TE OGH 1989/11/23 12Os143/89 (12Os144/89)

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Veröffentlicht am 23.11.1989
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 23.November 1989 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Müller als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Horak, Dr. Felzmann, Dr. Massauer und Dr. Rzeszut als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Edelmann als Schriftführer in der Strafsache gegen Josef Maria M***-G*** wegen Unterbringung in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher nach § 21 Abs 1 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Betroffenen gegen das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck als Schöffengericht vom 16.August 1989, GZ 22 Vr 515/89-44, sowie die Beschwerde der Staatsanwaltschaft gegen den gleichzeitig mit diesem Urteil gefaßten Beschluß, GZ 22 Vr 515/89-45, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Strasser, und des Verteidigers Dr. Johann Kazda, jedoch in Abwesenheit des Betroffenen zu Recht erkannt:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.

Der Berufung wird nicht Folge gegeben.

Der Beschwerde der Staatsanwaltschaft wird ebenfalls nicht Folge gegeben.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde der am 14.Mai 1954 geborene pensionierte Oberleutnant des Bundesheeres Josef Maria M***-G*** gemäß § 21 Abs 1 StGB in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher eingewiesen, weil er Taten, die jeweils mit einer ein Jahr übersteigenden Freiheitsstrafe bedroht sind, nämlich das Vergehen der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs 1 und 2 StGB (1) und die Verbrechen des versuchten Widerstands gegen die Staatsgewalt nach §§ 15, 269 Abs 1, dritter Fall, StGB (2 a) und der absichtlichen schweren Körperverletzung nach § 87 Abs 1 StGB (2 b) verübt hatte, für die er nur deshalb nicht bestraft werden kann, weil er sie unter dem Einfluß eines die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Zustandes (§ 11 StGB) begangen hatte, der auf einer geistigen und seelischen Abartigkeit von höherem Grad beruht, wobei nach seiner Person, nach seinem Zustand und nach der Art der Taten zu befürchten ist, daß er sonst unter dem Einfluß seiner geistigen und seelischen Abartigkeit eine mit Strafe bedrohte Handlung mit schweren Folgen begehen werde.

Inhaltlich dieses Urteilsspruchs hat Josef Maria M***-G*** in Breitenbach in Tirol

1. am 24.Jänner 1989 Maria F*** und Friedrich K*** durch die telefonische Drohung: "Das ist eine Vorwarnung, die Bude geht innerhalb 24 Stunden in die Luft !", wobei er Maria F*** auftrug, Friedrich K*** davon in Kenntnis zu setzen, mit einer Gefährdung durch Sprengmittel gefährlich bedroht, um sie in Furcht und Unruhe zu versetzen;

2. am 24.Februar 1989

a) die Gendarmeriebeamten B***, E*** und H***,

welche im Begriff waren, ihn festzunehmen, um ihn wieder in das Landesnervenkrankenhaus Hall in Tirol zurückzubringen, mit Gewalt und durch gefährliche Drohung, indem er zunächst H*** mit einem Springmesser angriff und schwer verletzte, sowie in der Folge durch die (im Urteilsspruch näher angeführten) teilweise als Todesdrohung anzusehenden Äußerungen an Amtshandlungen, nämlich seiner Festnahme und Wiedereinlieferung in das Landesnervenkrankenhaus, zu verhindern versucht;

b) Isidor H*** durch einen Stich mit dem Springmesser in die linke Brustkorbhälfte eine schwere Verletzung, nämlich eine 6 cm tiefe Stichwunde mit Verletzung der Lunge, absichtlich zugefügt.

Rechtliche Beurteilung

Dieses Urteil ficht der Betroffene mit einer auf § 281 Abs 1 Z 4, 5, 7, 9 lit a und b (in Verbindung mit § 433) StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde und mit Berufung an.

