Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Resch als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag. Engelmaier und Dr. Angst als weitere Richter und die fachkundigen Laienrichter Dr. Richard Bauer und Dkfm. Reinhard Keibl (beide AG) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Christine H***, Landwirtin, 2522 Oberwaltersdorf, Fabriksstraße 11, vertreten durch Dr. Erich Proksch und Dr. Richard Proksch, Rechtsanwälte in Wien, wider die beklagte Partei
S*** DER B*** (L*** NÖ/W***),
1031 Wien, Ghegastraße 1, vor dem Obersten Gerichtshof nicht vertreten, wegen Erwerbsunfähigkeitspension infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 28. Juli 1989, GZ 33 Rs 105/89-14, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Kreisgerichtes Wr. Neustadt als Arbeits- und Sozialgerichtes vom 10. Februar 1989, GZ 4 Cgs 1/89-9, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluß
gefaßt:
Spruch
Der Oberste Gerichtshof stellt gemäß Art 89 Abs 2 B-VG beim Verfassungsgerichtshof den
A n t r a g ,
die Wortfolge "bei männlichen, nach Vollendung des 50. Lebensjahres bei weiblichen Versicherten" im § 111 Abs 3 Z 1 lit b BSVG und die Wortfolge "bei männlichen Versicherten bzw. nach Vollendung des 50. Lebensjahres bei weiblichen Versicherten" im § 111 Abs 4 Z 1 BSVG gemäß Art 140 B-VG als verfassungswidrig aufzuheben.
Text
Begründung:
Sachverhalt:
Die am 28. November 1924 geborene Klägerin hat bis Dezember 1987 (Stichtag 1. Jänner 1988) von Dezember 1939 bis November 1941 und von Juni 1945 bis Jänner 1948 zusammen 56 Ersatzmonate und von Juni bis Oktober 1942, Jänner 1943 bis März 1944, August 1944 bis März 1945 zusammen 28 Beitragsmonate der Pflichtversicherung und schließlich von Mai 1983 bis Dezember 1987 56 weitere Beitragsmonate der Pflichtversicherung, zusammen also 84 Beitragsmonate der Pflichtversicherung und insgesamt 140 Versicherungsmonate erworben. Mit Bescheid vom 25. Jänner 1988 lehnte die beklagte Partei den Antrag der Klägerin vom 29. Dezember 1987 auf Erwerbsunfähigkeitspension unter Berufung auf § 111 Abs 1 bis 5 BSVG iVm Art II Abs 12 und 13 der 8. BSVGNov und auf § 111 Abs 6 BSVG iVm Art II Abs 5 der zit Nov ab, weil die für die Erfüllung der Wartezeit erforderliche Mindestanzahl von Versicherungsmonaten nicht vorliege.
In der dagegen rechtzeitig erhobenen Klage behauptete die Klägerin lediglich, daß sie sämtliche Voraussetzungen für den Pensionsanspruch erfüllt hätte und beantragte daher, die beklagte Partei zur Leistung der Erwerbsunfähigkeitspension im gesetzlichen Ausmaß ab 1. Jänner 1988 zu verurteilen.
Die beklagte Partei beantragte die Abweisung der Klage. Das Erstgericht wies die Klage ab, weil die Wartezeit nicht erfüllt sei.
Das Berufungsgericht gab der wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung erhobenen Berufung der Klägerin nicht Folge, weil es die im Rechtsmittel ausgeführten verfassungsrechtlichen Bedenken der Klägerin nicht teilte.
Rechtliche Beurteilung
Dagegen richtet sich die von der beklagten Partei nicht beantwortete Revision der Klägerin wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung (der Sache). Die Revisionswerberin trägt neuerlich verfassungsrechtliche Bedenken gegen § 111 Abs 3 BSVG in der Fassung der 8. BSVGNov vor, regt an, der Oberste Gerichtshof möge beim Verfassungsgerichtshof die Aufhebung dieser Gesetzesstelle beantragen und beantragt, das angefochtene Urteil im klagestattgebenden Sinne abzuändern.
