TE OGH 1990/1/18 6Ob750/89

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Veröffentlicht am 18.01.1990
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Samsegger als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schobel, Dr. Melber, Dr. Schlosser und Dr. Redl als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Johann P***, Pensionist, Schwabstraße 43 a, 6170 Zirl, vertreten durch Dr. Lienhard Grabmayr, Dr. Herbert Kofler, Rechtsanwälte in Landeck, wider die beklagte Partei Wilhelmine R***, Angestellte, Höhenstraße 56, 6020 Innsbruck, vertreten durch Dr. Ekkehard Erlacher, Rechtsanwalt in Innsbruck, wegen Anfechtung eines Vertrages (Streitwert S 350.000,-), infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgerichtes vom 29. September 1989, GZ 4 R 326/88-44, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck vom 10. August 1987, GZ 18 Cg 393/86-38, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit S 12.983,40 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin enthalten S 2.163,90 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger und seine frühere Lebensgefährtin waren je zur Hälfte Eigentümer einer Liegenschaft mit Wohnhaus. Der Kläger benützt das Parterre, die Miteigentümerin den ersten Stock. Ende April oder Anfang Mai 1985 lernte der im Jahre 1911 geborene Kläger die 1933 geborene Beklagte kennen. Die Beiden waren eine zeitlang miteinander befreundet. Der Kläger wollte sich gegenüber der Beklagten erkenntlich zeigen und strebte auch eine Heirat mit ihr an. Am 25. Juni 1985 unterfertigte der Kläger, der sich damals nach einer Hüftoperation zur Erholung in einem Sanatorium befand, einen von einem Rechtsanwalt verfaßten schriftlichen Vertrag, mit welchem er seine Liegenschaftshälfte der Beklagten um einen Kaufpreis von S 300.000,- verkaufte. Der Kläger bestätigte im Kaufvertrag den Erhalt des Kaufpreises. Außerdem wurde ihm ein lebenslanges Wohnrecht an den von ihm bis dahin benützten Räumen eingeräumt. Die Beklagte hat den Hälfteanteil inzwischen weiter veräußert. Mit seiner Klage begehrte der Kläger, auszusprechen, daß der Kaufvertrag aufgehoben sei. Mit Eventualbegehren forderte er die Zahlung eines Betrages von S 350.000,- samt Zinsen. Der Kläger brachte vor, er habe der Beklagten an seinem Liegenschaftsanteil ein unentgeltliches Wohnrecht einräumen wollen. Die Beklagte habe ihm dann im Krankenhaus den schriftlichen Vertrag vorgelegt, den er ungelesen in der Meinung unterfertigt habe, es handle sich um die Begründung des Wohnungsrechtes. Die Beklagte habe den Kläger in Irrtum geführt und getäuscht. Sie habe seine Hilfsbedürftigkeit und eingeschränkte oder fehlende Handlungsfähigkeit ausgenützt, um in den Genuß des Hälfteanteiles zu kommen. Ein Verkauf sei nie besprochen worden und habe dem Willen des Klägers nicht entsprochen. Der Kläger habe auch den Kaufpreis nicht erhalten. Da die Beklagte den Anteil weiter veräußert habe, bestehe die Gefahr, daß der Kläger auch bei einem Obsiegen das Grundstück nicht mehr erhalten und einen Ausfall im Ausmaß des Verkehrswertes von S 350.000,- erleiden werde. Die Beklagte wendete ein, von der Einräumung eines Wohnrechtes für sie sei nie die Rede gewesen. Sie habe den Kläger nicht in Irrtum geführt oder getäuscht. Beide Parteien hätten die Absicht gehabt, einen Kaufvertrag zu schließen. Dem Kläger sei bekannt gewesen, daß er einen Kaufvertrag unterschreibe. Er habe den Kaufpreis von der Beklagten bar erhalten.

