TE OGH 1989/12/5 10ObS297/89

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Veröffentlicht am 05.12.1989
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Resch als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag. Engelmaier und Dr. Kellner als weitere Richter sowie durch die fachkundigen Laienrichter Dkfm. Keibl (Arbeitgeber) und Gerald Kopecky (Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Johann K***, Laahener Straße 61, 4600 Wels, vertreten durch Dr. Hans Schwarz, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei A*** U***, Adalbert-Stifter-Straße 65, 1200 Wien, vor dem Obersten Gerichtshof nicht vertreten, wegen Versehrtenrente, infolge Revisionsrekurses der klagenden Partei gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Linz als Rekursgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 11. Juli 1989, GZ 12 Rs 87/89-7, womit der Beschluß des Kreisgerichtes Wels als Arbeits- und Sozialgerichtes vom 17. März 1989, 25 Cgs 35/89-3, bestätigt wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei hat die Kosten ihres Rechtsmittels selbst zu tragen.

Text

Begründung:

Mit Bescheid vom 3.Dezember 1986 lehnte die beklagte Partei den Anspruch auf Entschädigung aus Anlaß der Erkrankung, die der Kläger sich nach seinen Angaben in verschiedenen Betrieben als Tischler und Mühlenbauer zugezogen habe, ab, weil die Voraussetzungen des § 177 ASVG nicht gegeben seien. Der Kläger leide nach der durchgeführten fachärztlichen Untersuchung an einer unspezifischen obstruktiven Ventilationsstörung.

In seiner dagegen zu 25 Cgs 1051/87 beim Kreisgericht Wels, als Arbeits- und Sozialgericht, erhobenen Klage begehrte der Kläger die Zuerkennung einer Versehrtenrente in Höhe von 30 % der Vollrente. Er brachte vor, er sei von 1977 bis 1985 in einem Mischfutterwerk in der Futterpresserei beschäftigt und ständig stark antibiotikahaltigem Staub ausgesetzt gewesen. Dadurch hätten seine Nasenschleimhäute und die Nasennebenhöhlen stark gelitten, es seien ständig Infektionen aufgetreten. Er habe auch den Geruchssinn verloren und es bestehe eine ständige Neigung zu Nasenbluten. Es liege daher eine Berufskrankheit im Sinne der Nr.38 der Anl.1 zum ASVG vor. Nach Einholung eines Gutachtens des Sachverständigen, Dr. Rudolf S***, in welchem das Vorliegen einer Berufskrankheit im Sinne der Anl.1 zum ASVG verneint wurde, stellte der Kläger in der Tagsatzung vom 10.November 1987 den Antrag auf Einholung eines ergänzenden Gutachtens zur Klärung der Frage, ob bei ihm nicht eine Berufskrankheit im Sinne der laufenden Nr.43 (Farmer- bzw. Drescherlunge) vorliege. Auch das Bestehen einer solchen Berufskrankheit wurde vom Sachverständigen verneint. Nach Schluß der mündlichen Verhandlung 1.Instanz am 12.Jänner 1988 wurde das Klagebegehren vom Erstgericht abgewiesen, das Oberlandesgericht Linz gab der Berufung des Klägers keine Folge, das Urteil erwuchs in Rechtskraft.

Mit Bescheid vom 18.Jänner 1989 lehnte die beklagte Partei einen neuerlich erhobenen Anspruch auf Entschädigung aus Anlaß der Erkrankung, die sich der Kläger nach seinen Angaben in verschiedenen Betrieben als Tischler- und Mühlenbauer zugezogen habe, ab, weil keine entschädigungspflichtige Berufskrankheit gemäß § 177 ASVG, Anlage 1 Nr.43 (exogen-allergische Alveolitis mit objektiv nachweisbarem Funktionsverlust der Lunge, soferne das als ursächlich festgestellte Antigen tierischer oder pflanzlicher Abkunft bei der Erwerbsarbeit von einem objektiv feststellbaren bestimmenden Einfluß gewesen ist) bestehe.

Im vorliegenden Verfahren begehrt der Kläger eine Versehrtenrente von 20 % der Vollrente und brachte vor, er sei von 1977 bis 1985 in einem Mischfutterwerk in der Futterpresserei beschäftigt und dabei Stäuben ausgesetzt gewesen, die auch Antibiotika enthalten hätten. Durch diese Arbeit habe er sich eine Schädigung der Schleimhäute und der Lunge zugezogen. Da es sich bei der Ursache dieser Schädigung um pflanzliche Stoffe (Stäube) handle, liege eine Berufskrankheit im Sinne der laufenden Nr.43 der Anlage 1 zum ASVG vor.

Das Erstgericht wies die Klage zurück. Aus der Identität der Parteien, des Begehrens und des behaupteten rechtserzeugenden Sachverhaltes im Vorprozeß und in der gegenständlichen Klage ergebe sich, daß die vorliegende Klage gemäß § 240 Abs.3 ZPO unzulässig sei. Aus dem vom Kläger behaupteten Umstand, daß seit 1.Jänner 1988 durch die 44.Novelle zum ASVG der Wortlaut der laufenden Nr.43 der Anl.1 zum ASVG geändert worden sei, lasse sich für den Kläger nicht gewinnen, weil die Verhandlung erster Instanz im Verfahren 25 Cgs 1051/81 erst am 12.Jänner 1988 geschlossen worden sei. Es sei daher nicht einmal eine nachträgliche Änderung der Rechtslage eingetreten, die allerdings die Rechtskraftwirkung von Urteilen ohnedies nicht berühren könnte.

Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Klägers keine Folge. Der Kläger gestehe selbst als richtig zu, daß er in seiner Klage keine Änderung des rechtserzeugenden Sachverhaltes behauptet habe. Seine Ansicht, die materielle Rechtskraft der Entscheidung im Verfahren 25 Cgs 1051/87 erfasse mangels eines die Novellierung berücksichtigenden Bescheides nicht die durch die 44.ASVG-Novelle geänderte und erweiterte Bestimmung der Berufskrankheit Nr.43, sei nicht stichhaltig. Entscheidend sei, daß im Vorprozeß über das Vorliegen einer Berufskrankheit im Sinne der Nr.43 der Anl.1 zum ASVG abgesprochen worden sei. Es sei davon auszugehen, daß Urteilsgrundlage die zum Zeitpunkt des Schlusses der Verhandlung geltende Fassung der Berufskrankheit Nr.43 gewesen sei. Selbst wenn man annehme, daß diese Neufassung in die Entscheidung im Vorprozeß nicht eingegangen sei, werde durch eine nachträgliche Änderung der Rechtslage die Rechtskraftwirkung von Urteilen nicht berührt.

Rechtliche Beurteilung

Dem Revisionsrekurs kommt keine Berechtigung zu.

Die Rechtskraftwirkung besteht darin, daß die Rechtsbeziehungen zwischen den Streitteilen hinsichtlich des strititigen Rechtsschutzanspruches unbestreitbar, dauernd bindend und daher unwiderlegbar und unabänderlich festgestellt werden. Für den Eintritt der Rechtskraftwirkung sind die Identität der Parteien, die Identität des rechtserzeugenden Sachverhaltes und die Identität des Anspruches erforderlich (Fasching Komm. III, 700). Der Kläger meint, die Identität des Anspruches sei nicht gegeben, weil für die Entscheidung im Verfahren 25 Cgs 1051/87 das Gutachten des Sachverständigen, Dr. S***, vom 25.November 1987 herangezogen worden sei. Die ab 1.Jänner 1988 geltende Neufassung der Berufskrankheit Nr.43 der Anl.1 zum ASVG könne daher nicht Gegenstand der Entscheidung des Kreisgerichtes Wels gewesen sein. Dafür biete auch das Klagebegehren und Prozeßvorbringen keinen Anhaltspunkt.

Der "geltend gemachte Anspruch" im Sinne des § 411 ZPO ist das vom Gericht rechtlich qualifizierte Sachbegehren, das durch den festgestellten rechtserzeugenden Sachverhalt individualisiert wird. Da die rechtliche Qualifikation ausschließlich Sache des Gerichtes ist und eine von den Parteien vorgenommene rechtliche Qualifikation nicht bindet, ist für den Anspruchsbegriff des § 411 ZPO nur die vom Gericht in der Entscheidung vorgenommene rechtliche Qualifikation maßgebend (Fasching aaO, 701, 702).

In dem im Vorprozeß angefochtenen Bescheid hat die beklagte Partei keine Einschränkung dahin vorgenommen, nach welchen einzelnen Nummern der Anl.1 zum ASVG das Vorliegen einer Berufskrankheit verneint wurde, sondern insgesamt festgestellt, daß die Voraussetzungen des § 177 ASVG nicht gegeben seien. Der Kläger hat sich im Vorprozeß auf Nr.38 und später auf Nr.43 der Anl.1 zum ASVG gestützt. Das Erstgericht kam in seiner rechtlichen Qualifikation zu dem Ergebnis, daß keine der in Anl.1 zum ASVG ausdrücklich angeführten Berufskrankheiten vorliege.

Die richterliche Entscheidung muß sich notwendig auf einen Zeitpunkt beziehen, der noch vor der Entscheidung liegt und den Sachverhalt zugrunde legen, wie er in diesem Zeitpunkt vorlag (Fasching ZPR Rz 1531). Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung eines Sachverhaltes ist daher die zum Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung 1.Instanz geltende Rechtslage (Fasching ZPR Rz 794). Zu diesem Zeitpunkt (12.Jänner 1988) aber war die Berufskrankheit der Nr.43 der Anl.1 zum ASVG bereits nach der seit 1. Jänner 1988 in Geltung stehenden erweiterten Fassung zu beurteilen und der Entscheidung zugrunde zu legen. Wenn dies das Erstgericht unterlassen haben sollte und dadurch allenfalls Feststellungsmängel vorgelegen sein sollten, wäre dies nur im Wege einer Bekämpfung des Urteiles wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung zu beseitigen gewesen. Einer neuerlichen Geltendmachung steht die Rechtskraftwirkung des Urteiles im Vorprozeß, welche auf den Schluß der mündlichen Streitverhandlung 1.Instanz zu beziehen ist, entgegen. Im übrigen geht aus der Berufungsentscheidung des Oberlandesgerichtes Linz vom 16.Mai 1988, mit welcher das Ersturteil im Vorprozeß bestätigt wurde, klar hervor, daß das Berufungsgericht in seine rechtliche Beurteilung Nr.43 der Anl.1 in der erweiterten Fassung der 44.ASVG-Novelle einbezogen hat (AS 117, 118) und zu dem Ergebnis gelangte, daß keine Berufskrankheit im Sinne der Anl.1 zum ASVG in Betracht komme.

Auf die im Revisionsrekurs aufgeworfene Frage, inwieweit die Entscheidung im Vorprozeß ohne bescheidmäßige Grundlage erfolgte, also Unzulässigkeit des Rechtsweges vorgelegen sei, muß nicht näher eingegangen werden, weil durch die Rechtskraft auch eine allenfalls vorgefallene Nichtigkeit geheilt wird.

Dem Revisionsrekurs war daher keine Folge zu geben. Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs.1 Z 2 lit. b ASGG.

Anmerkung

E19641

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1989:010OBS00297.89.1205.000

Dokumentnummer

JJT_19891205_OGH0002_010OBS00297_8900000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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