Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.-Prof.Dr.Kuderna als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Gamerith und Dr.Bauer sowie die fachkundigen Laienrichter Dr.Franz Schrank und Franz Murmann als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Dr. Dotschina D***, Ärztin, Wien 3., Kegelgasse 16/2/12, vertreten durch Dr. Wilhelm Philipp, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei K*** DER S*** VOM III. O*** DES H***
F***, Wien 5., Hartmanngasse 7, vertreten durch Dr. Michael Graff und Dr. Christian Kuhn, Rechtsanwälte in Wien, wegen 1,296.018,03 S sA (Revisionsstreitwert 900.000 S sA), infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 5. September 1989, GZ 31 Ra 77/89-15, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Teilurteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 13. Jänner 1989, GZ 4 Cga 4008/88-9, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluß
gefaßt:
Spruch
Der Revision wird Folge gegeben.
Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben und die Sache zur Ergänzung des Verfahrens und neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.
Die Kosten des Berufungs- und Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Text
Begründung:
Die Klägerin begehrt (soweit es den den Gegenstand des Revisionsverfahrens bildenden Anspruch betrifft) die Zahlung eines Betrages von 900.000 S. Sie sei vom 1. September 1976 bis April 1988 als Fachärztin für Anästhesiologie bei der beklagten Partei beschäftigt gewesen. Aufgrund "diverser Vereinbarungen", welche teilweise zwischen der Ärztekammer für Wien und dem Verband der Versicherungsunternehmen Österreichs einerseits, "teilweise" auch direkt zwischen den Spitälern und den Versicherungen abgeschlossen werden, habe die Klägerin Anspruch auf Auszahlung von Honoraren. Als Facharzt für Anästhesie sei sie neben den Primarärzten für Chirurgie grundsätzlich berechtigt, ihre Honorare selbst einzufordern, weil sie für ihren Fachbereich die alleinige Verantwortung trage. Dabei gelte, daß für Anästhesieleistungen mindestens 25 % des Operationshonorars zu entrichten seien; die Honorare für die chirurgische Assistenz seien vom Honoraranteil des Operateurs zu begleichen und nicht vom Honorar des Anästhesisten. Nach dem Krankenanstaltengesetz hätten alle dem Primararzt nachgeordneten Ärzte mindestens 40 % des Primararzthonorars zu erhalten; die Aufteilung dieses Honoraranteils unter den Ärzten erfolge nach freier Vereinbarung. Anläßlich des Abschlusses des Dienstvertrages sei der Klägerin die Auszahlung ihrer Narkosehonorare entsprechend den erwähnten Vereinbarungen zugesagt und die Durchführung der Abrechnung treuhändig über die Klosterprokuratur vereinbart worden. Diese Abrechnung habe nicht nur für die Honorare von Privatpatienten gegolten, sondern auch betreffend die anteiligen Narkosehonorare sogenannter kleiner Kassen. Schon nach relativ kurzer Zeit habe sich der Verdacht ergeben, daß die Verrechnung der Honoraranteile unkorrekt erfolge. Aufforderungen zur Offenlegung seien von Seiten der beklagten Partei mit der Androhung der Kündigung abgewehrt worden. Nach der von der beklagten Partei ausgesprochenen Entlassung (deren Berechtigung in der Klage bekämpft wird) sei die Klägerin von mehreren Seiten darauf aufmerksam gemacht worden, daß "diverse Honorare" von der beklagten Partei überhaupt nicht zur Auszahlung gelangt seien. Überdies sei sie darüber informiert worden, daß auch von Privatpatienten nicht die vorgeschriebenen 25 % ausgezahlt worden seien. Die Klägerin sei auf diese Weise jährlich um mindestens 300.000 S in ihren Honoraransprüchen verkürzt worden. Für die letzten 3 Jahre werde ein Betrag von 900.000 S begehrt. Die beklagte Partei bestritt das Klagevorbringen.
