TE OGH 1989/11/16 12Os100/89

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Veröffentlicht am 16.11.1989
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 16.November 1989 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Müller als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Horak, Dr. Felzmann, Dr. Massauer und Dr. Rzeszut als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Salat als Schriftführerin in der Strafsache gegen Karl H*** und eine andere Angeklagte wegen des Verbrechens des schweren Betruges nach §§ 146, 147 Abs. 3 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerden und die Berufungen der Angeklagten Karl H*** und Anna Maria H*** gegen das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 22. August 1988, GZ 12 b Vr 11737/81-176, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Den Nichtigkeitsbeschwerden wird Folge gegeben, das angefochtene Urteil, das in seinem freisprechenden Teil unberührt bleibt, im übrigen zur Gänze aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung im Umfang der Aufhebung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Mit ihren Berufungen werden die Angeklagten auf diese Entscheidung verwiesen.

Text

Gründe:

Der nunmehr 54-jährige Karl H*** und die 43-jährige Anna Maria H*** wurden des Verbrechens des schweren Betruges nach §§ 146, 147 Abs. 3 StGB schuldig erkannt. Darnach haben sie, zusammengefaßt wiedergegeben, in Wien durch Täuschung über ihre Zahlungsfähigkeit und ihren Zahlungswillen mit Bereicherungsvorsatz im Juli, August und September 1981 Angestellte der Leasing Firma A*** Mobilien Beschaffung und Vermietung Ges.m.b.H. (im folgenden: A***) zum Abschluß von Mietverträgen über Betriebsmittel (Schaden in Form nicht bezahlter Leasingraten: rund 437.000 S), am 15.September 1981 Johann G*** zum Abschluß eines Pachtvertrages hinsichtlich eines Fleischhauereibetriebes (Rückstand an Pacht: 120.000 S) und im Oktober und November 1981 die Pächter einer Tankstelle zur Lieferung von Treibstoff und Mineralölprodukten (Schaden rund 35.000 S) und die Angeklagte H*** überdies allein am 10.April 1981 Johann S*** zur Hingabe eines kurzfristigen Darlehens in der Höhe von 100.000 S verleitet.

Rechtliche Beurteilung

Die von beiden Angeklagten dagegen erhobenen, die Gründe des § 281 Abs. 1 Z 4, 5, 9 lit. a und 10 - im Fall H*** auch Z 5 a - StPO anrufenden Nichtigkeitsbeschwerden sind begründet. Voranzustellen ist, daß das inkriminierte Verhalten der Beschwerdeführer nach den Urteilsgründen durchwegs mit den Firmen der Angeklagten H*** zusammenhängt und aus betrieblichen Finanzierungsbedürfnissen resultierte. Dies zu betonen ist deshalb wichtig, weil dann, wenn bei laufendem Betrieb neue Verpflichtungen eingegangen werden, die in der Folge nicht erfüllt werden können, der Frage besonderes Augenmerk zugewendet werden muß, ob die Akteure ihre jeweiligen Geschäftspartner mit Bereicherungsvorsatz dolos täuschten, oder ob sie aus bloßer culpa unter Außerachtlassung der erforderlichen Sorgfalt die bevorstehende geschäftliche Entwicklung mit sachlich unvertretbarem Optimismus einschätzten. Daß die damit umschriebene, notorisch heikle Abgrenzung zwischen (bedingtem) Vorsatz und (wenn auch grober) Fahrlässigkeit eindeutige, zur Herstellung der erforderlichen Trennschärfe geeignete, schlüssig und deutlich begründete Konstatierungen zur subjektiven Tatseite erfordert, versteht sich ebenso von selbst wie die Forderung, Beweisanträge besonders sorgfältig darauf zu prüfen, ob deren Gegenstand Rückschlüsse auf den Vorsatz (dolus) der Angeklagten zuläßt.