Antragsvoraussetzungen:
Hat der Oberste Gerichtshof gegen die Anwendung eines Gesetzes aus dem Grunde der Verfassungswidrigkeit Bedenken, so hat er nach Art 89 Abs 2 B-VG den Antrag auf Aufhebung dieses Gesetzes beim Verfassungsgerichtshof zu stellen.
Dieser Antrag ist von dem zur Entscheidung über das Rechtsmittel berufenen Senat des Obersten Gerichtshofs zu stellen und nur bei dessen Bedenken gegen ein von ihm anzuwendendes, für die Entscheidung über das Rechtsmittel präjudizielles Gesetz (Gesetzesstelle) zulässig. Daß ua. für die aus dem Versicherungsfall der dauernden Erwerbsunfähigkeit zu gewährende Erwerbsunfähigkeitspension die Wartezeit nach § 111 Abs 3 Z 1 lit a BSVG bei einem Stichtag vor Vollendung des 55. bzw. 50. Lebensjahres des männlichen bzw. weiblichen Versicherten mit 60 Versicherungsmonaten erfüllt ist, während sich die Wartezeit nach lit b der zitierten Ziffer bei einem späteren Stichtag je nach dem Lebensalter des (der) Versicherten für jeden weiteren Lebensmonat um jeweils ein Monat bis zum Höchstausmaß von 180 Monaten erhöht ("wachsende Wartezeit"), hält der erkennende Senat - abgesehen von der Ungleichbehandlung der Geschlechter - aus folgenden Überlegungen für verfassungsrechtlich unbedenklich:
Die österreichische Sozialversicherung baut auf dem Versicherungsprinzip auf, reichert dieses allerdings durch Versorgungs- und Fürsorgeelemente an (Tomandl, Grundriß des österreichischen Sozialrechts4, 32).
Wegen des Versicherungsprinzips sind die Leistungen der Pensionsversicherung mit Ausnahme der Abfindung nach § 139 a BSVG in der Regel unter anderem an die sekundäre Leistungsvoraussetzung der Wartezeit geknüpft, d.h., daß am Stichtag eine Mindestzahl von Versicherungszeiten vorliegen muß. Diese aus der Privatversicherung kommende Einrichtung soll sicherstellen, daß Pensionsleistungen erst nach entsprechend langer Beitragszahlung (Versicherungsdauer) in Anspruch genommen werden können, daß also nur Personen in den Genuß von Leistungen kommen, die der Versicherungsgemeinschaft bereits eine bestimmte Zeit angehören und durch ihre Beitragsleistung zur Finanzierung der Leistungsverpflichtungen dieser Gemeinschaft beigetragen haben (Tomandl aaO 128, 139; Schrammel in Tomandl, SV-System 3. ErgLfg 143; Teschner ebendort 4. ErgLfg 373 f). Die Wartezeit entfällt für eine Leistung aus den Versicherungsfällen der dauernden Erwerbsunfähigkeit und des Todes nur, wenn der Versicherungsfall die Folge eines Arbeitsunfalles, einer Berufskrankheit oder Dienstbeschädigung oder vor dem 27. Lebensjahr eingetreten ist und der Versicherte bereits mindestens 6 Versicherungsmonate erworben hat (§ 111 Abs 2 BSVG). In diesen Fällen war der Versicherte aus nicht von ihm zu vertretenden Gründen nicht in der Lage, seine Versicherungspflicht (Beitragsleistungen) zu erbringen (Teschner aaO 374). Während die Wartezeit bei den Alterspensionen
180 Versicherungsmonate (15 Versicherungsjahre) beträgt, die innerhalb der letzten 360 Kalendermonate (30 Jahre) liegen müssen (lange Wartezeit), genügen für die Versicherungsfälle der dauernden Erwerbsunfähigkeit und des Todes bei einem Stichtag vor der Vollendung des 55. bzw 50. Lebensjahres 60 Versicherungsmonate (5 Versicherungsjahre) (kurze Wartezeit), die innerhalb der letzten 120 Kalendermonate (10 Jahre) liegen müssen.
