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10/07 Verwaltungsgerichtshof;Norm
FrG 1997 §36 Abs1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Gruber und die Hofräte Dr. Robl, Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Grünstäudl als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Thurin, über die Beschwerde des A, vertreten durch Dr. Hans Jalovetz und Dr. Paul Wachschütz, Rechtsanwälte in 9500 Villach, Postgasse 6, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Kärnten vom 23. April 2002, Zl. Fr-398/01, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.171,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid erließ die belangte Behörde gegen den Beschwerdeführer, einen Staatsangehörigen von Serbien und Montenegro, gemäß § 36 Abs. 1 iVm Abs. 2 Z 1 und § 39 Abs. 1 des Fremdengesetzes 1997 - FrG, BGBl. I Nr. 75, ein auf zehn Jahre befristetes Aufenthaltsverbot.
Zur Begründung dieser Maßnahme verwies sie darauf, dass die Behörde erster Instanz ein unbefristetes Aufenthaltsverbot gegen den Beschwerdeführer erlassen habe, weil dieser laut Mitteilung des Landesgerichtes Klagenfurt wegen § 207 Abs. 1 StGB (Unzucht mit Unmündigen) und § 105 Abs. 1 StGB (Nötigung) zu einer "teilbedingten Freiheitsstrafe" verurteilt worden sei.
Aus dem fremdenpolizeilichen Akt sei zu entnehmen, dass der Beschwerdeführer bereits am 7. September 1995 nach den §§ 125, 126 Abs. 1 Z 7, 83 Abs. 1 und 94 Abs. 1 StGB zu einer Geldstrafe von 180 Tagessätzen verurteilt worden sei. Dem sei zu Grunde gelegen, dass der Beschwerdeführer jemandem eine volle Doppelliterflasche Rotwein mit voller Wucht auf den Hinterkopf geschlagen habe, sodass dieser besinnungslos zu Boden gestürzt sei. Anschließend habe er Flaschen und Gläser im Bereich der Theke zu Boden geschmettert und, ohne sich um die (den?) zurückgebliebenen Verletzten zu kümmern, das Lokal fluchtartig verlassen.
Der Beschwerdeführer habe in der Berufung eingeräumt, dass die (zweite) Verurteilung durch das Landesgericht Klagenfurt (vom 13. Juli 2000) zu einer "teilbedingten Strafe", nämlich einer unbedingten Geldstrafe von 300 Tagessätzen und einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von fünf Monaten, als bestimmte Tatsache im Sinn des § 36 Abs. 2 Z 1 FrG zu werten sei. Diesbezüglich erübrige sich eine nähere Begründung. Auf Grund des "zuvor geschilderten Gesamtverhaltens" sei "sehr wohl die Annahme gestattet", dass der weitere Aufenthalt des Beschwerdeführers den im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen mit Rücksicht auf die Verhinderung strafbarer Handlungen und den Schutz der Gesundheit und der Moral zuwiderlaufen würde.
Der Beschwerdeführer halte sich seit 1989 in Österreich auf und arbeite seit diesem Zeitpunkt als Lackierer bei einer namentlich genannten Firma. Er sei verheiratet und Vater von vier Kindern, wobei sich aber seine Familie nicht in Österreich, sondern in "Jugoslawien" aufhalte. Demnach sei mit dem Aufenthaltsverbot kein Eingriff in sein Familienleben verbunden. Der Eingriff in sein Privatleben sei dringend geboten, weil er der Verhinderung von strafbaren Handlungen und dem Schutz der Gesundheit und der Moral, somit zur Erreichung mehrerer im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannter Ziele diene. Die Auswirkungen des Aufenthaltsverbotes wögen auf seine Lebenssituation zwar schwer, weil er nach Jahren rechtmäßigen Aufenthaltes Österreich nun verlassen müsse, jedoch nicht schwerer als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von dieser Maßnahme. Die letzten strafbaren Handlungen seien nicht - wie in der Berufung behauptet - im Sommer 1998, sondern im Oktober bzw. am 20. November 1999 begangen worden, weshalb sich die Zeit des Wohlverhaltens (bis zur Erlassung des angefochtenen Bescheides) entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers "um eineinhalb Jahre verkürze". Die Schutzbestimmung des § 38 Abs. 1 Z 4 FrG komme für den Beschwerdeführer nicht zum Tragen, weil dieser weder von klein auf im Inland aufgewachsen sei noch mehr als die Hälfte seines Lebens im Bundesgebiet verbracht habe. Eine Ermessensentscheidung nach § 36 Abs. 1 FrG könne im vorliegenden Fall nicht zur Abstandnahme von der Erlassung des Aufenthaltsverbotes führen. Insbesondere müsse gerade in Fällen von Sittlichkeitsdelikten (im konkreten Fall der Unzucht mit Unmündigen) ein strenger Maßstab herangezogen werden. Die Behörde habe das Fehlverhalten des Fremden eigenständig aus dem Blickwinkel des Fremdenrechts und unabhängig von den gerichtlichen Erwägungen betreffend die Strafbemessung bzw. die Gewährung bedingter Strafnachsicht vorzunehmen.
Da es sich nicht um einen besonders gravierenden Fall der Verwirklichung eines gerichtlich strafbaren Tatbestandes handle, werde die Laufzeit des Aufenthaltsverbotes mit zehn Jahren festgesetzt. Eine Änderung des gesetzesmissachtenden Verhaltens könne nach Ablauf dieser Frist erwartet werden.
