Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Prof. Dr. Friedl als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Gamerith, Dr. Kodek, Dr. Niederreiter und Dr. Redl als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei August F.T. M***, Kaufmann, Wien 20., Rebhanngasse 8-10, vertreten durch Dr. Oskar Weiss-Tessbach und andere Rechtsanwälte in Wien, wider die beklagte Partei F*** W*** Betriebsgesellschaft mbH, Schwechat, Flughafen, vertreten durch Dr. Viktor Cerha und andere Rechtsanwälte in Wien, sowie die der beklagten Partei beigetretene Nebenintervenientin W*** M*** Gesellschaft mbH,
Leipheim, Herrenbreite 4, Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch Dr. Robert Siemer und andere Rechtsanwälte in Wien, wegen Unterlassung, Beseitigung und Urteilsveröffentlichung (Gesamtstreitwert S 725.000,--) infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht vom 9. Mai 1989, GZ 5 R 157/89-21, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Handelsgerichtes Wien vom 19. Mai 1988, GZ 19 Cg 17/87-16, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei und der Nebenintervenientin je die Hälfte der insgesamt mit S 35.850,60 (darin enthalten S 5.975,10 Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Der Kläger ist Inhaber des österreichischen Patentes Nr 341.342; Gegenstand dieses Patentes ist ein Gepäcktransportwagen. Der für das Verfahren wesentliche Anspruch 1 des Patentes lautet:
"Gepäcktransportwagen mit einem mit mindestens einem vorderen und zwei hinteren Rädern versehenen Grundrahmen, an dessen hinterem Ende oberhalb der hinteren Räder ein vertikaler Schieberahmen angeordnet ist, der zwei mit ihrem unteren Ende am Grundrahmen befestigte und im Bereich ihrer oberen Enden mit einem nach hinten abgebogenen U-förmigen Schiebebügel schwenkbar verbunden rohrförmige Holme aufweist, innerhalb derer jeweils eine Bremsstange axial verschiebbar geführt ist, die an ihrem unteren Ende ein mit dem entsprechenden Rad in Eingriff bringbares Bremselement trägt, im Bereich ihres oberen Endes mit einem Schenkel des Schiebebügels um eine horizontale, quer zur Wagenlängsachse verlaufende Achse gelenkig verbunden ist und durch die Kraft einer Feder in einer Stellung gehalten ist, in der das Bremselement mit dem Rad im Eingriff steht, wobei die Bremsstangen durch Verschwenken des Schiebebügels gegen die Federkraft in eine Stellung verschiebbar sind, in der die Bremselemente von den Rädern abgehoben sind, dadurch gekennzeichnet, daß jeder Schieberahmenholm und jede Bremsstange im Bereich der das abgeflachte Schenkelende des Schiebebügels mit der Bremsstange verbindenden Gelenkachse Durchbrüche aufweisen, durch die das Schenkelende des Schiebebügels, das über die Gelenkachse hinaus verlängert ist, hindurchgeführt ist, wobei die Durchbrüche im Schieberahmenholm in vertikaler Richtung das Schenkelende mit Spiel umfassen, und daß an jedem Schieberahmenholm beiderseits der Gelenkachse je ein Widerlager zum Abstützen des entsprechenden Schenkelendes des Schiebebügels vorgesehen ist; das in seiner Mittellage, in der die Bremsstange durch die Kraft der Feder in der Stellung gehalten ist, in der das Bremselement mit dem Rad im Eingriff steht, auf beiden Widerlagern und bei Verschwenken des Schiebebügels nach oben oder nach unten jeweils auf einem Widerlager aufliegt.
Die Unteransprüche 2. bis 4. sind für das vorliegende Verfahren nicht von Bedeutung.
Bei der Erteilung dieses Patentes wurden zur Abgrenzung vom Stand der Technik die deutschen Patentschriften DT-OS 2214693, DT-OS 2264502 und DT-OS 2350173 herangezogen. Aufgabe der durch den Anspruch 1 des Patentes des Klägers geschützten Erfindung ist es, eine konstruktiv einfachere Lösung des bereits auf andere Weise (insbesondere durch die DT-OS 2350173) gelösten Problems zu finden, den mit dem Schieberahmen verbundenen Schiebebügel verschwenkbar zu machen und ihn gelenkig mit den innerhalb der Holme des Schieberahmens verlaufenden Bremsstangen zu verbinden. Die Ausdrücke Kippgelenk oder Kipphebegelenk kommen in der Patentschrift des Klägers nicht vor; ein derartiges Gelenk wäre nach dem Stand der Technik für den Kläger auch nicht mehr schützbar gewesen. Die Beklagte betreibt den F*** W***. Sie stellt dort Gepäcktransportwagen auf, die von der Nebenintervenientin erzeugt werden (im folgenden: W***-Wagen). Dieser W***-Wagen hat ebenfalls einen Grundrahmen mit einem vorderen Rad und zwei hinteren Rädern; am hinteren Ende dieses Grundrahmens ist ein vertikaler Schieberahmen angeordnet, der zwei mit ihrem Ende am Grundrahmen befestigte und im Bereich ihrer oberen Enden mit einem U-förmigen Schiebebügel schwenkbar verbundene Holme aufweist; innerhalb je eines Holms ist eine Bremsstange axial verschiebbar geführt, die an ihrem unteren Ende ein mit dem entsprechenden Rad in Eingriff bringbares Bremselement trägt. Im Bereich des oberen Endes ist jede Bremsstange mit einem Schenkel des Schiebebügels über eine horizontale, quer zur Bügellängsachse verlaufende Achse gelenkig verbunden; sie wird durch die Kraft einer Feder in einer Stellung gehalten, in der das Bremselement mit dem Rad in Eingriff steht. Die Bremsstangen sind durch Verschwenken des Schiebebügels gegen die Kraft der Feder in eine Stellung verschwenkbar, in der die Bremselemente von den Rädern abgehoben sind. Damit weist dieser Wagen sämtliche im Oberbegriff des Patents des Klägers beschriebenen Merkmale auf.
In das obere Ende des Holmes des W***-Wagens ist ein Kunststoffteil eingepreßt, der mit einer das vordere Ende des Schiebebügels bildenden Kunststoffkappe zusammenwirkt. Der Kunststoffteil besitzt je einen nach vorne und nach hinten weisenden Ansatz; diese Ansätze werden durch Lappen der Kappe seitlich überdeckt. Wird auf den Schiebebügel eine nach oben oder nach unten wirkende Kraft ausgeübt, dann stützt sich das vordere Ende des Schiebebügels, nämlich die Kappe, auf einen der Ansätze ab, und die Bremsstange wird angehoben.
Auch am W***-Wagen bildet also der Kunststoffteil das obere Ende des Schieberahmenholms, und die fest mit dem metallischen Bügelteil verbundene Kappe bildet das vordere Ende des Schiebebügels; beiderseits der Gelenkachse sind daher an jedem Schieberahmenholm je ein Widerlager zum Abstützen des entsprechenden Schenkelendes des Schiebebügels vorgesehen. Ferner ist jedes Schenkelende in seiner Mittellage, in der es durch die Kraft der Feder in der Stellung gehalten wird, in der das Bremselement mit dem Rad in Eingriff steht, auf beiden Widerlagern, und bei Verschwenken des Schiebebügels nach oben oder nach unten jeweils auf einem Widerlager, abgestützt. Nicht verwirklicht sind dem Wortlaut nach jedoch drei weitere Merkmale des Klagepatentes, nämlich a) eine Abflachung der Enden des Schiebebügels im Bereich der diese mit den Bremsstangen verbindenden Gelenkachsen, b) das Vorhandensein eines Durchbruches in jedem Schieberahmenholm und jeder Bremsstange, durch den die abgeflachten und über die Gelenkachsen hinaus verlängerten Schenkelenden des Schiebebügels hindurchgeführt sind, wobei c) diese Durchbrüche das Schenkelende in vertikaler Richtung mit Spiel umfassen.
Die davon abweichenden Merkmale des W***-Wagens beruhen nicht auf einer kinematischen Umkehrung - bei welcher ein patentgemäß bewegliches Getriebeglied ruhend, ein patentgemäß ruhendes Getriebeglied hingegen beweglich wirksam wird - von Merkmalen des Patents des Klägers: Sowohl beim Patentgegenstand als auch beim W***-Wagen sind die Holme mit den Lagern ruhend und die Bügel mit den Bremsstangen beweglich. Die oben mit b) und c) bezeichneten Merkmale des Patentes des Klägers sind für die patentgemäße Konstruktion maßgebend: Um die Widerlager gebrauchsfähig zu schaffen, muß zumindest der Schieberahmenholm Durchbrüche haben (Merkmal b) und ein vertikales Spiel vorhanden sein (Merkmal c). Daß beim W***-Wagen das Bügelende (Kunststoffkappe) das obere Ende des Holms samt dem darin eingepreßten Kunststoffteil umgreift und einen Längsschlitz für den Holm aufweist, ist für die Funktion ohne jede Bedeutung.
Mit der Behauptung, daß der W***-Wagen in sein Patent eingreife, weil er zumindest in äquivalenter Weise vom kennzeichnenden Teil des Patentes Gebrauch mache, beantragt der Kläger, die Beklagte schuldig zu erkennen,
1. es ab sofort zu unterlassen, in Österreich Gepäcktransportwagen mit einem mit mindestens einem vorderen und zwei hinteren Rädern versehenen Grundrahmen, an dessen hinterem Ende oberhalb der hinteren Räder ein vertikaler Schieberahmen angeordnet ist, der zwei mit ihrem unteren Ende am Grundrahmen befestigte und im Bereich ihrer oberen Enden mit einem nach hinten abgebogenen U-förmigen Schiebebügel schwenkbar verbundene rohrförmige Holme aufweist, innerhalb derer jeweils eine Bremsstange axial verschiebbar geführt ist, die an ihrem unteren Ende ein mit dem entsprechenden Rad in Eingriff bringbares Bremselement trägt, im Bereich ihres oberen Endes mit einem Schenkel des Schiebebügels um eine horizontale, quer zur Wagenlängsachse verlaufende Achse gelenkig verbunden ist und durch die Kraft einer Feder in einer Stellung gehalten ist, in der das Bremselement mit dem Rad im Eingriff steht, wobei die Bremsstangen durch Verschwenken des Schiebebügels gegen die Federkraft in eine Stellung verschiebbar sind, in der die Bremselemente von den Rädern abgehoben sind, dadurch gekennzeichnet, daß jeder Schieberahmenholm und jede Bremsstange im Bereich der das abgeflachte Schenkelende des Schiebebügels mit der Bremsstange verbindenden Gelenkachse Durchbrüche aufweisen, durch die das Schenkelende des Schiebebügels, das über die Gelenkachse hinaus verlängert ist, hindurchgeführt ist, wobei die Durchbrüche im Schieberahmen in vertikaler Richtung das Schenkelende mit Spiel umfassen, und daß an jedem Schieberahmenholm beiderseits der Gelenkachse je ein Widerlager zum Abstützen des entsprechenden Schenkelendes des Schiebebügels vorgesehen ist, das in seiner Mitttellage, in der die Bremsstange durch die Kraft der Feder in der Stellung gehalten ist, in der das Bremselement mit dem Rad im Eingriff steht, auf beiden Widerlagern und bei Verschwenken des Schiebebügels nach oben oder nach unten jeweils auf einem der Widerlager aufliegt, zu gebrauchen;
2. binnen 4 Wochen die in ihrer Verfügungsgewalt stehenden Gepäcktransportwagen nach Punkt 1. des Urteilsspruches auf ihre Kosten vernichten zu lassen.
Ferner erhebt der Kläger ein auf Veröffentlichung des Urteils in zwei Zeitschriften des Flugverkehrswesens gerichtetes Urteilsveröffentlichungsbegehren.
Der W***-Wagen weise zwei Merkmale des kennzeichnenden Teiles des Patents des Klägers - nämlich die Widerlager an jedem Schieberahmenholm und das Abstützen jedes Schenkelendes auf diesen Widerlagern - unmittelbar auf; die Merkmale a) bis c) hingegen seien durch äquivalente Lösungen verwirklicht. Die Schenkel des Schiebebügels seien beim W***-Wagen ebenso gelenkig verbunden, wie dies im Patent des Klägers vorgesehen sei; die dabei benützte Konstruktion sei nur eine kinematische Umkehr des Patentes des Klägers; daß der W***-Wagen weder in den Schieberahmenholmen noch in den Bremsstangen Durchbrüche aufweist, führe daher nicht aus dem Patent heraus. Auch beim W***-Wagen sei beim Verschwenken des Schiebebügels eine Relativbewegung zwischen dem Schiebebügelschenkel und den die Widerlager tragenden Holmen gewährleistet. Daß neben den Durchbrüchen auch das vertikale Spiel zwischen diesen Durchbrüchen und dem Schenkelende des Schieberahmenbügels fehlt, sei für die Annahme eines Eingriffs ebenfalls unbeachtlich.
Die Beklagte und die Nebenintervenientin beantragen die Abweisung der Klage. Nur die Kombination aller Patentmerkmale sei durch das Patent des Klägers geschützt; der W***-Wagen weise aber gegenüber dem Patent des Klägers wesentliche Unterschiede auf: Die Schieberahmenholme und die Bremsstange hätten keine Durchbrüche; die Schenkelenden des Schiebebügels seien nicht abgeflacht. Dabei handle es sich um wesentliche, das Patent des Klägers auf diese Ausführungsdetails einschränkende Patentmerkmale. Die Verbindung zwischen dem Schieberahmen und dem Schiebebügel werde beim W***-Wagen durch zwei Kunststoffelemente erreicht. Das schwenkbare Ende des Schiebebügels sei über die Gelenkachse hinaus verlängert, aber nicht durch Durchbrüche des Schieberahmens oder der Bremsstangen durchgeführt. Da Durchbrüche nicht vorhanden seien, umfaßten sie auch nicht die (auch nicht abgeflachten) Schenkelenden des Schiebebügels mit vertikalem Spiel. Die Schieberahmenholme wiesen beiderseits der Gelenkachse nicht, wie das Patent des Klägers, ein Widerlager zum Abstützen der Schenkelenden des Schiebebügels auf. Im Ruhezustand liege das Kippstück (Kunststoffkappe) auf der gesamten Auflagerfläche des Auflagestücks (im Holm eingepaßtes Kunststoffstück mit Ansätzen) auf; Schieberahmenholm und Schenkelende des Schiebebügels berührten einander dabei nicht unmittelbar. Das Schenkelende des Schiebebügels liege in keiner der möglichen Positionen auf einem oder beiden Widerlagern auf. Der Gelenkkopf mit Auflager und Kopfstück des W***-Wagens sei daher in wesentlichen Teilen anders konzipiert als die patentierte "Durchsteckkonstruktion" des Klägers. Die Nebenintervenientin trug ergänzend vor, daß es bei der Konstruktion des W***-Wagens gelungen sei, die Bauteile gegenüber dem patentgeschützten Gegenstand weiter zu reduzieren; die vorliegenden Unterschiede führten bereits aus dem Patent heraus. Während sich aber beim Patent des Klägers die Schenkelenden des Schiebebügels in einem starren Gehäuse direkt an eigens dafür vorgesehenen Widerlagern abstützten, erfolge die Abstützung beim W***-Wagen auf Gehäuseteilen, die sich gegen weiteren Gehäuseteilen verschwenken ließen; deshalb könne beim W***-Wagen die Schiebestange weggelassen werden, ohne daß die Funktion des Bremsmechanismus beeinträchtigt würde. Das dem Patent des Klägers zugrunde liegende Funktionsprinzip sei überdies durch die - allerdings eine andere Warengattung
betreffende - DT-OS 1962108 vorbekannt.
