TE Vwgh Erkenntnis 2005/11/16 2004/08/0021

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Veröffentlicht am 16.11.2005
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Index

001 Verwaltungsrecht allgemein;
10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);
40/01 Verwaltungsverfahren;

Norm

AVG §17;
AVG §71 Abs1 Z1;
AVG §71 Abs2;
AVG §71;
B-VG Art18 Abs1;
VwRallg;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bernard und die Hofräte Dr. Müller und Dr. Köller als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Müller, über die Beschwerde der M HandelsgesellschaftmbH in W, vertreten durch Dr. Walter Panzer, Rechtsanwalt in 1020 Wien, Praterstraße 9/6, gegen den Bescheid des Bundesministers für soziale Sicherheit, Generationen und Konsumentenschutz vom 18. Dezember 2003, Zl. 225.554/1-3/03, betreffend Wiedereinsetzung und Zurückweisung eines Einspruchs als verspätet in einer Angelegenheit der Versicherungspflicht nach ASVG und AlVG (mitbeteiligte Parteien: 1. Mag. J in W; 2. Wiener Gebietskrankenkasse, 1103 Wien, Wienerbergstraße 15-19;

3. Pensionsversicherungsanstalt, 1021 Wien, Friedrich-Hillegeist-Straße 1; 4. Allgemeine Unfallversicherungsanstalt, 1201 Wien, Adalbert Stifterstraße 65; 5. Arbeitsmarktservice, Landesgeschäftsstelle Wien, 1030 Wien, Landstraßer-Hauptstraße 55- 57), zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Die beschwerdeführende Partei hat dem Bund (Bundesministerin für soziale Sicherheit, Generationen und Konsumentenschutz) Aufwendungen in der Höhe von EUR 51,50 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Bescheid vom 16. Jänner 2001, Zl. VA 9460586/00-Mag.Pa/R, stellte die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse fest, dass die Erstmitbeteiligte in der Zeit vom 20. Juli 1995 bis zum 17. August 1998 auf Grund ihrer Beschäftigung als Übersetzerin bei der Beschwerdeführerin in einem die Voll- und Arbeitslosenversicherungspflicht begründenden Beschäftigungsverhältnis gestanden sei.

Hinsichtlich dieses Bescheides erfolgte nach dem im Akt einliegenden Rückschein am 19. Jänner 2001 ein Zustellversuch an der Anschrift der Beschwerdeführerin, bei dem die Verständigung über die Hinterlegung in das Hausbrieffach eingelegt wurde. Die Hinterlegung (Beginn der Abholfrist) erfolgte laut Rückschein am 22. Jänner 2001 beim Postamt ... Wien.

Einem Aktenvermerk eines Mitarbeiters der mitbeteiligten Gebietskrankenkasse vom 2. Jänner 2002 zufolge hat der Geschäftsführer der Beschwerdeführerin an diesem Tag angerufen; er sei "vom rechtskräftigen Bescheid VA 9460586/00-Mag.Pa/R unterrichtet" worden. Der Anruf sei wegen der Nachtragsvorschreibung für Oktober 2001 erfolgt.

Einem weiteren Aktenvermerk vom 22. Februar 2002 zufolge hat der Geschäftsführer der Beschwerdeführerin am 21. Februar 2002 telefonisch um Übermittlung einer Kopie des Bescheides vom 16. Jänner 2001 ersucht; diese sei am 22. Februar 2002 abgeschickt worden.

Am 8. März 2002 langte bei der mitbeteiligten Gebietskrankenkasse ein Schriftsatz der Beschwerdeführerin mit einem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Einspruchsfrist sowie mit einem Einspruch ein; nach dem beigeschlossenen Rückscheinkuvert war der Schriftsatz am 6. März 2002 zur Post gegeben worden.

Zur Begründung des Wiedereinsetzungsantrages brachte die Beschwerdeführerin vor, die Verständigung von der Hinterlegung des Bescheides der mitbeteiligten Gebietskrankenkasse vom 16. Jänner 2001 sei von der damals langjährig beschäftigten Sekretärin übernommen, aber niemals an den Geschäftsführer weitergeleitet worden. Dies sei erstmalig geschehen und einmalig geblieben und für den Geschäftsführer in keiner Weise vorhersehbar gewesen. Die Sekretärin sei beauftragt gewesen, die Post zu übernehmen und Hinterlegungsanzeigen aus dem Postzustellfach zu entnehmen.

In dem gleichzeitig erhobenen Einspruch brachte die Beschwerdeführerin in der Sache vor.

