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10/07 Verwaltungsgerichtshof;Norm
AlVG 1977 §10 Abs1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bernard und die Hofräte Dr. Müller, Dr. Strohmayer, Dr. Köller und Dr. Moritz als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Müller, über die Beschwerde des Dipl. Oec. A in Graz, vertreten durch Dr. Reinhard Tögl, Rechtsanwaltgesellschaft mbH in 8010 Graz, Schmiedgasse 31, gegen den auf Grund eines Beschlusses des Ausschusses für Leistungsangelegenheiten ausgefertigten Bescheid der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Steiermark vom 30. April 2003, Zl. LGS600/SfA/1218/2003-Dr. Si/Kö, betreffend Verlust des Anspruches auf Notstandshilfe gemäß § 10 iVm § 38 AlVG, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund (Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit) hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.171,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer bezieht seit 1991 mit Unterbrechungen Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung. Bei den Vermittlungsbemühungen des Arbeitsmarktservice wurde - der Begründung des angefochtenen Bescheides zufolge - auf seine frühere Position als Geschäftsführer Rücksicht genommen. Von Dezember 1999 bis Februar 2000 hat der Beschwerdeführer die Maßnahme "Chance 50" besucht, von Jänner 2001 bis März 2001 war er Mitglied in der "Aktivgruppe" und von Oktober 2001 bis Jänner 2002 nahm der Beschwerdeführer an der Maßnahme "Integration von Führungskräften" teil.
Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid sprach die belangte Behörde aus, dass der Beschwerdeführer den Anspruch auf Notstandshilfe für die Zeit vom 10. März bis zum 20. April 2003 verloren habe.
Er sei am 24. Februar 2003 zu einem "Info-Tag" mit anschließendem Bewerbungsgespräch für die Tätigkeit als Organisator beim Verein "R" für "Kultur in Graz" eingeladen worden. Diese Veranstaltung habe am 10. März 2003 in der regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice stattgefunden. Der "Betreuerin" des Beschwerdeführers sei danach gemeldet worden, dass dieser sich nicht ernsthaft um die Stelle beworben habe. Er habe bei dem Bewerbungsgespräch von der Familie gesprochen, nicht jedoch von seinen Fähigkeiten und Interessen. Erst auf Nachfragen habe er von diversen Firmen, die er aufgebaut habe, erzählt. Er habe sich keine Informationen über "R" oder "KiG" (Kultur in Graz) aus dem Internet geholt. Er habe keinen Lebenslauf mitgehabt, weil er der Auffassung gewesen sei, dass ein Bewerbungsgespräch ein "erstes Herantasten" bedeuten würde. Im Einladungsschreiben zum "Info-Tag" sei ausdrücklich darauf hingewiesen worden, dass die üblichen Bewerbungsunterlagen mitzubringen seien. Da der Beschwerdeführer bereits an mehreren Maßnahmen des Arbeitsmarktservice teilgenommen habe, könne davon ausgegangen werden, dass er über Bewerbungsmodalitäten Bescheid gewusst habe. Er habe ein den Verein "R" beschreibendes Informationsblatt, das zur freien Entnahme ausgelegt gewesen sei, nicht entnommen, während er auf das Bewerbungsgespräch gewartet habe. Auf Grund dieser Tatsachen sei der Eindruck entstanden, dass er "nicht wirklich Interesse an der angebotenen Stelle" gehabt habe. Die Nichtbeibringung geeigneter Bewerbungsunterlagen sei nach allgemeiner Erfahrung geeignet, den potenziellen Dienstgeber von der Einstellung eines Arbeitslosen abzubringen.
Berücksichtigungswürdige Gründe für eine Nachsicht, wie zum Beispiel die Arbeitsaufnahme während der Sperrfrist bei einem anderen Dienstgeber, würden nicht vorliegen.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde mit dem Begehren, ihn kostenpflichtig aufzuheben.
Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde als unbegründet beantragt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Gemäß § 9 Abs. 1 AlVG ist arbeitswillig, wer (u.a.) bereit ist, eine durch die regionale Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice vermittelte zumutbare Beschäftigung anzunehmen oder von einer sonst sich bietenden Arbeitsmöglichkeit Gebrauch zu machen. Eine solche Beschäftigung ist gemäß § 9 Abs. 2 leg. cit. zumutbar, wenn sie den körperlichen Fähigkeiten des Arbeitslosen angemessen ist, seine Gesundheit und Sittlichkeit nicht gefährdet, angemessen entlohnt ist und dem Arbeitslosen eine künftige Verwendung in seinem Beruf nicht wesentlich erschwert.
Nach § 10 Abs. 1 AlVG verliert ein Arbeitsloser, der sich weigert, eine ihm von der regionalen Geschäftsstelle zugewiesene zumutbare Beschäftigung anzunehmen oder die Annahme einer solchen Beschäftigung vereitelt, für die Dauer der Weigerung, jedenfalls aber für die Dauer der auf die Weigerung folgenden sechs Wochen den Anspruch auf Arbeitslosengeld. Liegt im Zeitraum eines Jahres vor dem Beginn eines Anspruchsverlustes bereits ein früherer Anspruchsverlust, so beträgt dieser Zeitraum acht Wochen.
Diese Bestimmungen sind Ausdruck des dem gesamten Arbeitslosenversicherungsrecht zu Grunde liegenden Gesetzeszweckes, den arbeitslos gewordenen Versicherten, der trotz Arbeitsfähigkeit und Arbeitswilligkeit nach Beendigung seines Beschäftigungsverhältnisses keinerlei Beschäftigung gefunden hat, möglichst wieder durch Vermittlung in eine ihm zumutbare Beschäftigung einzugliedern und ihn so in die Lage zu versetzen, seinen Lebensunterhalt ohne Zuhilfenahme öffentlicher Mittel zu bestreiten. Wer eine Leistung der Versichertengemeinschaft der Arbeitslosenversicherung in Anspruch nimmt, muss sich daher darauf einstellen, eine ihm angebotene zumutbare Beschäftigung auch anzunehmen, d.h. bezogen auf eben diesen Arbeitsplatz arbeitswillig zu sein (vgl. das hg. Erkenntnis vom 4. April 2002, Zl. 99/08/0092, und die dort angeführte Judikatur).
Um sich in Bezug auf eine von der regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice vermittelte, zumutbare Beschäftigung arbeitswillig zu zeigen, bedarf es grundsätzlich einerseits eines auf die Erlangung dieses Arbeitsplatzes ausgerichteten (und daher unverzüglich zu entfaltenden) aktiven Handelns des Arbeitslosen, andererseits (und deshalb) aber auch der Unterlassung jedes Verhaltens, welches objektiv geeignet ist, das Zustandekommen des konkret angebotenen Beschäftigungsverhältnisses zu verhindern (vgl. das hg. Erkenntnis vom 16. Juni 2004, Zl. 2000/08/0128, und die dort angeführte Judikatur).
Das Nichtzustandekommen eines den Zustand der Arbeitslosigkeit beendenden (zumutbaren) Beschäftigungsverhältnisses kann vom Arbeitslosen somit auf zwei Wegen verschuldet (d.h. dessen Zustandekommen vereitelt) werden:
Nämlich dadurch, dass der Arbeitslose ein auf die Erlangung des Arbeitsplatzes ausgerichtetes Handeln erst gar nicht entfaltet (Unterlassen der Vereinbarung eines Vorstellungstermines, Nichtantritt der Arbeit, etc.), oder aber dass er den Erfolg seiner (nach außen zu Tage getretenen) Bemühungen durch ein Verhalten, welches nach allgemeiner Erfahrung geeignet ist, den potenziellen Dienstgeber von der Einstellung des Arbeitslosen abzubringen, zunichte macht (vgl. das hg. Erkenntnis vom 20. Dezember 1994, Zl. 93/08/0136, mwN).
Bei der Beurteilung, ob ein bestimmtes Verhalten eines Vermittelten als Vereitelung im Sinne des § 10 Abs. 1 AlVG zu qualifizieren ist, kommt es zunächst darauf an, ob dieses Verhalten für das Nichtzustandekommen des Beschäftigungsverhältnisses ursächlich war (vgl. das hg. Erkenntnis vom 11. Dezember 2002, Zl. 99/03/0358). Ist die Kausalität zwischen dem Verhalten des Vermittelten und dem Nichtzustandekommen des Beschäftigungsverhältnisses zu bejahen, dann muss geprüft werden, ob der Vermittelte vorsätzlich gehandelt hat, wobei bedingter Vorsatz (dolus eventualis) genügt. Ein bloß fahrlässiges Handeln, also die Außerachtlassung der gehörigen Sorgfalt, reicht zur Verwirklichung des Tatbestandes nicht hin (vgl. das hg. Erkenntnis vom 15. November 2000, Zl. 96/08/0042).