Das Erstgericht wies die Klage ab. Der Schutzumfang eines Patents werde durch den Inhalt der Patentansprüche bestimmt; sind diese klar und unzweideutig, dann seien nur sie maßgebend. Nach dem klaren Wortlaut des Patentmerkmales a) des Anspruches 1 sei die Erfindung nur dann geschützt, wenn die Enden des Schiebebügels im Bereich der diese mit den Bremsstangen verbundenen Gelenkachsen abgeflacht sind. Eine andere Patentausführung habe der Kläger nicht angemeldet; die Anmeldung von Merkmalen, die für die Erfindung unerheblich seien und das Patent einschränkten, habe der Anmelder zu vertreten. Bei der Beurteilung der Frage, ob eine bestimmte Maßnahme einem Patentanspruch äquivalent sei, sei davon auszugehen, daß Gegenstand der Erfindung der in den Patentansprüchen definierte Lösungsgedanke im Zusammenhang mit der durch ihn gelösten Aufgabe sei. Da die dem Patent des Klägers zugrunde liegende Aufgabenstellung schon durch andere Konstruktionen gelöst war, komme es umso mehr auf die Art der Lösung der Aufgabe an. Im vorliegenden Fall werde die Äquivalenz auf Grund von Merkmalen des W***-Wagens behauptet, die für dessen Funktion ohne Bedeutung seien und Merkmale des geschützten Gegenstandes ersetzen sollten, die für den geschützten Gegenstand wesentich seien. Solche "zufällige Ähnlichkeiten" könnten aber eine Äquivalenz nicht begründen. Die entsprechenden Merkmale des W***-Wagens seien keine Lösungsmittel, sondern nur zufällig vorkommende und für die Lösung der technischen Aufgabe unerhebliche Merkmale.
Das Berufungsgericht bestätigte das Urteil des Erstgerichtes und sprach aus, daß der Wert des Streitgegenstandes S 300.000 übersteige. Maßgebend für den Schutzumfang eines Patents sei der Inhalt der Anmeldung. Patentanmeldungen und die dazu formulierten Patentansprüche seien Willenserklärungen, auf welche die allgemeinen Auslegungsgrundsätze anzuwenden seien. Demnach komme es nicht nur auf den Wortlaut, sondern auch auf den Sinn der im Patentanspruch zum Ausdruck gebrachten Willenserklärung an. Ziel der vom Kläger angemeldeten Erfindung sei es gewesen, einen Transportwagen zu schaffen, bei dem der Schiebebügel - wie in bereits bekannten Patenten - zugleich zur Betätigung einer Bremsvorrichtung dient, dabei aber diese Aufgabe mit möglichst geringem Materialaufwand gelöst werden sollte. Den Figuren 2 und 4 der Patentschrift des Klägers sei zu entnehmen, daß zwischen dem Schenkelende des Schiebebügels und der Begrenzung des Durchbruches im Schieberahmenholm und in der Bremsstange ein Spiel verbleibe; da das Schenkelende des Schiebebügels bei der Bewegung des Bügels eine Kippbewegung durchführe, müsse dieses vertikale Spiel erheblich sein. Der W***-Wagen weise hingegen kein vertikales Spiel nach dem Merkmal c) des Patentes auf, da die Kappe vollflächig auf der ein Widerlager bildenden Fläche aufliege. Der Auffassung der Berufung, daß sich in beiden Fällen ein Kipplager ergebe, das völlig gleichartig funktioniere, sei entgegenzuhalten, daß durch das Patent ein Kipplager als solches nicht geschützt werde, sei es doch schon durch die DT-OS 2364515 vorveröffentlicht gewesen. Auch im Hinblick auf die US-Patentschrift 3061049 entspreche dieses Konstruktionsdetail dem Stand der Technik. Soweit der Kläger in seiner Berufung und in den Beilagen hiezu auf gemeinsame Merkmale des patentgeschützten Gegenstandes und des W***-Wagens verweise, seien seine Tatsachenannahmen