Mit Bescheid vom 30. September 2002 hat die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse den Wiedereinsetzungsantrag der Beschwerdeführerin als verspätet zurückgewiesen.

In der Begründung wurde ausgeführt, die Zustellung des Bescheides vom 16. Jänner 2001 sei am 22. Jänner 2001 durch Hinterlegung beim zuständigen Postamt erfolgt. Die Beschwerdeführerin habe nicht näher ausgeführt, weshalb ihr Geschäftsführer erst am 28. Februar 2002 von der Zustellung des Bescheides vom 16. Jänner 2001 erfahren habe, sodass sie ihrer Mitwirkungspflicht nicht nachgekommen sei. Der Antrag sei aber auch schon deshalb verspätet, weil der Geschäftsführer der Beschwerdeführerin bereits am 2. Jänner 2002 bei einem Telefonat mit der mitbeteiligten Gebietskrankenkasse erfahren habe, dass ein Bescheid über die Versicherungspflicht erlassen und hinterlegt worden sei. Spätestens an diesem Tag habe die Beschwerdeführerin somit vom Bescheid Kenntnis erlangt. Der Wiedereinsetzungsantrag sei erst am 6. März 2002 zur Post gegeben worden, weshalb er als verspätet zurückzuweisen gewesen sei.

In dem gegen diesen Bescheid erhobenen Einspruch brachte die Beschwerdeführerin vor, eine telefonische Mitteilung stelle keine Prozesshandlung und kein Verhalten der Behörde dar, durch welche die Partei von der Zulässigkeit einer Berufung Kenntnis erlange. Eine solche Kenntnis setze zwingend die Kenntnis von Spruch und Inhalt des zugestellten Bescheides voraus, weil zugleich mit dem Wiedereinsetzungsantrag die versäumte Prozesshandlung nachzuholen sei. Dies sei der Beschwerdeführerin erst ab dem 28. Februar 2002, "nämlich durch die Zustellung des nochmals übersendeten Bescheides möglich" gewesen. Dass dieser Bescheid nachgesendet werde und nicht persönlich habe eingesehen werden müssen, sei vereinbart gewesen. Die "Wiedereinsetzungsfrist" habe daher erst am 29. Februar 2002 zu laufen begonnen.

Mit Bescheid vom 8. Oktober 2003 wies der Landeshauptmann von Wien den gegen die Zurückweisung des Wiedereinsetzungsantrages gerichteten Einspruch als unbegründet ab und den gegen den Bescheid der mitbeteiligten Gebietskrankenkasse vom 16. Jänner 2001 erhobenen Einspruch als verspätet zurück.

Begründend führte der Landeshauptmann von Wien aus, dass von einer Zustellung des Bescheides der mitbeteiligten Gebietskrankenkasse vom 16. Jänner 2001 durch Hinterlegung am 22. Jänner 2001 auszugehen sei. Ebenso sei davon auszugehen, dass der Geschäftsführer der Beschwerdeführerin am 2. Jänner 2002 über die Zustellung des Bescheides in Kenntnis gesetzt worden sei und am 21. Februar 2002 um Übermittlung einer Kopie des Bescheides ersucht habe. Ab Kenntnis vom Zustellvorgang sei eine Partei in die Lage versetzt, durch geeignete Handlungen, etwa Akteneinsicht bei der Behörde, die Unkenntnis vom Inhalt des Bescheides zu beenden (Hinweis auf das Erkenntnis vom 12. November 1996, Zl. 95/19/0392). Ein unabwendbares oder unvorhergesehenes Ereignis könne nur darin liegen, dass eine Partei vom Zustellvorgang keine Kenntnis erlangt habe. Da der Geschäftsführer der Beschwerdeführerin am 2. Jänner 2002 vom Zustellvorgang Kenntnis erlangt habe, sei der am 6. März 2002 zur Post gegebene Antrag verspätet gewesen. Dementsprechend sei auch der Einspruch als verspätet zurückzuweisen gewesen.