In Ansehung der einzelnen Fakten ergeben sich aus dem Gesagten folgende Konsequenzen:

Bezüglich der der Angeklagten H*** allein vorgeworfenen betrügerischen Herauslockung eines Darlehens von 100.000 S zum Nachteil des Johann S*** am 10.April 1981 (I) leidet das Urteil - worauf die Nichtigkeitsbeschwerde der Angeklagten H*** zutreffend hinweist - sowohl an einem Begründungs- als auch an einem Feststellungsmangel zum Schädigungsvorsatz. Gestatten es doch die darin zur inneren Tatseite getroffenen Konstatierungen - der Angeklagten sei klar gewesen, "daß ein Großteil der Forderungen gegen D*** (ca. 2,7 Mill S) kaum einbringlich" sei, sie habe gewußt, daß D*** "im Inland kaum über pfändbares Vermögen verfügte"; es sei den Angeklagten bereits im Laufe des Jahres 1980 klar (gewesen), daß sie mit einem erheblichen finanziellen Ausfall rechnen müssen", die Angeklagte H*** habe aber dennoch den Kredit bei S*** aufgenommen, obwohl sie wußte, "daß sie kaum in der Lage sein wird", den geschuldeten Betrag "in angemessener Zeit zurückzubezahlen" (Band III S 307 bis S 309) - nicht, zu erkennen, wie der Vorsatz der Angeklagten im Tatzeitpunkt nach Ansicht der Tatrichter beschaffen war, ja ob sie überhaupt von einem Betrugsvorsatz geleitet war, weil das wiederholt gebrauchte Wort "kaum" mehrfache Deutungsmöglichkeiten zuläßt, darunter auch die, daß die Beschwerdeführerin eher nicht, aber vielleicht doch noch meinte, den eingegangenen Verpflichtungen nachkommen zu können. Ein analoger Mangel zeigt sich auch auf der Begründungsebene, weil das Urteil im unmittelbaren Anschluß an die zur inneren Tatseite getroffenen (zweideutigen) Feststellungen ausführt, die Fleischhauerei in der Breitenfurterstraße sei nicht so gegangen, "wie sich die Angeklagten dies erwartet hatten" (Band III S 310) was - weil der Betrieb von Jänner bis Oktober 1981 geführt wurde (Band III S 308) und der Kredit im April 1981 aufgenommen wurde - den zwanglosen und lebensnahen Schluß zuläßt, die Angeklagte habe bei der Kreditaufnahme kurz nach Betriebsbeginn einen guten Geschäftsgang und damit die finanzielle Möglichkeit zur Darlehensrückzahlung "erwartet".

Die Fakten A*** und G*** (II 1 und 2) sollen - weil zeitlich und örtlich zusammengehörig - in einem behandelt werden. Nach den darauf bezüglichen Urteilsfeststellungen hatten die Angeklagten, als sich herausstellte, daß das Geschäft in der Breitenfurterstraße nicht so ging, wie sie es erwartet hatten, erfahren, daß in Perchtoldsdorf ein Objekt existierte, welches sowohl einen Fleischhauereibetrieb als auch ein Hotel mit Gastwirtschaft umfaßte und waren nach dem Abschluß eines Pachtvertrages mit Johann G*** bezüglich des Fleischhauereibetriebes daran gegangen, die Räumlichkeiten der Fleischhauerei und des Hotels zu adaptieren. Da sie keinerlei flüssige Mittel besaßen, wandten sie sich an die A***, um einerseits die Fleischhauerei-Einrichtung zu finanzieren und andererseits zu Bargeld zu kommen, und zwar in Form sogenannter "sale and lease back"-Geschäfte. Diese bestehen im Kern darin, daß der Leasingfirma Fahrnisse verkauft und sodann von ihr zurückgemietet werden. Bei den verkauften und zurückgeleasten Gegenständen handelte es sich vorliegend teils um solche, die im Eigentum der Firmen der Anna H*** gestanden waren, teils um solche, die neu angeschafft wurden. Die zur ersten Gruppe gehörenden Sachen - vor allem Kraftfahrzeuge - repräsentierten nach den Urteilsfeststellungen einen Wert von insgesamt rund einer Million Schilling (Band III S 311 f).