unrichtig und durch die Feststellungen des Erstgerichtes nicht gedeckt. Die Beschreibung des Patentmerkmales a) sei auf die konstruktive Lösung abgestellt, die Holme und die Bremsstangen mit Durchbrüchen zu versehen und die (abgeflachten) Enden des Schiebebügels durch diese Durchbrechungen durchzuführen. In der Patentbeschreibung finde sich kein Hinweis darauf, daß der Kläger auch an andere Lösungen gedacht hätte. Streitentscheidend sei daher, daß die Patentbeschreibung nur die konstruktive Lösung erfasse. Für den Durchschnittsfachmann sei aber eine andere konstruktive Lösung, wie sie beim W***-Wagen angewendet werde und bei der drei von fünf kennzeichnenden Merkmalen nicht vorhanden seien, nicht ohne weiteres naheliegend und selbstverständlich. Ziehe man ferner in Betracht, daß das letzte Patentmerkmal - Abstützen der Schenkelenden auf den Widerlagern - nur die sich aus den vorhergehenden Merkmalen ergebende Wirkungsweise beschreibe, seien im Ergebnis nur vier kennzeichnende Konstruktionsmerkmale vorhanden, von denen beim W***-Wagen drei nicht verwirklicht seien. Das Erstgericht habe daher zutreffend eine Patentverletzung verneint.
Gegen dieses Urteil richtet sich die wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung erhobene Revision des Klägers mit dem Antrag, die Entscheidung im Sinne der Stattgebung der Klage abzuändern.
Die Beklagte und die Nebenintervenientin beantragen, der Revision nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist nicht berechtigt.
Nach Ansicht des Klägers sei es für sein Patent wesentlich, daß der Schiebebügel - entgegen dem durch die Vorveröffentlichungen gegebenen Stand der Technik - nicht mit dem Schieberahmen, sondern nur mit den Bremsstangen verbunden ist. Der in Anspruch genommene Patentschutz beschränke sich nicht auf eine Konstruktion, bei der abgeflachte Schiebebügelenden durch Durchbrüche der Schieberahmenholme und der Bremsstangen hindurchgeführt werden; das vertikale Spiel (Merkmal c) sei im Kunststoffgelenk des W***-Wagens verwirklicht, ein Kipplager habe zum Zeitpunkt der Erteilung des Patents an den Kläger noch nicht zum Stand der Technik gehört.
Dieser Auffassung kann nicht beigepflichtet werden:
Gegenstand der Erfindung im Sinne des § 22 Abs. 1 PatG ist der in den Patentansprüchen definierte Lösungsgedanke im Zusammenhang mit der durch ihn gelösten Aufgabe. Er bestimmt das Wesen und den Umfang des dem Patentinhaber gewährten Schutzes, also den sogenannten "Schutzumfang" des Patentes. Entscheidend ist nicht, was erfunden wurde, sondern allein, wofür der Schutz in Anspruch genommen wurde und gewährt worden ist (Friebel-Pulitzer, Österreichisches Patentrecht2, 190, 191 f; ÖBl 1980, 121; ÖBl 1986, 147). Da Patentanmeldungen (insbesondere die dazu formulierten Patentansprüche) Willenserklärungen sind, sind sie nach den allgemeinen Grundsätzen über die Auslegung von Willenserklärungen auszulegen (Friebel-Pulitzer aaO 192 f; ÖBl 1980, 121; ÖBl 1986, 147). Dabei ist auf die Patentbeschreibung insoweit angemessen Rücksicht zu nehmen, als dies zur Klarstellung einer nicht eindeutigen Formulierung erforderlich ist, weil es bei der Ermittlung des Schutzumfanges des Patentes so wie bei der Ermittlung des Inhalts sonstiger Willenserklärungen nicht auf den Wortlaut, sondern auf den Sinn der im Patentanspruch zum Ausdruck gekommenen Erklärung ankommt (Friebel-Pulitzer aaO 194; ÖBl 1980, 121; ÖBl 1986, 147).