Wie schon ausgeführt, erhöht sich die kurze Wartezeit bei einem späteren Stichtag für jeden weiteren Lebensmonat um einen Versicherungsmonat bis zum Höchstausmaß von 180 Monaten (§ 111 Abs 3 Z 1 lit b BSVG), wobei sich die vorerwähnte Rahmenfrist von 120 Kalendermonaten (10 Jahren) für jeden weiteren Lebensmonat um zwei Kalendermonate bis zum Höchstausmaß von 360 Kalendermonaten (30 Jahren) vor dem Stichtag erhöht (Abs 4 Z 1 zweiter Halbsatz der zitierten Gesetzesstelle).
Diese durch die 8. BSVGNov BGBl 1984/486 eingeführten Änderungen im Bereich der Wartezeit standen im engen Zusammenhang mit der Einführung der ewigen Anwartschaft durch den Wegfall der Deckungsvorschriften (Halb- und Dritteldeckung) im ASVG. Durch die Erfüllung der Wartezeit innerhalb bestimmter Rahmenfristen soll der Nachweis einer entsprechend langen Versicherungszugehörigkeit erbracht werden, wobei bei Eintritt des Versicherungsfalls in den Jahren 1985 bis 1991 eine Übergangsregelung getroffen wurde (RV zur
40.
ASVGNov 327 BlgNR 16. GP, 24, auf deren Erläuterungen die RV zur
8.
BSVGNov 329 BlgNR 16. GP, 10 verweisen;
MGA BSVG 20. ErgLfg 275 f FN 8).
Mit der durch die 8. BSVGNov eingeführten langsamen Anhebung der kleinen Wartezeit wird diese mit zunehmendem Alter des Versicherten allmählich der für die Alterspension geltenden langen Wartezeit angeglichen. Damit wird erreicht, daß Versicherungsfälle der dauernden Erwerbsunfähigkeit und des Todes mit dem Erreichen des normalen Alterspensionsalters nur dann Leistungen auslösen, wenn die Wartezeit für die Alterspension erfüllt wird. Spekulatorische Überlegungen, durch eine kurzfristige Versicherung bei bereits eingetretener Minderung der Arbeitsfähigkeit eine Invaliditäts- oder Berufsunfähigkeitspension auch nach Überschreiten der Altersgrenze zu erlangen, werden dadurch hinfällig (Sedlak, 40. Novelle zum ASVG DRdA 1985, 60).
Trotz des Gleichheitsgrundsatzes, dessen Verletzung hier allein für eine Verfassungswidrigkeit maßgebend sein könnte, kommt dem einfachen Gesetzgeber eine - freilich nicht
unbegrenzte - rechtspolitische Gestaltungsfreiheit zu, die - außer bei einem Exzeß - nicht der verfassungsgerichtlichen Kontrolle unterliegt und insoweit auch nicht mit den aus dem Gleichheitsgrundsatz ableitbaren Maßstäben zu messen ist. Innerhalb dieser Grenzen ist die Rechtskontrolle nicht zur Beurteilung der Rechtspolitik berufen (VfSlg. 9583 mwN).
