TE OGH 1989/12/6 9ObA289/89

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 06.12.1989
beobachten
merken

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Rekursgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.-Prof.Dr.Kuderna als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Gamerith und Dr. Bauer sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Franz Schrank und Franz Murmann als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Bruno D***, Arbeiter, Saalbach 359, vertreten durch Dr. Walter Steiner, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei S*** Bau-Aktiengesellschaft, Wien 1., Seilerstätte 18-20, wegen Kündigungsanfechtung nach § 105 ArbVG, infolge Revisionsrekurses der klagenden Partei gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Linz als Arbeits- und Sozialgericht als Rekursgericht vom 31. August 1989, GZ 12 Ra 90/89-5, womit infolge Rekurses des Klägers der Beschluß des Landesgerichtes Salzburg als Arbeits- und Sozialgericht vom 7. August 1989, GZ 16 Cga 144/89-2, bestätigt wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Dem Rekurs wird Folge gegeben.

Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden aufgehoben und dem Erstgericht eine Sachentscheidung über den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Anfechtung der Kündigung aufgetragen.

Die Kosten des Rekurses sowie des Revisionsrekurses sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

Mit der am 4. Juli 1989 eingebrachten Klage begehrt der Kläger die am 3. März 1989 von der beklagten Partei ausgesprochene Kündigung seines Dienstverhältnisses für rechtsunwirksam zu erklären, da die Kündigung sozial ungerechtfertigt sei und hiedurch wesentliche Interessen des Klägers beeinträchtigt würden. Zugleich stellte der Kläger einen Antrag auf Bewilligung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Anfechtung der Kündigung.

Das Erstgericht wies den Antrag des Klägers auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zurück. Die dem Arbeitnehmer eingeräumte Anfechtungsfrist des § 105 Abs. 4 ArbVG sei keine verfahrensrechtliche Frist, sondern eine materiellrechtliche Präklusionsfrist; die Wiedereinsetzung sei daher ausgeschlossen. Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Klägers nicht Folge. Der Verwaltungsgerichtshof gehe davon aus, daß die Frist des § 105 Abs. 4 ArbVG eine materiellrechtliche Frist sei. Eine "gewisse Zwitterstellung" zwischen materiellrechtlicher und prozessualer Frist ergebe sich nur dadurch, daß gemäß § 169 ArbVG die Bestimmungen der §§ 32 und 33 AVG anzuwenden seien. Aus dem klaren Gesetzeswortlaut sei aber zu schließen, daß eben nur diese einzelnen prozessualen Bestimmungen des AVG über die Berechnung der Fristen, über den Beginn und Lauf der Fristen und die Frage des Postenlaufes ausnahmsweise zu berücksichtigen seien. Im § 169 ArbVG fehle hingegen eine Bestimmung, wonach auch die übrigen Vorschriften des AVG, insbesonders die des § 71 AVG über die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, auf die Fristen des ArbVG anzuwenden seien. Hätte der Gesetzgeber die Möglichkeit einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Fristen des ArbVG gewollt, dann hätte dies im § 169 ArbVG durch Zitierung der Bestimmung des § 71 AVG zum Ausdruck kommen müssen. Die Frist des § 105 Abs. 4 ArbVG sei grundsätzlich eine materiellrechtliche Frist, auf die nur die prozessualen Sonderbestimmungen der §§ 32 und 33 AVG anzuwenden seien.

Rechtliche Beurteilung

Gegen diesen Beschluß richtet sich der berechtigte Rekurs des Klägers.

Gemäß § 105 Abs. 4 4. Satz ArbVG steht dem Arbeitnehmer, wenn der Betriebsrat innerhalb der Frist des Abs. 1 keine Stellungnahme abgegeben hat, zur Anfechtung einer Kündigung eine Frist von einer Woche ab Zugang der Kündigung offen. Gemäß § 169 ArbVG gelten für die Berechnung und den Lauf aller im ArbVG festgesetzten Fristen die Bestimmungen der §§ 32 und 33 AVG. Gemäß § 33 Abs. 3 AVG sind die Tage des Postenlaufes in die Frist nicht einzurechnen. Die Lehre (Floretta in Floretta-Strasser ArbVG, Handkommentar 675; dieselben ArbVG2, 276) führt dazu aus, daß es sich bei der im § 105 Abs. 4 ArbVG normierten Frist um eine materiellrechtliche Präklusivfrist handle und eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ausgeschlossen sei. Auch in der Rechtsprechung der Einigungsämter (ZAS 1981, 1; Arb. 10.466) wurde diese Auffassung vertreten.

