Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Resch als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag. Engelmaier und Dr. Bauer als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Dkfm. Reinhard Keibl (Arbeitgeber) und Gerald Kopetzky (Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Rosa M***, Glatzing Nr. 9, 4794 Kopfing, vertreten durch Dr. Josef Broinger und Dr. Johannes Hochleitner, Rechtsanwälte in Eferding, wider die beklagte Partei P*** DER A***, Friedrich
Hillegeist-Straße 1, 1021 Wien, vertreten durch Dr. Alfred Kasamas, Rechtsanwalt in Wien, wegen Berufsunfähigkeitspension infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 27. September 1988, GZ 12 Rs 90/88-55, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Kreisgerichtes Ried i.I. als Arbeits- und Sozialgericht vom 28. April 1988, GZ 5 Cgs 34/87-47, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluß
gefaßt:
Spruch
Der Revision wird Folge gegeben.
Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Rechtssache wird zur Ergänzung des Verfahrens und zur neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens bilden weitere Verfahrenskosten.
Text
Begründung:
Die am 30. August 1937 geborene Klägerin ist zufolge gesundheitlich bedingter Einschränkungen ihrer Leistungsfähigkeit nur mehr in der Lage, leichte Arbeiten vorwiegend im Sitzen, nur kurzzeitig im Gehen und Stehen zu verrichten. Bestimmte Verrichtungen wie das Heben und Tragen von Lasten über 10 kg, ein häufiges Bücken, Treppensteigen oder Arbeiten auf Leitern und Gerüsten sind der Klägerin nicht zumutbar. Arbeiten im Freien, wodurch sie einer längeren Nässe bzw. Kälte ausgesetzt würde, können nicht durchgeführt werden. Die üblichen Arbeitspausen müssen nicht verlängert werden. Die Klägerin kann zufolge einer Versteifung beider Sprunggelenke und der muskulären Schwäche beider Beine kein öffentliches Verkehrsmittel benützen. Zu Fuß kann eine Wegstrecke von nicht mehr als 1 km zurückgelegt werden. Die Benützung eines eigenen PKW ist möglich. Die Klägerin, die im Jahr 1972 einen Arbeitsunfall erlitten hatte, erhielt von der Allgemeinen Unfallversicherung im Jahr 1985 einen Zuschuß in der Höhe von 35.000 S für den Ankauf eines PKW.
Das Erstgericht gab dem auf Gewährung einer Berufsunfähigkeitspension ab 1. Februar 1985 gerichteten Begehren der Klägerin statt. Da die Klägerin nur eine Wegstrecke von 1 km zu Fuß zurücklegen und ein öffentliches Verkehrsmittel überhaupt nicht benützen könne, sei sie vom Arbeitsmarkt ausgeschlossen. Daß die Klägerin über ein eigenes Kraftfahrzeug verfügt, habe bei dieser Beurteilung außer Betracht zu bleiben.
Das Berufungsgericht gab der Berufung der beklagten Partei nicht Folge. Es hielt der Argumentation der beklagten Partei, die ihr Rechtsmittel vor allem darauf stützte, daß die Klägerin bei Benützung ihres PKW in der Lage sei, in zumutbarer Weise einen Arbeitsplatz zu erreichen und sie auch verpflichtet sei, dieses Fahrzeug zu benützen, da es teilweise aus Mitteln der Sozialversicherung finanziert worden sei, entgegen, daß der Umstand, ob der einzelne Versicherte zum Stichtag und in weiterer Folge über ein Kraftfahrzeug verfüge, unberücksichtigt zu bleiben habe. Es handle sich dabei ähnlich wie bei der Lage des Wohnortes und den Familienverhältnissen um ein persönliches Moment, das mit der Berufstätigkeit in keinem Zusammenhang stehe. Andernfalls müßten die mit der Haltung eines Kraftfahrzeuges zusammenhängenden, oft nicht unerheblichen und zum Arbeitsverdienst meist nicht im Verhältnis stehenden Kosten in den Kreis der Betrachtungen einbezogen werden. Von diesen Grundsätzen sei auch in diesem Fall ungeachtet des Umstandes auszugehen, daß die Klägerin einen Zuschuß zur Anschaffung eines PKW in der Höhe von 35.000 S aus Mitteln der Sozialversicherung erhalten habe, zumal mit dem einmalig geleisteten Betrag von 35.000 S keineswegs sämtliche Kosten, die mit der Anschaffung und Wartung sowie Wiederbeschaffung eines Fahrzeuges verbunden seien, abgegolten würden. Dazu komme noch, daß die Klägerin überdurchschnittlichen psychischen Belastungen nicht gewachsen sei. Solche Situation könnten sich aber aus dem Zwang, das eigene Fahrzeug stets zur Verfügung zu haben, ergeben. Da die Klägerin eine Wegstrecke von nicht mehr als 1 km zurücklegen könne und ihr die Benützung eines öffentlichen Verkehrsmittels nicht möglich sei, sei sie vom Arbeitsmarkt ausgeschlossen. Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der beklagten Partei aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung im Sinne einer Klageabweisung abzuändern; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Die klagende Partei beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist im Sinn des Eventualantrages berechtigt. Rehabilitation ist die Summe der aufeinander abgestimmten Maßnahmen, durch die körperlich, geistig oder seelisch behinderte Menschen bis zum höchsten, individuell erreichbaren Grad physischer, geistiger, seelischer, beruflicher und wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit hergestellt oder wiederhergestellt werden, damit sie einen angemessenen Platz in der Gemeinschaft möglichst dauernd einnehmen können (Hannemann-Peterka, SozSi 1979, 154 ff insbesondere 160 f). Je nach der angestrebten Zielrichtung und den eingesetzten Mitteln werden drei Bereiche der Rehabilitation unterschieden: Die medizinische Rehabilitation will den Gesundheitszustand, die berufliche Rehabilitation die Erwerbsfähigkeit und die soziale Rehabilitation die Gemeinschaftsfähigkeit (wieder) herstellen. An der Rehabilitation wirken alle drei Zweige der Sozialversicherung mit (Tomandl, Grundriß des österreichischen Sozialrechtes4 Rz 67). Die Rehabilitation ist eine einheitliche Aufgabenstellung, an der entsprechend der Gliederung des österreichischen Sozialversicherungssystems verschiedene Versicherungsträger im Rahmen der ihnen durch die organisatorische Trennung zugewiesenen Risikodeckung mitwirken. Die organisatorische Gliederung in drei Risikozweige kann allerdings nicht, wie dies von der klagenden Partei in der Revisionsbeantwortung vertreten wird, dazu führen, daß jeder Risikozweig für sich allein gesehen wird. Die in einem Zweig erbrachten Leistungen können vielmehr bei Beurteilung von Leistungsansprüchen in einem anderen Zweig der Versicherung nicht grundsätzlich außer Betracht gelassen werden, zumal alle Zweige letztlich in das einheitliche System der Sozialversicherung eingegliedert sind. Dies kommt insbesonders in den Fällen zum Ausdruck, in denen die organisatorische Trennung nicht verwirklicht ist wie etwa in der Sozialversicherung der Bauern, wo alle Zweige der Versicherung von einem Versicherungsträger abgedeckt werden und sich die Zuweisung von Leistungen zu den einzelnen Risikobereichen auf buchhalterische Vorgänge beschränkt. Sofern im Bereich der Unfallversicherung gewährte Rehabilitationsmaßnahmen auf Leistungsansprüche der Pensionsversicherung von Einfluß sind, ist daher bei Beurteilung der pensionsversicherungsrechtlichen Ansprüche hierauf Bedacht zu nehmen.
Die Revisionswerberin vertritt den bereits in der Berufung vorgetragenen Standpunkt, daß wohl im allgemeinen ein Versicherter nicht verpflichtet sei, durch den Ankauf eines Fahrzeuges eine bestehende oder drohende Berufsunfähigkeit zu beseitigen bzw abzuwenden. Da aber die Allgemeine Unfallversicherungsanstalt zum Ankauf des Fahrzeuges der Klägerin einen Zuschuß geleistet habe, sei die Klägerin gehalten, das Fahrzeug auch für die Fahrt zum Arbeitsplatz zu benützen. Bei Benützung des PKW sei sie aber in der Lage, den Arbeitsplatz zu erreichen, sodaß der von den Vorinstanzen angenommene Ausschluß vom Arbeitsmarkt nicht gegeben sei. Dem kann nicht gefolgt werden.