In der Tagsatzung zur mündlichen Streitverhandlung vom 13. Jänner 1989 ersuchte der Klagevertreter um Einräumung einer Frist von 14 Tagen zur Präzisierung des Vorbringens hinsichtlich dieses Anspruchsteiles. Das Erstgericht wies jedoch das Begehren der Klägerin in diesem Umfang mit Teilurteil ab. Gemäß § 226 Abs 1 ZPO habe die Klage jene Tatsachen, auf welche sich der Anspruch gründe, im einzelnen kurz und vollständig anzugeben. Die Unvollständigkeit des Sachvortrages sei kraft Gesetzes eine Frage der Begründbarkeit der Klage. Die Grenze der Vollständigkeit des Vorbringens liege dort, wo die Unvollständigkeit Unschlüssigkeit zur Folge habe. Dies sei hier der Fall. Das Klagebegehren könne aus dem behaupteten Sachverhalt nicht abgeleitet werden, zumal die Klägerin nicht in der Lage gewesen sei, den Betrag von 900.000 S zu präzisieren. Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin nicht Folge. Gemäß § 226 Abs 1 ZPO habe der Kläger die Tatsachen, auf die sich sein Anspruch gründe, kurz und vollständig anzugeben. Die Klage habe auch die für die Höhe eines Anspruches erforderlichen Mindestangaben zu enthalten. Fehlten die Grundtatsachen zur Ableitung der Anspruchshöhe, dann sei die Klage unschlüssig. Die Prozeßbehauptungen des Klägers müßten insbesondere, wenn sich das Begehren aus mehreren Anspruchsteilen zusammensetze, in einer Weise konkretisiert sein, daß die geltend gemachte Forderung für die beklagte Partei eindeutig überprüfbar sei und eine Stellungnahme zu jedem einzelnen Anspruchsteil ermöglicht werde. Es sei nicht zulässig, nur allgemein gehaltene unüberprüfbare Behauptungen aufzustellen und eine Spezifizierung der geltend gemachten Ansprüche in das Beweisverfahren zu verschieben. Die Klägerin habe zu diesem Teil ihrer Klagsforderung lediglich vorgebracht, daß die beklagte Partei sie um jährliche Honoraransprüche von "zumindest" 300.000 S verkürzt habe, die ihr aufgrund "diverser Vereinbarungen" zugestanden seien. Dieses Vorbringen sei sowohl für die beklagte Partei als auch für das Gericht unüberprüfbar, weil mangels hinreichender Spezifizierung keine Grundlage für die Kontrolle der Errechnung der Beträge bestehe. Es wäre erforderlich gewesen, im einzelnen auszuführen, aufgrund welcher konkreten Vereinbarungen und für jeweils welche konkrete ärztliche Leistung der Klägerin jeweils welches Honorar gebühre. Da sich die klagende Partei zu einer solchen Konkretisierung und Spezifizierung nicht verstanden habe, habe das Erstgericht das Begehren wegen Unschlüssigkeit der Klage zu Recht abgewiesen.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der klagenden Partei aus den Revisionsgründen der Aktenwidrigkeit, der Mangelhaftigkeit des Verfahrens und der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung im Sinn des Klagebegehrens abzuändern; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Die beklagte Partei beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist berechtigt.
Der Revisionsgrund der Aktenwidrigkeit liegt nur vor, wenn Feststellungen über Tatsachen auf aktenwidriger Grundlage getroffen werden. Diese Voraussetzung kann hier schon deshalb nicht erfüllt sein, weil Tatsachenfeststellungen bisher überhaupt nicht getroffen wurden. Eine unrichtige oder unvollständige Wiedergabe der Parteienbehauptungen bildet keine Aktenwidrigkeit, weil der Oberste Gerichtshof diesbezüglich unmittelbar auf den Akteninhalt zurückgreifen kann.
Der Revisionsgrund der Mangelhaftigkeit des Verfahrens wird gemeinsam mit dem Rechtsmittelgrund der Aktenwidrigkeit ausgeführt; geltend gemacht werden nur behauptete Aktenwidrigkeiten. Dazu sei auf das vorher Gesagte verwiesen. Ein Verfahrensmangel wird nicht aufgezeigt.