In der gegen diesen Bescheid erhobenen Berufung brachte die Beschwerdeführerin vor, ihrem Geschäftsführer sei anlässlich des aktenkundigen Telefonates ausdrücklich mitgeteilt worden, dass ihm der zugestellte Bescheid nochmals übersandt werde. Es sei vereinbart worden, dass eine Akteneinsicht durch persönliches Erscheinen nicht erforderlich sei. Der Geschäftsführer habe auch eindeutig klar gelegt, dass er von dem Bescheid nie Kenntnis erlangt und deshalb eine neuerliche Zustellung beantragt habe. Die Behörde habe daher nicht bezweifeln können, dass der Geschäftsführer mit dem Bescheid nicht einverstanden sei und sich dagegen nach Maßgabe seiner rechtlichen Möglichkeiten zur Wehr setzen wolle. Bei ordnungsgemäßem Vorgehen hätte die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse dem Geschäftsführer unmissverständlich mitteilen müssen, an welchem Tag der Bescheid angeblich durch Hinterlegung zugestellt worden sei und dass für den Fall der Erhebung eines Antrages auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand eine Frist mit dem Tag des genannten Telefonates in Gang gesetzt würde. Beides sei nicht erfolgt. Anlässlich des Telefonates habe der Beschwerdeführer nicht erfahren, wann genau der Bescheid zugestellt worden sein soll, sondern lediglich, dass der die Beitragspflicht festsetzende Bescheid zugestellt worden sei. Nach diesem Gespräch habe der Geschäftsführer der Beschwerdeführerin davon ausgehen können, dass der Bescheid nochmals zugestellt werde und erst dadurch der Lauf einer Rechtsmittelfrist ausgelöst werde. Er habe bei dem Gespräch darauf hingewiesen, dass aus seiner Sicht der Bescheid nie zugestellt worden sei und er davon auch keine Kenntnis erlangt habe. Die Erklärungen des Mitarbeiters der mitbeteiligten Gebietskrankenkasse bei diesem Telefonat kämen einer unrichtigen Rechtsbelehrung gleich.

Mit dem angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde der Berufung keine Folge und wies einen dort gestellten Antrag auf aufschiebende Wirkung zurück.

In der Begründung gab sie das Verwaltungsgeschehen wieder und traf nach Darstellung der anzuwendenden Rechtsnormen folgende Feststellungen:

"Der Bescheid der Wiener Gebietskrankenkasse vom 16.01.2001, VA 9460586/00-Mag.Pa/R wurde nach einem erfolglosen Zustellversuch vom 19.01.2001 beim zuständigen Postamt hinterlegt, wobei Beginn der Abholfrist der 22.01.2001 war. Mit diesem Datum gilt der Bescheid auch als zugestellt und hat die Rechtsmittelfrist zu laufen begonnen. Auf Grund eines Versehens der Sekretärin des anwaltlichen Vertreters des Geschäftführers, Herrn G., verabsäumte diese, (den Beschwerdeführervertreter) über die Hinterlegung des Schriftstückes zu informieren. Am 2.01.2002 rief der Geschäftsführer der Beschwerdeführerin bei der Wiener Gebietskrankenkasse wegen der Nachtragsvorschreibung,

2. Nachtrag, 10/2001 an. Er wurde über die seinerzeitige Erlassung des oben genannten Bescheides und die Zustellung in Kenntnis gesetzt. (Der Geschäftsführer der Beschwerdeführerin) ersuchte die (mitbeteiligte Gebietskrankenkasse) am 21.02.2002 um Übermittlung einer Kopie dieses Bescheides. Diesem Ersuchen wurde am 22.02.2002 auch nachgekommen. Die (Beschwerdeführerin), vertreten durch (den Beschwerdeführervertreter), hat mit einem nicht datierten Schreiben, das Kuvert trägt den Poststempel vom 6.03.2002, einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und Einspruch erhoben."

Dieser "unbestrittene Sachverhalt" ergebe sich - so die belangte Behörde weiter - aus dem Akt der mitbeteiligten Gebietskrankenkasse und dem Akt des Landeshauptmannes von Wien.

In rechtlicher Hinsicht ging die belangte Behörde von einer Zustellung des Bescheides der mitbeteiligten Gebietskrankenkasse vom 16. Jänner 2001 am 22. Jänner 2001 aus. Die Rechtmittelfrist habe demnach am 22. Februar 2001 geendet, weshalb der am 6. März 2002 zur Post gegebene Einspruch verspätet sei.

