztlich mit Erfolg die Verletzung der Spezialität der Auslieferung im Zusammenhang mit dem Widerruf und dem bevorstehenden Vollzug der Besserungsmaßnahme gemäß § 23 StGB aufzeigen können, so daß der dem Kläger nunmehr Anlaß für seine Ersatzansprüche gebende rechtswidrige Zustand - abgesehen von der theoretischen Möglichkeit der Zustimmungsverweigerung des ausliefernden Staates - noch schadlos hätte behoben werden können. Überdies habe die nachträgliche Zustimmung zur Auslieferung auch für den Maßnahmenvollzug auf den Zeitpunkt des Einsetzens bzw. Beginnes des Maßnahmenvollzuges zurückgewirkt und daher den zunächst rechtswidrigen Zustand saniert, so daß die Rechtswidrigkeit der Anhaltung des Klägers als wesentliche Voraussetzung seines Amtshaftungsanspruches fehle.
Die außerordentliche Revision des Klägers ist zulässig und berechtigt.
Zunächst sei erwähnt, daß über das - vom Erstgericht zurückgewiesene, vom Gericht zweiter Instanz trotz entsprechender Rüge im Rechtsmittel des Klägers nicht weiter behandelte Zinsenbegehren des Klägers noch zu entscheiden sein wird. Gegenstand des Revisionsverfahrens ist es nicht.
Gemäß Art. 5 Abs. 1 MRK darf die Freiheit einem Menschen nur auf die gesetzlich vorgeschriebene Weise entzogen werden, u.a. wenn er rechtmäßig nach Verurteilung durch ein zuständiges Gericht in Haft gehalten wird (lit. a). Freiheitsbeschränkende Maßnahmen gemäß § 23 Abs. 1 StGB (Unterbringung in einer Anstalt für gefährliche Rückfallstäter), die in einem gerichtlichen Urteil angeordnet worden sind, sind Art. 5 Abs. 1 lit. a MRK zu unterstellen (Guradze, MRK 71; Frowein-Peukert, MRK-Komm. 70). Die Rechtmäßigkeit der Freiheitsentziehung ist nach innerstaatlichem Recht zu beurteilen. Sie darf nach innerstaatlichem Recht über die im Art. 5 Abs. 1 MRK normierten materiellrechtlichen Voraussetzungen nicht hinausgehen und formell nur auf die "gesetzlich vorgeschriebene Weise" erfolgen (SZ 60/117; SZ 54/108).
Gemäß Art. 14 Abs. 1 lit. a des zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Österreich anzuwendenden Europäischen Auslieferungsübereinkommens (EAÜ) vom 13. Dezember 1957, BGBl. 1969/320, darf die ausgelieferte Person wegen einer anderen, vor der Übergabe begangenen Handlung als jener, die der Auslieferung zugrunde liegt, nur dann zur Vollstreckung einer Maßnahme der Sicherung oder Besserung in Haft gehalten oder einer sonstigen Beschränkung ihrer persönlichen Freiheit unterworfen werden, wenn der ausliefernde Staat zustimmt. Der am 31. Jänner 1972 zwischen Österreich und der Bundesrepublik Deutschland über die Ergänzung des EAÜ und die Erleichterungen seiner Anwendung geschlossene Vertrag, BGBl. 1977/35, sieht im zu Art. 14 des EAÜ vereinbarten Art. VII Abs. 2 ua. vor, daß nach der Stellung eines Ersuchens um Zustimmung die ausgelieferte Person bis zum Eingang der Entscheidung über dieses Ersuchen im ersuchenden Staat in Haft gehalten werden kann. Aus diesen zwischenstaatlichen Regelungen, die auch als innerstaatliches Recht gelten, ergibt sich eindeutig, daß eine ausgelieferte Person nur dann einer Beschränkung der persönlichen Freiheit unterworfen werden darf, wenn der ausländische Staat zugestimmt hat; nur im Verhältnis zur Bundesrepublik Deutschland kann diese Beschränkung