TE OGH 1990/1/23 10ObS424/89

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Veröffentlicht am 23.01.1990
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Resch als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag.Engelmaier und Dr.Kellner als weitere Richter sowie durch die fachkundigen Laienrichter Dr.Johannes Rudda (Arbeitgeber) und Anton Liedlbauer (Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Dr.Martin M***, 1130 Wien, Cuviergasse 44, vertreten durch Robert B***, Kammer für Arbeiter und Angestellte, dieser vertreten durch Dr.Hans Schwarz, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei P*** DER A***, 1021 Wien, Friedrich

Hillegeist-Straße 1, vertreten durch Dr.Alfred Kasamas, Rechtsanwalt in Wien, wegen Weitergewährung der Waisenpension, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 14. Juni 1989, GZ 31 Rs 100/89-13, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 21.Februar 1989, GZ 6 Cgs 16/89-8, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei hat die Kosten ihres Rechtsmittels selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Mit Bescheid vom 27.Juli 1988 entzog die beklagte Partei dem Kläger mit Wirkung ab 1.Juli 1988 die bis dahin gewährte Waisenpension, weil die Voraussetzungen des § 252 Abs 2 Z 1 ASVG nicht mehr gegeben seien.

Der am 25.April 1963 geborene Kläger begann im Wintersemester 1981/82 das Jusstudium, erlangte Ende 1986 das Diplom und setzte anschließend das Doktoratsstudium fort, im Jänner 1989 erlangte er das Doktorat. Im Sommersemester 1988 begann der Kläger zusätzlich das Studium der Volkswirtschaft. Vom 1.Juni 1988 bis 31.Jänner 1989 absolvierte der Kläger seine juristische Ausbildung als Rechtspraktikant, der monatliche Ausbildungsbeitrag betrug rund S 11.000. Seit Februar 1989 arbeitet der Kläger bei der Wiener Allianz Versicherung. Er hat für eine Ehefrau und ein Kind zu sorgen. Das Erstgericht erkannte die beklagte Partei schuldig, dem Kläger die Waisenpension in der gesetzlichen Höhe für die Zeit vom 1. Juli 1988 bis 31.Jänner 1989 weiterzugewähren.

Im strittigen Zeitraum habe der Kläger die Gerichtspraxis absolviert und gleichzeitig sein Doktoratsstudium sowie ein zweites begonnenes Studium betrieben. Da die Gerichtspraxis für viele juristische Berufe eine als notwendig vorausgesetzte Berufsausbildung darstelle, müsse auf die Frage, ob Gerichtspraxis oder Studium die Arbeitskraft des Klägers überwiegend beansprucht habe, nicht eingegangen werden, die Waisenpension stehe ihm wegen der Berufsausbildung als Rechtspraktikant jedenfalls zu. Das Berufungsgericht gab der Berufung der beklagten Partei Folge und änderte das Ersturteil im Sinne einer Klageabweisung ab. Die Rechtspraktikantentätigkeit diene ohne Zweifel der Ausbildung. Beziehe aber jemand, der für einen Beruf ausgebildet werde, als Gegenleistung dafür, daß er sich der Ausbildung unterziehe eine die Selbsterhaltungsfähigkeit sichernde Gegenleistung, so seien die Voraussetzungen des § 252 Abs 2 Z 1 ASVG für die Weitergewährung der Waisenpension nicht mehr gegeben. Abgesehen davon, daß an der überwiegenden Auslastung des Klägers durch die Gerichtspraxis wegen der gesetzlich normierten Regelung im Sinne einer 40-Stunden-Woche kein Zweifel bestehen könne, komme der Frage der überwiegenden Inanspruchnahme durch Gerichtspraxis oder weiteres Studium im vorliegenden Fall daher keine rechtliche Bedeutung zu. Für die Dauer der Gerichtspraxis bestehe kein Anspruch auf Waisenpension.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision des Klägers ist nicht berechtigt.

