TE OGH 1989/12/19 10ObS374/89

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Veröffentlicht am 19.12.1989
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Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Resch als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag. Engelmaier und Dr. Angst als weitere Richter und die fachkundigen Laienrichter Dr. Robert Prohaska (Arbeitgeber) und Walter Benesch (Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Friedrich F***, Pensionist, 8754 Thalheim, Unterer Paigweg 38, vertreten druch Dr. Gottfried Reif, Rechtsanwalt in Judenburg, wider die beklagte Partei A***

U*** (L*** G***), 1200 Wien, Adalbert

Stifter-Straße 65, vertreten durch Dr. Adolf Fiebich, Dr. Vera Kremslehner und Dr. Josef Milchram, Rechtsanwälte in Wien, wegen Versehrtenrente infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 30.März 1989, GZ 7 Rs 21/89-30, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Kreisgerichtes Leoben als Arbeits- und Sozialgerichtes vom 15. Dezember 1988, GZ 22 Cgs 317/88-26, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Der Kläger hat die Kosten seines Rechtsmittels selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Mit Bescheid vom 26.1.1987 lehnte die beklagte Partei den Anspruch des Klägers auf Leistungen gemäß § 173 ASVG aus Anlaß seines Unfalls vom 22.5.1986 ab. Der Unfall habe sich auf dem nicht versicherten Weg zwischen der C***-Versicherung und der Zweitwohnung des Klägers ereignet.

Die dagegegen erhobene Klage stützte sich im wesentlichen darauf, daß sich der Unfall auf dem Weg zur Arbeitsstätte ereignet habe. Ihr Begehren ist nach Präzisierung auf eine Versehrtenrente im Ausmaß von 25 vH der Vollrente (im gesetzlichen Ausmaß) ab 20.11.1986 gerichtet.

Die beklagte Partei beantragte die Abweisung der Klage, weil der Kläger nicht direkt zur Arbeitsstätte gefahren sei, sondern zunächst im Privatinteresse zur erwähnten Versicherung und sodann zu seiner Zweitwohnung, vor deren Erreichen sich der Unfall ereignet habe. Das Erstgericht sprach aus, daß das Begehren, die beklagte Partei sei schuldig, dem Kläger für die Folgen des Arbeitsunfalles vom 22.5.1986 ab 20.11.1986 bis auf weiteres eine Versehrtenrente im Ausmaß von 25 vH der Vollrente in der gesetzlichen Höhe zu leisten, dem Grunde nach zu Recht bestehe und trug der beklagten Partei auf, dem Kläger ab 20.11.1986 bis zur Erlassung des die Höhe der Leistung festsetzenden Bescheides eine vorläufige Zahlung auf die Versehrtenrente von monatlich 625 S zu erbringen und die Prozeßkosten zu ersetzen.

Dabei ging es von folgenden wesentlichen Feststellungen aus:

Der am 18.1.1933 geborene Kläger wohnt seit seiner Geburt bei seiner Mutter in Thalheim, Unterer Paigweg 38 (westlich von Judenburg). Aus der Zeit seiner Beschäftigung im Gußstahlwerk Judenburg behielt er seine ehemalige Dienstwohnung in Judenburg, Feldgasse 28. In den letzten Monaten vor dem Unfall vom 22.5.1986 wohnte er bevorzugt bei seiner Mutter, die für ihn kochte und seine Wäsche wusch. Am Wochenende hielt er sich öfters auch in seiner Judenburger Wohnung auf. Seine persönliche Habe befand sich in beiden Wohnungen. Das "Gros" des Arbeitsgewandes lag in Thalheim; Reservearbeitsgewand befand sich auch in Judenburg. Rund zweimal pro Woche fuhr der Kläger auf dem Weg von der Arbeit über Judenburg, um von dort seine Post abzuholen. Auch wenn es regnete, fuhr er nach der Arbeit in seine Judenburger Wohnung. Seit Frühjahr 1985 war er beim Bauunternehmer Erich H*** im (östlich von Judenburg liegenden) St.Marein bei Knittelfeld beschäftigt. Sein üblicher Arbeitsweg führte in den letzten Monaten vor dem Unfall von Thalheim über die Autobahn nach St.Marein. Als der Kläger im Anfang seiner Tätigkeit bei der Firma H*** in Weißkirchen gearbeitet hatte, fuhr er von seiner Judenburger Wohnung zur Arbeit oder, wenn er von Thalheim kam, über Judenburg. Die Normalarbeitszeit des Klägers bei der Firma H*** dauerte von 7 bis 17 Uhr mit einer Mittagspause zwischen 12 und 13 Uhr. Am 21.5.1986 arbeitete der Kläger jedoch mit dem Polier Richard K*** auf einer Baustelle bis in die Abendstunden. Weil Überstunden bei seiner Firma durch Zeitausgleich abgegolten wurden, gestattete dieser Polier dem Kläger, der ihm mitgeteilt hatte, daß er etwas zu erledigen habe, am nächsten Tag erst gegen 10 Uhr mit der Arbeit direkt auf einer Baustelle in Knittelfeld (östlich von Judenburg) zu beginnen, womit auch der davon informierte Dienstgeber einverstanden war. Am 22.5.1986 fuhr der Kläger nicht wie sonst üblich im Arbeitsgewand, sondern in etwas schönerer Kleidung gegen 8,30 Uhr von Thalheim nach Judenburg zur Niederlassung der C***-Versicherung. Er sprach dort mit einer Angestellten, konnte aber die beabsichtigte Auszahlung nicht erreichen. Nachdem er sich etwa 15 bis 20 Minuten bei der Versicherung aufgehalten hatte, fuhr er mit seinem Motorrad BMW R 45 in Judenburg vom Hauptplatz kommend in Richtung Bahnhof, um aus seiner Wohnung in der Feldgasse Arbeitskleidung zu holen und dann zur Arbeitsstelle nach Knittelfeld zu fahren. Thalheim ist von Judenburg 7 km, Judenburg von St.Marein bei Knittelfeld 24 km entfernt. Durch die Fahrt durch Judenburg-Stadt verlängert sich der Weg von Thalheim nach St.Marein um rund 1 km. (Noch bevor er seine Wohnung erreicht hatte), stieß der Kläger auf der Wickenburggasse mit einem aus der benachrangten Weißkirchnerstraße einbiegenden PKW zusammen, wobei er sich einen Bruch des linken Unterschenkels und eine Kontusion der rechten Schulter zuzog. Durch die vom Erstgericht näher beschriebenen Unfallfolgen ist die Erwerbsfähigkeit des Klägers seit 20.11.1986, und zwar seit 22.5.1988 dauernd, um 25 vH gemindert.

Nach der Rechtsansicht des Erstgerichtes ereignete sich der Unfall auf einem geringfügigen Umweg bei der Fahrt von der Wohnung in Thalheim zur Arbeitsstätte, weshalb es sich um einen Arbeitsunfall nach § 175 Abs 2 Z 1 ASVG handle. Weil die Erwerbsfähigkeit des Klägers um 25 vH gemindert sei, gebühre ihm ab Beginn der 27.Woche nach dem Eintritt des Versicherungsfalls eine entsprechende Versehrtenrente.

Das Berufungsgericht gab der wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung erhobenen Berufung der beklagten Partei Folge und wies die Klage ab. Der kürzeste Weg vom Hauptwohnsitz in Thalheim zur Arbeitsstätte in St.Marein bei Knittelfeld hätte über die Umfahrung von Judenburg geführt. Der Abstecher von (diesm kürzesten) Weg zur C***-Versicherung (in Judenburg) zu ausschließlich privatem Zweck habe den Versicherungsschutz unterbrochen. Erst die Fortsetzung des Weges nach der Unterbrechung östlich der Umfahrung auf der Autobahn in Richtung Knittelfeld wäre wieder unfallgeschützt gewesen. Die Absicht, Arbeitskleidung in der Feldgasse zu holen, sei erst durch die eigenwirtschaftliche Tätigkeit ausgelöst worden. Der Umweg in der Stadt Judenburg und die Verlängerung des (kürzesten) Weges um 1 km habe insbesondere deshalb zu einer Gefahrenerhöhung geführt, weil die Umfahrungsstraße kreuzungsfrei sei.

Dagegen richtet sich die Revision des Klägers wegen Mangelhaftigkeit des berufungsgerichtlichen Verfahrens und unrichtiger rechtlicher Beurteilung (der Sache) mit dem Antrag, das angefochtene Urteil durch Wiederherstellung der erstgerichtlichen Entscheidung abzuändern.

Die beklagte Partei beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Das nach § 46 Abs 4 ASGG ohne die Beschränkungen des Abs 2 dieser Gesetzesstelle zulässige Rechtsmittel ist nicht berechtigt. Arbeitsunfälle sind nach § 175 Abs 1 ASVG Unfälle, die sich im örtlichen, zeitlichen und ursächlichen Zusammenhang mit der die Versicherung begründenden Beschäftigung ereignen. Arbeitsunfälle sind nach Abs 2 Z 1 leg cit auch Unfälle, die sich auf einem mit der Beschäftigung nach Abs 1 zusammenhängenden Weg zur oder von der Arbeits- oder Ausbildugsstätte ereignen; hat der Versicherte wegen der Entfernung seines ständigen Aufenthaltsortes von der Arbeits(Ausbildungs)stätte auf dieser oder in ihrer Nähe eine Unterkunft, so wird die Versicherung des Weges von oder nach dem ständigen Aufenthaltsort nicht ausgeschlossen.

Ebenso wie für die Arbeitsunfälle im engeren Sinne (§ 175 Abs 1 ASVG) wird auch für die (Arbeits)Wegunfälle (Abs 2 Z 1 leg cit) gefordert, daß zwischen der Zurücklegung des Weges und der betrieblichen Tätigkeit ein dreifacher, nämlich ein örtlicher, zeitlicher und ursächlicher (innerer) Zusammenhang bestehen muß (SSV-NF 2/23 uva).

Ein innerer Zusammenhang besteht nicht nur dann, wenn die versicherte Beschäftigung der einzige Grund des Weges ist. Dient dieser Weg zur oder von der Arbeits(Ausbildungs)stätte sowohl der versicherten Tätigkeit als auch eigenwirtschaftlichen Interessen, dann hängt der Versicherungsschutz während des Weges davon ab, ob sich der Weg eindeutig in den verschiedenen Zwecken dienende Abschnitte teilen läßt. Ist dies der Fall, dann handelt es sich bei einem Unfall, der sich auf dem der nichtversicherten Tätigkeit diendenen Wegstück ereignet, um keinen Arbeitsunfall. Ist eine eindeutige Aufteilung des Weges nicht möglich, dann besteht der innere Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit auf dem gesamten Weg, der zwar nicht ausschließlich, aber doch wesentlich auch der versicherten Tätigkeit zu dienen bestimmt war. Legt ein Versicherter zB den Weg zu seiner Arbeitsstätte zurück, um dort die Arbeit aufzunehmen, will er aber auf diesem Weg auch eine private Besorgung erledigen, wegen der er unabhängig von der vorgesehenen Arbeitsaufnahme denselben Weg zurücklegen müßte, dann bleibt die versicherte Beschäftigung auch wesentlich für die Zurücklegung des (unteilbaren) Gesamtweges (Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung II 72. Nachtrag 486dI, 486e; Tomandl, System des österreichischen Sozialversicherungsrechts 4. ErgLfg 314; ders, Grundriß der österreichischen Sozialversicherung4, Rz 146; SSV-NF 2/55, 79; 3/71 Äin DruckÜ).

Sowohl der 9. als auch der erkennende 10.Senat des Obersten Gerichtshofes haben ausgesprochen (SSV-NF 1/12; 2/55), daß grundsätzlich nur der direkte Weg zur oder von der Arbeitsstätte nach § 175 Abs 2 Z 1 ASVG versichert ist. Das wird in der Regel die streckenmäßig oder zeitlich kürzeste Verbindung zwischen dem Ausgangs- und dem Zielpunkt des Arbeitsweges sein, wobei der Versicherte zwischen diesbezüglich im wesentlichen gleichen Verbindungen frei wählen kann. Auf einem längeren Weg zur oder von der Arbeits(Ausbildungs)stätte besteht nur dann Versicherungsschutz, wenn der an sich kürzeste Arbeitsweg unter Bedachtnahme auf das benützte private oder öffentliche Verkehrsmittel entweder überhaupt nicht (zB wegen einer Verkehrssperre) oder nur unter vor allem für die Verkehrssicherheit wesentlich ungünstigeren Bedingungen (zB Witterungs-, Straßen- und Verkehrsverhältnisse) benützt werden oder der Versicherte solche für die tatsächlich gewählte Strecke sprechenden Bedingungen wenigstens annehmen konnte. Daher ist ein allein oder überwiegend im privatwirtschaftlichen Interesse gewählter Umweg nicht versichert (Brackmann aaO 486 0 bis 486 qI; Podzun, Der Unfallsachbearbeiter Lfg 2/89, Rz 070, 9; Der Wirtschafts-Kommentator Nr.58, Die gesetzliche Unfallversicherung, 214f, 224f; Tomandl, SV-System 4.ErgLfg, 313f ua).

Daraus folgt im vorliegenden Fall:

Der Kläger wählte am 22.5.1986 für die Fahrt mit dem Motorrad von seiner Wohnung im westlich von Judenburg liegenden Thalheim zu seiner damaligen Arbeitsstätte im östlich von Judenburg liegenden Knittelfeld nicht die kürzere und raschere Strecke über die Judenburg umfahrende Murtalschnellstraße S 36, sondern fuhr durch die genannte Stadt, um dort eine ausschließlich in seinem privaten Interesse gelegene Angelegenheit in der Niederlassung der C***-Versicherungsgesellschaft zu erledigen. Sein während dieser Stadtdurchfahrt erlittener Unfall ereigente sich daher auf einem nach den Feststellungen nicht gleichwertigen Weg und daher einem nicht versicherten Umweg und kann daher schon deshalb - unabhängig davon, ob der Kläger anschließend zunächst zu seiner auf diesem Umweg gelegenen, vor der Fahrt zur Arbeitsstätte aber nicht benützten weiteren Wohnung und danach zu seiner Arbeitsstätte fahren wollte, - kein Arbeitsunfall im Sinne des § 175 Abs 2 Z 1 ASVG sein. Die Rechtsrüge ist daher nicht berechtigt.

Weil auch die geltend gemachte Mangelhaftigkeit und Aktenwidrigkeit (§ 503 Abs 1 Z 2 und 3 ZPO) mangels Entscheidungswesentlichkeit der behaupteten berufungsgerichtlichen Fehler nicht vorliegen (§ 510 Abs 3 leg cit), war der Revision nicht Folge zu geben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG.

Anmerkung

E19885

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1989:010OBS00374.89.1219.000

Dokumentnummer

JJT_19891219_OGH0002_010OBS00374_8900000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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