In seinen Verteidigungsrechten fühlt sich der Betroffene durch die Abweisung seines am Schluß der Hauptverhandlung gestellten Antrages beeinträchtigt (Z 4), den (im Anhalteverfahren gehörten) Sachverständigen Dr. Istvan B*** als "Zeugen" zum Beweise dafür zu vernehmen, daß der Betroffene sich zum Tatzeitpunkt nicht in einem die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Zustand befunden hat bzw die Anhaltung über die Dauer von drei Monaten hinaus nicht gerechtfertigt ist (S 338, 339). Gleichzeitig legte der Verteidiger das im Anhalteverfahren L 44/89 des Bezirksgerichtes Hall schriftlich erstattete Gutachten zum Akt, welches verlesen wurde (S 339 in Verbindung mit ON 42).

Nach dem Verständnis des Schöffengerichts und auch nach dem Beschwerdevorbringen handelt es sich hiebei inhaltlich um das Begehren, einen zweiten psychiatrischen Sachverständigen beizuziehen. Da mangels einer abweichenden Regelung in den Bestimmungen der §§ 429 Abs 2 Z 2, 430 Abs 4 StPO die Beiziehung eines weiteren Sachverständigen nur bei Vorliegen der hiefür in der Prozeßordnung allgemein aufgestellten Grundsätze (§ 134 StPO) in Frage kommt (so schon 13 Os 135/76, 9 Os 91/77, 12 Os 44/79), wäre diesem Antrag nur zu entsprechen, wenn dies die Schwierigkeit der Beobachtung oder Begutachtung erfordert (§ 118 Abs 2 StPO) oder Befund und Gutachten des vernommenen Sachverständigen Widersprüche oder Mängel der in §§ 125, 126 StPO bezeichneten Art aufwiesen, die sich nicht durch eine nochmalige Befragung des Sachverständigen beheben lassen.

Keine der angeführten Voraussetzungen ist hier gegeben. Sie werden weder in dem in Rede stehenden Beweisantrag behauptet, noch liegen sie nach der Aktenlage vor. Vielmehr ist der im Zwischenerkenntnis dargelegten Meinung des Schöffengerichts zu folgen (S 340), daß zwischen dem Gutachten des im Strafverfahren beigezogenen Sachverständigen Univ.Prof. Dr. P*** und dem Gutachten des Sachverständigen Dr. B*** im Anhalteverfahren kein Widerspruch besteht, weil beide Sachverständige eine paranoide Psychose des Beschwerdeführers diagnostizierten und sich das Gutachten im Anhalteverfahren weder auf die Zurechnungsfähigkeit des Betroffenen bei Begehung der Anlaßtaten noch auf die spezifische Kriminalitätsprognose im Sinn des § 21 Abs 1 StGB, sondern bloß auf die damit nicht deckungsgleichen Voraussetzungen für die Zulässigkeit der Anhaltung in einer geschlossenen Anstalt bezog (vgl §§ 16 bis 23 EntmO in Verbindung mit § 49 KAG und Art X Z 2 lit a SachwalterG).

Dieser Beweisantrag verfiel daher zu Recht der Ablehnung. Auch mit der Mängelrüge (Z 5) versucht der Betroffene die auf das Gutachten des beigezogenen psychiatrischen Sachverständigen gestützte Feststellung, daß er alle im Spruch genannten Handlungen im Zustand der Zurechnungsunfähigkeit (§ 11 StGB) begangen hat, unter Hinweis auf seiner Meinung nach nicht näher erörterte Ergebnisse des Beweisverfahrens (Angaben des Betroffenen über die erlittene Kopfverletzung seien nicht objektiviert, der Zeuge H*** spreche nur von einem Verwirrtheitszustand des Betroffenen) in Zweifel zu ziehen.