§§ 9 und 10 AlVG sind gemäß § 38 AlVG auf die Notstandshilfe sinngemäß anzuwenden.
Zum Vorwurf der inhaltlichen Rechtswidrigkeit macht der Beschwerdeführer geltend, die belangte Behörde habe nicht überprüft, ob sein Verhalten, nämlich die Unterlassung der Mitnahme seines Lebenslaufes, für das Nichtzustandekommen des Beschäftigungsverhältnisses ursächlich gewesen sei. Dies führt die Beschwerde im Ergebnis zum Erfolg.
Gemäß § 60 AVG, der gemäß § 67 AVG auch für Berufungsbescheide gilt, sind in der Begründung eines Bescheides die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens (§§ 37ff AVG), die bei der Beweiswürdigung maßgebenden Erwägungen und die darauf gestützte Beurteilung der Rechtsfrage klar und übersichtlich zusammenzufassen. Dies erfordert in einem ersten Schritt die eindeutige, eine Rechtsverfolgung durch die Partei ermöglichende und einer nachprüfenden Kontrolle durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts zugängliche konkrete Feststellung des der Entscheidung zu Grunde gelegten Sachverhaltes, in einem zweiten Schritt die Angabe jener Gründe, welche die Behörde im Falle des Vorliegens widerstreitender Beweisergebnisse in Ausübung der freien Beweiswürdigung dazu bewogen haben, gerade jenen Sachverhalt festzustellen, und in einem dritten Schritt die Darstellung der rechtlichen Erwägungen, deren Ergebnisse zum Spruch des Bescheides geführt haben (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 27. Juni 1995, Zl. 92/07/0184). Die genannte Zusammenfassung wird in Bezug auf die Beweiswürdigung kurz ausfallen können, wenn keine einander widersprechenden Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens vorliegen. Bei Widersprüchen zwischen den Behauptungen und Angaben der Verfahrenspartei und sonstigen Ermittlungsergebnissen bedarf es aber einer klaren und übersichtlichen Zusammenfassung der maßgeblichen, bei der Beweiswürdigung angestellten Erwägungen, damit der Verwaltungsgerichtshof die Entscheidung der Behörde auf ihre inhaltliche Rechtmäßigkeit überprüfen kann (vgl. das hg Erkenntnis vom 25. Mai 2005, Zl. 2002/08/0106). Nicht oder unzureichend begründete Bescheide hindern den Verwaltungsgerichtshof, seiner Rechtskontrollaufgabe, wie sie im § 41 Abs. 1 VwGG zum Ausdruck kommt, insoweit zu entsprechen, als derartige Bescheide inhaltlich auch keine Überprüfung "auf Grund des von der belangten Behörde angenommenen Sachverhaltes" zulassen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 20. Oktober 2004, Zl. 2001/08/0020).
Die Beantwortung der Frage, ob der Beschwerdeführer das Zustandekommen der Beschäftigung vereitelt hat, erfordert nach dem Gesagten präzise und in einem einwandfreien Verfahren getroffene Feststellungen über den Verlauf des Vorstellungsgespräches (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom 25. Mai 2005, Zl. 2002/08/0106, mwN).
