TE OGH 1989/12/15 16Os45/89

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Veröffentlicht am 15.12.1989
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 15.Dezember 1989 durch den Präsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Melnizky als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kießwetter, Hon.Prof. Dr. Steininger, Dr. Walenta und Dr. Markel als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Dr. Lassmann als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Michael H*** wegen des Verbrechens der Unzucht mit Unmündigen nach § 207 Abs. 1 StGB und einer anderen strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 9. Juni 1989, GZ 8 b Vr 7077/88-61, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Nichtigkeitsbeschwerde wird teilweise Folge gegeben, das angefochtene Urteil, das ansonsten unberührt bleibt, im Schuldspruch zu den Punkten A/II und B/II des Urteilssatzes (betreffend das Faktum Magdalena H***) sowie demgemäß auch im Strafausspruch (einschließlich des Ausspruchs über die Vorhaftanrechnung) aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung im Umfang der Aufhebung an das Erstgericht zurückverwiesen. Im übrigen wird die Nichtigkeitsbeschwerde zurückgewiesen. Mit seiner Berufung wird der Angeklagte auf die auch den Strafausspruch umfassende kassatorische Entscheidung verwiesen. Gemäß § 390 a StPO fallen dem Angeklagten die Kosten des Verfahrens über seine Nichtigkeitsbeschwerde, soweit diese erfolglos geblieben ist, zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde der 42-jährige Michael H*** (zu A/I und II) des Verbrechens der Unzucht mit Unmündigen nach § 207 Abs. 1 StGB und (zu B/I und II) des Vergehens des Mißbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs. 1 StGB schuldig erkannt.

Darnach hat er in Klosterneuburg

A/ nachgenannte unmündige Personen zu wiederholten Malen auf andere Weise als durch Beischlaf, nämlich dadurch, daß er sie veranlaßte, seinen Geschlechtsteil bis zum Samenerguß zu massieren, zur Unzucht mißbraucht, und zwar

I/ ab Oktober 1980 bis August 1981 die am 2.August 1967 geborene, mithin damals 13-jährige Erna K***;

II/ von Jahresbeginn 1988 bis zum Sommer 1988 die am 10. Oktober 1980 geborene, mithin damals 7-jährige Magdalena H***;

B/ durch die zu Punkt A/ geschilderten Tathandlungen, und zwar I/ durch die zu A/I geschilderten Tathandlungen sowie bis 1983 durch Betasten ihres Geschlechtsteiles und Einführen eines Fingers in ihre Scheide eine seiner Erziehung und Aufsicht unterstehende minderjährige Person, nämlich sein Pflegekind Erna K***; II/ durch die zu A/II geschilderten Handlungen sein minderjähriges leibliches Kind Magdalena H***,

zur Unzucht mißbraucht.