Zum Wiedereinsetzungsantrag führte die belangte Behörde aus, dass schon das Versehen der Sekretärin ein Verschulden begründete und die Wiedereinsetzung ausschließe, weil eine entsprechende Überwachungspflicht vernachlässigt worden sei (Hinweis auf das Erkenntnis vom 7. März 1983, Zl. 82/10/0194). Unter Hinweis auf das Erkenntnis vom 27. Mai 1991, Zl. 91/19/0084, führte die belangte Behörde aus, dass der Geschäftsführer der Beschwerdeführerin am 2. Jänner 2002 über die Erlassung und Zustellung des genannten Bescheides in Kenntnis gesetzt worden sei, weshalb ab diesem Zeitpunkt die zweiwöchige Frist zur Einbringung eines Wiedereinsetzungsantrages zu laufen begonnen habe. Daher sei auch der später gestellte Wiedereinsetzungsantrag verspätet. Unkenntnis des Gesetzes, mangelnde Rechtskenntnis oder ein Rechtsirrtum seien keine die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand rechtfertigende unvorhergesehene oder unabwendbare Ereignisse.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften erhobene Beschwerde. Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und - ebenso wie die mitbeteiligte Unfallversicherungsanstalt - von der Erstattung einer Gegenschrift Abstand genommen. Die Erstmitbeteiligte hat eine Gegenschrift erstattet.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

§ 17 Abs. 1 und 2 ZustG lauten:

"(1) Kann die Sendung an der Abgabestelle nicht zugestellt werden und hat der Zusteller Grund zur Annahme, dass sich der Empfänger oder ein Vertreter im Sinne des § 13 Abs. 3 regelmäßig an der Abgabestelle aufhält, so ist das Schriftstück im Falle der Zustellung durch die Post beim zuständigen Postamt, in allen anderen Fällen aber beim zuständigen Gemeindeamt oder bei der Behörde, wenn sie sich in derselben Gemeinde befindet, zu hinterlegen.

(2) Von der Hinterlegung ist der Empfänger schriftlich zu verständigen. Die Verständigung ist in den für die Abgabestelle bestimmten Briefkasten (Briefeinwurf, Hausbrieffach) einzulegen, an der Abgabestelle zurückzulassen oder, wenn dies nicht möglich ist, an der Eingangstüre (Wohnungs-, Haus-, Gartentüre) anzubringen. Sie hat den Ort der Hinterlegung zu bezeichnen, den Beginn und die Dauer der Abholfrist anzugeben sowie auf die Wirkung der Hinterlegung hinzuweisen."

Gemäß § 17 Abs. 3 leg. cit. ist die hinterlegte Sendung mindestens zwei Wochen zur Abholung bereitzuhalten. Der Lauf dieser Frist beginnt mit dem Tag, an dem die Sendung erstmals zur Abholung bereitgehalten wird. Hinterlegte Sendungen gelten mit dem ersten Tag dieser Frist als zugestellt.

Nach der Aktenlage, die von der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid zutreffend wiedergegeben wurde, wurde der Bescheid der mitbeteiligten Gebietskrankenkasse vom 16. Jänner 2001, Zl. VA 9460586/00-Mag.Pa/R, nach einem Zustellversuch am 19. Jänner 2001, an welchem Tag auch die Verständigung von der Hinterlegung in das Hausbrieffach der Beschwerdeführerin eingelegt worden ist, am 22. Jänner 2001 beim Postamt ... hinterlegt. An diesem Tag begann auch die Abholfrist, sodass nach der dargestellten Rechtslage von einer Zustellung des Bescheides am 22. Jänner 2001 auszugehen ist.

Die Wirksamkeit der Zustellung des genannten Bescheides wird in der Beschwerde nicht in Zweifel gezogen, sondern im Hinblick auf den geltend gemachten Wiedereinsetzungsgrund vorausgesetzt und vorgebracht, dass die Weiterleitung der Verständigung von der Hinterlegung durch die Sekretärin des Beschwerdeführervertreters (gemeint: des Geschäftsführers) irrtümlich unterblieben sei und der Geschäftsführer vom Inhalt des zugestellten Bescheides erst nach der - neuerlichen - Übersendung an die Beschwerdeführerin Kenntnis erlangt habe. Erst ab dann beginne die Antragsfrist zu laufen.

§ 71 AVG lautet in den hier maßgeblichen Passagen:

"(1) Gegen die Versäumung einer Frist oder einer mündlichen Verhandlung ist auf Antrag der Partei, die durch die Versäumung einen Rechtsnachteil erleidet, die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn:

1. die Partei glaubhaft macht, daß sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis verhindert war, die Frist einzuhalten oder zur Verhandlung zu erscheinen und sie kein Verschulden oder nur ein minderer Grad des Versehens trifft, oder

2. die Partei die Rechtsmittelfrist versäumt hat, weil der Bescheid

keine Rechtsmittelbelehrung, keine Rechtsmittelfrist oder fälschlich die Angabe enthält, dass kein Rechtsmittel zulässig sei.

