Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof. Dr. Petrasch als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Hule, Dr. Warta, Dr. Klinger und Dr. Angst als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden und widerbeklagten Partei Rosemarie S*** geb. D***, geb. 5. Februar 1952, Hausfrau, Wenns, Bergle 305, vertreten durch Dr. Hermann Schöpf, Rechtsanwalt in Landeck, wider die beklagte und widerklagende Partei Anton S***, geb. 8. Mai 1952, Landwirt und Arbeiter, Mieming, Untermieming 10, vertreten durch Dr. Manfred Opperer, Rechtsanwalt in Telfs, wegen Ehescheidung und Unterhalt, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck als Berufungsgerichtes vom 29. November 1988, GZ. 3 a 510, 519/88-29, womit infolge Berufung beider Parteien das Urteil des Bezirksgerichtes Silz vom 28. Juni 1988, GZ. 1 C 1010/87x-21, teils bestätigt, teils abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen und zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision der Klägerin und Widerbeklagten wird teilweise Folge gegeben.
Das Urteil des Berufungsgerichtes wird in seinem Ausspruch über das Verschulden dahin abgeändert, daß in diesem Umfang das im Ausspruch über die Ehescheidung mangels Anfechtung in Rechtskraft erwachsene Urteil des Erstgerichtes als Teilurteil wiederhergestellt wird.
In seinem Ausspruch über das Unterhaltsbegehren wird das Urteil des Berufungsgerichtes aufgehoben und diesem eine neue Entscheidung aufgetragen.
Die Entscheidung über die Kosten des Berufungsverfahrens und des Revisionsverfahrens wird dem Endurteil vorbehalten.
Text
Entscheidungsgründe:
Die Klägerin und Widerbeklagte (im folgenden kurz: Klägerin) und der Beklagte und Widerkläger (im folgenden kurz: Beklagter) beantragten in Klage und Widerklage jeweils die Scheidung der Ehe wegen schwerer Eheverfehlungen des anderen Teils. Die Klägerin begehrte überdies einen monatlichen Unterhaltsbetrag von 4.000 S. Das Erstgericht sprach die Scheidung aus beiderseitigem Verschulden aus und verurteilte den Beklagten zur Leistung eines monatlichen Unterhaltes von 3.000 S. Die Abweisung des Unterhaltsmehrbegehrens erwuchs in Rechtskraft.
Das Berufungsgericht änderte das Urteil des Erstgerichtes dahin ab, daß die Ehe aus dem überwiegenden Verschulden der Klägerin geschieden und das gesamte Unterhaltsbegehren abgewiesen wurde. Beide Vorinstanzen gingen von folgenden Tatsachenfeststellungen aus:
Die Streitteile haben am 24. April 1982 die Ehe geschlossen. Ihrer Ehe entstammen die Kinder Andreas, geboren 24. Dezember 1982, und Birgit, geboren 30. Juni 1986. Die Klägerin brachte in den ehelichen Haushalt ihr uneheliches Kind Thomas, geboren 21. Mai 1979 mit. Im ehelichen Haushalt lebten auch die Mutter, bis vor einigen Jahren auch der Vater und eine Tante des Beklagten. Zur Zeit der Eheschließung betrieb der Beklagte eine Landwirtschaft mit 25 Stück Vieh. Im Jahr 1985 nahm der Beklagte im Einverständnis mit der Klägerin einen Posten als Arbeiter in einer Klinik an und reduzierte den Viehstand auf fünf Milchkühe, zwei bis drei Stück Jungvieh und einige Schweine und Hühner. Der Betrieb ist voll mechanisiert, eine Melkmaschine ist vorhanden. Seit dem Jahr 1985 verrichtete die Klägerin alle Arbeiten in der Landwirtschaft. Sie bediente auch die Melkmaschine und besorgte das Ausmisten des Stalles. Wenn der Beklagte in der Klinik Dienst zu versehen hatte, half seine Mutter bei den Stallarbeiten. Wenn der Beklagte daheim war, machte er die Stallarbeiten allein. Die Feldarbeiten wurden nur erledigt, wenn der Beklagte zu Hause war. Nach Ansicht des Beklagten war die Klägerin infolge der Ausrüstung des Betriebes mit modernen Maschinen durch die landwirtschaftlichen Arbeiten nicht übermäßig belastet. Er ist von trockener Art und mit Lob und Anerkennung zurückhaltend. Von den Vorzügen der Klägerin redete er wenig, eher neigte er dazu, sie zu kritisieren. Ihre Arbeit hat er nie anerkannt, sondern ihre Leistungen als unbedeutend heruntergesetzt, worunter die Klägerin sehr litt. Bei der Kindererziehung warf er ihr vor, sie sei gegen die ehelichen Kinder strenger als mit ihrem unehelichen Kind. Im sexuellen Bereich vertrat der Beklagte die Ansicht, daß ihm ein Anspruch auf Hingabe zustehe und daß sich die Klägerin nicht verweigern dürfe, auch wenn sie müde sei, die Regel habe oder einen Verkehr nicht wünsche oder wenn er unter Alkoholeinfluß stand. Wenn er gereizt war, hielt er nicht mit Beschimpfungen zurück. Er vertrug keine Kritik und erwiderte diese mit Grobheiten. Gelegentlich drohte er der Klägerin mit Ohrfeigen, was aber nicht sehr ernst zu nehmen war, weil er sie nie mißhandelt hat.
