Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Kralik als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Vogel, Dr. Melber, Dr. Kropfitsch und Dr. Zehetner als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Ing. F***, K*** & Co, Jedlersdorferstraße 118, 1210 Wien, vertreten durch Dr. Andreas Puletz und Dr. Franz Stadler, Rechtsanwälte in Wien, wider die beklagten Parteien 1) Helga H***, Angestellte, Wilhelm Kreßplatz 29-30, 1110 Wien, und 2) DER A***, Allgemeine Versicherungs-AG, Hoher Markt 10-12, 1010 Wien, beide vertreten durch Dr. Julius Jeannee, Dr. Wolfgang Jeannee und Dr. Peter Lösch, Rechtsanwälte in Wien, wegen 119.697 S sA (Revisionsstreitwert 119.697 S hinsichtlich der klagenden Partei und 28.565,66 S hinsichtlich der beklagten Parteien), infolge Revision der klagenden Partei und der beklagten Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes vom 21. Juni 1989, GZ 18 R 110/89-32, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes für ZRS Wien vom 5. März 1989, GZ 24 Cg 749/86-26, teilweise bestätigt und teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision der klagenden Partei wird nicht Folge gegeben. Hingegen wird der Revision der beklagten Parteien Folge gegeben und das angefochtene Urteil dahin abgeändert, daß die Entscheidung des Erstgerichts wiederhergestellt wird.
Die klagende Partei ist schuldig, den beklagten Parteien die mit 11.353,72 S bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens (darin Umsatzsteuer von 1.885,62 S und Barauslagen von 40 S) und die mit 11.911,50 S bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin Umsatzsteuer von 1.735,25 S und Barauslagen von 1.500 S) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Am 7. Mai 1985 ereignete sich gegen 7,20 Uhr im 3. Wiener Gemeindebezirk im Bereich der Kreuzung Aspangstraße - Adolf Blamauergasse ein Verkehrsunfall, an dem Walter N*** als Lenker des PKW der Klägerin mit dem Kennzeichen W 448.446 und die Erstbeklagte als Halterin und Lenkerin des PKW mit dem Kennzeichen W 638.971 beteiligt waren. Die Zweitbeklagte ist der Haftpflichtversicherer des letztgenannten Kraftfahrzeugs. Der aus der Adolf Blamauergasse nach rechts in die Aspangstraße einbiegende PKW der Klägerin kollidierte im Kreuzungsbereich mit dem auf der Aspangstraße von rechts kommenden PKW der Erstbeklagten. Dabei wurden beide Fahrzeuge beschädigt. Ein wegen dieses Verkehrsunfalls gegen den Lenker des PKW der Klägerin zu 10 U 762/85 des Strafbezirksgerichts Wien eingeleitetes Strafverfahren wurde gemäß § 90 StPO eingestellt.
Im vorliegenden Rechtsstreit begehrte die Klägerin aus dem Rechtsgrund des Schadenersatzes aus diesem Verkehrsunfall die Verurteilung der Beklagten zur ungeteilten Hand zur Zahlung von 119.697 S sA (Reparaturkosten 69.697 S, darin enthalten Umsatzsteuer 11.516,20 S, und Wertminderung 50.000 S). Dem Grund nach stützte die Klägerin ihr Begehren im wesentlichen darauf, daß die Erstbeklagte das Alleinverschulden an diesem Verkehrsunfall treffe. Der Lenker des PKW der Klägerin sei mit diesem Fahrzeug von der Adolf Blamauergasse nach rechts in die Aspangstraße eingebogen. Die Erstbeklagte sei mit ihrem PKW mit überhöhter Geschwindigkeit auf der Aspangstraße in Richtung Fasangasse gefahren, wobei sie unter Überschreitung der Fahrbahnmitte an einer angehaltenen Fahrzeugkolonne links vorbeigefahren sei, obwohl dies auch rechts möglich gewesen wäre.
Die Beklagten wendeten dem Grund nach im wesentlichen ein, daß das Alleinverschulden an diesem Verkehrsunfall den Lenker des PKW der Klägerin treffe, der den der Erstbeklagten zukommenden Rechtsvorrang verletzt habe. Sie bestritten ihre Verpflichtung zum Ersatz der von der Klägerin in Rechnung gestellten Umsatzsteuer und wendeten schließlich eine Schadenersatzforderung der Erstbeklagten aus diesem Verkehrsunfall in der Höhe von 68.401 S aufrechnungsweise gegen die Klagsforderung ein. Der Höhe nach ist diese Gegenforderung unbestritten.