auch bereits stattfinden, wenn zumindest das Ersuchen um Zustimmung gestellt worden ist. Diese Voraussetzungen waren für den Kläger im Zeitraum vom 30. Mai 1985 bis 19. Februar 1986 nicht gegeben. Dem Kläger wurde damit in diesem Zeitraum seine Freiheit nicht auf die gesetzlich vorgeschriebene Weise entzogen. Der Oberste Gerichtshof hat bereits klargestellt, daß Freiheitseingriffe nur dann als konventionsgemäß gelten können, wenn die in innerstaatlichen Bestimmungen normierten Verfahrensvorschriften vor der Freiheitsentziehung strikt eingehalten wurden (SZ 60/117; SZ 54/108). Es ist daher ohne Belang, ob allenfalls die Zustimmung des ausländischen Staates zu einer bereits angeordneten Freiheitsentziehung materiell zurückwirkt; allein maßgeblich kann nur sein, daß die Erfordernisse für die Freiheitsentziehung im Zeitpunkt ihrer Anordnung formell nicht gegeben waren und damit dem innerstaatlichen Recht nicht entsprochen war. Durfte die Maßnahme nach § 23 Abs. 1 StGB noch gar nicht vollzogen werden, lag ein bloß unbedeutender Formalfehler, der keine Folgen nach Art. 5 Abs. 5 MRK haben soal (so Berger, EuGRZ 1983, 241), nicht vor.
Gemäß Art. 5 Abs. 5 MRK hat jeder, der entgegen den Bestimmungen des Art. 5 Abs. 1 bis 4 MRK von Festnahme oder Haft betroffen worden ist, Anspruch auf Schadenersatz. Diese Bestimmung der MRK ist, wie der Oberste Gerichtshof bereits mehrfach ausgesprochen hat (zunächst SZ 48/69, sodann SZ 54/108, SZ 60/117 je mwN), unmittelbar anzuwendender österreichischer Rechtsbestand, der auch selbständige Ersatzansprüche zuläßt, die vor dem Amtshaftungsgericht geltend zu machen sind (SZ 60/1; Loebenstein-Kaniak, AHG2 13 f. mwN). Diese Lösung wurde von der Rechtsprechung als notwendig angesehen, weil eine ausdrückliche verfahrensrechtliche Einbindung in das österreichische Recht nicht erfolgt ist, die Bestimmung des Art. 5 Abs. 5 MRK aber eine Haftung des in Betracht kommenden Rechtsträgers impliziert, so daß es naheliegt, für dieses Verfahren, soweit nicht Besonderheiten zu gelten haben, das Amtshaftungsgesetz anzuwenden (Loebenstein-Kaniak aaO 14; vgl. SZ 52/153). Als Besonderheit ist etwa der Haftungsumfang insoweit erweitert, als auch ohne Verschulden eines Organes und auch für immateriellen Schaden gehaftet wird (SZ 60/117; SZ 48/69 ua.).
Nach dem Amtshaftungsgesetz besteht ein Ersatzanspruch nicht, wenn der Geschädigte den Schaden durch Rechtsmittel oder durch Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof hätte abwenden können (§ 2 Abs. 2 AHG). Diese Bestimmung stellt eine Verschärfung der im österreichischen Zivilrecht allgemein geltenden Schadensminderungspflicht dar und ist als Sondervorschrift einschränkend auszulegen. Sie gilt daher nicht für einen Anspruch nach Art. 5 Abs. 5 MRK, welche Bestimmung für den dort vorgesehenen Schadenersatzanspruch dem Geschädigten keine Verpflichtung zur Einlegung eines Rechtsmittels mit der Wirkung des Anspruchsverlustes bei (schuldhafter) Unterlassung auferlegt, sondern die Einhaltung der innerstaatlichen Rechtsschutzbesenmmungen zur ausschließlich amtswegigen Pflicht der in Betracht kommenden Behörden macht. Voraussetzung des Anspruches nach Art. 5 Abs. 5 MRK ist nur, daß die Haft rechtswidrig war (Guradze aaO 86).