Das Erstgericht gab dem Hauptbegehren statt. Aus seinen Feststellungen ist folgendes hervorzuheben:

Der Kläger beschloß, der Beklagten ein Wohnrecht in dem von ihm bewohnten Haus zu verschaffen. Er wollte deshalb den anderen Liegenschaftsanteil erwerben, doch stimmte dem die Eigentümerin nicht zu. Während des Krankenhausaufenthaltes des Klägers erteilte die Beklagte dem Rechtsanwalt den Auftrag, einen Kaufvertrag zu verfassen. Der Kläger, der "praktisch Analphabet" ist, unterfertigte diesen Vertrag im Krankenhaus, ohne ihn gelesen zu haben. Er war der Meinung, es handle sich um einen Vertrag über die Einräumung eines Wohnrechtes an die Beklagte, an eine andere Möglichkeit dachte er nicht. Den im Vertrag vorgesehenen Kaufpreis bezahlte die Beklagte nicht.

Rechtlich beurteilte das Erstgericht diesen Sachverhalt dahin, die Beklagte habe den Kläger durch List zur Unterfertigung des Vertrages veranlaßt, weshalb der Kläger gemäß § 870 ABGB zur Anfechtung berechtigt sei.

Das Berufungsgericht änderte das Ersturteil dahin ab, daß Haupt- und Eventualbegehren abgewiesen wurden. Es traf nach Beweiswiederholung folgende vom Ersturteil abweichende wesentliche Feststellungen:

Es kam zwischen den Parteien "zu einer die Beklagte begünstigenden, zunächst mündlichen Vereinbarung bezüglich des Hälfteanteiles des Klägers". Es konnte aber nicht festgestellt werden, ob zugunsten der Beklagten bloß ein Wohnungsrecht begründet oder ein Kaufvertrag geschlossen werden sollte. Der - wenn auch im Lesen schwache, aber doch des Lesens mächtige - Kläger unterfertigte den schriftlichen Vertrag im Krankenhaus, ohne ihn gelesen zu haben und ohne daß vorher über den Inhalt gesprochen wurde. Ob die Beklagte dem Kläger gegenüber unrichtige Erklärungen über den Vertragsinhalt abgab und den Kläger somit irreführte oder zumindest einen Irrtum des Klägers veranlaßte oder erkannte und ob der Kläger bei der Unterfertigung davon ausging, bloß einen Vertrag über die Einräumung eines Wohnrechtes an die Beklagte oder einen Kaufvertrag zu ihren Gunsten zu unterfertigen, konnte nicht festgestellt werden. Eine Übereinstimmung des schriftlichen Vertrages mit den mündlichen Abreden ist nicht auszuschließen, es kann aber auch nicht ausgeschlossen werden, daß der Kläger davon ausging, der Beklagten werde der Hälfteanteil der anderen Miteigentümerin übereignet. Es konnte auch nicht festgestellt werden, ob die Beklagte den Kaufpreis bezahlte.

In rechtlicher Hinsicht führte das Berufungsgericht aus, die Beweispflicht für eine Irreführung (§ 870 ABGB) oder zumindest für einen von der Beklagten veranlaßten oder ihr offenbar auffällig gewesenen Geschäftsirrtum des Klägers (§ 871 ABGB) treffe den Kläger. Die verbliebenen Zweifel gingen daher zu seinen Lasten. Der Umstand, daß der Kläger den Vertrag ungelesen unterschrieben habe, vermöge die Anfechtung nicht zu rechtfertigen. Derjenige, der eine Urkunde ungelesen unterschreibe, müsse den Inhalt als seine Erklärung gegen sich gelten lassen. Die auch in solchen Fällen mögliche Irrtums- oder Betrugsanfechtung sei dem Kläger nicht gelungen. Auch das auf Zahlung gerichtete Eventualbegehren hätte das Bestehen eines Anfechtungstatbestandes zur Voraussetzung. Ein auf Kaufpreiszahlung gerichtetes Begehren müßte ebenfalls scheitern, weil auch hier den Kläger im Hinblick auf die Quittung die Beweispflicht treffe.