In seiner Berufung gegen den erstinstanzlichen Bescheid hat der Beschwerdeführer ein Vorbringen über den Verlauf des Info-Tages und des anschließenden Bewerbungsgespräches erstattet. Er habe von der regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice (Frau Dr. V.) am 24. Februar 2003 ein Stellenangebot erhalten. (Aus der beigelegten Kopie dieses Schreibens geht hervor, dass der Beschwerdeführer dieses Schreiben zum Vorstellungstermin mitnehmen sollte. Im Gegensatz zu den Feststellungen des angefochtenen Bescheides ist diesem Schreiben nicht zu entnehmen, dass die "üblichen Bewerbungsunterlagen" mitzubringen seien). Nach der Beschreibung des Arbeitsplatzes sei mit ihm in freundlicher Atmosphäre ein Bewerbungsgespräch geführt worden. Seine Vorstellungen seien von den Vertretern des potenziellen Dienstgebers befürwortet worden. Während des Bewerbungsgespräches habe sich plötzlich Herr Arno L. (von der regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice) in einer Art, durch die sich der Beschwerdeführer persönlich angegriffen gefühlt habe, mit dem Hinweis in das Gespräch eingemischt, dass der Beschwerdeführer keinen Lebenslauf mitgebracht hätte. Der Beschwerdeführer habe daraufhin angekündigt, seinen Lebenslauf noch am selben Tag zu übermitteln, worauf ihm die Vertreter des potenziellen Dienstgebers ihre Visitenkarten überreicht hätten. Noch am selben Tag habe er per e-mail seinen Lebenslauf und seinen beruflichen Werdegang übermittelt.
Aus einem im Verwaltungsakt befindlichen e-mail von Frau M. (Verein R) vom 22. April 2003 an die belangte Behörde geht hervor, dass sich der Beschwerdeführer aus Sicht des künftigen Arbeitgebers nicht anders verhalten habe als die anderen Bewerber. Er sei sogar durch seine spontane, offene Art positiv in Erinnerung geblieben. Wie beim Bewerbungsgespräch vereinbart, habe der Beschwerdeführer noch am selben Tag per e-mail seinen Lebenslauf übermittelt. Er sei - dies habe sich aus der Durchsicht seines Lebenslaufes ergeben - nicht für die Stelle geeignet gewesen.
Mit einem im Verwaltungsakt befindlichen e-mail vom 25. April 2003 hat Herr Arno L. (von der regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice) darauf hingewiesen, dass der Beschwerdeführer für das Bewerbungsgespräch keinen Lebenslauf mitgehabt habe, obwohl dies bei Stellen dieser Qualität obligat sei. Im Einladungsschreiben zum Info-Tag sei ausdrücklich auf die Notwendigkeit der Mitnahme eines Lebenslaufes hingewiesen worden.
Angesichts dieser Umstände kann nicht von vornherein davon gesprochen werden, dass die Frage des Zutreffens der Darstellung des Beschwerdeführers über den Verlauf des Vorstellungsgespräches für die Kausalität zwischen dem Verhalten des Beschwerdeführers und dem Nichtzustandekommen des Beschäftigungsverhältnisses, aber auch für den Vorsatz ohne Bedeutung ist. Die belangte Behörde hätte sich daher mit der Darstellung des Beschwerdeführers über den Verlauf des Vorstellungsgespräches auseinander setzen müssen (vgl. das bereits zitierte Erkenntnis Zl. 99/03/0358). Die belangte Behörde hat nicht begründet, weshalb sie den Angaben des Mitarbeiters der regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice, Herrn L., etwa in Bezug auf den Umstand, dass dem Beschwerdeführer im Einladungsschreiben die Mitnahme von Bewerbungsunterlagen aufgetragen worden sei, mehr Glauben schenkt als der entgegengesetzten Darstellung des Beschwerdeführers. Das vom Beschwerdeführer mit der Berufung vorgelegte Einladungsschreiben hat die belangte Behörde nicht in ihre Überlegungen einbezogen. Sie hat auch nicht dargelegt, wieso sie den Angaben des Beschwerdeführers und der Vertreterin des potenziellen Dienstgebers über den konkreten Verlauf des Bewerbungsgesprächs nicht gefolgt ist.
Der angefochtene Bescheid war daher wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG aufzuheben.
Der Zuspruch von Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003.
Wien, am 16. November 2005
Schlagworte
Beweiswürdigung Wertung der BeweismittelAngenommener Sachverhalt (siehe auch Sachverhalt Neuerungsverbot Allgemein und Sachverhalt Verfahrensmängel)Beweismittel ZeugenbeweisSachverhalt Sachverhaltsfeststellung Freie BeweiswürdigungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2005:2003080116.X00Im RIS seit
25.12.2005Zuletzt aktualisiert am
20.05.2011