TE OGH 1989/12/20 14Os109/89 (14Os110/89)

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Veröffentlicht am 20.12.1989
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 20.Dezember 1989 durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof. Dr. Steininger als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Lachner, Dr. Kuch, Dr. Massauer und Dr. Markel als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr. Toth als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Gerhard I*** wegen des Vergehens des versuchten Diebstahls nach §§ 15, 127 Abs. 1 (aF) StGB über die von der Generalprokuratur erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes gegen die Urteile des Bezirksgerichtes Gänserndorf vom 29. Feber 1989, GZ U 274/87-9, und des Kreisgerichtes Korneuburg als Berufungsgericht vom 4.Oktober 1989, AZ 9 a Bl 78/88, nach Anhörung des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Hauptmann, in öffentlicher Verhandlung zu Recht erkannt:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.

Text

Gründe:

Mit dem Urteil des Bezirksgerichtes Gänserndorf vom 29. Feber 1988, GZ U 274/87-9, wurde der damals 50-jährige Gerhard I*** des Vergehens des versuchten Diebstahls nach §§ 15, 127 Abs. 1 (aF) StGB schuldig erkannt, weil er am 30.August 1987 in Straßhof an der Nordbahn ein Exemplar der Tageszeitung "K***" im Wert von 7 S aus einem Zeitungsverkaufsständer zu stehlen versucht hat. Er wurde hiefür zu einer Geldstrafe von 20 Tagessätzen verurteilt, wobei der Tagessatz mit 450 S bestimmt und die Ersatzfreiheitsstrafe mit 10 Tagen festgesetzt wurde. Nach den erstgerichtlichen Urteilsfeststellungen begab sich Gerhard I*** am Tattag aus seiner Wohnung zu dem an einer Straßenecke in Straßhof befindlichen Zeitungsverkaufsständer der Tageszeitung "K***" und entnahm daraus ein Exemplar dieser Tageszeitung im Wert von 7 S, ohne das Entgelt in die hiefür bestimmte Kasse einzuwerfen. Nachdem er sich mit diesem Exemplar etwa drei Meter vom Verkaufsständer entfernt hatte, wurde er von Kontrolloren des Verlags der "N*** K***", die ihn

beobachtet hatten, zur Rede gestellt und des Diebstahls bezichtigt. Als einer der Kontrollore sich anschickte, die Gendarmerie zu verständigen, gab Gerhard I*** das Zeitungsexemplar wieder in den Verkaufsständer zurück. In subjektiver Hinsicht nahm das Erstgericht als erwiesen an, daß der Beschuldigte mit dem Vorsatz handelte, sich durch die Zueignung der Zeitung unrechtmäßig zu bereichern, und nicht etwa beabsichtigte, das Entgelt später in die Kasse einzuwerfen. Die Beurteilung der Tat als (versuchte) Entwendung schloß das Gericht mangels Vorliegens einer Tatbegehung aus Not, Unbesonnenheit oder zur Befriedigung eines Gelüstes aus. Mangelnde Strafwürdigkeit der Tat gemäß § 42 StGB hinwieder erachtete es deshalb als nicht gegeben, weil die Bestrafung des Täters geboten sei, um der Begehung strafbarer Handlungen durch andere entgegenzuwirken.

Der von Gerhard I*** gegen dieses Urteil erhobenen Berufung wegen Nichtigkeit, Schuld und Strafe gab das Kreisgericht Korneuburg mit Urteil vom 4.Oktober 1988, AZ 9 a Bl 78/88 (= ON 16 im bezirksgerichtlichen Akt) nicht Folge. Auf die Voraussetzungen des § 42 StGB - die vom Rechtsmittelwerber auch nicht geltend gemacht worden waren - ging das Berufungsgericht nicht ein. Nach Auffassung der Generalprokuratur wurde durch beide bezeichneten Urteile das Gesetz in der Bestimmung des § 42 Abs. 1 (aF) StGB und durch das Berufungsurteil überdies auch in der Bestimmung des § 477 Abs. 1 StPO verletzt. In ihrer deshalb gemäß § 33 Abs. 2 StPO erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde hat sie hiezu (unter anderem) ausgeführt:

Rechtliche Beurteilung

"Zu Unrecht wurde ... vom Erstgericht die Erfüllung der Voraussetzungen mangelnder Strafwürdigkeit nach § 42 Abs. 1 StGB (in der Fassung vor Inkrafttreten des Strafrechtsänderungsgesetzes 1987) verneint und seitens des Berufungsgerichtes davon Abstand genommen, diese materielle Nichtigkeit (§§ 281 Abs. 1 Z 9 lit b, 468 Abs. 1 Z 4 StPO) gemäß § 477 Abs. 1 zweiter Satz StPO von Amts wegen wahrzunehmen:

Die - auch im Urteil des Bezirksgerichtes ersichtlich nicht angezweifelte - geringe Schuld des zur Tatzeit im 51.Lebensjahr stehenden, gerichtlich nicht vorbestraften Angeklagten, also das erhebliche Zurückbleiben seines tatbildmäßigen Verhaltens hinter dem in der betreffenden Strafdrohung typisierten Unrechts- und Schuldgehalt (Pallin im WK § 42 RN 9 mit Judikaturnachweisen), ist vor allem im Hinblick darauf zu bejahen, daß der Wert der Diebsbeute nicht nur den nach § 42 Abs. 1 Z 2 StGB (aF) maßgeblichen Erfolgsunwert, sondern - als Vorsatzinhalt - auch das Ausmaß des gemäß Z 1 dieser Gesetzesstelle zu prüfenden Handlungsunwerts mitbestimmt (Burgstaller, Der Ladendiebstahl und seine private Bekämpfung, 58; derselbe in RZ 1982, 146; Pallin aaO). Vorliegend beträgt dieser Wert knapp über ein Prozent der zur Tatzeit nach der Judikatur (Mayerhofer-Rieder StGB2 § 141 EGr 14-16) für die Privilegierung nach § 141 StGB maßgeblichen Bagatellgrenze; anders als im Falle der Entscheidung 14 Os 173,174/87 ist es auch nur bei einem einzigen diebischen Zugriff geblieben. Anhaltspunkte für weiterreichende Delinquenz oder eine erhebliche Intensität des Vorsatzes sind nicht hervorgekommen.

Keiner weiteren Ausführung bedarf es, daß die Tat überhaupt keine Folgen nach sich zog (§ 42 Abs. 1 Z 2 StGB aF) und daß eine Bestrafung nicht geboten ist, um den bisher strafrechtlich nicht in Erscheinung getretenen Täter, der bereits die mit der Anzeigeerstattung sowie mit seiner gerichtlichen Verfolgung verbundenen Nachteile verspürt hat, von weiteren strafbaren Handlungen abzuhalten (spezialpräventive Voraussetzung der Z 3 leg cit). Bei Beurteilung, ob die Bestrafung geboten ist, um der Begehung strafbarer Handlungen durch andere entgegenzuwirken (generalpräventive Voraussetzung der Z 3 leg cit), darf auch bei Massendelikten nicht schematisch vorgegangen werden; vielmehr ist selbst insoweit von einer Gesamtbetrachtung aller Umstände des Einzelfalles auszugehen (EvBl 1980/7; SSt 47/55; 11 Os 51/89;

9 Os 129,130/85 uva; Burgstaller, Ladendiebstahl, 66 mit FN 35;

Pallin in WK § 42 RN 17; Leukauf-Steininger2 § 42 RN 18). Unter Berücksichtigung der vorliegenden Fallgestaltung, insbesondere des auch für die Öffentlichkeit klar erkennbaren Umstandes, daß das schon mit der Anzeigeerstattung und strafgerichtlichen Verfolgung verbundene Ungemach für den zur Tatzeit 50-jährigen, sozial integrierten und nicht vorbestraften Täter den äußerst geringen Wert der Diebsbeute bei weitem überwiegt, kann nicht angenommen werden, daß eine Bestrafung wegen Diebstahls einer Sache im Wert von 7 S geboten wäre, um der Begehung ähnlicher Zeitungsdiebstähle durch andere entgegenzuwirken. Es liegt vielmehr einer jener Ausnahmefälle vor, in welchen die Nichtbestrafung eines Massendelikts von der Allgemeinheit durchaus als vernünftige Reaktion der Strafverfolgungsorgane verstanden zu werden verspricht (Burgstaller, Ladendiebstahl, 67), das allgemeine Rechtsbewußtsein sohin durch die Sanktionslosigkeit des rechtswidrigen Verhaltens nicht überfordert und irritiert zu werden droht (11 Os 51/89).

Bei richtiger Rechtsanwendung wäre Gerhard I*** sohin gemäß § 259 Z 4 StPO aF vom Bezirksgericht freizusprechen gewesen. Die seinem Schuldspruch daher bei Prüfung auf der Grundlage des zur Zeit der Urteilsfällung geltenden materiellen Rechts (§ 42 Abs. 1 StGB aF; Art XX Abs. 1 StRÄG 1987) anhaftende Nichtigkeit nach § 281 Abs. 1 Z 9 lit b StPO wäre gemäß § 477 Abs. 1 zweiter Satz StPO vom Berufungsgericht von Amts wegen wahrzunehmen gewesen, dh dieses Gericht hätte mit Freispruch gemäß Z 3 des § 259 StPO in der zur Zeit seiner Entscheidung bereits in Kraft getretenen Fassung nach Art II Z 32 des StRÄG 1987 vorgehen müssen".