Der Gleichheitsgrundsatz verbietet dem Gesetzgeber ferner nur Differenzierungen zu schaffen, die sachlich nicht begründbar sind (VfSlg 6884 mwN), so daß eine unterschiedliche Regelung, die aus entsprechenden Unterschieden im Tatsachenbereich gerechtfertigt werden kann, nicht gleichheitswidrig ist (VfSlg 7400 mwN, 7947, 8600). Dem Gesetzgeber ist es auch nicht verwehrt, von einem einmal gewählten Ordnungsprinzip abzugehen, sofern die betreffende Regelung in sich sachlich begründet ist (VfSlg 7040, 7705 ua). Bei Berücksichtigung dieser verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung bestehen gegen die durch die 8. BSVGNov eingeführte wachsende Wartezeit keine verfassungsrechtlichen Bedenken, weil die 10 Jahre vor dem normalen Alterspensionsalter einsetzende, jeden weiteren Lebensmonat um einen Monat bis zur für die Alterspension geforderten langen Wartezeit schrittweise Erhöhung der kurzen Wartezeit durch den relativ kurzen Zeitraum bis zum Erreichen des normalen Pensionsalters gerechtfertigt werden kann. In diesem Zusammenhang kann nicht übersehen werden, daß bei einem Stichtag, der mehr als 10 Jahre vor dem normalen Pensionsalter liegt, die kurze Wartezeit von 5 Versicherungsjahren nur dann erfüllt ist, wenn diese innerhalb der letzten 10 Kalenderjahre vor dem Stichtag liegen, während sich bei der wachsenden Wartezeit die letztgenannte Rahmenfrist für jeden weiteren Lebensmonat um zwei Kalendermonate bis zum Höchstausmaß von 30 Jahren vor dem Stichtag erhöht. Damit kann zur Auffüllung der wachsenden Wartezeit auf wesentlich länger zurückliegende Versicherungsmonate zurückgegriffen werden als bei der kurzen Wartezeit, wobei sich die Rahmenfrist überdies nach § 111 Abs 5 BSVG um hineinfallende neutrale Monate verlängert.
Da die neu eingeführte wachsende Wartezeit in sich sachlich begründet ist, durfte der Gesetzgeber diese für die letzten 10 Jahre vor dem normalen Alterspensionsalter an die Stelle der bisherigen kurzen Wartezeit setzen, wobei Härten durch die im Art II der
8. BSVGNov enthaltenen umfangreichen Übergangsbestimmungen gemildert werden.
Weiters ist § 111 Abs 3 Z 1 lit b BSVG idF des Art I Z 17 der
8. BSVGNov nach deren Art II Abs 12 hinsichtlich des Höchstausmaßes der Versicherungsmonate mit der Maßgabe anzuwenden, daß dieses bei Versicherungsfällen, wenn der Stichtag im Jahre 1988 liegt, 132 und nicht 180 beträgt. Dies zeigt, daß der Gesetzgeber eine abrupte Beendigung derartiger Leistungserwartungen vermeiden wollte (Sedlak aaO 61).
Der erkennende Senat hat gegen den im vorliegenden Fall unter Bedachtnahme auf Art II Abs 12 und 13 der 8. BSVGNov anzuwendenden § 111 Abs 3 Z 1 lit b und Abs 4 Z 1 zweiter Halbsatz BSVG allerdings insoweit Bedenken, als die Erhöhung der Wartezeit und die Verlängerung der Rahmenfrist bei männlichen Versicherten erst nach Vollendung des 55. Lebensjahres, bei weiblichen Versicherten hingegen schon nach Vollendung des 50. Lebensjahres beginnt. Diese Verschiedenheit ist eine direkte Folge des unterschiedlichen Anfallsalters der normalen Alterspension, auf die der Versicherte nach Vollendung des 65. Lebensjahres, die Versicherte schon nach Vollendung des 60. Lebensjahres Anspruch hat (§ 121 Abs 1 BSVG).
Während die Anfallsaltersverschiedenheit die weiblichen Versicherten begünstigt, werden diese durch die früher beginnende Erhöhung der Wartezeit gegenüber männlichen Versicherten grundsätzlich benachteiligt, obwohl nicht verkannt werden soll, daß die wachsende Wartezeit für beide Geschlechter 10 Jahre vor dem normalen Alterspensionsalter beginnt.
