TE OGH 1989/11/15 1Ob577/89

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Veröffentlicht am 15.11.1989
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Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Schragel als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Schubert, Dr.Hofmann, Dr.Schlosser und Dr.Graf als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien Siegfried und Herta H***, Pensionisten, Grazer Straße 4, 8230 Hartberg, beide vertreten durch Dr.Josef Kager, Rechtsanwalt in Hartberg, wider die beklagte Partei Ingrid B***, Hausfrau, 8234 Eichberg 71, vertreten durch Dr.Peter Bartl, Rechtsanwalt in Graz, wegen Entfernung von Gegenständen (Streitwert S 26.000), infolge Rekurses der klagenden Parteien gegen den Beschluß des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Graz als Berufungsgerichtes vom 15.Dezember 1988, GZ 5 R 301/88-22, in der Fassung des Beschlusses vom 28.März 1989, GZ 5 R 301/88-28, womit das Urteil des Bezirksgerichtes Hartberg vom 29.August 1988, GZ 3 C 531/87-12, unter Rechtskraftvorbehalt aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Dem Rekurs wird Folge gegeben, der angefochtene Beschluß aufgehoben und in der Sache selbst das Urteil des Erstgerichtes wiederhergestellt.

Die beklagte Partei ist schuldig, den klagenden Parteien die mit S 10.947,51 (darin enthalten S 1.116,11 an Umsatzsteuer und S 1.500 an Barauslagen) bestimmten Kosten des gesamten Rechtsmittelverfahrens binnen 14 Tagen zu bezahlen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Kläger sind je zur Hälfte Eigentümer des Grundstückes 63/1 KG Eichberg, die Beklagte ist Eigentümerin der daran angrenzenden Grundstücke 63/2 und 63/3 je KG Eichberg. Im Frühjahr 1982 ersuchte die Beklagte das Vermessungsbüro Dipl.Ing.Bruno Z***, die Grenzen zwischen den Grundstücken der Streitteile neu zu vermessen. Dabei wurde die Grenze einvernehmlich festgelegt und zwischen den genannten Grundstücken der Beklagten und dem Grundstück der Kläger mit Betonsteinen, die an der Scheitelfläche eine kreisrunde Einkerbung aufweisen, vermarkt. Der auch durch die Zweitklägerin bevollmächtigte Erstkläger und die Beklagte unterfertigten am 24. Mai 1982 in Eichberg eine den Lageplan Nr 968/82 des Dipl.Ing.Bruno Z*** betreffende Beurkundung und Zustimmungserklärung gemäß § 18 VermG, wonach die unterzeichneten Grundeigentümer bzw deren Bevollmächtigte auf Grund der durchgeführten Grenzverhandlung beurkunden, daß sie über den in der Natur einverständlich festgestellten und vermarkten Grenzverlauf zwischen ihren Grundstücken einig sind und eine Änderung der in der Natur ersichtlichen Grenzen nicht stattgefunden hat. In der planmäßigen Naturaufnahme wurde das Grundstück 63/2, das das Grundstück 63/3 umschließt, durch sechs Grenzpunkte gekennzeichnet. Die im relevanten Bereich durch die Grenzpunkte 4, 5 und 6 gekennzeichnete Grenze verläuft ausgehend vom Grenzpunkt 4 geradlinig etwa in westlicher Richtung in einer Entfernung von 32,32 m zum Grenzpunkt 5, von diesem geradlinig etwa in nordwestlicher Richtung in einer Entfernung von 36,03 m zum Grenzpunkt 6. Die Beklagte respektierte diese Grenzfestlegung in der Folge jedoch nicht und nahm in dem jenseits dieser Grenze befindlichen Bereich Holzarbeiten und verschiedene Ablagerungen vor. Sie wurde deshalb vom Strafgericht wegen Vergehens des Holzdiebstahls rechtskräftig verurteilt, außerdem wegen Besitzstörung belangt und zur Unterlassung der Störungshandlungen auf dem den Klägern gehörigen Grundstück verpflichtet. Sie erhob sodann am 13.November 1986 gegen die Kläger beim Landesgericht für Zivilrechtssachen Graz eine Klage auf Feststellung, daß die auf der Beurkundung und Zustimmungserklärung des Dipl.Ing.Bruno Z*** vom 24. Mai 1982 aufscheinenden Unterschriften "Ingrid B***" nicht von ihrer Hand stammten und sohin unecht seien, sowie weiters, daß eine Vereinbarung der Grenze zwischen dem Grundstück 63/2 KG Eichberg (Alleineigentümerin Ingrid B***) und dem Grundstück 63/1 KG Eichberg (Eigentümer Siegfried und Herta H*** je zur Hälfte) auf Grund der genannten Beurkundung und Zustimmungserklärung nicht rechtswirksam zustande gekommen sei. Dieses Klagebegehren wurde im Verfahren 12 Cg 371/86 des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Graz zufolge Bestätigung des Ersturteils durch das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz vom 7. Juni 1988, 5 R 103/88-25, zugestellt am 20.Juni 1988, rechtskräftig abgewiesen.