Die Klägerin hat ihren Eltern gegenüber geklagt, daß der Beklagte unverständig sei und sie beschimpfe und bedrohe. Sie war dem Streß des Alltags und des in einem landwirtschaftlichen Betrieb eingebundenen Familienlebens nicht gewachsen. Die provozierte den Beklagten, indem sie sich gehen ließ und ihr Äußeres vernachlässigte, und reagierte auf Vorhalte des Beklagten gereizt. Zu einer Aussprache waren beide Teile weder fähig noch willens. Die Streitteile lebten vielmehr nebeneinander her und ihre Ehe wurde zunehmend entfremdet.
Schon einige Zeit vor dem 16. November 1987 reifte bei der Klägerin der Entschluß, die Ehegemeinschaft zu verlassen. Im November 1987 verbrachte die Mutter des Beklagten einen Erholungsurlaub, die Klägerin bat ihre Mutter, während dieser Zeit zu den Streitteilen zu kommen. Der Beklagte war damit zwar nicht einverstanden, unternahm aber gegen die Anwesenheit der Mutter der Klägerin zunächst nichts. Wenige Tage vor dem 15. November 1987 traf die Klägerin eine Schwägerin und sagte zu ihr, als die Rede auf den Urlaub der Mutter des Beklagten kam, daß sie sich nun auch einen Urlaub verschaffen werde, es gehe doch nicht.
Am 15. November 1987 kam der Beklagte um 19,30 Uhr vom Dienst nach Hause. Es fiel ihm auf, daß die Klägerin ungepflegt aussah und schon längere Zeit die Haare nicht gewaschen hatte. Er fragte sie in herrischem Ton, was sie heute für einen Kopf auf habe, und bemängelte, daß sie sich wenig für ihn herrichte. Die Klägerin reagierte gereizt und sagte, sie habe den ganzen Tag gearbeitet; es sei ihre Sache, wie sie ihren Kopf herrichte, das gehe den Beklagten nichts an. Der Beklagte verließ daraufhin zornig das Haus und kam nach einem Gasthausbesuch erst gegen 22 Uhr bis 23,30 Uhr zurück. Als er sich eben hinlegen wollte oder schon lag, wollte die Mutter der Klägerin mit ihm reden und hielt ihm die gemachte Äußerung und die große Arbeitsbelastung der Klägerin vor. Der Beklagte sagte schließlich, die Mutter der Klägerin solle verschwinden, er habe sie nicht herbestellt. Sie habe hier nichts verloren. Als die Klägerin hinzukam, sagte er auch zu ihr, sie solle verschwinden, er brauche beide (die Klägerin und ihre Mutter) nicht. Er werde bald einmal eine andere Frau haben. Eine ernsthafte Aufforderung, ihn zu verlassen, war dies nicht, sondern nur eine unüberlegte Unmutsäußerung. die Klägerin sagte darauf zum Beklagten, sie werde ihn am nächsten Tag mit den Kindern verlassen, sie lasse sich nicht hinauswerfen.