Im Dritten Teil Abschnitt III des ASVG, der die Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung zum Gegenstand hat, finden sich die Regelungen über die Rehabilitation durch die Träger der Unfallversicherung. Gemäß § 198 Abs 1 ASVG soll der Versehrte durch die beruflichen Maßnahmen der Rehabilitation in die Lage versetzt werden, seinen früheren oder wenn dies nicht mehr möglich ist, einen neuen Beruf auszuüben. Gemäß Abs 2 dieser Norm umfassen die beruflichen Maßnahmen der Rehabilitation unter anderem auch (§ 198 Abs 2 Z 2) die Gewährung von Zuschüssen, Darlehen, und/oder sonstigen Hilfsmaßnahmen zur Ermöglichung der Fortsetzung der Erwerbstätigkeit. § 201 regelt die sozialen Maßnahmen der Rehabilitation. Demzufolge umfassen die sozialen Maßnahmen der Rehabilitation solche Leistungen, die über die Unfallheilbehandlung und beruflichen Maßnahmen der Rehabilitation hinaus geeignet sind, zur Erreichung des im § 172 angestrebten Zieles beizutragen. Als eine der Maßnahmen im Sinn des Abs 1 bestimmt Abs 2 (Z 2 lit b), daß der Unfallversicherungsträger unter Bedachtnahme auf die wirtschaftlichen Verhältnisse des Versehrten insbesonders einen Zuschuß und/oder ein Darlehen zum Ankauf bzw zur Adaptierung eines Personenkraftwagens gewähren kann. Die Träger der Unfallversicherung können demnach sowohl im Rahmen der beruflichen Rehabilitation (§ 198 Abs 2 Z ASVG - siehe auch Gehrmann-Rudolph-Teschner, ASVG 46. ErgLfg, 1016), wie auch als soziale Maßnahme der Rehabilitation (§ 201 Abs 2 Z 2 lit b ASVG) Zuschüsse zum Ankauf eines PKW zu gewähren. Diese Möglichkeit besteht für den Pensionsversicherungsträger im Rahmen der Rehabilitationsmaßnahmen der Bestimmungen der §§ 300 ff ASVG nicht; § 303 ASVG schließt solche Maßnahmen für die berufliche Rehabilitation und § 304 Abs 2 ASVG für die soziale Rehabilitation durch die Pensionsversicherungsträger aus.
Ob ein Versicherter verpflichtet ist, einen PKW, für dessen Anschaffung im Rahmen der Rehabilitationsmaßnahmen durch den Unfallversicherungsträger Zuschüsse gewährt wurden, auch für die Fahrt zum Arbeitsplatz einzusetzen, wird zum wesentlichen Teil auch vom Ausmaß des Zuschusses abhängen. Werden etwa im Rahmen der beruflichen Rehabilitation die Kosten des Ankaufes eines Fahrzeuges zur Gänze oder fast zur Gänze vom Sozialversicherungsträger (im Rahmen der gesetzlichen Unfallversicherung) getragen, so wird dies bei Entscheidung über den Anspruch auf Berufsunfähigkeitspension, insbesondere bei Prüfung der Frage, ob die Möglichkeit besteht, den Arbeitsplatz zu erreichen, von Einfluß sein. Wird aber, wie hier, nur ein geringer Teil der Kosten des Ankaufes vom Unfallversicherungsträger übernommen - der Zuschuß von 35.000 S deckt lediglich rund 1/4 des Kaufpreises eines Fahrzeuges der unter Mittelklasse - und wird der überwiegende Teil der Anschaffungskosten von Versicherten getragen, so kann von einer solchen Verpflichtung nicht ausgegangen werden, würde doch sonst unter Berücksichtigung der regelmäßigen Betriebskosten des Fahrzeuges von diesem Versicherten für die Zurücklegung des Weges zum Arbeitsplatz ein finanzieller Einsatz verlangt, der erheblich über dem der Mehrheit der Versicherten liegt, denen die Möglichkeit zur Verfügung steht, ein öffentliches Verkehrsmittel zum Arbeitsplatz zu benützen. Die Tatsache, daß die Klägerin einen PKW zur Verfügung hat, ist daher bei Prüfung der Frage, ob sie in der Lage ist, den Anmarschweg zum Arbeitsplatz zurückzulegen, außer Betracht zu lassen, dies umso mehr, als die beklagte Partei in ihrer Revision selbst davon ausgeht, daß der Zuschuß zum Kaufpreis für den PKW nicht im Rahmen der beruflichen, sondern vielmehr im Rahmen der sozialen Rehabilitation geleistet wurde, die von ganz anderen Zielsetzungen geprägt ist.