Der erkennende Senat hat in seinem Beschluß vom 11. Oktober 1988 10 Ob S 71/88, in dem er beim Verfassungsgerichtshof die Aufhebung der Wortfolge "nach Vollendung des 60. Lebensjahres, die Versicherte" im § 253 b Abs 1 ASVG beantragte, seine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen eine unterschiedliche Regelung des Alterspensionsalters für männliche und weibliche Versicherte nach Darstellung der rechtshistorischen Entwicklung und der in der Literatur vertretenen Meinungen im wesentlichen so begründet:
"Gegen eine sich aus der körperlichen Beschaffenheit der Frauen ergebende frühere Arbeitsunfähigkeit spricht vor allem die erheblich höhere durchschnittliche Lebenserwartung der Frauen gegenüber jener der Männer. Sie betrug im Jahr 1986 für damals geborene Männer 71 Jahre, für Frauen 77.73 Jahre, für damals 55jährige Männer 21.04 Jahre, für Frauen 25.63 Jahre, für damals 60jährige Männer
17.36 Jahre, für Frauen 21.29 Jahre, für damals 65jährige Männer
13.91 Jahre, für Frauen 17.18 Jahre ÄDemographisches Jahrbuch Österreichs 1986, 156 f; Statistisches Handbuch für die Republik Österreich 1987, 49Ü, was im Zusammenhang mit dem früheren Pensionsalter zu einer wesentlich höheren Pensionsbezugsdauer der Frauen führt (vgl dazu Ivansits aaO 469). In diesem Zusammenhang ist es bemerkenswert, daß der Gesetzgeber bei den öffentlich Bediensteten keinen Unterschied im Anfallsalter zwischen Männern und Frauen macht. Zwar handelt es sich beim öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis und bei der Materie des Sozialversicherungswesens um tiefgreifend verschiedene Rechtsgebiete (VfSlg 5241/1966; VfGH 16.3.1988, JBl 1988, 442), doch müßte die in den Sozialversicherungsgesetzen angenommene frühere Arbeitsunfähigkeit von Frauen aufgrund ihrer körperlichen Konstitution wohl auch für Frauen im öffentlichen Dienst gelten, bedenkt man, daß in vielen Fällen pragmatisierte Frauen die gleiche Tätigkeit wie Vertragsbedienstete verrichten, jedoch eine unterschiedliche Pensionsregelung besteht. Andererseits hat der Gesetzgeber im § 255 Abs 4 ASVG bei der (erleichterten) Invaliditätspension Männer und Frauen gleich behandelt. Bei beiden Geschlechtern nimmt hier der Gesetzgeber an, daß ein 55 Jahre alter Versicherter nicht mehr auf andere Tätigkeiten verwiesen werden kann als jene, die er in den letzten 15 Jahren vor dem Stichtag in mindestens der Hälfte der Beitragsmonate ausgeübt hat. Dazu kommt, daß die derzeitige gesetzliche Regelung nicht berücksichtigt, welche Tätigkeit eine Frau verrichtet hat, sondern alle Frauen gleich behandelt. Es ist sicherlich denkbar, daß in Berufen, die mit größerer körperlicher Anstrengung verbunden sind, Frauen wegen ihrer körperlich schwächeren Konstitution früher arbeitsunfähig werden als Männer und bezüglich solcher Berufe eine unterschiedliche Pensionsregelung sachlich gerechtfertigt wäre. In zahlreichen Berufen, vor allem auf dem Angestelltensektor, spielt jedoch die körperliche Belastung - wenn überhaupt - nur eine untergeordnete Rolle. Ob die bei ein bis zwei Drittel aller Frauen in der Postmenopause auftretenden klimakterischen Beschwerden (vgl Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch255, 861) für sich allein eine allgemeine Senkung des Pensionsalters von Frauen gegenüber Männern rechtfertigt, kann bezweifelt werden. Gegen die vom Gesetzgeber zur Begründung herangezogenen Argumente bestehen daher jedenfalls wesentliche Bedenken.