Tatsächlich derließ die Klägerin den Beklagten mit den Kindern am 16. November 1987, zog zu ihren Eltern und kehrte nicht mehr in den ehelichen Haushalt zurück. Einmal versuchte der Beklagte mit einer Schwester der Klägerin ins Gespräch zu kommen, diese wollte sich aber nicht einmischen. Als die Klägerin etwa drei Wochen nach ihrem Auszug die Kinderkleider holte, wollte sie mit dem Beklagten sprechen, der gerade im Stall arbeitete; der Beklagte lehnte es aber ab, seine Arbeit zu unterbrechen, oder meinte, man könne auch im Stall über alles reden.
Zusätzlich zu diesen schon vom Erstgericht getroffenen und vom Berufungsgericht voll übernommenen Feststellungen traf das Berufungsgericht noch folgende weitere Tatsachenfeststellungen:
Der Grund für die Meinungsverschiedenheiten und Streitigkeiten zwischen den Streitteilen waren im wesentlichen die Landwirtschaft des Beklagten und die damit für die Klägerin neben der Haushaltsführung und der Betreuung der Kinder verbundenen Belastungen. Die aus einer nichtbäuerlichen Familie stammende Klägerin fühlte sich durch die Arbeiten in der Landwirtschaft überfordert. Sie drängte den Beklagten immer wieder, den Viehstand noch weiter einzuschränken oder die Landwirtschaft ganz aufzugeben. Diesem Wunsch trat aber der Beklagte stets klar entgegen und zeigte auch keine Gesprächsbereitschaft. Ein völliges Auflassen der Landwirtschaft kam auch deshalb für ihn nicht in Frage, weil er den Betrieb seinen Kindern erhalten wollte. Weitere konkrete Anlässe für erhebliche Meinungsverschiedenheiten und Streitigkeiten, bei denen der Beklagte die Meinung der Klägerin nicht gelten ließ und sich zu den schon vom Erstgericht festgestellten Verhaltensweisen hinreißen ließ, können nicht festgestellt werden.
Auf Grund des vom Erstgericht festgestellten Sachverhaltes war dieses der Ansicht, daß beide Teile Eheverfehlungen begangen hätten, ohne daß das Verschulden des einen Teiles überwiege. Das Berufungsgericht gelangte hingegen auf Grund der etwas erweiterten Tatsachengrundlage zum Ergebnis, daß das überwiegende Verschulden bei der Klägerin liege. - Auf das Unterhaltsbegehren und die dazu in der Berufung des Beklagten vorgetragenen rechtlichen Gesichtspunkte ging das Berufungsgericht auf Grund seiner Rechtsansicht zur Verschuldensfrage nicht ein. Nach der Entscheidung des Berufungsgerichtes war auch die Kostenrüge des Beklagten gegenstandslos.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision der Klägerin ist teilweise berechtigt. Für das Verschulden am Scheitern einer Ehe ist das Gesamtverhalten maßgebend (EFSlg 51.642), es ist vor allem zu berücksichtigen, wer mit der schuldhaften Zerrüttung der Ehe begonnen und die entscheidenden Beiträge zur unheilbaren Zerrüttung der Ehe geleistet hat (EFSlg 51.643). Nach schon eingetretener Zerrüttung der Ehe begangene Eheverfehlungen können nicht mehr eine entscheidende Rolle spielen (EFSlg 51.653, 51.654). Ein überwiegendes Verschulden des einen Teils kann nur angenommen werden, wenn die Schuld des einen Gatten erheblich schwerer wiegt und das Verschulden des anderen fast völlig in den Hintergrund tritt (EFSlg 51.658). Der Unterschied muß offenkundig und augenscheinlich hervortreten (EFSlg 51.659, 51.660).
In Anwendung dieser Grundsätze ist nach den vom Berufungsgericht insgesamt getroffenen Tatsachenfeststellungen der Ausspruch des überwiegenden Verschuldens eines der beiden Streitteile nicht berechtigt.