Damit bringt der Beschwerdeführer aber diesen Nichtigkeitsgrund nicht zur gesetzmäßigen Darstellung, weil die sachliche Richtigkeit und die Überzeugungskraft eines den Feststellungen der Tatrichter als unbedenklich zugrunde gelegten Sachverständigengutachtens im Nichtigkeitsverfahren nach § 281 Abs 1 Z 5 StPO nicht mit Erfolg angefochten und bestritten werden kann (Mayerhofer-Rieder2 E 133 zu § 281 Z 4 StPO). Das Gericht war demnach angesichts des von ihm als logisch und widerspruchsfrei beurteilten Inhaltes des Gutachtens des Sachverständigen Dr. P*** nicht gehalten, die Angaben des Zeugen H*** über dessen (laienhaften) Eindruck von der Verwirrtheit und der Alkoholisierung des Betroffenen beim Vorfall am 24.Februar 1989 und schon gar nicht die von diesem Zeugen gezogene Schlußfolgerung auf die Zurechnungsfähigkeit des Betroffenen einer näheren Erörterung zu unterziehen.

Bei den weiteren Beschwerdeausführungen unter Heranziehung der Nichtigkeitsgründe der Z 5 und 9 lit a des § 281 Abs 1 StPO, in denen zum einen mit den Aussagen der Bedrohten im Fall der ersten Anlaßtat (1) argumentiert wird, sie hätten die Drohung nicht ernst genommen, und zum anderen sowohl in bezug auf diese Tat als auch die durch Drohungen versuchte Nötigung der Gendarmeriebeamten (2 a) Feststellungen über die tatsächliche Hervorrufung von Furcht und Unruhe vermißt werden, wird die Rechtslage verkannt. Es ist nämlich weder für den Tatbestand nach § 107 StGB noch für den des § 269 Abs 1 StGB erforderlich, daß die (qualifizierten) Drohungen den Bedrohten tatsächlich in Furcht und Unruhe versetzten, wohl aber, daß die Absicht des Täters darauf gerichtet ist (Mayerhofer-Rieder3 RN 4, 7 zu § 107 StGB).

Entgegen den Ausführungen in der Rechtsrüge wurden die für die rechtliche Subsumtion der Anlaßtaten ausreichenden Urteilsfeststellungen zur subjektiven Tatseite insofern getroffen, als das Schöffengericht ausdrücklich konstatiert, der Betroffene wollte durch die Drohungen die Bedrohten in Furcht und Unruhe versetzen (S 348, 351). Die zu diesen Feststellungen führenden Schlußfolgerungen des Erstgerichts sind auch denkrichtig und lebensnah begründet. Mit dem Einwand, das Erstgericht hätte auf Grund der Angaben der Zeugen F*** und K***, sie hätten die Drohung nicht ernst genommen, feststellen müssen, daß die Äußerung des Betroffenen nicht ernst gemeint gewesen wäre, weil sie ebenso wie die Drohungen gegen die Gendarmeriebeamten als - gleichsam im Überschwang der Erregung ausgestoßene - Unmutsäußerung abgetan werden müßte, versucht der Beschwerdeführer nur eine mögliche, die Überlegungen des Erstgerichtes aber nicht ausschließende Sachverhaltsvariante darzutun und ficht damit neuerlich nur unzulässigerweise die Beweiswürdigung des Schöffengerichts an. Gleiches gilt für die Ablehnung jener Verantwortung des Betroffenen, wonach er im Fall der absichtlichen schweren Körperverletzung in Notwehr gehandelt habe, weil ihm zunächst von einem Gendarmeriebeamten, den er nicht als solchen erkannt hatte, eine Pistole im Rücken angesetzt worden sei und Bezirksinspektor H*** die Faust gegen ihn erhoben habe. Die gegenteiligen Feststellungen des Erstgerichts, denenzufolge der Betroffene zunächst mit erhobenem Messer auf Inspektor E*** zugegangen war, deshalb von dessen Kollegen H*** an der rechten Hand erfaßt wurde und sodann gegen diesen stach, sowie daß keiner der Gendarmeriebeamten die Waffe gegen den Betroffenen gerichtet hatte, ist durch die zu deren Begründung herangezogenen Aussagen dieser Gendarmeriebeamten gedeckt, sodaß auch insoweit ein formaler Begründungsmangel nicht zu erkennen ist.