Mit einer am 27.August 1987 beim Erstgericht zu 3 C 379/87 gegen die Beklagte erhobenen Klage auf Entfernung eines auf ihrem Grundstück 63/1 drei Meter südlich der mit den Grenzpunkten 4 und 5 gekennzeichneten Grundgrenze errichteten Holzscheiterhaufens drangen die Kläger ebenfalls rechtskräftig durch (Zustellung des bestätigenden Berufungsurteiles am 3.Mai 1988). Dessen ungeachtet entfernte die Beklagte die auf dem strittigen Grundstück der Kläger gelagerten, in ihrem Eigentum stehenden Gegenstände nicht, vielmehr nahm sie weitere Lagerungen von Betonsteinen, Bretterstößen, Holzpflöcken und von Schwellholz auf dem Grundstück der Kläger 63/1 vor.

Die Kläger begehrten mit der vorliegenden Klage, der Beklagten die Entfernung der von ihr auf dem Grundstück 63/1 gelagerten Gegenstände aufzutragen.

Die Beklagte beantragte Abweisung des Klagebegehrens und wendete ein, sie sei Eigentümerin des Grundes, auf dem die Gegenstände gelagert seien. Sie sei im Zeitpunkt der von den Klägern behaupteten einvernehmlichen Grenzfestlegung am 24.Mai 1982 von einem Angestellten des Dipl.Ing.Bruno Z*** in Irrtum geführt worden, daß sie mit ihrer Unterschrift nur eine Haftung für die Vermessungskosten übernehme. Die Unterschrift sei außerdem vor der Festlegung der Grenze in der Natur geleistet worden. Sie anerkenne somit die von den Klägern behauptete einvernehmliche Grenzfestlegung nicht. Zum Beweis dafür, daß sie den fraglichen Grundstreifen schon seit langem benütze und die von den Klägern behauptete Grenzvereinbarung im Mai 1982 nicht erfolgt sei, beantragte die Beklagte zahlreiche, zum Teil bereits in den genannten Vorverfahren vernommene Zeugen.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren nach Durchführung eines Ortsaugenscheines, Feststellung der Örtlichkeit über die Ablagerung der Gegenstände und Vernehmung der Streitteile vor allem auf Grund des Inhalts der Vorakten statt. Den Klägern stünden als Eigentümern des von der Beklagten mit den fraglichen Gegenständen belegten Grundstückes die Ausschließlichkeitsrechte gemäß § 354 ABGB zu, so daß ihr Entfernungsbegehren gegen die titellose Benützerin ihres Grundes gerechtfertigt sei.

Das Gericht zweiter Instanz hob über Berufung der Beklagten das Urteil des Erstgerichtes unter Rechtskraftvorbehalt auf. Das Verfahren vor dem Erstgericht sei mangelhaft geblieben, weil dieses zahlreiche von der Beklagten für ihr gesamtes Vorbringen geführte Zeugen nicht vernommen habe. Die Ansicht des Erstgerichtes, daß die Sache durch die im Ersturteil erwähnten Vorentscheidungen spruchreif sei, treffe nicht zu. Nur wenn die materielle Rechtskraft als Bindungswirkung auftrete, sei die neuerliche Sachentscheidung unter Bindung an die bereits rechtskräftig beurteilte Vorfrage zu treffen. Zwar sei Bindungswirkung anzunehmen, wenn wohl die Identität der Parteien und des rechtserzeugenden Sachverhaltes gegeben sei, aber anstelle der inhaltlichen und wörtlichen Identität der Begehren ein im Gesetz begründeter Sachzusammenhang zwischen beiden Begehren bestehe; die in Frage kommende Vorentscheidung 3 C 379/87 des Erstgerichtes betreffe aber nur einen Teil des Grenzverlaufes zwischen den Grenzpunkten 4 und 5 der planmäßigen Naturaufnahme, hier aber sei auch der Grenzverlauf zwischen den Punkten 5 und 6 strittig und rechtserheblich, so daß kein entsprechender Sachzusammenhang und keine Bindungswirkung anzunehmen sei. Der Irrtumseinwand der Beklagten sei allerdings nicht gerechtfertigt, weil der Angestellte des von der Beklagten mit der Grenzvermessung beauftragten Vermessungsbüros als Dritter im Sinne des § 875 ABGB angesehen werden müsse, so daß der durch die Unterfertigung der Beurkundung und Zustimmungserklärung vom 24.Mai 1982 ersichtliche Vertrag dennoch gültig sei.

