Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Flick als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Wurz, Dr. Warta, Dr. Egermann und Dr. Niederreiter als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Alfred H***, Techniker, Innsbruck, Uferstraße 2 a, vertreten durch Dr. Josef Heis und Dr. Markus Heis, Rechtsanwälte in Innsbruck, und des Nebenintervenienten auf Seiten der klagenden Partei Franz Kurt T***, Innsbruck, Gabelsbergerstraße 21, vertreten durch Dr. Heinz Bauer, Rechtsanwalt in Innsbruck, wider die beklagte Partei V*** DER Ö*** B***,
Versicherungs-Aktiengesellschaft, Wien 2., Praterstraße 1-7, vertreten durch Dr. Josef M. Danler, Rechtsanwalt in Innsbruck, wegen S 220.000,-- s.A., infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgerichtes vom 10. Mai 1989, GZ 3 R 129/89-16, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck vom 19. Dezember 1988, GZ 10 Cg 186/88-11, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei und dem Nebenintervenienten die mit je S 8.649,-- bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin enthalten S 1.441,50 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen zu bezahlen.
Text
Entscheidungsgründe:
Der Kläger stellte am 22. Mai 1987 bei der beklagten Partei unter Verwendung eines von dieser stammenden Vordruckes den Antrag auf Abschluß einer Haftpflicht- und Vollkaskoversicherung für seinen PKW BMW mit Versicherungsbeginn 22. Mai 1987. Der Vordruck, der eine Bindungsfrist des Antragstellers von 3 Monaten vorsieht, wurde von Kurt T*** ausgefüllt. Dieser war durch 5 Jahre bis 1985 bei der beklagten Partei als Versicherungsagent angestellt. Seit 1985 vermittelt er als freier Mitarbeiter der beklagten Partei Versicherungsverträge auf Provisionsbasis. Der Kläger sagte dem Kurt T*** bei Ausfüllung des Antrags, daß er kurz darauf verreisen wolle und deshalb eine Vollkaskoversicherung wünsche, da das Fahrzeug sehr gefragt sei. Über eine vorläufige Deckung wurde nicht gesprochen. Dem Kläger war das Institut der vorläufigen Deckung bei einer Vollkaskoversicherung nicht bekannt. Er war der irrigen Meinung, daß mit der Unterfertigung des Antrags bereits Versicherungsschutz gegeben sei. Kurt T*** klärte den Kläger nicht darüber auf, daß eine sofortige Deckung nicht gegeben ist. Er überreichte den Antrag des Klägers noch am 22. Mai 1987 in der Einlaufstelle der beklagten Partei. Am 21. Juni 1987 verursachte der Kläger einen Verkehrsunfall, bei dem das Fahrzeug erheblich beschädigt wurde. Die beklagte Partei nahm den Antrag des Klägers auf Abschluß einer Vollkaskoversicherung nicht an und lehnte mangels eines Versicherungsvertrages eine Deckung ab. Bei der gebotenen Dringlichkeit des Versicherungsschutzes wäre der Kläger in der Lage gewesen, bei einer anderen Versicherung für den Versicherungsfall Versicherungsschutz zu erlangen und hätte unter Berücksichtigung der Prämie und des Selbstbehaltes eine Ersatzleistung von S 220.000,-- erhalten.
Das Erstgericht gab der auf Ersatz dieses Betrages sA gerichteten Klage statt. Das Berufungsgericht bestätigte das Ersturteil und erklärte die Revision für zulässig. Nach der Auffassung der Vorinstanzen hafte die beklagte Partei unter anderem wegen Verletzung der Aufklärungspflicht.
Rechtliche Beurteilung
Die gegen die Entscheidung der zweiten Instanz erhobene Revision der beklagten Partei ist nicht berechtigt.