In Ansehung dieser Objekte stellten nun die Angeklagten in der Hauptverhandlung den Antrag, die darauf bezüglichen Unterlagen der Leasingfirma zum Beweis dafür beizuschaffen, daß die von der Firma A*** angekauften Gegenstände zu einem niedrigeren als von den Angeklagten erzielbaren Verkaufspreis fakturiert wurden, um die Leasingraten (= Mieten) niedriger zu halten, welcher Umstand für die Klärung der subjektiven Tatseite entscheidungsrelevant sei (Band III S 292).

Das Schöffengericht hat diesen Beweisantrag "wegen Unerheblichkeit" abgewiesen und im Urteil dazu ausgeführt, daß diese "nahezu abenteuerliche" Verantwortung der Angeklagten durch die Zeugen E*** und M*** (beide Angestellte der Firma A***) eindeutig widerlegt sei. Abgesehen davon sei die Frage der Unterfakturierung auch rechtlich völlig irrelevant. Ginge man nämlich davon aus, "wäre damit der Betrug (der Angeklagten) noch mehr erhärtet, da sie dann zugeben würden, daß sie in Kenntnis der finanziellen Schwierigkeiten des Unternehmens, nur um irgendwie zu Geld zu kommen, zu einem Unterpreis verkauft hätten", weshalb sich diese Verantwortung als "Flop" erweise (Band III S 319). Dieser Auffassung kann mangels schlüssiger Begründung keineswegs gefolgt werden.

Geht man nämlich davon aus, daß die Angeklagten im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses mit der Firma A*** über Kraftfahrzeuge im Wert von jedenfalls rund einer Million Schilling verfügten, erscheint es keineswegs einleuchtend, daß es ein Indiz für betrügerisches, das heißt täuschendes Vorgehen mit Schädigungs- und Bereicherungsvorsatz sein sollte, wenn sie die Sachen unter ihrem wahren Wert veräußerten, um rasch zu Geld zu kommen; denn es ist evident, daß dieser Effekt ohne Einschaltung einer Leasingfirma viel einfacher dadurch erzielt werden konnte, daß sie die Gegenstände um den Verkehrswert verkauften. Hand und Fuß gewinnt diese Vorgangsweise vielmehr nur dann, wenn man die Absicht unterstellt, mit den verkauften und dann zurückgeleasten Gegenständen den Betrieb weiter zu führen und für die geleasten Sachen eine möglichst geringe Miete zu bezahlen, in welchem Zusammenhang die Höhe der Raten - wie dies die Verfahrensrügen zutreffend aufzeigen - für die innere Tatseite der Angeklagten insofern von Belang sind, als es für einen Betrüger, der seinem Tatplan zufolge von vornherein nicht daran denkt, die vereinbarten Leasingraten zu bezahlen, ohne Bedeutung ist, wie hoch diese Raten sind und der mithin eher darauf aus sein sollte, für die von ihm an die Leasingfirma verkauften Sachen einen möglichst hohen Preis zu erzielen.

So besehen kann dem oben wiedergegebenen Beweisantrag Relevanz gewiß nicht abgesprochen werden.

Stünde jedoch, wie das Erstgericht vermeint, bereits auf Grund der Angaben der Zeugen E*** und M*** unbedenklich fest, daß eine Unterfakturierung in der behaupteten Weise ausscheidet, gingen die Verfahrensrügen demnach ins Leere, so hätten die Antragsteller darzutun gehabt, aus welchen Gründen aus den beantragten Unterlagen für ihren Standpunkt dennoch etwas zu gewinnen wäre. Tatsächlich verhält es sich aber so, daß - dem Urteil zuwider - die Behauptung der Angeklagten, sie hätten die späteren Mietgegenstände unter dem Wert an die A*** verkauft, durch die Angaben der Zeugen E*** und M*** keineswegs widerlegt wird. Hat doch M*** in der Hauptverhandlung am 22.August 1988 (Band III S 279) ausdrücklich eingeräumt, es wäre möglich, daß ein niedrigerer Verkaufspreis eingesetzt worden sei und hat doch E*** lediglich erklärt, wenn der Anschaffungswert niedriger sei, sei auch der Leasingwert niedriger, er könne sich aber nicht daran erinnern, daß darüber gesprochen wurde (Band III S 284).