Zugegeben sei der Mängelrüge (Z 5), daß die Aussage des Zeugen H***, der Beschwerdeführer habe ihn zunächst an seinem Äußeren nicht als Gendarmeriebeamten erkannt (S 335), nicht im Detail erörtert wurde. Im Hinblick auf die ausführlich festgestellten Ereignisse an diesem 24.Februar 1989, an dem der Betroffene schon einmal von Inspektor H*** angehalten worden war, wodurch er auch Kenntnis von der gegen ihn eingeleiteten Gendarmeriefahndung erhalten hatte, und die Art seiner Aufgreifung (S 349), konnten die Tatrichter mängelfrei darauf schließen, daß Josef M***-G*** die Angriffe gegen die ihm gegenübertretenden Personen im Bewußtsein setzte, Gendarmeriebeamte vor sich zu haben, zumal auch aus der Aussage des Zeugen H*** (S 335) in ihrem Zusammenhalt (Ankündigung, der Hund werde kommen, Hören der ihm bekannten Stimme des Zeugen H***) eine gegenteilige Annahme des Betroffenen nicht hervorgeht. Im übrigen läge die Anlaßtat (2 a) auch dann vor, wenn der Betroffene ausschließlich durch seine teilweise als Todesdrohungen anzusehenden gefährlichen Drohungen die Gendarmeriebeamten an der Wiedereinlieferung in das Landesnervenkrankenhaus zu hindern versucht hätte (in diesem Sinn schon 12 Os 144/76).

Soweit die auf § 281 Abs 1 Z 9 lit b StPO gestützte Rechtsrüge Feststellungen darüber vermißt, daß der Betroffene subjektiv sich in einer vermeintlichen Notwehrsituation wähnte und sohin aus der irrtümlichen Annahme eines rechtfertigenden Sachverhaltes heraus gehandelt hatte (S 329), wird übersehen, daß diese vermeintliche Selbstverteidigung als Ausfluß einer pathologischen Geistestätigkeit anzusehen ist (S 323). Ein solcher auf den Einfluß des die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden abnormen Geisteszustandes zurückzuführender Irrtum hat bei Beurteilung der Anlaßtat aber außer Betracht zu bleiben (Leukauf-Steininger2 RN 9 zu § 21 StGB, EvBl 1978/32, SSt 54/45). Diese Verantwortung des Betroffenen bot sohin mangels rechtlicher Relevanz keine Veranlassung für weitere Feststellungen.

Hinsichtlich der vom Beschwerdeführer in bezug auf die unter dem Nichtigkeitsgrund der Z 7 des § 281 Abs 1 StPO geltend gemachten Nichterledigung des im Unterbringungsantrag der Staatsanwaltschaft gestellten Antrages auf Einziehung des Springmessers (§ 26 StGB) fehlt es an der Antragslegitimation (Mayerhofer-Rieder2 E 1 zu § 281 Z 7 StPO).

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher zu verwerfen.

Mit seiner Berufung bemängelt der Betroffene, daß die Urteilsannahmen nicht ausreichen, ihm zu unterstellen, er werde auch in Zukunft strafbare Handlungen mit schweren Folgen begehen, sodaß es insoweit an den Voraussetzungen des § 21 Abs 1 StGB mangle. Dem sind die umfänglichen Feststellungen entgegenzuhalten, die das Gericht über den bisherigen, durch gleichartige Aggressionsdelikte gekennzeichneten Lebenswandel getroffen hat. Die nunmehr vorliegenden Anlaßtaten sind nach Meinung des Sachverständigen Univ.Prof. Dr. P***, der sich das Gericht voll anschloß, ebenfalls auf die sich immer mehr verstärkende paranoide Psychose, gepaart mit chronischem Alkoholmißbrauch, zurückzuführen. Dieses Krankheitsbild läßt geradezu zwangsläufig befürchten, daß der Betroffene auch in Zukunft gleichartige oder sogar noch schwerer wiegende Delikte begehen werde (S 277, 279). Dem Erstgericht ist daher beizupflichten, wenn es aus dem bisherigen Lebensquerschnitt, der Schwere der nunmehr vorliegenden Anlaßtaten (massive Drohungen und eine absichtliche schwere Körperverletzung) und der ungünstigen ärztlichen Beurteilung eine negative Prognose im Sinn des § 21 Abs 1 StGB stellte (siehe hiezu auch SSt 47/32).