Aber auch die von der Lehre zur Begründung herangezogene Doppelbelastung der Frau durch Beruf und Haushalt stellt kein entscheidendes Argument für die unterschiedliche Behandlung dar. Hier berücksichtigt das Gesetz zunächst nicht, daß ein nicht unerheblicher, durchaus ins Gewicht fallender und daher nicht zu vernachlässigender Teil der berufstätigen Frauen alleinstehend ist. Für sie unterscheidet sich die Belastung durch Beruf und Haushalt nicht von jener der alleinstehenden Männer. Wenngleich die in der Revision enthaltene Statistik über den Prozentsatz der kinderlosen Frauen nicht ohne weiteres aussagekräftig ist, weil sie Frauen bereits ab dem 15. Lebensjahr einbezieht, also ab einem Alter, in dem auch Frauen üblicherweise noch nicht verheiratet sind und auch noch keine Kinder haben, kann doch nicht übersehen werden, daß vor allem in der jüngeren Generation die Tendenz, keine familiären Bindungen einzugehen, sowohl bei Männern als auch bei Frauen zunimmt. Auch von den Frauen der älteren Generation, die jetzt in das Pensionsalter kommen, sind aufgrund des durch den Zweiten Weltkrieg verursachten Männermangels viele unverheiratet und ohne Nachkommen geblieben. Auch für sie gilt das Argument von der Doppelbelastung daher nicht allgemein. Dazu kommt aber noch die seit der Neuordnung der persönlichen Rechtswirkungen der Ehe durch das Gesetz BGBl 1975/412 geänderte Rechtslage. Während das seinerzeitige Recht in den §§ 91 und 92 ABGB aF davon ausging, daß der Mann das Haupt der Familie ist, in dieser Eigenschaft das Hauswesen zu leiten hat und die Frau ihm in der Haushaltung und Erwerbung nach Kräften beizustehen hat, ist seither die einvernehmliche Gestaltung der ehelichen Lebensgemeinschaft, besonders der Haushaltsführung und der Erwerbstätigkeit im § 91 ABGB gesetzlich festgelegt. Soweit aber Änderungen im Bereich eines Rechtsgebietes die für ein anderes Rechtsgebiet maßgeblichen tatsächlichen Verhältnisse ändern, ist bei Beurteilung der Verfassungsgemäßheit der Regelung dieses anderen Rechtsgebietes auf die so geschaffenen Verhältnisse Bedacht zu nehmen (VfGH 26.6.1980 RdA 1981, 141). Wenngleich sich sicherlich in der älteren Generation der Grundsatz der partnerschaftlichen Ehe noch nicht in größerem Umfang durchgesetzt hat und bezüglich dieser allenfalls zu berücksichtigen wäre, daß deren jetzt in das Pensionsalter kommende Frauen noch einen Großteil ihres Ehe und Familienlebens unter der alten Familienrechtslage zugebracht haben, ist gerade in der jüngeren Generation in dieser Richtung sicher ein Umdenken im Gang, was letzten Endes auch mit ein Grund für die Änderung der gesetzlichen Bestimmungen war. Da seit der Änderung der Gesetzeslage immerhin bereits 12 Jahre vergangen sind, kann davon ausgegangen werden, daß sich der Grundsatz der partnerschaftlichen Ehe bereits in einem nicht unerheblichen Ausmaß durchgesetzt hat, so daß die Zahl der nun nicht mehr doppelbelasteten Frauen keine zu vernachlässigende Größe mehr darstellt. Würde der gegenwärtige gesetzliche Zustand unverändert beibehalten, so würde sich die Ungleichbehandlung der Geschlechter weiter verstärken. Es können jedoch nur solche Ungleichbehandlungen (vorübergehend) sachlich sein, die wenigstens in Richtung eines Abbaues der Unterschiede wirken würden (VfGH 26.6.1980 RdA 1981, 141), was hier nicht der Fall wäre. Diesen Umstand übersieht auch die Entscheidung des deutschen Bundesverfassungsgerichtes vom 28. Jänner 1987 (EuGRZ 1987, 291 und NJW 1987, 1541), worin ausgesprochen wurde, es sei mit Art 3 Abs 2 GG vereinbar, daß Frauen Altersruhegeld aus der gesetzlichen Rentenversicherung im Unterschied zu Männern bereits mit Vollendung des 60. Lebensjahres beziehen können. Das Bundesverfassungsgericht meinte in diesem Zusammenhang, der Wandel der tatsächlichen Verhältnisse, der sich schon vollzogen habe und noch vollziehe und die Angleichung der Rechtsordnung an die gebotene Gleichstellung von Frau und Mann ließe erwarten, daß die Umstände, welche die verfassungsrechtliche Prüfung unter dem Gesichtspunkt des Nachteilausgleiches beeinflussen, im Laufe der weiteren Entwicklung an Einfluß verlieren würden. Wann dies der Fall sein werde und welche Folgerungen daraus zu ziehen seien, habe aber in erster Linie der Gesetzgeber zu beurteilen. Abgesehen davon, daß dadurch im Falle der Untätigkeit des Gesetzgebers die Notwendigkeit entsteht, in regelmäßigen Abständen den Verfassungsgerichtshof anzurufen, wird hiedurch die Ungleichbehandlung laufend weiter verstärkt. Ob der Gesetzgeber durch Übergangsregelungen eine vorübergehende Ungleichbehandlung in sachlich gerechtfertigter Weise aufrechterhalten könnte, ist im vorliegenden Fall nicht zu prüfen, weil solche Übergangsregelungen nicht vorliegen. Der Gesetzgeber hat vielmehr unterschiedslos und ohne Rücksicht auf die auch zahlenmäßig ins Gewicht fallenden Teile der männlichen und weiblichen Versicherten, für die völlig gleiche Voraussetzungen vorliegen, das Pensionsalter der Frauen generell niedriger festgesetzt, als jenes der Männer. Auch die weiteren Ausführungen des Bundesverfassungsgerichtes sind keine zwingende Rechtfertigung der unterschiedlichen Behandlung der Geschlechter im Pensionsrecht. Er meint, würde es sich allein um einen Ausgleich für die Doppelbelastung der Frauen handeln, könnte es zweifelhaft sein, ob eine unterschiedliche Behandlung auch zugunsten von Frauen ohne diese Doppelbelastung und zum Nachteil von Männern mit einer solchen statthaft wäre. Der Gesetzgeber habe aber weitere Umstände in typisierender Betrachtungsweise berücksichtigen dürfen, so zB daß das Ausbildungsdefizit der Frauen, das ihre berufliche Stellung und damit ihr Arbeitsentgelt sowie ihre Rentenerwartung in der Vergangenheit maßgeblich beeinträchtigt habe, in typischen Fällen durch eine Antizipierung der erwarteten Stellung der Frau als spätere Mutter verursacht worden sei. Ähnliche Ursachen dürften auch vielfach die Beschäftigung in unteren Lohngruppen und die geringeren Aufstiegschancen der Frau im Beruf haben. Die typischen Unterbrechungen einer entgeltlichen Tätigkeit durch Zeiten von Schwangerschaft, Geburt und Kindererziehung hätten zudem bei Frauen häufig zur Folge, daß sie im Gegensatz zu Männern von der Inanspruchnahme des (der vorzeitigen Alterspension bei langer Versicherungsdauer vergleichbaren) flexiblen Altersruhegeldes bei Vollendung des 63. Lebensjahres deswegen keinen Gebrauch machen könnten, weil sie die besonderen Voraussetzungen einer 35jährigen Versicherungszeit nicht erfüllten. All das lasse sich aber im Kern auf die Funktion oder jedenfalls die mögliche Stellung weiblicher Versicherter als Ehefrau und Mutter, also auf biologische Umstände zurückführen. Hier wird nach Ansicht des erkennenden Senates übersehen, daß die unbestrittenermaßen bestehenden beruflichen Nachteile der Frauen durch Schwangerschaft und Geburt, die für die jetzt in das Pensionsalter