Rechtliche Beurteilung

Der Angeklagte bekämpft den Schuldspruch mit einer auf die Z 4, 5 und 5 a des § 281 Abs. 1 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde, der teilweise, nämlich in Ansehung des Faktums Magdalena H***, aus dem erstbezeichneten Nichtigkeitsgrund Berechtigung zukommt. Insoweit macht der Beschwerdeführer als Verfahrensmangel geltend, daß das Schöffengericht seinen in der Hauptverhandlung (S 235/Bd. II) gestellten Beweisantrag auf Einvernahme der Magdalena H*** als Zeugin vor dem erkennenden Gericht abgewiesen (S 238/Bd. II) und entgegen seinem Widerspruch (S 238/Bd. II) die Angaben der Genannten vor dem Untersuchungsrichter (ON 10) gemäß § 252 Abs. 1 Z 1 StPO verlesen hat (S 242/Bd. II), worin er eine Beeinträchtigung seiner Verteidigungsrechte erblickt. Das Erstgericht hat die Abweisung des Antrages auf Einvernahme der minderjährigen Magdalena H*** vor dem erkennenden Gericht damit begründet (vgl. US 17), daß der beigezogene Sachverständige Univ.Prof. Dr. F*** überzeugend ausführte, es könne eine Traumatisierung (Schädigung) in der Psyche durch ein Geschehen, das für das nicht ganz begabte Kind nicht erfaßbar ist, entstehen; zwar sei die Aussagetüchtigkeit und Aussagefähigkeit gegeben, jedoch nicht die Aussagebereitschaft vor Gericht; darüber hinaus wäre das Kind nicht imstande, den Inhalt des § 152 StPO zu verstehen; zur Vermeidung einer weiteren Schädigung des Kindes werde daher von dessen Vernehmung in der Hauptverhandlung Abstand genommen und die Aussage des Kindes vor dem Untersuchungsrichter verlesen. Auszugehen ist zunächst davon, daß in bezug auf das vom Schuldspruch zu den Punkten A/II und B/II erfaßte Geschehen die zur Tatzeit 7 1/2-jährige und zur Zeit der Hauptverhandlung 8 1/2-jährige Magdalena H*** die einzige Tatzeugin ist, während die Zeugen Gertrude S*** und Elisabeth-Joe H***, wie das Schöffengericht einräumt, keine unmittelbaren Wahrnehmungen hierüber gemacht haben, sondern nur darüber berichten konnten, was ihnen Magdalena H*** erzählt hatte (US 18). Daß die zeugenschaftliche Vernehmung eines unmündigen Tatopfers (im besonderen des Alters der Magdalena H*** zur Zeit der Hauptverhandlung) grundsätzlich als geeignetes Beweismittel anzusehen ist, hat der Oberste Gerichtshof bereits mehrfach ausgesprochen (vgl. EvBl. 1958/286; EvBl. 1980/150; EvBl. 1989/113 = RZ 1989/66); dabei wurde auch darauf verwiesen, daß es letztlich der Beweiswürdigung des erkennenden Gerichtes anheimzustellen ist, auf Grund seiner forensischen Erfahrung, des persönlichen Eindrucks von dem zu vernehmenden Kind und der Ergebnisse der sonstigen Beweisaufnahmen, gegebenenfalls unter Beiziehung eines jugendpsychiatrischen Sachverständigen sich über die Zeugnisfähigkeit (§ 151 Z 3 StPO) des Kindes schlüssig zu werden (vgl. abermals EvBl. 1989/113 = RZ 1989/66, insb. auch zur Ausübung des Entschlagungsrechts gemäß § 152 Abs. 1 Z 1 StPO). Wenngleich es sicherlich zutrifft, daß eine (neuerliche) Einvernahme des unmündigen Tatopfers eines Sexualdelikts für das betreffende Kind eine schädigende und neurotisierende Wirkung haben kann - was der Oberste Gerichtshof schon in seiner Entscheidung vom 18.Mai 1989, 12 Os 33/89, gestützt auf das einschlägige Schrifttum (wie etwa Reinhart L*** "Sexualität und Kriminalität im Kinder- und Jugendalter" in: "Sexualität als Entwicklungsproblem", hrsg von Husslein, Olechowski und Rett), nicht verkannt hat -, so wird - im Interesse der Wahrung des Grundsatzes der Unmittelbarkeit, aber auch des in Art. 6 Abs. 3 lit. d MRK jedem Angeklagten zustehende Rechts, Fragen an einen Belastungszeugen zu stellen oder stellen zu lassen (vgl. zuletzt 13 Os 88/88) - von einer solchen (neuerlichen) Einvernahme des Kindes nur dann Abstand genommen werden können, wenn das erkennende Gericht auf Grund konkreter, idR von einem jugendpsychiatrischen Sachverständigen zu attestierender Umstände die Überzeugung gewinnt, daß diese Vernehmung auch bei einer entsprechend behutsamen, die kindliche Psyche berücksichtigenden Fragestellung eine fortdauernde psychische Schädigung des Kindes befürchten läßt, die durch die eigentümliche psychische Beschaffenheit eben dieses Kindes bedingt ist. Nur wenn diese Voraussetzung gegeben ist, hat - im Interesse des unmündigen Tatopfers - das Gebot der Unmittelbarkeit und des tunlichst uneingeschränkten Fragerechts des Angeklagten zurückzutreten. Im vorliegenden Fall wurde die damals 8-jährige Magdalena H*** von der Untersuchungsrichterin eingehend zeugenschaftlich vernommen, wobei das Kind nach dem Inhalt des Protokolles ON 10 (mangels gegenteiliger Wahrnehmungen der Richterin) auch den Sinn der Bestimmung des § 152 StPO offenbar erfaßt und erklärt hat, aussagen zu wollen. Auch vor dem jugendpsychiatrischen Sachverständigen hat das Kind sachbezogene Angaben gemacht (vgl. S 145 ff/Bd. II), wobei der Sachverständige festhielt, daß das Mädchen zeitlich, örtlich, zu ihrer Person und Situation in der aktuellen Lage voll orientiert ist (S 151/Bd. II). In seinem schriftlichen Gutachten kam der Sachverständige zu dem Ergebnis, daß Magdalena H*** aussagefähig und aussagetüchtig ist; allerdings, so meinte der Sachverständige, sollte "aufgrund der sehr sensiblen, emotionalen und sozialen Situation" geprüft werden, "ob es möglich wäre, ihn, aufgrund seiner Funktion und Vereidigung, an Kindesstatt zu befragen oder aber einen Weg zu finden, die Konfrontation zwischen Vater und Tochter hintanzuhalten" (S 157/Bd. II). In der Hauptverhandlung führte der Sachverständige hiezu aus, er habe "ernsthafte Bedenken, wenn das Mädchen vernommen wird", weil es sich "der Tragweite ihrer Aussage hier ... ja nicht klar ist und in ihrer Entwicklung auch nicht klar ist" (S 235/Bd. II), aus entwicklungs- wie auch aus kinderpsychiatrischer Sicht sei sich Magdalena H*** "der Tragweite ihrer Aussage vor Gericht nicht hinreichend in der aktuellen Situation bewußt", es entstehe dadurch eine Traumatisierung (Schädigung) in ihrer Psyche durch ein Geschehen, das für das nicht ganz begabte Mädchen nicht erfaßbar sei; das Mädchen befinde sich in einer Entwicklungsphase, die vor allem durch soziale Anpassung geprägt sei; ein Wiederüberdenken stattgehabter Vorgänge würde das Mädchen in seiner Entwicklung stoppen bzw. behindern; das Mädchen sei aussagetüchtig und aussagefähig, das beinhalte aber nicht die Aussagebereitschaft vor Gericht; es könne Wahrgenommenes richtig sagen, das sei für sie aber schädlich und ein traumatisches Ereignis (S 236/Bd. II).