Im vorliegenden Fall steht fest, daß ein sogenanntes Kipphebegelenk zum Zeitpunkt der Patentanmeldung des Klägers auch bei derartigen Gepäcktransportwagen bereits zum Stand der Technik gehört hat; dieser war schon durch die US-Patentschrift 3061049 dokumentiert worden. Der Vorwurf in der Revision, daß sich der vom Gericht bestellte Sachverständige zum Nachweis des Standes der Technik auf die dem Patent des Klägers nachveröffentlichte DT-OS 2364515 berufen habe, ist daher nicht richtig. Die Wörter "Kippgelenk" oder "Kipphebegelenk" kommen weder in der Patentbeschreibung noch in den Patentansprüchen des Klägers vor. Die Wirkungsweise des Kipphebegelenks eines Gepäckwagens, das durch Verschwenken des Schiebebügels nach oben oder nach unten die damit gelenkig verbundenen Bremsstangen stets nach oben bewegt und damit die Lösung der nur in der Mittellage des Schiebebügels gegebenen Einwirkung der Bremse auf die Räder aufhebt, ist demnach vom Schutzumfang des Patents nicht erfaßt. Die Erfindung besteht vielmehr auch nach dem Wortlaut der Patentbeschreibung darin, daß jeder Schieberahmenholm und jede Bremsstange im Bereich der das abgeflachte Schenkelende des Schiebebügels mit der Bremsstange verbindenden Gelenkachse Durchbrüche aufweisen, durch die das Schenkelende des Schiebebügels, das über die Gelenkachse hinaus verlängert ist, hindurchgeführt ist, wobei die Durchbrüche im Schieberahmenholm in vertikaler Richtung das Schenkelende mit Spiel umfassen, und daß an jedem Schieberahmenholm beiderseits der Gelenkachse je ein Widerlager zum Abstützen des entsprechenden Schenkelendes des Schiebebügels vorgesehen ist, das in seiner Mittellage, in der die Bremsstange durch die Kraft einer Feder in der Stellung gehalten ist, in der das Bremselement mit dem Rad im Eingriff steht, auf beiden Widerlagern, beim Verschwenken des Schiebebügels nach oben oder nach unten aber jeweils auf einem der Widerlager aufliegt. Wesentlich für den kennzeichnenden Teil des Patentes sind demnach die Durchbrüche der Schieberahmenholme und der Bremsstange sowie die Durchführung der abgeflachten Enden des Schiebebügels durch diese. Zur Beurteilung des Schutzumfanges eines Patents darf über den Anspruchsinhalt selbst bei einer weitreichenden Patentbeschreibung nicht hinausgegangen werden (SZ 57/68; ÖBl 1977, 88; ÖBl 1980, 121; ÖBl 1986, 147). Eine andere Lösung der vorliegenden technischen Aufgabe, bei der abgeflachte Enden des Schiebebügels nicht durch Durchbrüche der Schieberahmenholme und der Bremsstangen durchgeführt werden und von den Durchbrüchen nicht mit Spiel umfaßt werden, ist durch das Patent des Klägers somit - entgegen der in der Revision vertretenen Auffassung - nicht geschützt. Der Kläger geht nicht vom festgestellten Wortlaut des Patents aus, wenn er meint, daß im Merkmal b) nicht von einer Durchdringung die Rede sei; dieses Patentmerkmal ist vielmehr damit umschrieben, daß das abgeflachte Ende des Schiebebügels durch die Durchbrüche des Schieberahmenholms und der Bremsstange hindurchgeführt ist. Die Patentmerkmale b) und
c) sind daher beim W***-Wagen nicht erfüllt.