Das Erstgericht wies im zweiten Rechtsgang das Klagebegehren ab.
Es stellte im wesentlichen folgenden Sachverhalt fest:
Die Unfallsörtlichkeit und die dort angebrachten Verkehrszeichen ergeben sich aus der dem Urteil angeschlossenen Skizze Beilage C. Walter N*** fuhr mit dem PKW der Klägerin auf der Adolf Blamauergasse und bog von dieser nach rechts mit einer Geschwindigkeit von ca. 25 km/h in die Aspangstraße ein. Die Sichtverhältnisse waren für ihn nach rechts in die Aspangstraße äußerst schlecht. Um den Vorrang auf der Aspangstraße von rechts kommender Fahrzeuge wahren zu können, wäre für ihn mit Rücksicht auf die schlechten Sichtverhältnisse ein Hineintasten mit einer Geschwindigkeit von 5 km/h oder allenfalls noch weniger notwendig gewesen.
Auf der Aspangstraße hatte sich in Richtung Adolf Blamauergasse zum Linksabbiegen auf dem der Straßenmitte zunächst gelegenen Fahrstreifen eine Kolonne von ca. 15 Fahrzeugen gebildet. Diese Kolonne stand bei Annäherung der Erstbeklagten, die auf der Aspangstraße in Richtung Fasangasse unterwegs war, weil die Blinklichtanlage der auf der Adolf Blamauergasse befindlichen Eisenbahnkreuzung Rotlicht zeigte. Die Kolonne hatte sich dergestalt gebildet, daß zunächst einige Fahrzeuge auf der Aspangstraße zum Linksabbiegen vor der Eisenbahnkreuzung angehalten waren. Dann war die Kolonne auf eine bis zwei PKW-Längen unterbrochen; sodann setzte sie sich von der Position 3 laut Skizze Beilage C weiter auf der Aspangstraße fort. Die Erstbeklagte näherte sich dieser stehenden Kolonne auf der Aspangstraße und wollte die Kreuzung mit der Adolf Blamauergasse in gerader Richtung in Richtung Fasangasse übersetzen. Bei Annäherung an die Kolonne nahm die Erstbeklagte wahr, daß rechtsseitig an der stehenden Kolonne ein Vorbeifahren nicht möglich war, weil im ersten Fahrstreifen Fahrzeuge angehalten waren bzw. hielten oder parkten. Die Erstbeklagte fuhr daher mit einer Geschwindigkeit von 20 bis 30 km/h linksseitig unter wesentlicher Überschreitung der Fahrbahnmitte an der stehenden Kolonne vorbei, weil sie gesehen hatte, daß die wegen des Rotlichts an der die Adolf Blamauergasse querenden Eisenbahnkreuzung angehaltene Kolonne im Kreuzungsbereich so aufgelockert war, daß ein Durchfahren für sie möglich gewesen wäre, sodaß sie ihre beabsichtigte Fahrt in Richtung Fasangasse fortsetzen hätte können. Die Erstbeklagte hatte bei Annäherung an die Unfallstelle das Rotlicht auf der Eisenbahnkreuzung wahrgenommen und vertraute deshalb darauf, daß von links aus der Adolf Blamauergasse kein Fahrzeug kommen werde. Der Lenker des PKW der Klägerin fuhr jedoch von der Adolf Blamauergasse kommend nach rechts in die Aspangstraße ein, nachdem er die Eisenbahnkreuzung bei Rotlicht überfahren hatte. Es kam dann zur Kollision der beiden Fahrzeuge; ihre Endstellung ist in der Skizze Beilage C mit den Positionen 1 und 2 eingezeichnet. Die Erstbeklagte konnte vor der Kollision ihren PKW nicht mehr abbremsen; sie konnte den PKW der Klägerin erst rund eine Sekunde vor der Kollision erstmals wahrnehmen. Auch der Lenker des Fahrzeugs der Klägerin hatte bei der von ihm eingehaltenen Geschwindigkeit keine Möglichkeit, die Kollision zu verhindern.
Die Kosten für die Behebung der Unfallschäden am PKW der Klägerin betrugen 69.697 S (darin sind 11.516,20 S Umsatzsteuer enthalten). Am PKW der Klägerin trat unfallsbedingt eine merkantile Wertminderung von 16.000 S ein.