Diese Ausführungen des Sachverständigen reichen weder einzeln noch in ihrem Zusammenhalt aus, um darauf die Annahme zu gründen, daß im Hinblick auf die eigentümliche psychische Beschaffenheit der 8 1/2-jährigen Magdalena H*** auch im Falle einer entsprechend behutsamen, ihre Psyche berücksichtigenden zeugenschaftlichen Befragung in der Hauptverhandlung eine fortdauernde psychische Schädigung des Kindes befürchtet werden muß und sich der Fall mithin von vergleichbaren anderen Fällen, in denen unmündige Opfer von Sexualdelikten als Zeugen vernommen werden, unterscheidet. Somit kann im gegenwärtigen Verfahrensstadium nicht mit Grund gesagt werden, daß der Beschwerdeführer durch die Abweisung seines Antrages, die Tatzeugin vor dem erkennenden Gericht einzuvernehmen, nicht in seinen Verteidigungsrechten gesetzwidrig beeinträchtigt worden sein kann. In Stattgebung der Verfahrensrüge war daher - abweichend von der Stellungnahme der Generalprokuratur - das angefochtene Urteil im Schuldspruch zu den Punkten A/II und B/II des Urteilssatzes (und demnach auch im Strafausspruch) aufzuheben und insoweit die Erneuerung des Verfahrens in erster Instanz anzuordnen, womit es sich erübrigt, auf das weitere Beschwerdevorbringen zu diesen Schuldspruchpunkten einzugehen.