Es war daher auch der Berufung der Erfolg zu versagen. Josef M***-G*** war mit dem Urteil des Landesgerichtes Innsbruck vom 20.November 1987, GZ 22 Vr 2849/86-28, der Vergehen des versuchten Widerstandes gegen die Staatsgewalt nach §§ 15, 269 Abs 1 StGB und der Sachbeschädigung nach § 125 StGB schuldig erkannt und nach §§ 28, 269 Abs 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt worden. Unter Anrechnung der Verwahrungs- und Untersuchungshaft vom 30.Juli bis 31.August 1986 verbüßte er diese Strafe in der Zeit vom 17.Mai bis 19.Juli 1988 nur teilweise, weil er mit Beschluß des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Beschwerdegericht vom 19.Juli 1988, AZ 8 Bs 330/88, mit welchem der die bedingte Entlassung ablehnende Beschluß des Landesgerichtes Innsbruck als Vollzugsgericht vom 22.Juni 1988, GZ 20 BE 485/88-6, aufgehoben wurde, gemäß § 46 Abs 1 StGB bedingt entlassen wurde. Der Staatsanwalt beantragte in der Hauptverhandlung (gemäß § 494 a Abs 1 Z 4 StPO) den Widerruf der bedingten Entlassung. Der Verteidiger sprach sich dagegen aus (S 339).

Mit dem angefochtenen Beschluß wurde dieser Widerrufsantrag mit der Begründung abgewiesen, daß es auf Grund der Einweisung des Betroffenen in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher nicht notwendig sei, "die bedingte Strafnachsicht" zu widerrufen (ON 45). Gegen diesen in der Hauptverhandlung verkündeten (S 340) Beschluß meldete die Anklagebehörde rechtzeitig Beschwerde an (ON 48), führte diese aber nicht innerhalb der vierzehntägigen, ab Verkündung laufenden (§ 77 StPO) Frist (so auch LSK 1981/82), sondern erst verspätet (am 19.September 1989) schriftlich aus (ON 52). Die Beschwerde erweist sich aber - unabhängig von ihrer schriftlichen Ausführung - schon aus nachfolgenden grundsätzlichen Erwägungen als unbegründet.

Dem Beschwerdebegehren zufolge soll die bedingte Entlassung aus einer Freiheitsstrafe widerrufen und der Strafrest vollzogen werden. Dies hat gemäß § 53 StGB dann zu geschehen, wenn der Rechtsbrecher entweder wegen einer während der Probezeit begangenen strafbaren Handlung verurteilt wird (Abs 1) oder wenn er während der Probezeit eine Weisung des Gerichtes trotz förmlicher Mahnung aus bösem Willen nicht befolgt oder sich beharrlich dem Einfluß des Bewährungshelfers entzieht (Abs 3). Ein Widerruf nach Abs 1 ist aber an die weitere Voraussetzung gebunden, daß der Vollzug der Strafe, eines Strafteiles oder -restes in Anbetracht der neuerlichen Verurteilung wegen einer strafbaren Handlung zusätzlich zu dieser geboten ist, um den Rechtsbrecher von weiteren strafbaren Handlungen abzuhalten. Was im Strafgesetzbuch unter "strafbarer Handlung" zu verstehen ist, ist mangels einheitlicher Gesetzesterminologie nicht eindeutig festgelegt. Vielmehr ist von Fall zu Fall zu entscheiden, wie dieser Ausdruck in der jeweiligen Verwendung auszulegen ist. Dem im § 53 Abs 3 StGB als Widerrufsgrund konstituierten Ungehorsam gegenüber Weisungen und gegenüber dem Bewährungshelfer