Rechtlich beurteilte das Erstgericht den festgestellten Sachverhalt im wesentlichen dahin, daß den Lenker des PKW der Klägerin das Alleinverschulden an diesem Verkehrsunfall treffe, weil er den der Erstbeklagten zukommenden Rechtsvorrang verletzt habe. Der Erstbeklagten könne nicht als Verschulden angelastet werden, daß sie die Fahrbahnmitte überschritten habe; die Rechtsfahrordnung (§ 7 Abs. 1 StVO) diene dem Schutz des Gegenverkehrs, nicht aber dem Schutz von links kommender benachrangter Fahrzeuge. Die Erstbeklagte habe an der angehaltenen Kolonne nicht rechts vorbeifahren können.
§ 17 StVO habe vor allem den Schutz der Linksabbieger im Auge. Ein Verschulden der Erstbeklagten sei auch deswegen zu verneinen, weil der Lenker des Fahrzeugs der Klägerin die Eisenbahnkreuzung bei Rotlicht überfahren habe. Bei dieser Situation habe die Erstbeklagte nicht damit rechnen müssen, daß ein Fahrzeug von links in die Aspangstraße einfahren werde.
Der gegen diese Entscheidung des Erstgerichts gerichteten Berufung der Klägerin gab das Berufungsgericht mit dem angefochtenen Urteil teilweise Folge. Es änderte die Entscheidung des Erstgerichts dahin ab, daß es die Klagsforderung mit 28.565,66 S und die eingewendete Gegenforderung bis zu dieser Höhe als zu Recht bestehend erkannte und damit zur Abweisung des Klagebegehrens gelangte. Das Berufungsgericht sprach aus, daß die Revision zulässig sei.
Das Berufungsgericht stellte nach Beweisergänzung abweichend vom Erstgericht fest, daß die Erstbeklagte bei Annäherung an die Unfallstelle die Ampelanlage der Eisenbahnkreuzung nicht wahrnehmen konnte. Die Feststellung des Erstgerichts, daß der Lenker des PKW der Klägerin die Eisenbahnkreuzung bei Rotlicht überfuhr, wurde vom Berufungsgericht als unerheblich bezeichnet. Im übrigen übernahm es die Feststellungen des Erstgerichts.
Rechtlich führte das Berufungsgericht im wesentlichen aus, der Unfall habe sich im Kreuzungsbereich ereignet. Bei der Beurteilung der Verkehrssituation sei davon auszugehen, daß sich auf der Aspangstraße ein Kolonnenrückstau bis über den Kreuzungsbereich mit der Adolf Blamauergasse gebildet gehabt habe, der im Kreuzungsbereich unterbrochen gewesen sei. Damit ergebe sich eine Situation, die nach § 17 Abs. 4 und § 18 Abs. 3 StVO zu beurteilen sei.
Die im § 17 Abs. 4 StVO normierte Beschränkung des Vorbeifahrens diene nicht nur dem Schutz des Gegenverkehrs, sondern auch dem Schutz des in Betracht kommenden Querverkehrs. Auch einbiegende Fahrzeuge seien als Querverkehr zu beurteilen. Das Überfahren der Fahrbahnmitte stelle die Übertretung einer zugunsten auch des Querverkehrs normierten Schutznorm im Sinn des § 1311 ABGB dar. In diesem Fall habe der Schädiger zu beweisen, daß der Schaden auch ohne die Übertretung der Schutznorm in gleicher Weise eingetreten wäre.
Im vorliegenden Fall liege der Verstoß der Erstbeklagten gegen die Schutznorm des § 17 Abs. 4 StVO darin, daß sie an der Kolonne vorbeigefahren sei, obwohl sie dabei die Fahrbahnmitte überfahren habe und daher nicht hätte vorbeifahren dürfen. Daß derselbe Schaden auch dann eingetreten wäre, wenn die Erstbeklagte von dem Vorbeifahrmanöver Abstand genommen hätte, sei weder behauptet noch bewiesen worden. Es müsse daher davon ausgegangen werden, daß die Erstbeklagte den Unfall mitverschuldet habe.