Dieser Ansicht, die bereits für den Bereich des Verwaltungsverfahrens vor den Einigungsämtern auf Kritik stieß (Wachter in RdW 1986, 147; insbesonders auch die dort in der FN 5 zitierten Ausführungen in Walter-Mayer, Grundriß des Österreichischen Verwaltungsverfahrensrechtes3, 79 f) kann insbesondere im Hinblick auf die Bestimmungen des ASGG nicht gefolgt werden.

Gemäß § 67 Abs. 2 ASGG muß in Sozialrechtssachen die Klage in den Fällen des § 67 Abs. 1 Z 1 bei sonstigem Verlust der Möglichkeit der gerichtlichen Geltendmachung des Anspruchs innerhalb der unerstreckbaren Frist von vier Wochen - handelt es sich um Leistungen der Pensionsversicherung von drei Monaten - ab Zustellung des Bescheides erhoben werden. Die Tage des Postenlaufes werden in die Frist nicht eingerechnet. Die hier maßgebliche gesetzliche Regelung für die Fristen des § 105 Abs. 4 ArbVG (dort in Verbindung mit § 169 ArbVG und § 33 Abs. 3 AVG) ist daher inhaltsgleich mit § 67 Abs. 2 ASGG. In beiden Fällen ordnet der Gesetzgeber an, daß die Tage des Postenlaufs in die Frist nicht einzurechnen sind, legt jedoch darüber hinaus im Gesetzestext keine weiteren Kriterien fest, die für die Qualifikation der Frist als verfahrensrechtliche Frist oder materiellrechtliche Präklusivfrist von Bedeutung sein könnten. Die Erläuternden Bemerkungen zur Regierungsvorlage zum ASGG (7 BlgNR 16. GP, 54) - dort zu § 59 des Entwurfes - führen dazu aus, daß mit dem letzten Satz des Absatz 2, sohin mit der Bestimmung, daß die Tage des Postenlaufs in die Frist nicht einzurechnen sind - klargestellt werde, daß es sich nicht um eine materiellrechtliche, sondern um eine prozessuale Frist handle, daß sohin etwa auch die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bei Versäumung der Frist in Betracht komme. In der Zeit vor der Geltung des ASGG habe eine vergleichbare klare Regelung gefehlt; dies habe in der Judikatur zu divergierenden Auslegungen geführt, denen für die Zukunft vorgebeugt werden solle. Auch das Schrifttum (Kuderna, ASGG Anm. 11 zu § 67; Feitzinger-Tades ASGG Anm. 5 zu § 67 ASGG vertreten in Übereinstimmung mit den Gesetzesmaterialien die Auffassung, daß es sich bei der Klagefrist des § 67 Abs. 2 ASGG um eine prozessuale Frist handle).

Dieser in den Gesetzesmaterialien ausgesprochene und in der Lehre zu § 67 Abs. 2 ASGG vertretene Grundsatz muß auch auf die Frist für die gerichtliche Anfechtung der Kündigung nach § 105 Abs. 4 ArbVG bezogen werden. Es ist daher davon auszugehen, daß auch die dort normierte, der Einleitung eines gerichtlichen Verfahrens dienende Frist, bei der ebenso wie im Fall des § 67 Abs. 2 ASGG kraft ausdrücklicher gesetzlicher Anordnung die Tage des Postenlaufes nicht einzurechnen sind, eine prozessuale Frist ist und daher auch die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zulässig ist. Das Erstgericht wird über den Antrag des Klägers auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist des § 105 Abs. 4 ArbVG eine Sachentscheidung zu treffen haben. Der Kostenvorbehalt stützt sich auf § 52 ZPO.

Anmerkung

E19353

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1989:009OBA00289.89.1206.000

Dokumentnummer

JJT_19891206_OGH0002_009OBA00289_8900000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten