TE OGH 1989/12/19 10ObS312/89

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Veröffentlicht am 19.12.1989
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Resch als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag. Engelmaier und Dr. Kellner als weitere Richter sowie durch die fachkundigen Laienrichter Dr. Robert Prohaska (AG) und Walter Benesch (AN) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Bruno B***, 4560 Kirchdorf, Dr. Heller-Straße 3, vor dem Obersten Gerichtshof nicht vertreten, wider die beklagte Partei P*** DER A***, 1021 Wien,

Friedrich Hillegeist-Straße 1, vertreten durch Dr. Alfred Kasamas, Rechtsanwalt in Wien, wegen Berufsunfähigkeitspension, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 29.Juni 1989, GZ 13 Rs 63/89-30, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Kreisgerichtes Steyr als Arbeits- und Sozialgerichtes vom 15.November 1988, GZ 13 Cgs 38/87-27, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben und das angefochtene Urteil dahin abgeändert, daß es lautet:

"Das Klagebegehren, die beklagte Partei sei schuldig, dem Kläger ab 1.Oktober 1985 eine Berufsunfähigkeitspension im gesetzlichen Ausmaß zu gewähren, wird abgewiesen".

Text

Entscheidungsgründe:

Der am 31.Mai 1930 geborene Kläger ist noch imstande, alle leichten bis mittelschweren Arbeiten im Gehen, Stehen und Sitzen mit den üblichen Arbeitspausen zu verrichten. Arbeiten, die vorwiegend oder überwiegend in gebückter Körperhaltung auszuführen sind und das Heben und Tragen von Lasten über 15 kg mit sich bringen, sind ebenso zu vermeiden, wie Arbeiten mit höhergradiger Belastung der Atemwege mit starker Staubentwicklung, reizenden Gasen oder extremen Temperatureinflüssen. Der Weg zum Arbeitsplatz und die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel sind nicht eingeschränkt. Der Kläger war nach dem Besuch von Volks-, Haupt- und Handelsschule in der Zeit von 1947 bis 1956 kaufmännischer Angestellter in einem Sägewerksbetrieb. Von 1956 bis Oktober 1976 war er kaufmännischer Leiter der Brauerei Ernst M***. Während dieser Zeit oblag ihm die Leitung des gesamten kaufmännischen Bereiches, einschließlich Buchhaltung und Korrespondenz. Er war Vorgesetzter von 5 Mitarbeitern des Betriebes, der etwa 40 Mitarbeiter insgesamt beschäftigte. Während der Zeit der Tätigkeit des Klägers waren keine EDV-Anlagen vorhanden, es wurde nur eine Durchschreibebuchhaltung geführt. Im übrigen beschäftigte die Firma einen Steuerberater, der zweimal im Geschäftsjahr in die Firma kam und die Bilanzen erstellte. Wegen des Leistungsabfalles des Klägers wurde das Dienstverhältnis aufgelöst. Danach konnte der Kläger nur noch zweimal kurzfristig eine Teilzeitbeschäftigung als Buchhalter ausüben und zwar vier Monate im Jahr 1980 und sechs Monate im Jahr 1981. In der Folge war der Kläger arbeitslos und krank. Der Kläger ist auch weiterhin in der Lage, qualifizierte Bürotätigkeiten auszuüben, er ist anlernbar und unterweisbar, infolge seines Alters und der mehrjährigen Arbeitslosigkeit, durch die ein laufender Lernprozeß nicht möglich war, ist der Kläger aber nicht in der Lage, sich zusätzliche qualifzierte Kenntnisse, etwa im EDV-Bereich anzueignen. Nach seinem Leistungskalkül könnte der Kläger zwar weiterhin eine leitende Position ausfüllen, wie er sie bei der Firma M*** innegehabt hatte, allerdings hat sich das Berufsbild eines leitenden Angestellten in vergleichbaren Mittelbetrieben seit der Zeit der tatsächlichen Berufsausübung durch den Kläger stark gewandelt, sodaß der Kläger mit seinem jetzigen Wissensstand eine solche Position nicht mehr zufriedenstellend ausfüllen könnte, er müßte sich praktisch einem Umlernprozeß unterziehen, zu dem er nicht mehr in der Lage ist. In Kleinbetrieben, deren Bürobetrieb nicht oder nur wenig technisiert ist, werden generell keine kaufmännischen Leiter mit Untergebenen beschäftigt.

Das Erstgericht erkannte die beklagte Partei schuldig, dem Kläger die Berufsunfähigkeitspension im gesetzlichen Ausmaß ab 1. Oktober 1985 zu bezahlen.