Der Oberste Gerichtshof vermag dem nicht beizutreten; er hat vielmehr erwogen:

Angesichts der im § 127 Abs. 1 aF StGB normierten Strafdrohung des Vergehens des Diebstahls (Freiheitsstrafe bis zu sechs Monaten oder Geldstrafe bis zu 360 Tagessätzen) sowie des Umstands, daß der auf die Zueignung einer Sache mit einem unter der Geringwertigkeitsgrenze liegenden Beutewert gerichtete Angriff auf fremdes Vermögen beim Versuch geblieben ist und nach der Aktenlage auch keine sonstigen Folgen (im Sinne einer sozialen Störung) nach sich gezogen hat, hängt die Beurteilung der Strafwürdigkeit der Tat vom Grad der Schuld des Täters sowie davon ab, ob seine Bestrafung aus spezial- und/oder generalpräventiven Erwägungen geboten ist. Geringe Schuld iS des § 42 Abs. 1 Z 1 aF bzw § 42 Z 1 nF StGB setzt nach gefestigter Judikatur - wie die Generalprokuratur an sich zutreffend ausführt - stets voraus, daß das Gewicht der Einzeltat hinter dem in der betreffenden Strafdrohung typisierten Schuld- und Unrechtsgehalt erheblich zurückbleibt (SSt 47/55; SSt 51/21 uva). Die Schuld des Täters muß absolut und im Vergleich zu den typischen Fällen der jeweiligen Deliktsverwirklichung gering sein (EvBl 1989/171 uva); maßgebend hiefür ist zum einen der das tatbestandsmäßige Unrecht mitbestimmende Handlungsunwert, zum anderen aber (nicht minder) auch der Gesinnungsunwert, der das Ausmaß der (deliktstypischen) Schuld entscheidend (mit-)prägt (vgl 11 Os 108/88). Der Generalprokuratur ist zuzugeben, daß vorliegend der Handlungsunwert - davon ausgehend, daß der Tätervorsatz auf die Zueignung einer Sache gerichtet war, deren Wert tatsächlch weit unter der maßgeblichen Bagatellgrenze liegt - als gering zu veranschlagen ist. Daß hingegen auch in gleichem Maße der Gesinnungsunwert des Täterverhaltens als gering anzusehen wäre, kann indes den gesamten Verfahrensergebnissen nicht entnommen werden, sind darnach doch keine Umstände hervorgekommen, die dafür sprächen, daß (auch) die Tätergesinnung in ihrem Unwert erheblich hinter den typischen Fällen von Angriffen gegen fremdes Vermögen zurückgeblieben und sohin im Vergleich zu diesen als gering zu beurteilen ist. Der Angeklagte bezieht ein nicht unbeträchtliches Einkommen, befand sich daher keineswegs in einer wirtschaftlich bedrängten Lage und wollte sich demnach nicht eine Sache ohne Bezahlung zueignen, deren ordnungsgemäße Anschaffung seine finanziellen Möglichkeiten überstieg und deren Erlangung im übrigen auch nicht der Befriedigung elementarer Lebensbedürfnisse hätte dienen sollen (vgl abermals EvBl 1989/171). Aus dem Akt ergeben sich aber auch keine Anhaltspunkte für eine allenfalls reduzierte Zurechnungsfähigkeit (zB wegen knapper Überschreitung der Strafmündigkeitsgrenze oder wegen Senilitätserscheinungen; vgl hiezu 11 Os 98/89 und 16 Os 33/89). Der Umstand, daß der 50-jährige Angeklagte bisher strafrechtlich noch nicht negativ in Erscheinung getreten ist, vermag für sich allein all dies nicht (im Sinne eines dennoch geringen Gesinnungsunwerts) zu kompensieren; kommt es doch für eine geringe Schuld in der dargelegten Bedeutuung zwar auch, aber nicht nur auf die bisherige Unbescholtenheit des Täters an, ebensowenig wie es hiefür auf den Erfolgsunwert ankommt, der ausschließlich unter dem Aspekt des § 42 Abs. 1 Z 2 aF (bzw § 42 Z 2 nF) StGB von Bedeutung ist, worin der Generalprokuratur durchaus beizupflichten ist.

Mithin fehlt es (bereits) am Erfordernis einer geringen Schuld in der Bedeutung des § 42 Abs. 1 Z 1 aF (bzw § 42 Z 1 nF) StGB und demnach an einer der vom Gesetz kumulativ geforderten Voraussetzungen mangelnder Strafwürdigkeit der Tat, weshalb die Nichtigkeitsbeschwerde schon aus diesem Grund zu verwerfen war.

Anmerkung

E19419

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1989:0140OS00109.89.1220.000

Dokumentnummer

JJT_19891220_OGH0002_0140OS00109_8900000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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