Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtsachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Resch als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag. Engelmaier und Dr. Kellner als weitere Richter sowie durch die fachkundigen Laienrichter Dr. Robert Prohaska (AG) und Walter Benesch (AN) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Margarethe F***, Missiongasse 22, 3500 Krems, vertreten durch Dr. Rudolf Müller, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei P*** DER A***,
Friedrich Hillegeist-Straße 1, 1021 Wien, vertreten durch Dr. Alfred Kasamas, Rechtsanwalt in Wien, wegen Berufsunfähigkeitspension, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 26. Juli 1989, GZ 34 Rs 34/89-87, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Kreisgerichtes Krems an der Donau als Arbeits- und Sozialgerichtes vom 5. Dezember 1988, GZ 15 Cgs 3/87-82, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluß
gefaßt:
Spruch
Der Revision wird Folge gegeben. Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben; die Rechtssache wird zur ergänzenden Verhandlung und neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen. Die Revisionskosten sind weitere Verfahrenskosten.
Text
Begründung:
Das Erstgericht wies das auf Gewährung einer Berufsunfähigkeitspension im gesetzlichen Ausmaß "ab Stichtag" gerichtete Begehren der Klägerin ab.
Es stellte im wesentlichen fest, daß die am 26. Mai 1936 geborene Klägerin vom 7. November 1966 bis 31. Juli 1980 bei der Ferdinand W*** KG als selbständige Buchhalterin beschäftigt und als solche in Verwendungsgruppe 4 des Kollektivvertrages der Handelsangestellten Österreichs eingestuft war. Vom 15. April 1978 bis 13. Dezember 1985 war sie bei der A*** M*** Handelsgesellschaft mbH (AMC) mit der Führung eines Büros, der Leitung einer Verkaufsgruppe und dem Produktverkauf (Geschirr) im Außendienst betraut. Dabei hatte sie in Privathaushalten Kochvorführungen in der Dauer von etwa 3 Stunden vor einem geladenen Interessentenkreis durchzuführen. Diese Tätigkeit ist grundsätzlich leichter Natur, sie wird vorwiegend im Stehen durchgeführt. Lediglich der Transport der Koffer mit der Produktkollektion mit einem Gewicht von 13 bis 15 kg kann als fallweise mittelschwere Arbeit gewertet werden. Dieses Dienstverhältnis wurde zum 31. Dezember 1985 einvernehmlich aufgelöst.
Die Klägerin kann leichte und mittelschwere Arbeiten in wechselnder Körperhaltung, in normaler Arbeitszeit mit den üblichen Pausen durchführen. Bei Arbeiten in dauerndem Gehen, Sitzen oder Stehen ist nach dem Verharren in einer dieser Körperhaltungen durch 45 bis 60 Minuten hindurch eine Änderung der Körperhaltung für fünf bis zehn Minuten notwendig, um das Auftreten von Verspannungszuständen und dadurch entstehende Schmerzen zu verhindern. Das Verharren in einer der genannten Körperhaltungen ist lediglich für ein Drittel der täglichen Arbeitszeit zulässig. Die Häufigkeit der Unterbrechungen ist für das Hintanhalten der Schmerzzustände ausschlaggebend. Wenn daher eine Änderung der Körperhaltung in kürzeren Abständen möglich ist, so wird die körperliche Leistungsfähigkeit nicht dadurch überschritten, daß in Summe gesehen eine der genannten Körperhaltungen während des Arbeitstages überwiegend eingenommen wird. Unterweisbarkeit, teilweise Anlernbarkeit, Einordenbarkeit sowie die Möglichkeit eines Tages- oder Wochenpendelns ist gegeben, die Anmarschwege zur Arbeit sind nicht beschränkt.
Auf Grund dieses Leistungskalküls kann die Klägerin die zuletzt ausgeübte Tätigkeit als Außendienstmitarbeiterin der AMC weiterhin ausüben, es wäre ihr auch möglich, in einem Informationsstand eines Kaufhauses oder eines Großmarktes oder als angelernte Verkäuferin in einem Geschäft mit gleichförmigem und gewichtsmäßig leichtem Warenangebot sowie relativ geringer Kundenfrequenz tätig zu sein. Eine solche Beschäftigung käme in kleineren Tabaktrafiken, Andenkenläden oder Handarbeitsgeschäften in Frage, wobei die dort beschäftigten Angestellten in die Beschäftigungsgruppe 2 des Kollektivvertrages der Handelsangestellten Österreichs eingestuft würden.
Rechtlich beurteilte das Erstgericht diesen Sachverhalt dahin, daß Berufsunfähigkeit nicht vorliege. Der Klägerin sei die zuletzt ausgeübte Tätigkeit als Außendienstmitarbeiterin bei AMC, welche der Beschäftigungsgruppe 4 des Kollektivvertrages für Handelsangestellte entspreche, weiterhin zuzumuten. Überdies sei sie noch auf die in Beschäftigungsgruppe 2 einzureihenden Tätigkeiten als Angestellte an einem Informationsstand eines Kaufhauses oder als Verkäuferin in kleineren Geschäften verweisbar. In der Ausübung solcher Arbeiten sei auch aus der Sicht der sozialen Wertigkeit kein unzumutbarer Abstieg zu sehen.
Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin keine Folge. Es erachtete die Feststellung des Erstgerichtes, daß die Klägerin weiterhin in der Lage sei, ihre zuletzt ausgeübte Tätigkeit als Außendienstmitarbeiterin bei AMC auszuüben als der Rechtsrüge zugehörig und übernahm aus rechtlichen Gründen diese Feststellung nicht. Die Klägerin könne jedenfalls in den Verweisungsberufen einer Kundenberaterin an Informationsständen oder als angelernte Verkäuferin tätig sein. Damit sei kein unzumutbarer sozialer Abstieg gegeben. Selbst unter Berücksichtigung der Tatsache, daß die Klägerin ein Büro geführt bzw. eine Verkaufsgruppe geleitet habe, sei die Einordnung ihrer letzten Berufstätigkeit in Beschäftigungsgruppe 3 "Angestellte, die auf Anweisung schwierige Tätigkeiten selbständig ausführen" wesentlich naheliegender als eine solche in Beschäftigungsgruppe 4, sodaß die Verweisungstätigkeiten keineswegs unzumutbar seien. Die Einstufung im Kollektivvertrag sei überdies nicht das einzige Kriterium des sozialen Ansehens. Es seien auch das erzielbare Einkommen, die Gestaltung der Arbeitszeit, die Angesehenheit des Dienstgebers und andere Gesichtspunkte zur Beurteilung heranzuziehen. Von einem unzumutbaren Abstieg könne unter diesen Umständen nicht gesprochen werden, die Berufsunfähigkeit der Klägerin sei daher zu verneinen.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision der Klägerin ist im Sinne des gestellten Aufhebungsantrages berechtigt.
Wenn auch das Berufungsgericht die Tatsachenfeststellung des Erstgerichtes, daß die Klägerin in der Lage sei, ihre letzte Berufstätigkeit weiterhin auszuüben, unrichtig der rechtlichen Beurteilung zugeordnet hat, so geht doch aus den Ausführungen hervor, daß es diese Feststellung nicht übernommen und seine rechtliche Beurteilung nur auf die festgestellten, in Verwendungsgruppe 2 des Kollektivvertrages der Handelsangestellten fallenden Verweisungstätigkeiten gegründet hat.
Die Feststellungen des Erstgerichtes reichen zu einer abschließenden rechtlichen Beurteilung, insbesondere ob der Klägerin die genannten Verweisungstätigkeiten zumutbar sind, nicht aus. Dazu ist es erforderlich, alle Tätigkeiten der Klägerin im einzelnen, einschließlich der dabei erforderlichen Körperhaltungen zu erheben. Die Feststellung, daß die Klägerin neben dem beschriebenen Verkauf der Produkte der Firma AMC "in der Führung eines AMC-Büros sowie der Leitung einer Verkaufsgruppe tätig war" sagt über deren Inhalt überhaupt nichts aus, da über Art und Umfang der Bürotätigkeit ebenso wenig Beweisergebnisse und Feststellungen vorliegen wie darüber, worin die Leitung einer Verkaufsgruppe nun tatsächlich bestanden hat. Ohne Befragung des Dienstgebers und der Klägerin zur genauen Erhebung aller Tätigkeiten im einzelnen und deren jeweiliges Ausmaß zueinander sowie deren Gegenüberstellung mit den Leistungskalkül kann aber nicht einmal abgeschätzt werden, ob die Klägerin in der Lage ist, diese Arbeit weiterhin auszuüben. Im Hinblick auf die detaillierten medizinischen Einschränkungen im notwendigen Haltungswechsel wird ein Vergleich insbesondere mit den physischen Anforderungen, allenfalls unter Beiziehung des internistischen Sachverständigen, erforderlich sein. Erst wenn feststeht, worin die Arbeiten und der Verantwortungsbereich der Klägerin insgesamt bestanden haben und daß sie diese Arbeiten nicht mehr verrichten kann, wäre zu beurteilen, ob die festgestellten Verweisungstätigkeiten der Klägerin auch zumutbar sind oder einen sozialen Abstieg bedeuten, der eine Verweisung verhindert. Im Rahmen der Prüfung der Verweisungsmöglichkeiten wird für die Einordnung in eine bestimmte Beschäftigungsgruppe nur die Art der ausgeübten Tätigkeit, nicht aber die vom Arbeitgeber vorgenommene Einreihung oder das bezahlte Gehalt entscheidend sein (SSV-NF 3/13 - in Druck). Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.
Der Vorbehalt der Revisionskosten beruht auf § 52 ZPO.
Anmerkung
E19884European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1989:010OBS00391.89.1219.000Dokumentnummer
JJT_19891219_OGH0002_010OBS00391_8900000_000