Der Verstoß der Erstbeklagten sei aber im Zusammenhang mit der Vorrangverletzung des Lenkers des PKW der Klägerin zu sehen, der gegen § 19 Abs. 1 StVO verstoßen habe. Eine Vorrangverletzung wiege grundsätzlich schwerer als andere Verkehrswidrigkeiten, sodaß der Lenker des PKW der Klägerin, der ohne ausreichende Sicht nach rechts in die Aspangstraße eingebogen sei, das überwiegende Verschulden an diesem Unfall zu vertreten habe. Es sei unter diesen Umständen eine Verschuldensteilung im Verhältnis von 1 : 2 zu Lasten der Klägerin vorzunehmen.
Ausgehend von dieser Verschuldensteilung sei die Klagsforderung mit 28.565,66 S festzustellen; sie sei zufolge der eingewendeten Gegenforderung, die der Höhe nach außer Streit stehe, durch Aufrechnung getilgt.
Seinen Ausspruch über die Zulässigkeit der Revision begründete das Berufungsgericht damit, daß Judikatur zu dieser spezifischen Verkehrs- und Straßensituation nicht vorhanden sei. Gegen diese Entscheidung des Berufungsgerichts richten sich die Revisionen der Klägerin und der Beklagten. Die Klägerin bekämpft sie aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil im Sinn der Stattgebung des Klagebegehrens abzuändern; hilfsweise stellt sie einen Aufhebungsantrag. Die Beklagten bekämpfen die Entscheidung des Berufungsgerichts insoweit, als die Klagsforderung als zu Recht bestehend erkannt wurde, gleichfalls aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil im Sinn der Wiederherstellung der Entscheidung des Erstgerichts abzuändern, allenfalls es dahin abzuändern, "daß die Klagsforderung nur mit 19.360,26 S als zu Recht bestehend festgestellt und dann auf Grund der Gegenforderung das Klagebegehren abgewiesen werde".
Beide Streitteile haben Revisionsbeantwortungen mit dem Antrag erstattet, der Revision des Gegners keine Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Beide Revisionen sind zuläsisg. Sachlich kommt der Revision der Klägerin keine Berechtigung zu, wohl aber der der Beklagten. Entgegen den Revisionsausführungen der Klägerin erfolgte die Kollision im Kreuzungsbereich, zu dem nach ständiger Rechtsprechung (ZVR 1987/121; ZVR 1989/81 mwN uva) die gesamte innerhalb eines Mündungstrichters liegende Fläche gehört. Nach der der Skizze Beilage C zu entnehmenden Kontaktposition besteht somit kein Zweifel daran, daß der Zusammenstoß der beiden Fahrzeuge im Kreuzungsbereich erfolgte. Das aus der Skizze Beilage C ersichtliche bei der Haltelinie vor der Adolf Blamauergasse angebrachte Nachrangzeichen ist entgegen den Revisionsausführungen der Klägerin für die Beurteilung der Vorrangverhältnisse für einen von der Adolf Blamauergasse nach rechts in die Aspangstraße einbiegenden Fahrzeuglenker nicht von Bedeutung. Für ihn sind die Vorrangverhältnisse durch keinerlei besondere Verkehrszeichen geregelt, sodaß für ihn die Vorschrift des § 19 Abs. 1 StVO gilt. Mit Recht sind daher die Vorinstanzen davon ausgegangen, daß der Erstbeklagten gegenüber dem Lenker des PKW der Klägerin im Sinn dieser Gesetzesstelle der Rechtsvorrang zukam, der sich nach ständiger Rechtsprechung (siehe dazu Dittrich-Stolzlechner StVO3 § 19 Anm. 9 und die dort zitierte Judikatur) auf die gesamte Fahrbahn der Querstraße erstreckt, und daß der Lenker des PKW der Klägerin durch seine festgestellte Fahrweise seine im § 19 Abs. 7 StVO normierte Wartepflicht gegenüber der Erstbeklagten schuldhaft verletzte.
Hingegen kann entgegen der vom Berufungsgericht vertretenen Rechtsmeinung der Erstbeklagten ein Verschulden an dem hier zu beurteilenden Verkehrsunfall nicht angelastet werden. Entgegen der Rechtsmeinung des Berufungsgerichts ist das Vorbeifahren der Erstbeklagten an der in der Aspangstraße angehaltenen Kolonne nicht der Vorschrift des § 17 Abs. 4 StVO zu unterstellen, weil die Fahrzeuge dieser Kolonne nicht gemäß § 18 Abs. 3 StVO angehalten waren. Es ist den Feststellungen der Vorinstanzen in keiner Weise zu entnehmen, daß auf der Aspangstraße vor der hier in Frage stehenden Einmündung Fahrzeuge so angehalten worden wären, daß ihre Reihe bis zu dieser Einmündung zurückgereicht hätte und daß es deshalb zum Anhalten der von den Vorinstanzen festgestellten Kolonne auf der Aspangstraße gekommen wäre; nach den Feststellungen der Vorinstanzen hielt vielmehr diese Kolonne an, weil ein weiteres Linksabbiegen in die Adolf Blamauergasse nicht möglich war. Einem aus § 17 Abs. 4 StVO abzuleitenden Vorbeifahrverbot ist daher die Fahrweise der Erstbeklagten nicht zu unterstellen. Die im § 17 Abs. 2 und Abs. 3 StVO normierten Vorbeifahrverbote kommen der Sachlage nach nicht in Betracht. Die Übertretung eines aus § 17 Abs. 1 letzter Satz StVO abzuleitenden Vorbeifahrverbots ist der Erstbeklagten schon deshalb nicht anzulasten, weil nicht feststeht, daß die Lenker der Fahrzeuge der auf der Aspangstraße angehaltenen Kolonne ihre Absicht, nach links abzubiegen, angezeigt hätten; darüber hinaus bezweckt diese Vorschrift erkennbar den Schutz der Linksabbieger, nicht aber den eines aus einer Querstraße kommenden benachrangten Verkehrsteilnehmers.
Im übrigen ist gemäß § 17 Abs. 1 StVO das Vorbeifahren nur gestattet, wenn dadurch andere Straßenbenützer, insbesondere entgegenkommende, weder gefährdet noch behindert werden. Unter diesem rechtlichen Gesichtspunkt ist das Vorbeifahren an einer stehenden Kolonne grundsätzlich zulässig; ist es nur unter Überschreitung der Fahrbahnmitte möglich, dann darf es allerdings nur erfolgen, wenn der Lenker mit Sicherheit damit rechnen kann, hiedurch den Gegenverkehr nicht zu gefährden oder zu behindern (siehe dazu Dittrich-Stolzlechner aaO § 17 Anm. 7a und 9 und die dort angeführte Judikatur). Daß für die Erstbeklagte Umstände vorgelegen wären, die ihr Vorbeifahrmanöver im Sinn des § 17 Abs. 1 StVO unzulässig gemacht hätten, wurde weder behauptet noch festgestellt. Nach ständiger Rechtsprechung können unter den "anderen Straßenbenützern" im Sinne dieser Gesetzesstelle, die durch die Vorbeifahrt nicht behindert werden dürfen, solche Straßenbenützer, die nicht gegenüber dem Vorbeifahrenden einen Anspruch auf Nichtbehinderung haben, nicht verstanden werden. Wer auf Grund einer Vorrangbestimmung gegenüber dem Vorbeifahrenden wartepflichtig ist, hat diesem gegenüber keinen Anspruch auf Nichtbehinderung (ZVR 1981/10; ZVR 1982/227; ZVR 1983/71; ZVR 1985/41 ua). Daraus folgt aber, daß die Erstbeklagte keinesfalls gehalten war, ihr ansonsten nach § 17 Abs. 1 StVO nicht unzulässiges Vorbeifahrmanöver im Hinblick auf ein mögliches Fehlverhalten des ihr gegenüber benachrangten Lenkers des PKW der Klägerin zu unterlassen.
Da unter diesen Umständen der Erstbeklagten die schuldhafte Übertretung von Verkehrsvorschriften nicht anzulasten ist, wohl aber dem Lenker des PKW der Klägerin die schuldhafte Verletzung des der Erstbeklagten zukommenden Rechtsvorrangs, ist das Klagebegehren bei richtiger rechtlicher Beurteilung abzuweisen, ohne daß es eines Eingehens auf die weiteren Revisionsausführungen der Beklagten über ihre mangelnde Ersatzpflicht bezüglich der von der Klägerin verrechneten Umsatzsteuer bedürfte.
Es war daher wie im Spruch zu entscheiden.
Die Entscheidung über die Kosten des Berufungs- und des Revisionsverfahrens beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.
Anmerkung
E19459European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1990:0020OB00136.89.0110.000Dokumentnummer
JJT_19900110_OGH0002_0020OB00136_8900000_000