Die Rechtsrüge ist allerdings berechtigt.
Die Klägerin hat sich zur Begründung ihres Honoraranspruches auf diverse Vereinbarungen, welche teilweise zwischen der Ärztekammer für Wien und dem Verband der Versicherungsunternehmungen Österreichs, teilweise auch direkt zwischen den Spitälern und den Versicherungen abgeschlossen worden seien, berufen; sie hat ferner den sich hieraus ergebenden Honoraranspruch prozentmäßig angegeben und ausdrücklich vorgebracht, daß ihr bei Abschluß des Dienstvertrages die Auszahlung der Narkosehonorare entsprechend den erwähnten Vereinbarungen zugesagt worden sei. Rechtsgrundlage für das erhobene Begehren bildet daher nach dem Klagevorbringen der Dienstvertrag, in dem Honorare in der von der Klägerin in Prozenten angegebenen Höhe vereinbart wurden. Den "diversen Vereinbarungen" kommt nach diesem Vorbringen keine entscheidende Bedeutung zu. Sie werden nur zur Begründung des Inhaltes der im Dienstvertrag abgeschlossenen Vereinbarung erwähnt. Mit der Behauptung, daß der Klägerin nach dem Dienstvertrag Honorare in einer bestimmten prozentmäßigen Höhe zugesagt worden seien, wurde ein bestimmter und tauglicher Rechtsgrund für das erhobene Begehren geltend gemacht. Auch die Behauptungen zur Anspruchshöhe sind ausreichend bestimmt. Nach der Bestimmung des § 226 Abs 1 ZPO hat die Klage - abgesehen von einem bestimmten Begehren unter der Anführung der Beweismittel - die rechtserzeugenden Tatsachen im einzelnen kurz und vollständig anzugeben. Sie muß also soviel an rechtserzeugenden Tatsachen enthalten, daß der geltend gemachte Anspruch aufgrund dieser Tatsachen hinreichend substantiiert erscheint. Prüft man das Tatsachenvorbringen unter diesem Gesichtspunkt, dann ist das Bestehen des Honoraranspruches schlüssig behauptet. Die Klägerin hat den mit dem Klagebegehren übereinstimmenden, behaupteten ausständigen Honorarbetrag nach Art, Zeit und Umfang der Leistung bestimmt angegeben. Die von den Vorinstanzen vermißte mangelnde Aufgliederung in einzelne Posten oder Zeiträume nimmt dem diesbezüglichen Vorbringen nicht die Schlüssigkeit (in diesem Sinne auch 8 Ob 209/79). Setzt sich ein auf einen einheitlichen Anspruchsgrund gestütztes Begehren aus zahlreichen Einzelforderungen zusammen, die während eines längeren Zeitraumes aufgelaufen sind, so würde das Gebot nach einer Präzisierung des Vorbringens überspannt, würde man für jeden einzelnen von unter Umständen hunderten Fällen ein gesondertes detailliertes Vorbringen fordern. Die Behauptung, daß der Klägerin aufgrund einer im Dienstvertrag gegebenen Zusage zur Zahlung eines Honorars für Anästhesieleistungen im Ausmaß von 25 % des Operationshonorars über die bereits geleisteten Zahlungen hinaus weitere Honorare für die letzten 3 Jahre in der Höhe von insgesamt 900.000 S zustehen, ist hinreichend bestimmt und bildet eine taugliche Grundlage für das erhobene Begehren. Die Klage ist daher auch hinsichtlich dieses Anspruchsgrundes schlüssig. Das Erstgericht wird im fortgesetzten Verfahren Grund und Höhe des Anspruches zu prüfen haben.
Der Kostenvorbehalt stützt sich auf § 52 ZPO.
Anmerkung
E19619European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1989:009OBA00326.89.1206.000Dokumentnummer
JJT_19891206_OGH0002_009OBA00326_8900000_000