Der Verwaltungsgerichtshof hat nach Vorlage der Verwaltungsakten durch die belangte Behörde erwogen:
Gemäß § 36 Abs. 1 FrG kann gegen einen Fremden ein Aufenthaltsverbot erlassen werden, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, dass sein Aufenthalt die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit gefährdet (Z 1) oder anderen in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen (diese Konventionsbestimmung nennt die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung, die Verhinderung von strafbaren Handlungen, den Schutz der Gesundheit und der Moral und den Schutz der Rechte und Freiheiten Anderer) zuwiderläuft (Z 2).
Gemäß § 36 Abs. 2 Z 1 FrG stellt es eine bestimmte Tatsache im Sinn des § 36 Abs. 1 leg. cit. dar, wenn ein Fremder von einem inländischen Gericht zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mehr als drei Monaten, zu einer teilbedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe, zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von mehr als sechs Monaten oder mehr als einmal wegen auf der gleichen schädlichen Neigung beruhender strafbarer Handlungen rechtskräftig verurteilt worden ist.
§ 43a StGB lautet auszugsweise:
"Bedingte Nachsicht eines Teiles der Strafe
(1) Wird auf eine Geldstrafe erkannt und treffen die Voraussetzungen des § 43 auf einen Teil der Strafe zu, so hat das Gericht diesen Teil bedingt nachzusehen.
(2) Wäre auf eine Freiheitsstrafe von mehr als sechs Monaten, aber nicht mehr als zwei Jahren zu erkennen und liegen nicht die Voraussetzungen für eine bedingte Nachsicht der ganzen Strafe vor, so ist an Stelle eines Teiles der Freiheitsstrafe auf eine Geldstrafe bis zu 360 Tagessätzen zu erkennen, wenn im Hinblick darauf der verbleibende Teil der Freiheitsstrafe nach § 43 bedingt nachgesehen werden kann.
(3) Wird auf eine Freiheitsstrafe von mehr als sechs Monaten, aber nicht mehr als zwei Jahren erkannt und kann, insbesondere im Hinblick auf frühere Verurteilungen des Rechtsbrechers, weder die ganze Strafe bedingt nachgesehen noch nach Abs. 2 vorgegangen werden, so ist unter den Voraussetzungen des § 43 ein Teil der Strafe bedingt nachzusehen. Der nicht bedingt nachgesehene Teil der Strafe muss mindestens einen Monat und darf nicht mehr als ein Drittel der Strafe betragen.
(4)…"
Der Beschwerdeführer bestreitet nicht die von der belangten Behörde festgestellten Verurteilungen. Davon ausgehend ist deren Ansicht, dass der Tatbestand des § 36 Abs. 2 Z 1 FrG erfüllt sei, im Ergebnis nicht als rechtsirrig zu beanstanden. Sie irrt zwar, wenn sie durch den Hinweis auf eine "teilbedingte Strafe" offenkundig den zweiten Fall des § 36 Abs. 2 Z 1 FrG als verwirklicht ansah, fordert dieser doch eine "teilbedingte Freiheitsstrafe" (d.h. eine zum Teil bedingt nachgesehene und zum Teil unbedingt ausgesprochene Freiheitsstrafe; § 43a Abs. 3 StGB), während vorliegend kein Teil der Freiheitsstrafe unbedingt verhängt, sondern nach § 43a Abs. 2 StGB auf eine unbedingte Geldstrafe erkannt wurde. Da jedoch die Vorstrafe nach § 83 Abs. 1 StGB als Gewaltdelikt in Bezug auf die Nötigung nach § 105 StGB auf derselben schädlichen Neigung (§ 71 StGB) beruhte (vgl. das Urteil des OGH vom 11. Oktober 1983, 10 Os 70/83), liegt der Tatbestand nach § 36 Abs. 2 Z 1 letzter Fall FrG vor.
In der Beschwerde wird aber zu Recht darauf hingewiesen, dass bei der Beurteilung der in Ansehung des Fehlverhaltens des Fremden gegebenen Gefährdung von öffentlichen Interessen nicht nur auf die bloße Tatsache der Verurteilungen abzustellen ist, sondern auf die Art und Schwere der zu Grunde liegenden Straftaten und das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild des Fremden (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 24. April 2001, Zl. 98/21/0417). Ebenso zutreffend weist der Beschwerdeführer darauf hin, dass die belangte Behörde keine Feststellungen zu den der letzten Verurteilung zu Grunde liegenden im Einzelnen begangenen strafbaren Handlungen und die für die Beurteilung seines Verhaltens maßgeblichen Begleitumstände getroffen hat.
Aus diesem Grund ist die Ansicht der belangten Behörde, es sei vorliegend die in § 36 Abs. 1 FrG umschriebene Annahme gerechtfertigt, für den Verwaltungsgerichtshof nicht nachvollziehbar, zumal die Behörde selbst von keinem "gravierenden Fall" spricht.
Feststellungen zum strafbaren Verhalten des Beschwerdeführers und zu dessen Persönlichkeitsstruktur wären aber auch für die Beurteilung nach § 37 FrG erforderlich gewesen. Wenn sich auch dessen Familie nicht in Österreich aufhält, kann der Beschwerdeführer auf einen rechtmäßigen inländischen Aufenthalt von ca. 13 Jahren und eine berufliche Integration verweisen. Das daraus erfließende persönliche Interesse an einem Verbleib in Österreich ist so gewichtig, dass es auch von daher Feststellungen zur Gefährlichkeitsprognose bedarf, um dem öffentlichen Interesse an der Erlassung der aufenthaltsbeendenden Maßnahme den richtigen Stellenwert geben zu können.
Wegen des aufgezeigten Verfahrensmangels war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.
Wien, am 17. November 2005
Schlagworte
Begründung Begründungsmangel Besondere RechtsgebieteEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2005:2002210099.X00Im RIS seit
20.12.2005