Soweit die Nichtigkeitsbeschwerde hingegen - allein gestützt auf die Z 5 a des § 281 Abs. 1 StPO - gegen den Schuldspruch zu den Punkten A/I und B/I des Urteilssatzes (betreffend das Faktum Erna K***) gerichtet ist, kommt ihr keine Berechtigung zu. Das Schöffengericht hat seine Feststellungen zu diesem Schuldspruch in erster Linie auf die Angaben der Zeugin Erna K***, der es auf Grund des von der Genannten gewonnenen persönlichen Eindrucks Glauben schenkte, gegründet, wobei es sich im Urteil sowohl mit den von der Beschwerde ins Treffen geführten - an sich nicht gravierenden - Widersprüchen in den nunmehrigen Bekundungen dieser Zeugin zu ihren im Jahre 1983 vor der Gendarmerie in Klosterneuburg gemachten Angaben schlüssig auseinandersetzte als auch (ebenso schlüssig) darlegte, warum es dem Amtsvermerk der seinerzeitigen Untersuchungsrichterin, die Erna K*** am 21.Juli 1983 vernommen hatte, und auch den gutächtlichen Ausführungen der damals beigezogenen psychiatrischen Sachverständigen Dr. Maria K*** nicht die entsprechende Beweiskraft zuerkannte, sondern den belastenden Aussagen der Zeugin K*** folgte, die im übrigen mit den Bekundungen der Zeugin Helene P*** (der seinerzeitigen Lehrerin der Erna K***) und der Zeugin Elisabeth-Joe H*** (die zugab, seinerzeit bewußt falsch ausgesagt zu haben, um den Beschwerdeführer, mit dem sie damals verheiratet war, zu decken) im Einklang stehen. Was die Tatsachenrüge dagegen vorbringt, ist, wovon sich der Oberste Gerichtshof an Hand der Aktenlage überzeugt hat, nicht geeignet, erhebliche Bedenken gegen die Richtigkeit der dem Schuldspruch zugrunde gelegten entscheidenden Tatsachen zu erwecken; die Beschwerde bekämpft insoweit vielmehr lediglich die Beweiswürdigung der Tatrichter, die im schöffengerichtlichen Verfahren (nach wie vor) einer Anfechtung entzogen ist. Erhebliche Bedenken iS des § 281 Abs. 1 Z 5 a StPO werden aber auch nicht mit dem Einwand aufgezeigt, das Gericht hätte von Amts wegen die damalige Untersuchungsrichterin Dr. G*** als Zeugin vernehmen und (im Hinblick darauf, daß die Sachverständige Dr. K*** inzwischen verstorben ist) einen anderen (gemeint im Hinblick auf das Gutachten des Sachverständigen Dr. F***: weiteren) psychiatrischen Sachverständigen beiziehen müssen.

Die Tatsachenrüge geht somit zur Gänze fehl, weshalb im bezeichneten Umfang die Nichtigkeitsbeschwerde gemäß § 285 d Abs. 1 StPO schon bei der nichtöffentlichen Beratung zurückzuweisen war.

Mit seiner Berufung war der Angeklagte auf die kassatorische Entscheidung zu verweisen.

Die Kostenentscheidung fußt auf der bezogenen Gesetzesstelle (vgl. Mayerhofer-Rieder StPO2 ENr. 11 zu § 390 a).

Anmerkung

E19430

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1989:0160OS00045.89.1215.000

Dokumentnummer

JJT_19891215_OGH0002_0160OS00045_8900000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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