Verteidigungsrechte der Angeklagten scheinen aber auch dadurch geschmälert, daß ihr Antrag, die Unterlagen über die Investitionen in Perchtoldsdorf beizuschaffen, abgelehnt wurde. Abgesehen davon, daß das Urteil in diesem Punkt keine (nachgetragene) Begründung aufweist, ist es nach dem eingangs grundsätzlich zur Abgrenzung von Vorsatz und Fahrlässigkeit Gesagten evident, daß es nicht ohne Belang sein kann, wie die von der A*** erlangten Barmittel verwendet, insbesondere, ob damit gewinnträchtige Investitionen (in Fleischerei und Hotel) vorgenommen wurden. Entspricht es doch keineswegs der Lebenserfahrung, daß jemand, der nicht vor hat, gemietete Gerätschaften und Räumlichkeiten zu bezahlen, Investitionen vornimmt, die nur bei länger währendem Betrieb Sinn gewinnen.

Bezüglich des Faktums P*** - betrügerisches Eingehen von Treibstoffschulden in der Höhe von rund 35.000 S (II 3) - krankt das Urteil bereits am Mangel exakter Feststellungen zum Schädigungsvorsatz, weil auch hier die Formulierung, es sei den Angeklagten bewußt gewesen, daß sie auf Grund ihrer schlechten finanziellen Lage kaum in der Lage sein würden, die Rechnungen zu bezahlen (Band III S 315), die erforderliche Eindeutigkeit vermissen läßt. Aber auch wenn man dieses Wort im Kontext so lesen wollte, daß es "höchst wahrscheinlich nicht" bedeutet, wäre für den Schuldspruch nichts gewonnen, weil es an einer schlüssigen Begründung mangelt. Denn daß im Herbst 1981 die wirtschaftliche Lage des Unternehmens "so katastrophal war, daß bei der A*** Mittel aus sale and lease back-Geschäften besorgt werden mußten" (Band III S 314) und daß "Schwierigkeiten" bestanden, die Treibstoffkosten für die Fahrzeuge zu bezahlen, läßt für sich allein noch keinen tragfähigen Schluß darauf zu, daß die Angeklagten bereits bei Eingehen der Vereinbarung den Vorsatz hatten, nichts zu bezahlen, zumal wenn man die Größenordnungen berücksichtigt und namentlich mit in Rechnung stellt, welche Beträge von der A*** erlangt wurden. Im übrigen besteht zwischen allen tatgegenständlichen, im Herbst 1981 eingegangenen Verpflichtungen ein derart enger, untrennbarer, innerer Zusammenhang, daß eine Kassierung der die Hauptfakten betreffenden Schuldsprüche auch eine solche des zuletzt erörterten Nebenfaktums nach sich zieht (§ 289 StPO).

Da die aufgezeigten Mängel vom Obersten Gerichtshof nicht saniert werden können, die Durchführung einer neuen Hauptverhandlung sonach unumgänglich ist, war bereits bei einer nichtöffentlichen Beratung mit einer Kassierung des gesamten Urteils (abgesehen von dem unbekämpft gebliebenen Teilfreispruch) und einer Rückverweisung zu neuer Verhandlung und Entscheidung im Umfang der Aufhebung an die erste Instanz vorzugehen (§ 285 e StPO), ohne daß es erforderlich gewesen wäre, auf die übrigen in den Nichtigkeitsbeschwerden erhobenen Einwände weiter einzugehen.

Mit ihren Berufungen waren die Angeklagten auf diese Entscheidung zu verweisen.

Anmerkung

E18963

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1989:0120OS00100.89.1116.000

Dokumentnummer

JJT_19891116_OGH0002_0120OS00100_8900000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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