Der W***-Wagen weist in den Holmen des Schieberahmens und den Bremsstangen keine Durchbrüche auf; bei ihm sind auch die Enden des Schiebebügels nicht abgeflacht und nicht durch derartige Durchbrüche hindurchgeführt. Es besteht nur eine Gleichartigkeit der Funktion des Kipphebegelenks; diese Funktion ist aber durch das Patent des Klägers nicht geschützt. Auch trifft es nicht zu, daß die lappenartigen Überdeckungen der oberen Kunststoffkappe die Funktion der Durchbrechungen der Schieberahmenholme und der Bremsstangen des patentrechtlich geschützten Gegenstandes übernähmen; sie dienen vielmehr nur der Abdeckung und haben auf die Funktion des W***-Wagens keinen Einfluß. Damit können aber diese Lappen auch kein patentrechtlich äquivalentes Lösungsmittel für die genannten Durchbrüche sein. Nur gleichwertige Lösungsmittel werden unter dem Gesichtspunkt der patentrechtlichen Äquivalenz vom Schutzumfang eines Patents erfaßt (Friebel-Pulitzer aaO 203). Anders als beim Patent des Klägers, bei dem das Umfassen der abgeflachten Enden des Schiebebügels durch die Durchbrüche der Holme des Schieberahmens und der Bremsstangen mit Spiel für die Funktionsfähigkeit erforderlich ist, weil erst dadurch ein Verschwenken des Schiebebügels möglich ist, ist für die Funktion des W***-Wagens ein derartiges Spiel nicht wesentlich; ein solches ist auch nicht vorhanden. Die obere Kunststoffkappe ruht vollflächig auf dem im Rahmenholm befestigten Kunststoffunterteil auf; die Beschränkung der Verschwenkbarkeit wird durch die in der oberen Kunststoffkappe liegende ovale Öffnung erreicht. Diese Öffnung umfaßt die Bremsstange mit Spiel; bei der patentgeschützten Konstruktion hingegen werden die abgeflachten Enden des Schiebebügels mit Spiel umfaßt.
Unrichtig ist auch die in der Revision vertretene Auffassung, daß die Befestigung des Schiebebügels allein an den Bremsstangen, nicht aber auch an den Schieberahmenholmen kennzeichnender Teil des Patentanspruchs sei; auch von diesem Konstruktionsdetail ist in den Patentansprüchen nicht die Rede. Mit dieser Übereinstimmung des W***-Wagens und der Konstruktion des Klägers kann daher ebenfalls keine Patentverletzung begründet werden.
Der Schutz durch ein Kombinationspatent kommt einzelnen Kombinationselementen, die für sich genommen nicht erfinderisch sind, nicht zu (ÖBl 1982, 24; ÖBl 1985, 38 = SZ 57/68; vgl. Friebel-Pulitzer aaO 209, die das selbst dann annehmen, wenn das übereinstimmende Kombinationselement für sich genommen erfinderisch ist).
Mit Recht haben daher die Vorinstanzen angenommen, daß der W***-Wagen nicht in das Patent des Klägers eingreift. Der Revision war somit ein Erfolg zu versagen.
Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO. Da die Beklagte und die Nebenintervenientin die Revisionsbeantwortung mit einem gemeinsamen Schriftsatz erstattet haben, hat jede von ihnen Anspruch auf Ersatz der Hälfte der Kosten dieses gemeinsamen Schriftsatzes.
Anmerkung
E19504European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1990:0040OB00124.89.0109.000Dokumentnummer
JJT_19900109_OGH0002_0040OB00124_8900000_000