Auch aus § 307 ASVG läßt sich für den Standpunkt der Revisionswerberin nichts ableiten. Nach dieser Norm besteht für die Dauer der Gewährung von Maßnahmen der Rehabilitation kein Anspruch auf eine Leistung aus einem Versicherungsfall der geminderten Arbeitsfähigkeit, ausgenommen der Anspruch auf Knappschaftspension. Der Anspruch auf eine solche vor der Gewährung von Maßnahmen der Rehabilitation angefallene Leistung wird hiedurch nicht berührt. Die Gewährung von Maßnahmen der Rehabilitation durch den Versicherungsträger schließt damit den Anspruch auf eine Pension aus dem Versicherungsfall der geminderten Arbeitsfähigkeit mit Ausnahme der Knappschaftspension aus. Dies gilt sowohl für Maßnahmen der medizinischen Rehabilitation (§ 302) als auch für Maßnahmen der beruflichen und sozialen Rehabilitation (§§ 303 und 304). Dabei ist es unerheblich, ob die Rehabilitationsmaßnahme von dem Pensionsversicherungsträger erbracht wird, der auch für die Gewährung der Pension zuständig ist oder von einem anderen Träger der Pensionversicherung oder einem Unfallversicherungsträger (Gehrmann-Rudolph-Teschner aaO 44. ErgLfg 1475). Diese Bestimmung findet sich im VII. Abschnitt des Vierten Teiles des ASVG, der die Gewährung der Rehabilitationsmaßnahmen durch die Pensionsversicherungsträger zum Gegenstand hat und kann mangels einer entsprechenden Verweisung nur auf die in diesem Rahmen vorgesehenen Maßnahmen bezogen werden. Der Anspruch der Klägerin auf eine sonst zustehende Pension könnte durch § 307 ASVG schon deshalb nicht berührt werden, weil die Gewährung von Zuschüssen zum Ankauf von Fahrzeugen nicht Gegenstand der Rehabilitationsmaßnahmen im Rahmen der Pensionsversicherung ist, ganz abgesehen davon, daß die Rehabilitationsmaßnahme nach dem vorliegenden Sachverhalt erst nach dem Stichtag erfolgte, sodaß ihre Gewährung aufgrund § 307 zweiter Satz ASVG einem Pensionsanspruch nicht entgegenstünde, sofern die Voraussetzungen ab Stichtag gegeben wären.
Dennoch erweist sich das Verfahren ergänzungsbedürftig. Die Vorinstanzen sind bei ihren Entscheidungen davon ausgegangen, daß die Klägerin im Hinblick darauf, daß sie nur eine Wegstrecke von 1 km zu Fuß zurücklegen kann, vom Arbeitsmarkt ausgeschlossen sei. Für diesen Schluß fehlen ausreichende Grundlagen. Bei Prüfung der Berufsunfähigkeit ist nicht vom individuellen Wohnsitz des Versicherten auszugehen. Es kann vielmehr von ihm eine Wohnsitzverlegung gefordert werden, die ihn in die Lage versetzt, einen entsprechenden Arbeitsplatz zu erreichen. Daß im Umkreis des derzeitigen Wohnortes der Klägerin Arbeitsplätze, die für die Klägerin im Hinblick auf die bestehenden Einschränkungen in Betracht kämen, nicht im ausreichenden Maß zur Verfügung stehen, wäre nur dann entscheidend, wenn ihr aus medizinischen Gründen eine Wohnsitzverlegung nicht zumutbar wäre, wofür bisher jeder Anhaltspunkt fehlt. Ist jedoch die Verlegung des Wohnsitzes nicht ausgeschlossen, so ist festzustellen, ob bei entsprechender Wahl des Wohnortes, etwa bei Übersiedlung in den städtischen Bereich, im Umkreis von 1 km eine ausreichende Anzahl von Arbeitsmöglichkeiten für die Klägerin zur Verfügung steht, wobei insbesonders auch die vom Österreichischen Institut für Raumplanung erstellte (allenfalls zu konkreten Fragen zu ergänzende) Studie über die Erreichbarkeitsverhältnisse im Individual- und im öffentlichen Verkehr in Österreich im Zusammenhalt mit einem entsprechenden Sachverständigengutachten eine Grundlage bieten könnten. Der Kostenvorbehalt stützt sich auf § 52 ZPO.
Anmerkung
E19381European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1989:010OBS00347.88.1205.000Dokumentnummer
JJT_19891205_OGH0002_010OBS00347_8800000_000