Rechtliche Beurteilung

Der von den Klägern gegen den berufungsgerichtlichen Aufhebungsbeschluß erhobene Rekurs ist berechtigt.

Die Beklagte hat zur endgültigen Klärung ihrer stetigen Behauptung, auf Grund der Beurkundung und Zustimmungserklärung vom 24. Mai 1982 sei eine Vereinbarung der Grenze zwischen den Grundstücken 63/1 der Kläger und 63/2 der Beklagten nicht rechtswirksam zustandegekommen, zu 12 Cg 371/86 des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Graz eine negative Feststellungsklage erhoben. Das Klagebegehren wurde in zwei Instanzen rechtskräftig abgewiesen. Zwischen den Streitteilen ist nur strittig, ob die von der Beklagten behauptete oder die von den Klägern aus der Zustimmungserklärung vom 24. Mai 1982 abgeleitete und in der Natur vermarkte Grenze zwischen ihren Grundstücken 63/1 und 63/2 KG Eichberg Geltung hat. Die Beklagte behauptet nicht, daß die fraglichen Gegenstände selbst innerhalb der von den Klägern anerkannten Grenzen ihres Grundstückes lagerten, sondern in dem von ihr mangels Anerkennung der Grenzvereinbarung vom 24.Mai 1982 als ihr Eigentum bezeichneten strittigen Bereich. Die Lösung der Frage der einverständlichen Grenzfestlegung im Mai 1982 bedeutet daher für den vorliegenden Prozeß die Grundlage für die Sachentscheidung, weil das Eigentum der Streitteile an den aneinandergrenzenden Grundstücken selbst nicht strittig ist. Diese Frage wurde aber durch den von der Beklagten selbst angestrengten Feststellungsprozeß mit bindender Wirkung auch für diesen Rechtsstreit zugunsten der Kläger gelöst. Die materielle Rechtskraft eines Urteils ist die Maßgeblichkeit der Entscheidung, durch die eine Wiederholung desselben Rechtsstreites ausgeschlossen wird (ne bis in idem) und Gerichte sowie Parteien an die Entscheidung gebunden werden (Bindungswirkung bzw Abweichungsverbot; Fasching ZPR Rz 1497 ff). Wo die rechtskräftige Entscheidung des Vorprozesses nicht das Hauptsachbegehren des Folgeprozesses entschieden hat, sondern nur für dieses präjudiziell ist, weil sie über eine Vorfrage des Folgeprozesses rechtskräftig abgesprochen hat, wird nur die Verhandlung und neuerliche Beurteilung der Sache als nunmehrige Vorfrage verhindert, nicht aber die Sachentscheidung über das (nicht idente) Hauptbegehren ausgeschlossen (Fasching aaO Rz 1501 und das dort erwähnte Fallbeispiel; SZ 55/74; RZ 1980/31 mwH). Die von den Klägern der vorliegenden Klage auf Grund der Vereinbarung vom 24. Mai 1982 zugrundegelegte Grenze zwischen den Grundstücken 63/1 und 63/2 ist durch die rechtskräftige Abweisung des auf Feststellung der Unwirksamkeit dieser Vereinbarung gerichteten Klagebegehrens der Beklagten bindend festgestellt, da die Bindungswirkung der materiellen Rechtskraft eines Urteils zwischen denselben Streitteilen (wenn auch in veränderter Parteienrolle) auch die Feststellung und Entscheidung des mit dem rechtskräftig gewordenen Urteilspruch unvereinbaren Gegenteils ergreift (SZ 55/74; RZ 1980/31 mwH). Eines weiteren Verfahrens (Beweisaufnahmen und Beurteilungen) über die Unwirksamkeit dieser Vereinbarung im Sinne des Prozeßstandpunktes und der Beweisanträge der Beklagten bedarf es nicht mehr, weil kraft der Bindungswirkung des über das Feststellungsbegehren der Beklagten zugunsten der Kläger ergangenen Urteiles von der Wirksamkeit der Grenzvereinbarung vom Mai 1982 auszugehen ist.

Demgemäß ist über den Rekurs der Kläger sofort in der Sache durch Urteil im Sinne der Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteiles zu entscheiden.

Die Entscheidung über die Verfahrenskosten beruht auf den §§ 41 und 50 ZPO.

Anmerkung

E19023

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1989:0010OB00577.89.1115.000

Dokumentnummer

JJT_19891115_OGH0002_0010OB00577_8900000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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