Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Samsegger als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schobel, Dr. Melber, Dr. Schlosser und Dr. Redl als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Gertraud S***, Hausfrau, Grazerstraße 44, 8045 Graz, vertreten durch Dr. Hanspeter Pausch, Rechtsanwalt in Graz, wider die beklagte Partei Ing. Gerhard S***, Angestellter, Schüttaustraße 1/39, 1220 Wien, vertreten durch Dr. Ernst Gruber, Rechtsanwalt in Wien, wegen Unterhaltes (Streitwert S 144.000) infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes für ZRS Wien als Berufungsgerichtes vom 12. Juni 1989, GZ. 44 R 1029/89-86, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Bezirksgerichtes Floridsdorf vom 2. Dezember 1988, GZ. 3 C 15/87-73, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluß
gefaßt:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Text
Begründung:
Die Ehe der Streitteile, der die am 13. Juni 1971 geborene Tochter Birgit entstammt, wurde aus dem überwiegenden Verschulden des Beklagten geschieden. Im Scheidungszeitpunkt waren die Klägerin 45 und der Beklagte 41 Jahre alt. Die Klägerin ist seit der Geburt ihrer Tochter im Haushalt tätig. Vorher war sie nach Pflichtschulbesuch und Büroausbildung mehrere Jahr als (Chef-)Sekretärin beschäftigt gewesen.
Die Klägerin begehrte vom Beklagten einen monatlichen Unterhalt von S 4.000 ab 1. Mai 1985. Der Beklagte beantragte Klagsabweisung. Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Es stellte - soweit für die Erledigung der Revision bedeutsam - fest:
Im letzten Jahrzehnt wird das Berufsbild der (Chef-)Sekretärin zunehmend von der elektronischen Datenverarbeitung (EDV) geprägt. Es kann diesem Beruf ohne Kenntnisse in diesem Bereich und ohne Bildschirmarbeit nicht mehr erfolgreich nachgegangen werden, so daß Fachkräfte ohne Kenntnisse in dieser Technologie auf dem Arbeitsmarkt keine Aussicht auf eine angemessene Anstellung mehr haben. Daher könnte auch die Klägerin ohne besondere Weiterbildung in dieser Technologie keine Stellung als (Chef-)Sekretärin mehr finden. So stehen im Raum Graz weit über 700 vorgemerkten Personen bloß fünf offene Stellen als Chefsekretärinnen und 53 als Bürosekretärinnen gegenüber. Selbst bei Weiterbildung bzw. Schulung in den Bereichen EDV und Bildschirmarbeit könnte nicht damit gerechnet werden, daß die Klägerin innerhalb eines Jahres eine entsprechende (Teilzeit-)Beschäftigung finden könnte. Bei unqualifizierten, zumeist Frauen vorbehaltenen Hilfsarbeiten, wie jenen der Raumpflegerin, ist die Arbeitsmarktsituation im Raum Graz zwar günstiger, doch kommt eine Verweisung auf diesen Berufszweig für die Klägerin - abgesehen von dem damit verbundenen sozialen Abstieg - auch im Hinblick auf ihren gesundheitlichen Zustand nicht in Betracht. Sie weist nämlich eine abnorme Steilstellung der Schenkelhälse beider Oberschenkel auf. Beschwerden traten erstmals 1982/83 auf. Mit Rücksicht auf die mit dem Beruf einer Raumpflegerin verbundenen körperlichen Belastungen der Hüftgelenke würde die Ausübung dieser Tätigkeit bei der Klägerin zu einem vorzeitigen Fortschreiten ihres Leidenszustandes führen, so daß eine solche Beschäftigung medizinisch nicht empfohlen werden kann.