Darüber hinaus ist es aber herrschende Auffassung, daß der Ausschluß des Ersatzanspruches nach § 2 Abs. 2 AHG eine Sorglosigkeit des Amtshaftungsklägers im Umgang mit eigenen Rechtsgütern voraussetzt, die Unterlassung von Rechtsmitteln also schuldhaft erfolgt sein muß (JBl. 1989, 113; SZ 57/172; SZ 55/81 ua.; Loebenstein-Kaniak aaO 176 f.). Beim Kläger muß berücksichtigt werden, daß er in Haft und unvertreten war. Er konnte, wie die Revision mit Recht darlegt, durchaus meinen, bei einer Bekämpfung des Beschlusses des Kreisgerichtes Steyr könne es nur im Sinne des § 24 Abs. 2 StGB darum gehen, ob an sich die Unterbringung in einer Anstalt noch notwendig war. Im übrigen ist wohl erst durch den Obersten Gerichtshof in seiner Entscheidung ZfRV 1985, 133 auch für den Kläger die Rechtslage klargestellt worden. Es ist daher gleichgültig, ob der Kläger den seinerzeitigen Beschluß des Kreisgerichtes Leoben anfechten hätte müssen. Der Anspruch des Klägers könnte demnach auch nicht gemäß § 2 Abs. 2 AHG, wäre er anzuwenden, ausgeschlossen werden. Auch ein Mitverschulden des Klägers i.S. des § 1304 ABGB scheidet unter diesen Umständen aus. Die Rechtsprechung läßt, wie erwähnt, Amtshaftungsansprüche wegen Verletzung der persönlichen Freiheit auch ohne Verschulden und für immaterielle Schäden zu. Immaterieller Schaden entsteht bei konventionswidriger Freiheitsentziehung stets, er braucht weder nachgewiesen noch substantiiert zu werden (Guradze, aaO 86). Es wird damit die psychische Belastung während der ungesetzlichen Haft abgegolten. Da mit jeder Freiheitsentziehung immaterielle Schäden zufolge Unlust, mangelhafter Freizügigkeit u.ä. verbunden sind, die bei Verletzung der Menschenrechtskonvention auch ohne Verschulden der Behörden im Amtshaftungsweg ersatzfähig sind, steht der Anspruch des Klägers dem Grunde nach somit fest. Bei Ausmessung eines durch rechtswidrige Haft verursachten immateriellen Schadenersatzes stehen Dauer und Intensität des erlittenen Ungemachs im Vordergrund der Bemessung; als bestimmende Faktoren sind weiters die psychophysische Situation des Betroffenen, die Beschaffenheit seiner Gefühlswelt, seine Empfindsamkeit und die Schwankungsbreite seiner Gefühlswelt zu berücksichtigen; die soziale Stellung ist ohne Relevanz (JBl. 1988, 46). Der Oberste Gerichtshof erachtet angesichts der Dauer der gesetzwidrigen Anhaltung des Klägers von nahezu neun Monaten den vom Kläger geltend gemachten Betrag von S 135.000, den die beklagte Partei in seiner Höhe nur ganz allgemein bestritten hat, den Unbillen des Freiheitsentzuges selbst bei Bedacht darauf als angemessen, daß der Kläger vielfach vorbestraft und damit den Aufenthalt in Gefangenenhäusern und Strafanstalten gewohnt ist, hätte er doch bei rechtmäßigem Verhalten den Zeitraum, für den Schadenersatz beansprucht wird, in Freiheit verbringen können. Der Revision des Klägers ist daher im Rahmen der urteilsmäßigen Erledigung des Klagebegehrens durch die Vorinstanzen stattzugeben. Die Entscheidung über die Verfahrenskosten beruht auf den §§ 41 und 50 ZPO.
Anmerkung
E19199European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1989:0010OB00043.89.1115.000Dokumentnummer
JJT_19891115_OGH0002_0010OB00043_8900000_000