liegt mit den dort normierten subjektiven Bezügen ("... aus bösem

Willen ..."; "... sich beharrlich ... entzieht ...") so deutlich ein

vorwerfbares Fehlverhalten zugrunde, daß auch bei Interpretation des im § 53 Abs 1 StGB festgelegten Widerrufsgrund der Verurteilung wegen einer während der Probezeit begangenen strafbaren Handlung unter letzterer - in Übereinstimmung mit dem überwiegenden Verständnis (Triffterer AT S 41 ff, insbesondere S 44) - ein tatbestandsmäßiges, rechtswidriges und schuldhaftes Verhalten verstanden werden muß. Daraus folgt, daß die Verurteilung wegen Begehung einer mit Strafe bedrohten Handlung (einer "Tat" nach § 21 Abs 1 StGB), die kein Verschulden voraussetzt, als Widerrufsgrund nach § 53 Abs 1 StGB nicht in Frage kommt. Dies ist in einem Tat-Schuld-Strafrecht (§§ 4, 32 StGB) eine rechtslogische Folge. Die Prüfung, ob der Widerruf zusätzlich zur (neuerlichen) Bestrafung erforderlich ist, kann schließlich nur dann sinnvoll sein, wenn der Delinquent durch den Strafvollzug auch tatsächlich beeinflußbar ist, was in der Regel seine Zurechnungsfähigkeit voraussetzen wird. Die Gefährlichkeit des Täters allein kann niemals zu einer Bestrafung, wohl aber, wenn seine Taten (wie hier) entsprechend schwer wiegen, zur Anordnung einer vorbeugenden Maßnahme nach §§ 1 Abs 1, 21 Abs 1 StGB führen (Foregger-Serini4, Anm III zu § 4 StGB). Auch dies legt rechtslogisch den Schluß nahe, daß die Anordnung der Maßnahme nach § 21 Abs 1 StGB niemals zum Anlaß des Widerrufes einer bedingten Strafnachsicht oder einer bedingten Entlassung aus der Strafhaft genommen werden kann. Diese Gesetzesinterpretation findet überdies in der jüngsten Rechtsentwicklung insoferne eine überzeugende Stütze, als in der erst mit 1.Jänner 1990 in Kraft tretenden Bestimmung des § 1 Abs 6 TilgG idF des Art VIII Z 1 und XIX Abs 4 des StRÄG 1987, BGBl 1987/605, ausdrücklich ausgesprochen wurde, daß unter Verurteilung in diesem Gesetz (also im TilgG) auch Urteile zu verstehen sind, mit denen die Unterbringung in einer Anstalt nach § 21 Abs 1 StGB angeordnet wurde; eine Normierung, die nur notwendig ist, wenn man im allgemeinen (also in anderen einschlägigen Gesetzen) Verurteilungen mit einem Ausspruch nach § 21 Abs 1 StGB eben anderen Urteilen, die einen Schuldspruch enthalten, nicht ohne weiteres gleichstellt.

Der Oberste Gerichtshof kommt daher zu dem Ergebnis, daß ein Widerruf einer zufolge bedingter Strafnachsicht (§§ 43, 43 a StGB) oder bedingter Entlassung (§ 46 StGB) auf Probe nachgesehenen Strafe, eines Strafteiles oder Strafrestes wegen einer Verurteilung wegen einer während der Probezeit begangene Tat zum Gegenstand hat, nicht zulässig ist, wenn die Verurteilung zu keinem Schuldspruch, sondern nur zu einer Einweisung in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher nach § 21 Abs 1 StGB (anders § 21 Abs 2 StGB) führt. Der Beschwerde der Staatsanwaltschaft war daher der Erfolg zu versagen.

Eine Kostenentscheidung hat zu entfallen (EvBl 1978/32).

Anmerkung

E19149

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1989:0120OS00143.89.1123.000

Dokumentnummer

JJT_19891123_OGH0002_0120OS00143_8900000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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