(2) Der Antrag auf Wiedereinsetzung muss binnen zwei Wochen nach dem Wegfall des Hindernisses oder nach dem Zeitpunkt, in dem die Partei von der Zulässigkeit der Berufung Kenntnis erlangt hat, gestellt werden.

(3) Im Fall der Versäumung einer Frist hat die Partei die versäumte Handlung gleichzeitig mit dem Wiedereinsetzungsantrag nachzuholen.

...

(5) Gegen die Versäumung der Frist zur Stellung des Wiedereinsetzungsantrages findet keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand statt."

Als Hindernis im Sinne des § 71 Abs. 2 AVG ist jenes Ereignis zu verstehen, das die Fristeinhaltung verhindert hat. Die Frist zur Erhebung eines Antrages auf Wiedereinsetzung berechnet sich nach dem Zeitpunkt des Wegfalles des der Einhaltung der versäumten Frist entgegenstehenden Hindernisses (vgl. die bei Walter/Thienel, Verwaltungsverfahren I2, E 321 ff zu § 71 AVG wiedergegebene Rechtsprechung).

Ein unabwendbares oder unvorhergesehenes Ereignis im Sinne des § 71 Abs. 1 Z 1 AVG liegt nicht darin, dass eine Partei den Inhalt des Bescheides bis zu dem Zeitpunkt, als dieser tatsächlich zugegangen ist, nicht kennt; ein solches Ereignis kann nur darin liegen, dass die Partei vom Zustellvorgang selbst nicht Kenntnis erlangt hat. Denn ab Kenntnis des Zustellvorganges ist die Partei in die Lage versetzt, durch geeignete Handlungen (etwa Akteneinsicht bei der Behörde) die Unkenntnis vom Inhalt des Bescheides zu beenden (vgl. das Erkenntnis vom 12. November 1996, Zl. 95/19/0392).

Im Beschwerdefall bestand das Hindernis an der rechtzeitigen Einbringung des Einspruches in dem Umstand, dass der Geschäftsführer der Beschwerdeführerin von der Zustellung des erstinstanzlichen Bescheides keine Kenntnis erlangt hat. Dieses Hindernis ist weggefallen, als dem Geschäftsführer am 2. Jänner 2002 mitgeteilt wurde, "vorgeschriebene Zahllasten seien bescheidmäßig vorgeschrieben worden" (so die Beschwerde wörtlich). Ab diesem Zeitpunkt begann die Frist zur Stellung eines Wiedereinsetzungsantrages zu laufen.

Es kommt nämlich nicht - wie die Beschwerdeführerin fälschlich in der Beschwerde meint - darauf an, dass der Geschäftsführer bereits bei dem dargestellten Telefonat vom konkreten Inhalt des Bescheides erfahren hat. Entscheidend ist die Kenntnisnahme von der Zustellung des Bescheides, von dem der Geschäftsführer wusste, welche Behörde ihn erlassen hat, sodass er sich Kenntnis vom Inhalt des Bescheides hätte verschaffen können.

Die von der Beschwerdeführerin auch noch in der Beschwerde aufgestellte Behauptung, bei dem genannten Telefonat habe man ihm die "nochmalige Übersendung des Bescheides im Original zugesagt", hat selbst bei ihrem Zutreffen keinen Einfluss auf den Beginn und den Lauf der Frist für den Wiedereinsetzungsantrag. Es vermögen nämlich behördliche Auskünfte und Zusagen mangels einer gesetzlich angeordneten bindenden Wirkung die Nichtanwendung bindender gesetzlicher Regelungen nicht zu rechtfertigen (vgl. Walter/Thienel aaO, E 123 zu § 71 AVG).

Nach dem Gesagten erweist sich die von der belangten Behörde vertretene Rechtsansicht, der Wiedereinsetzungsantrag sei verspätet eingebracht worden und damit - ebenso wie der gleichzeitig eingebrachte Einspruch - zurückzuweisen gewesen, als zutreffend. Auf das Vorbringen zum Wiedereinsetzungsgrund war demnach nicht mehr einzugehen.

Insgesamt war die Beschwerde gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003, BGBl. II Nr. 333.

Wien, am 16. November 2005

Schlagworte

Rechtsgrundsätze Treu und Glauben erworbene Rechte VwRallg6/2

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2005:2004080021.X00

Im RIS seit

08.01.2006

Zuletzt aktualisiert am

18.02.2010
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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