Die Klägerin ist zu drei Viertel Eigentümerin der Liegenschaft EZ 60 KG Murfeld mit dem Haus Kiesgasse 1, 8041 Graz; der restliche Anteil gehört ihrer Mutter. Bis einschließlich Jänner 1987 war eine Wohnung - etwa ein Drittel des Wohnraumes in diesem Haus - vermietet. Die Mieterin kündigte, weil sie einen Platz in einem Seniorenheim gefunden hatte. Die Klägerin und ihre Mutter hatten sie zu diesem Schritt gedrängt, weil die Mutter ein Pflegefall geworden war und die Klägerin zu deren Betreuung in diesem Haus Wohnung nahm. Die Garage wurde erst Ende 1987 aufgekündigt, 1985 bezog die Klägerin aus der Vermietung Nettoeinkünfte von monatlich S 1.661, 1986 von S 1.631 und 1987 von S 54.
Seit 4. Juni 1985 ist die Klägerin in der Krankenversicherung freiwillig weiterversichert. Die Beiträge trägt ihre Mutter, die auch für die Betriebs- und Stromkosten der Ehewohnung aufkommt. In den Jahren 1985 bis 1987 erhielt die Klägerin von ihrer Mutter monatliche Darlehen von S 3.000 zur Deckung des laufenden Unterhaltes zugezählt, die sie so schnell wie möglich zurückzahlen will.
Der Beklagte erzielte als technischer Angestellter 1985 ein monatliches Nettoeinkommen von etwa S 16.900, 1986 ein solches von rund S 17.400, 1987 von ca. S 18.615 und 1988 von etwa S 18.000. Er ist derzeit nicht in der Lage, der Klägerin einen konkreten Arbeitsplatz zu vermitteln. Die Klägerin ist seit 11. Februar 1987 beim Arbeitsamt Graz als stellensuchend gemeldet.
Rechtlich schloß das Erstgericht, der Beklagte habe der Klägerin gemäß § 66 EheG unter Bedachtnahme auf die Sorgepflicht für seine Tochter und im Hinblick auf die Einkommenslosigkeit der Klägerin 29 % seines Einkommens als Unterhalt zu leisten, so daß der begehrte Betrag von monatlich S 4.000 angemessen sei.
Das Berufungsgericht bestätigte dieses Urteil. Es übernahm die erstinstanzlichen Feststellungen und führte zur Rechtsrüge des Beklagten aus, selbst wenn der Klägerin eine Schulung in EDV zumutbar wäre, könnte sie festgestelltermaßen innerhalb eines Jahres danach keine geeignete Teilzeitbeschäftigung finden. Der Behauptung, eine frühere Meldung beim Arbeitsamt hätte der Klägerin bessere Vermittlungschancen eingeräumt, sei entgegenzuhalten, daß Erfolge bei der Stellensuche gerichtsbekannterweise überwiegend außerhalb der staatlichen Arbeitsvermittlung erzielt werden würden. Der Beklagte könne der Klägerin auch trotz seines Interesses derzeit keinen konkreten Arbeitsplatz nennen. auf die Möglichkeit einer Berufsausübung als Raumpflegerin sei mangels Bekämpfung des medizinischen Leistungskalküls nicht mehr weiter einzugehen. Eine theoretische Möglichkeit, daß die Klägerin unter 12 Bewerberinnen zum Zuge kommen könnte, sei nicht realitätsbezogen. Im Hinblick auf das Alter der Klägerin und der damit verbundenen arbeitsrechtlichen Kündigungsbeschränkungen sei es geradezu ausgeschlossen, daß sie jüngeren Mitbewerberinnen vorgezogen würde. Das Erstgericht habe deshalb die konkreten Chancen auf eine geeignete Stelle zutreffend negativ beurteilt. Die Frage, ob die Klägerin aus der Vermietung Einkünfte hätte erzielen können, sei mangels konkreter Behauptungen des Beklagten in erster Instanz nicht weiter zu prüfen.
Rechtliche Beurteilung
Die vom Beklagten als außerordentliches Rechtsmittel ausgeführte Revision ist nicht zulässig.