Der Kläger bekämpft das Urteil des Berufungsgerichtes mit Revision, macht die Anfechtungsgründe der unrichtigen rechtlichen Beurteilung, der Mangelhaftigkeit des Verfahrens und der Aktenwidrigkeit geltend und beantragt die Wiederherstellung des Ersturteiles. Hilfsweise stellt der Kläger einen Aufhebungsantrag. Die Beklagte beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht berechtigt.

Als Aktenwidrigkeit macht der Kläger geltend, daß die vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen zu einzelnen Beweisergebnissen im Widerspruch stehen. Darin kann jedoch keine Aktenwidrigkeit im Sinne des § 503 Z 3 ZPO liegen (EFSlg 32.092, 39.270, 39.271, 39.272, 41.800, 41.801 uva, zuletzt 2 Ob 535/89). Mit den Ausführungen zum Revisionsgrund der Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens rügt der Kläger, daß das Berufungsgericht lediglich die Parteienvernehmung durchgeführt, die Zeugen aber nicht vernommen habe.

Dem ist zu erwidern, daß das Berufungsgericht nach Fassung des Beweisbeschlusses die Aussagen der Zeugen verlesen hat (ON 42). Da dies auf Grund der Vorschriften der §§ 281 a, 488 ZPO in der hier noch anzuwendenden Fassung zulässig war, liegt der behauptete Verfahrensmangel nicht vor.

Zum Anfechtungsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung führt der Kläger aus, das Berufungsgericht habe weder eine Willenseinigung über den Verkauf des Liegenschaftsanteiles noch eine solche über die Einräumung eines Wohnrechtes an die Beklagte festgestellt. Mangels Willenseinigung sei von einem Dissens auszugehen, ein Vertrag sei daher nicht zustande gekommen. Diesen Ausführungen ist entgegenzuhalten, daß ein Dissens nicht festgestellt wurde. Es war lediglich nicht feststellbar, welchen Inhalt die mündliche, die Beklagte begünstigende Vereinbarung bezüglich des Hälfteanteiles hatte. Da nach der mündlichen Einigung ein schriftlicher Vertrag mit eindeutigem Inhalt unterzeichnet wurde, wäre es Sache des Klägers gewesen, zu beweisen, daß dieser nicht seinem Willen entsprach und die Voraussetzungen für eine Vertragsanfechtung vorliegen. Einen derartigen Beweis hat der Kläger aber nicht erbracht.

Die weiteren Ausführungen zur Rechtsrüge, die Beklagte wäre verpflichtet gewesen, den Kläger auf den Vertragsinhalt aufmerksam zu machen, sie habe dies nicht getan, obwohl sie den Irrtum des Klägers erkannt habe, der Kläger hätte nicht unterschrieben, wenn er auf den Inhalt des Vertrages aufmerksam gemacht worden wäre, gehen davon aus, daß der Kläger einem Irrtum unterlegen sei und keinen Kaufvertrag habe abschließen wollen. Dies entspricht jedoch nicht den Feststellungen, so daß der Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung insofern nicht dem Gesetz entsprechend ausgeführt ist.

Der Revisionswerber führt schließlich aus, das Ergebnis der Entscheidung des Berufungsgerichtes führe zu einem unerwünschten und rechtsunsicheren Zustand. Es sei vom rechtsdogmatischen Standpunkt und vom Standpunkt der Rechtssicherheit nicht akzeptabel, daß von einem gültigen Kaufvertrag ausgegangen werde, obwohl ein solcher nicht habe festgestellt werden können.

Diese Ausführungen lassen unberücksichtigt, daß ein schriftlicher Vertrag vorliegt und die Beweispflicht für Tatsachen, die zur Ungültigkeit oder Anfechtbarkeit dieses Vertrages führen, den Kläger trifft.

Aus diesen Gründen war der Revision ein Erfolg zu versagen. Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO.

Anmerkung

E19799

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1990:0060OB00750.89.0118.000

Dokumentnummer

JJT_19900118_OGH0002_0060OB00750_8900000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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