Als die Streitteile übereinkamen, daß der Beklagte einen auswärtigen Ausbildungsplatz antritt und die Klägerin dafür mehr Arbeit in der Landwirtschaft auf sich nimmt, war wohl bei beiden Teilen guter Wille vorhanden. Die Klägerin mußte wissen, daß sie damit eine erhebliche Mehrbelastung auf sich nehme, und durfte dann nicht ständig über die Arbeit jammern, der Beklagte mußte wissen, daß er damit der nicht aus einer Landwirtschaft kommenden Klägerin eine schwere Belastung zusann. Wenn er dann die Leistungen der Klägerin ständig bagatellisierte und herabsetzte und über eine Änderung der Verhältnisse (zB Auflassung der Landwirtschaft oder vielleicht auch Aufgabe der Arbeitsstelle in der Klinik in Verbindung mit entsprechender Wiedererweiterung der Landwirtschaft) nicht einmal reden wollte, dann ist für diese Phase der ehelichen Beziehungen auf Seiten des Beklagten das schwerere Fehlverhalten gegeben.
Im sexuellen Bereich hat der Beklagte durch sein rücksichtsloses Verhalten (Verlangen eines Verkehrs auch zur Zeit der Monatsregel oder wenn er alkoholisiert war) noch einen weiteren Schuldbeitrag zur allmählichen Zerrüttung der Ehe gesetzt. Bei der gegebenen Arbeitsüberlastung der Klägerin spielte demgegenüber ihr Fehlverhalten, sich im Aussehen gehen zu lassen, in diesem Bereich eine geringere Rolle.
Nicht zu entschuldigen ist weiters, daß der Beklagte die Klägerin, wenn er gereizt war, wiederholt beschimpfte und ihr gelegentlich Ohrfeigen androhte. Auch wenn er diese Drohungen nie wahr machte, behandelte er dadurch die Klägerin doch in sehr herabsetzender Weise. Demgegenüber ist von der Klägerin nur festgestellt, daß sie auf Vorhaltungen des Beklagten "gereizt" reagierte. Auch in der Form des persönlichen Umgangs hat sich somit der Beklagte wesentlich rücksichtsloser verhalten als die Klägerin. Beiden Teilen ist nach den getroffenen Feststellungen etwa in gleicher Weise anzurechnen, daß sie miteinander keine Gespräche führten sondern mehr oder weniger nebeneinander herlebten. Bis zum November 1987 liegt also die Hauptschuld beim Beklagten. Der Vorfall vom 15. November 1987 zeigt auf Seiten des Beklagten wieder dessen grobe und herabsetzende Art der Behandlung der Klägerin. Andererseits war aber dieser Vorfall doch kein ausreichender Grund für die Klägerin, die häusliche Gemeinschaft eigenmächtig aufzuheben. Das Berufungsgericht hat daher in diesem Schritt mit Recht eine sehr schwere Eheverfehlung der Klägerin erblickt. Dadurch, daß sie den Beklagten endgültig verließ, hat sie einen letzten und besonders schwerwiegenden Beitrag zur endgültigen Zerrüttung der Ehe geleistet, der neben den Verfehlungen des Beklagten nicht in den Hintergrund treten kann. In diesem Zusammenhang ist aber festzuhalten, daß der Beklagte nach den getroffenen Feststellungen nach der Ankündigung der Klägerin, sie werde ihn verlassen, keine wirklichen Versöhnungsversuche unternahm. Er erklärte der Klägerin nicht, daß seine Aufforderung zu verschwinden, nicht ernst gemeint gewesen sei, und er ließ sich auch auf das Gespräch mit der Klägerin nicht ernsthaft ein, das sie drei Wochen nach der Trennung anbot. Wegen der vorangegangenen Eheverfehlungen des Beklagten und wegen seines Verhaltens nach der Mitteilung des Entschlusses der Klägerin, sie werde ihn verlassen, kann entgegen der Beurteilung des Berufungsgerichtes im Verlassen des Beklagten keine so schwere Eheverfehlung der Klägerin erblickt werden, daß daneben das Verschulden des Beklagten fast zu vernachlässigen wäre. Alles in allem ist vielmehr keinem Teil erheblich mehr vorzuwerfen als dem anderen.
Es war daher im Ausspruch über die Scheidung das Urteil des Erstgerichtes wiederherzustellen. Da das Berufungsgericht das Unterhaltsbegehren nicht zu beurteilen hatte, mußte die Sache in diesem Umfange an das Berufungsgericht zurückverwiesen werden. Die Kostenentscheidung stützt sich auf § 52 Abs 2 ZPO.
Anmerkung
E19470European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1989:0030OB00564.89.1129.000Dokumentnummer
JJT_19891129_OGH0002_0030OB00564_8900000_000