Die Zulässigkeit des Rechtsmittels ist noch nach der vor Inkrafttreten der Erweiterten Wertgrenzennovelle 1989 geltenden Rechtslage zu beurteilen. Da der Streitwert bei einem Begehren auf Leistung eines monatlichen Unterhaltes von S 4.000 S 144.000 beträgt (§ 58 Abs. 1 JN), liegt er im Zulassungsbereich. Dennoch hat das Berufungsgericht keinen Ausspruch, ob die Revision nach § 502 Abs. 4 Z 1 ZPO zulässig sei (§ 500 Abs. 3 ZPO), in sein Urteil aufgenommen. Da der Beklagte sein Rechtsmittel als außerordentliche Revision ausgeführt hat, kann sie sogleich erledigt werden, ohne daß dem Berufungsgericht ein ergänzender Ausspruch aufgetragen werden müßte. Die Ausführungen in der Revision beschränken sich ausschließlich auf Bemessungsfragen. Zufolge Jud. 60 neu (= SZ 27/177) gehört zur Bemessung die Beurteilung der Bedürfnisse des Unterhaltsberechtigten, der zur Deckung dieser Bedürfnisse erforderlichen Mittel und der Leistungsfähigkeit des Unterhaltsverpflichteten. Zur Beurteilung der zur Deckung der Bedürfnisse des Unterhaltsberechtigten notwendigen Mittel gehören nach der Rechtsprechung unter anderem auch die Fragen, ob das Vermögen und die Einkünfte des Unterhaltsberechtigten zur Deckung seiner Bedürfnisse ausreichen und ob und inwieweit er sich diese Mittel durch einen zumutbaren Erwerb selbst verschaffen könnte (Fasching, Zivilprozeßrecht, Rz 1866). Die im Mittelpunkt der Revisionsausführungen stehende Frage, ob und in welchem Umfang die Klägerin deshalb verpflichtet wäre, durch die Aufnahme einer eigenen Erwerbstätigkeit den Unterhalt selbst zu verdienen, betrifft somit ausschließlich den Bemessungskomplex (RZ 1977/106 uva.). Mit seinen Behauptungen, das Berufungsgericht habe aus der erstinstanzlichen Feststellung, daß die Klägerin auch bei entsprechender Nachschulung innerhalb eines Jahres keine entsprechende Teilzeitbeschäftigung finden könne, zu Unrecht geschlossen, daß sie in diesem Beruf überhaupt nicht mehr verweisbar sei, die Vorinstanzen hätten zu Unrecht nur die Tätigkeit der Sekretärin, der Kanzlei- und der Registraturkraft in die Beurteilung zumutbarer Verweisung einbezogen und das Berufungsgericht habe dem Beklagten zu Unrecht die Beweislast für die Verweisungsmöglichkeit auferlegt, berührt der Beklagte ausschließlich Fragen des - derzeit noch - nicht revisiblen Bemessungskomplexes. Gleiches gilt auch für das Vorbringen, ob und inwieweit die Klägerin verpflichtet wäre, einen Teil ihres Hauses und die Garage zu vermieten, um sich so eine Einnahmequelle zur Bestreitung ihres Unterhaltes zu verschaffen, obwohl sie selbst im Haus Wohnung genommen hat, um ihre pflegebedürftige Mutter besser betreuen zu können. Die Frage, ob der Beklagte bei seinen Revisionsausführungen überhaupt von den erstinstanzlichen Feststellungen ausgeht und damit nicht unbeachtliche Neuerungen geltend macht, muß deshalb nicht näher geprüft werden. Da der Beklagte in seiner Revision ausschließlich Bemessungsfragen aufwirft bzw. dem Berufungsgericht insoweit Verfahrensmängel und eine rechtliche Fehlbeurteilung zur Last legt, war die Revision als gemäß § 502 Abs. 2 Z 1 ZPO unzulässig zurückzuweisen.
Anmerkung
E19526European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1989:0060OB00714.89.1130.000Dokumentnummer
JJT_19891130_OGH0002_0060OB00714_8900000_000