Die Ansicht des Berufungsgerichtes, daß die Verletzung vorvertraglicher Aufklärungs- und Sorgfaltspflichten (culpa in contrahendo) schadenersatzpflichtig macht und daß der Versicherungsagent bei der Anbahnung des Abschlusses eines Versicherungsvertrages Erfüllungsgehilfe des Versicherers ist, für dessen Verschulden dieser einzustehen hat, entspricht der Lehre und Rechtsprechung (Bruck-Möller VVG8 I 1025; Prölss-Martin VVG24 272 f; vgl. auch Koziol-Welser8 I 195; SZ 57/94; RdW 1986, 271). Das Berufungsgericht hat daraus auch weiter zutreffend gefolgert, daß der Versicherer dann, wenn der Versicherungsinteressent nach Stellung des Antrags, aber vor dessen Annahme einen Schaden erleidet, für den keine vorläufige Deckung zugesagt ist, aus dem Grunde der culpa in contrahendo zur Deckung verpflichtet sein kann (Prölss-Martin aaO 59). Eine Aufklärungspflicht gegenüber dem Versicherungsinteressenten wird in Lehre und Rechtsprechung insbesondere dann bejaht, wenn der Versicherungsinteressent eine unzutreffende Meinung äußert (Bruck-Möller aaO 1030; SZ 57/94; RdW 1986, 271). Dem Berufungsgericht ist aber auch darin beizupflichten, daß eine Aufklärungspflicht dann besteht, wenn dem Versicherungsagenten aus den Äußerungen des Versicherungsinteressenten klar erkennbar ist, daß dieser über einen für ihn ganz wesentlichen Vertragspunkt, wie etwa über den angestrebten ehesten Haftungsbeginn, eine irrige Vorstellung hat und das zu versichernde Risiko bereits durch die Unterfertigung des Antrags als gedeckt erachtet (Bruck-Möller aaO; vgl, auch Prölss-Martin aaO 275). Im vorliegenden Fall erklärte der Kläger dem Versicherungsagenten der beklagten Partei bei Stellung des Antrages, daß er kurz darauf verreisen und deshalb einen Vollkaskoversicherungsschutz will. Dem Versicherungsagenten mußte aufgrund dieser Äußerung klar sein, daß der Kläger einen ehesten Versicherungsschutz anstrebte, über den Beginn der Gefahrtragung aber irrte und von einer bereits mit der Antragstellung gegebenen Deckung ausging. Der Versicherungsagent hätte daher, zumal ihm die festgestellte lange Dauer der Bearbeitung des Versicherungsantrages bei der beklagten Partei bekannt sein mußte, den Kläger aufklären und über die Möglichkeit einer vorläufigen Deckungszusage belehren müssen. Zu Recht hat daher das Berufungsgericht dem Versicherungsagenten eine Verletzung der Aufklärungspflicht angelastet, für deren Folgen die beklagte Partei nach den oben dargestellten Grundsätzen einzustehen hat. Aus den Feststellungen der Vorinstanzen ergibt sich aber auch, daß der Kläger infolge der mangelnden Aufklärung den Abschluß eines den Versicherungsfall deckenden Vertrages versäumt hat, bei Abschluß eines solchen aber unter Berücksichtigung der Prämie und des Selbstbehaltes eine Ersatzleistung in der begehrten Höhe erhalten hätte, sodaß der Zuspruch dieses Betrages gerechtfertigt ist (vgl. hiezu Koziol-Welser aaO 198; SZ 57/94).
Eine Auseinandersetzung mit den Ausführungen Messiners in ZVR 1988, 176 f ist entgegen der Meinung des Berufungsgerichtes entbehrlich, weil sich diese nicht gegen die oben dargestellte Rechtsansicht wenden, sondern diese nur bekräftigen. Darauf, daß kein Versicherungsvertrag zustandekam, kommt es bei der Haftung des Versicherers für culpa in contrahendo nicht an (Bruck-Möller aaO 1026; RdW 1986, 271). Von der Frage, ob der vom Kläger im Versicherungsantrag eingesetzte Versicherungsbeginn bereits als schlüssiger Antrag auf eine vorläufige Deckungszusage anzusehen ist, hängt die Entscheidung, wie sich aus den obigen Darlegungen ergibt, nicht ab. Dies gilt auch für die Frage, ob auch der selbständige Versicherungsmakler Erfüllungsgehilfe des Versicherers ist, weil nach den Feststellungen der Vorinstanzen dem Kurt T*** lediglich die Stellung eines Versicherungsagenten im Sinne des § 43 VersVG zukam (vgl. hiezu Messiner aaO 177). Die Rechtsansicht des Berufungsgerichtes über die Beachtlichkeit eines Mitverschuldens und die Behauptungs- und Beweislast hiefür entspricht der ständigen Rechtsprechung (vgl. ZVR 1981/8 und 45; ZVR 1973/1). Demgemäß ist der Revision ein Erfolg zu versagen.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO. Der vom Kläger beantragte Streitgenossenzuschlag ist jedoch nicht berechtigt, weil ein solcher nur dann gebührt, wenn der Rechtsanwalt in einer Rechtssache mehrere Personen vertritt oder mehreren Personen gegenübersteht (§ 15 RAT). Dies war hier nicht der Fall.
Anmerkung
E19564European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1989:0070OB00038.89.1130.000Dokumentnummer
JJT_19891130_OGH0002_0070OB00038_8900000_000