tretenden Frauen noch nicht durch gesetzliche Maßnahmen ausgeglichen wurden Ävgl die Verbesserung der Ersatzzeitenregelung in § 227 Abs 1 Z 3 und 4 ASVGÜ sowie Kindererziehung und die aus diesen Gründen vielleicht erfolgte Beschäftigung in unteren Lohngruppen und die geringeren Aufstiegschancen nicht dadurch ausgeglichen werden können, daß den Frauen das Recht zur früheren Pensionierung eingeräumt wird. Denn gerade ein früherer Pensionsantritt verstärkt noch die Benachteiligung der Frauen, da sie hiedurch noch weniger anrechenbare Zeiten erlangen und damit die Höhe der Pension noch geringer wird. Von einer bestehenden Benachteiligung ausgleichenden Regelung kann daher in diesem Zusammenhang kaum gesprochen werden. Dagegen, daß der Gesetzgeber durch die unterschiedliche Regelung des Pensionsanfallsalters die durch die Unterbrechung einer entgeltlichen Tätigkeit durch Schwangerschaft, Geburt und Kindererziehung bei Frauen bestehenden schlechteren Versicherungsverläufe ausgleichen wollte, spricht im übrigen auch die durch die 40. ASVG-Novelle getroffene Neuregelung der Wartezeit für Leistungen aus dem Versicherungsfall der verminderten Arbeitsfähigkeit im § 236 ASVG. Diese beträgt bei männlichen Versicherten, wenn der Stichtag vor Vollendung des 55. Lebensjahres liegt, bei weiblichen Versicherten, wenn der Stichtag vor Vollendung des 50. Lebensjahres liegt, 60 Monate. Wenn der Stichtag nach Vollendung des 55. Lebensjahres bei männlichen Versicherten und nach Vollendung des 50. Lebensjahres bei weiblichen Versicherten liegt, beträgt die Wartezeit je nach Lebensalter des Versicherten für jeden weiteren Lebensmonat jeweils ein Monat mehr bis zum Höchstausmaß von 180 Versicherungsmonaten. Diese Bestimmung bedeutet eine Benachteiligung weiblicher Versicherter. Während etwa für einen Mann mit 55 Jahren eine Wartezeit von 60 Monaten für den Anspruch auf eine Pensionsleistung wegen verminderter Arbeitsunfähigkeit erforderlich ist, gelangt eine Frau gleichen Alters nur dann in den Genuß der Leistung, wenn sie 120 Versicherungsmonate aufzuweisen hat. Schließlich ist auch noch auf die zunehmende, bereits nicht unbeträchtliche Zahl von Frauen mit Teilzeitbeschäftigung zu verweisen, bei denen naturgemäß die Doppelbelastung durch Beruf und Haushaltsführung nicht mehr so schwer ins Gewicht fällt."
Diese Bedenken gegen die unterschiedliche Regelung des Alterspensionsalters für männliche und weibliche Versicherte gelten auch für die im vorliegenden Fall anzuwendenden Bestimmungen über den an das geschlechtsunterschiedliche Alterspensionsalter anknüpfenden geschlechtsunterschiedlichen Beginn der Erhöhung der Wartezeit und der Verlängerung der Rahmenfrist.
Der Oberste Gerichtshof sieht sich daher auch in diesem Fall veranlaßt, dem Verfassungsgerichtshof die Möglichkeit zu geben, diese Bestimmungen auf ihre Verfassungsgemäßheit zu überprüfen und stellt daher gemäß Art 89 Abs 2 B-VG beim Verfassungsgerichtshof den aus dem Spruch ersichtlichen Antrag.
Abschließend sei darauf hingewiesen, daß der erkennende Senat aus den genannten Überlegungen mit Beschluß vom 22. November 1988, 10 Ob S 250/88, beim Verfassungsgerichtshof den Antrag gestellt hat, die identen Wortfolgen im § 236 Abs 1 Z 1 lit b und Abs 2 Z 1 ASVG als verfassungswidrig aufzuheben.
Anmerkung
E19654European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1989:010OBS00359.89.1205.000Dokumentnummer
JJT_19891205_OGH0002_010OBS00359_8900000_000