TE OGH 1989/11/23 13Os147/89

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Veröffentlicht am 23.11.1989
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 23.November 1989 durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Harbich als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Hörburger, Dr. Brustbauer, Dr. Kuch und Dr. Markel als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Dr. Lassmann als Schriftführerin in der Strafsache gegen Ilse H*** wegen des Verbrechens der Tötung eines Kindes bei der Geburt nach § 79 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung der Angeklagten sowie über die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Kreisgerichts Korneuburg als Schöffengerichts vom 3.August 1989, GZ. 11 d Vr 684/88-21, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Nichtigkeitsbeschwerde wird Folge gegeben, das angefochtene Urteil aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Mit ihren Berufungen werden die Staatsanwaltschaft und die Angeklagte auf diese Entscheidung verwiesen.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Ilse H*** des Verbrechens der Tötung eines Kindes bei der Geburt nach § 79 StGB schuldig erkannt. Nach dem Urteilsspruch hat die Angeklagte - noch unter der Einwirkung des Geburtsvorgangs - ihr neugeborenes Kind dadurch getötet, daß sie es unmittelbar nach der Abnabelung in einen Abort warf, wo es ertrank.

Rechtliche Beurteilung

Die Mängelrüge (§ 281 Abs. 1 Z. 5 StPO) zeigt zutreffend einen Widerspruch des Urteils über entscheidende Tatsachen auf, weil der Beschwerdeführerin in den Urteilsgründen - im Gegensatz zu der im Tenor festgestellten Handlung - eine Tötung des Kindes durch Unterlassung (§ 2 StGB) angelastet wird. Diese habe die Angeklagte dadurch begangen, daß sie, als sie bemerkt hatte, daß sie am "Plumpsklosett" ein Kind geboren hatte und wußte, daß das Kind in den Fäkalien lag, es ernstlich für möglich hielt und sich damit abfand, daß das Kind ohne Hilfe sterben (in den Fäkalien ersticken) werde und mit Tötungsvorsatz jede Hilfe unterließ (S. 285). Wird im Urteilsspruch ein bestimmtes Verhalten beschrieben (§ 260 Abs. 1 Z. 1 StPO), dann liegt eben darin jene Tat, deren der betreffende Angeklagte schuldig befunden wurde (§ 260 Abs. 1 Z. 2 StPO). Auf diese - im Urteilssatz individualisierte und subsumierte - Tat beziehen sich folgerichtig die Konkretisierung und die rechtliche Beurteilung in den Entscheidungsgründen (§ 270 Abs. 2 Z. 5 StPO). Richtig ist zwar, daß Urteilsspruch und -gründe eine Einheit bilden; dies hat aber zur Voraussetzung, daß sie sich gegenseitig ergänzen. Im vorliegenden Fall besteht aber zwischen der im Spruch festgestellten (§ 260 Abs. 1 Z. 1 StPO) und dem § 79 StGB zugeordneten (§ 260 Abs. 1 Z. 2 StPO) Handlung und der in den Gründen (§ 270 Abs. 2 Z. 5 StPO) als erwiesen angenommenen Unterlassung ein unlösbarer Widerspruch, der eine entscheidende Tatsache, und zwar die für den Schuldspruch als Ganzes förmlich konstitutive Frage des Tatverhaltens (Handlung oder Unterlassung) betrifft.

Schon wegen dieses geradezu fundamentalen Widerspruchs des Urteils in sich selbst ist eine Verfahrenserneuerung unumgänglich, weshalb bereits bei einer nichtöffentlichen Beratung wie im Spruch zu erkennen war (§§ 285 e, 281 Abs. 1 Z. 5 StPO). Auf die übrigen Beschwerdegründe mußte darnach nicht mehr eingegangen werden. Die Parteien waren mit ihren Berufungen auf die Urteilskassierung zu verweisen.

Anmerkung

E18986

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1989:0130OS00147.89.1123.000

Dokumentnummer

JJT_19891123_OGH0002_0130OS00147_8900000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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