Auf den Kläger sei der Berufsunfähigkeitsbegriff des § 273 Abs. 3 ASVG anzuwenden. Bei der Prüfung, ob der Kläger infolge seines körperlichen und geistigen Zustandes noch imstande sei, durch die in den letzten 15 Jahren vor dem Stichtag in mehr als der Hälfte der Beitragsmonate ausgeübte gleiche Tätigkeit wenigstens die Hälfte des Entgeltes zu erwerben, das ein körperlich und geistig gesunder Versicherte regelmäßig durch eine solche Tätigkeit zu erzielen pflege, sei nicht auf jenes Tätigkeitsbild abzustellen, wie es sich zur Zeit der tatsächlichen Berufsausübung des Klägers dargestellt habe. Es seien vielmehr die zum Stichtag für die entsprechende Tätigkeit maßgeblichen Verhältnisse heranzuziehen, weil zu prüfen sei, ob der Versicherte noch in der Lage wäre, entsprechende Verdienstmöglichkeiten zu erreichen. Es gehe nicht an, den Kläger auf einen Beruf zu verweisen, der infolge des technischen Fortschrittes gar nicht mehr existiere. Gehe man aber von dem gewandelten Berufsbild eines leitenden kaufmännischen Angestellten aus, bei dem profunde Kenntnisse im EDV-Bereich erforderlich seien, komme man zu dem Schluß, daß dem Kläger die Ausübung dieser Tätigkeit nicht mehr möglich und zumutbar sei, weil er sich diese einem Umlernprozeß gleichkommenden Kenntnisse nicht mehr aneignen könne.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der beklagten Partei keine Folge und billigte die rechtliche Beurteilung des Erstgerichtes. Daß für die Frage der Verweisbarkeit auf jenes Tätigkeitsbild abzustellen sei, wie es sich zur Zeit des Stichtages auf dem Arbeitsmarkt darstelle und nicht auf jenes zur Zeit der früheren tatsächlichen Berufsausübung durch den Kläger, ergebe sich schon aus dem Kriterium des § 273 Abs. 3 lit d ASVG. Danach komme es darauf an, daß der Versicherte nicht mehr imstande sei, durch diese Tätigkeit (lit c) wenigstens die Lohnhälfte zu erwerben. Dieses Beurteilungskriterium setze aber voraus, daß "diese Tätigkeit" auf dem Arbeitsmarkt noch konkret vorkomme, weil sonst gar nicht geprüft werden könnte, ob der Kläger die Lohnhälfte in einem bestimmten Tätigkeitsbereich zu erzielen imstande wäre. Voraussetzung jeder Verweisung sei, daß der Verweisungsberuf noch in nennenswerter Anzahl auf dem inländischen Arbeitsmarkt vorkomme. Leitende kaufmännische Angestellte seien aber nur in entsprechend technisierten Betrieben gefragt, nicht technisierte Betriebe beschäftigten aber keine solchen leitenden Angestellten.

Rechtliche Beurteilung

Die wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung erhobene Revision ist berechtigt.

Gemäß § 273 Abs. 3 ASVG gilt ein Versicherter, der das 55. Lebensjahr vollendet und am Stichtag 180 für die Bemessung der Leistung zu berücksichtigende Versicherungsmonate erworben hat auch als berufsunfähig, wenn er in mindestens der Hälfte der Beitragsmonate nach diesem Bundesgesetz während der letzten 15 Jahre vor dem Stichtag (§ 223 Abs. 2) eine gleiche oder gleichartige Tätigkeit ausgeübt hat (lit c) und infolge seines körperlichen oder geistigen Zustandes nicht mehr imstande ist, durch diese Tätigkeit wenigstens die Hälfte des Entgeltes zu erwerben, das ein körperlich und geistig gesunder Versicherter regelmäßig durch eine solche Tätigkeit zu erzielen pflegt (lit d).

Entgegen der Ansicht der Vorinstanzen stellt sich im vorliegenden Fall die Frage der Zumutbarkeit einer Verweisungstätigkeit nicht. Nach den Feststellungen ist der Kläger nach seinen körperlichen und geistigen Fähigkeiten nach wie vor in der Lage, seine zuletzt ausgeübte Tätigkeit weiterhin zu verrichten. Die konkrete Tätigkeit ist nur wegen der inzwischen eingetretenen Änderungen und technischen Entwicklungen auf dem Arbeitsmarkt nicht mehr in dieser Form nachgefragt. Der Versicherungsfall der geminderten Arbeitsfähigkeit hat aber zur Voraussetzung, daß eine zuvor bestandene Arbeitsfähigkeit, die zumindest die Hälfte der eines körperlich und geistig gesunden Versicherten erreicht haben muß, durch nachfolgende Entwicklungen im körperlichen oder geistigen Zustand des Versicherten beeinträchtigt wurde (SSV-NV 1/33, 1/87, 2/5 ua). Der Anspruch auf Berufsunfähigkeitspension gemäß § 273 Abs. 3 ASVG setzt daher voraus, daß der Versicherte die während der letzten 15 Jahre vor dem Stichtag in mindestens der Hälfte der Beitragsmonate ausgeübte Tätigkeit aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr ausüben kann, nicht aber deshalb, weil es diese Tätigkeit auf dem Arbeitsmarkt nicht mehr gibt. Entgegen der Ansicht der Vorinstanzen ordnet § 273 Abs. 3 lit d ASVG nur einen Vergleich mit körperlich und geistig gesunden Versicherten und dem von diesen erzielbaren Entgelt "durch eine solche Tätigkeit", also jene konkrete Tätigkeit an, wie sie der Versicherte zuletzt ausgeübt hat. Kann er diese Tätigkeit noch vollständig ausfüllen, dann ist seine Arbeitskraft gegenüber körperlich und geistig gesunden Versicherten nicht gemindert, er ist als "gesund" anzusehen und daher nicht berufsunfähig. Daß durch die Veränderungen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt solche Tätigkeiten, wie sie der Versicherte zuletzt ausgeübt hat, nicht mehr in dieser Form nachgefragt werden, fällt in den Risikobereich der Arbeitslosenversicherung, kann aber keinen Leistungsanspruch in der Pensionsversicherung begründen. Zu Recht wird in der Revision darauf hingewiesen, daß die von den Vorinstanzen vertretene Ansicht, es müsse mit dem zum Stichtag geänderten Berufsbild verglichen werden, zu einer "Arbeitsplatzgarantie" gerade in jenen Fällen führen würde, in denen ein ursprünglich Versicherter durch längere Zeit hindurch aus dem Erwerbsleben ausgeschieden und die zu fordernde Anpassung an die laufenden Veränderungen in einem Beruf unterblieben ist. Es war daher in Stattgebung der Revision wie im Spruch zu entscheiden.

Anmerkung

E19649

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1989:010OBS00312.89.1219.000

Dokumentnummer

JJT_19891219_OGH0002_010OBS00312_8900000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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