Eine Nichtigkeit liegt nicht vor. Die Verletzung der Ordnungsvorschrift des § 417 Abs 1 Z 2 ZPO - Unterlassung der Bezeichnung des Vertreters einer Partei in der schriftlichen Ausfertigung des Urteiles - allein bildet keinen Nichtigkeitsgrund. Ein solcher könnte nach § 477 Abs 1 Z 4 ZPO vorliegen, wenn einer Partei die Möglichkeit, vor Gericht zu verhandeln durch ungesetzlichen Vorgang, insbesondere durch Unterlassung der Zustellung an den ausgewiesenen Vertreter, entzogen wurde. Das Berufungsurteil aber wurde ordnungsgemäß dem durch Vollmacht ausgewiesenen Vertreter des Klägers (durch Ersatzzustellung) zugestellt. Von einer Nichtigkeit kann daher keine Rede sein. Als unrichtige Tatsachenfeststellung des Berufungsgerichtes - welche niemals einen Revisionsgrund bilden könnte - rügt der Revisionswerber inhaltlich offenbar eine vermeintliche Aktenwidrigkeit des Berufungsurteiles. Er übersieht aber, daß die Vorinstanzen ihrer Entscheidung nur den unstrittigen Sachverhalt zugrundelegten, die Frage, ob Gerichtspraxis oder Studium die Tätigkeit des Klägers überwiegend in Anspruch genommen habe (hiezu liegen nur widersprechende Vorbringen des Klägers, aber keine Feststellungen vor) aber ausdrücklich offenließen.

Auch die Rechtsansicht des Berufungsgerichtes ist zutreffend. Die Rechtspraktikanten sind gemäß § 4 Abs 1 Z 4 ASVG vollständig in dieses eingebunden und pflichtversichert. Seit Inkrafttreten des RP-Ausbildungsbeitragsgesetzes BGBl. 1986/374 steht ihnen ein Anspruch auf den Ausbildungsbeitrag einschließlich Sonderzahlungen zu, der im Laufe der Jahre so weit angehoben wurde, daß er die Selbsterhaltungsfähigkeit jedenfalls sicherstellt und nunmehr in Beziehung zum monatlichen Gehalt eines Richteramtsanwärters gesetzt wurde, sodaß sich künftige Erhöhungen automatisch auch auf Rechtspraktikanten auswirken werden. Wesentliche Arbeitnehmerschutzbestimmungen, wie Mutterschutz finden Anwendung. Es besteht ein Anspruch auf Freistellung, der einem Urlaubsanspruch entspricht. Die Arbeitszeit ist im Sinne einer 40-Stunden-Woche geregelt, der Rechtspraktikant hat sich dem Gerichtsbetrieb unterzuordnen und Weisungen zu befolgen, er ist disziplinär verantwortlich. Nach § 7 des RP-Ausbildungsbeitragsgesetzes gilt bei einer Exekution auf den Ausbildungsbeitrag dieser als ein dem Arbeitseinkommen gleichgestellter Bezug im Sinne des § 2 Lohnpfändungsgesetzes.

Der Gesetzgeber hat jedoch in § 2 Abs 4 RPG und in § 1 Abs 2 RPAusbbeitrG normiert, daß durch die Zulassung zur Gerichtspraxis und die Auszahlung des Ausbildungsbeitrages kein Dienstverhältnis sondern ein Ausbildungsverhältnis begründet wird. Im Gegensatz zur Ernennung sei die Zulassung zur Gerichtspraxis nicht vom Willen der Justizbehörde abhängig, sich die Dienste einer Person zu sichern, sondern vom Willen einer Person, sich für ihren künftigen Beruf Kenntnisse anzueignen (992 BlgNR 16 GP).

Weil das ASVG überwiegend nur Dienstnehmer im Rahmen privatrechtlicher Beschäftigungsverhältnisse umfaßt, ergeben sich für das öffentlich-rechtliche Ausbildungsverhältnis des Rechtspraktikanten Schwierigkeiten bei der Auslegung der auf Dienstnehmer abgestellten Bestimmungen des ASVG.

In Abschnitt V, 1. Unterabschnitt des ASVG mit der Überschrift "Beiträge zur Pflichtversicherung auf Grund des Arbeitsverdienstes (Erwerbseinkommens)" sind in § 44 Abs 1 Z 2 als Grundlage für die Bemessung der allgemeinen Beiträge bei den in einem Ausbildungsverhältnis stehenden Pflichtversicherten (§ 4 Abs 1 Z 4 und 5) die Bezüge, die der Versicherte vom Träger der Einrichtung, in der die Ausbildung erfolgt, heranzuziehen. Der Gesetzgeber qualifiziert somit solche Bezüge als Arbeitsverdienst bzw. Erwerbseinkommen und bezieht in § 49 auch Geld- und Sachbezüge, die der Versicherte auf Grund des Dienst(Lehr-)- verhältnisses nicht vom Dienstgeber, sondern von einem Dritten erhält, in den Entgeltbegriff ein. Auch wenn das Erwerbseinkommen als das aus einer gleichzeitig ausgeübten Erwerbstätigkeit gebührende Entgelt definiert wird und beim Rechtspraktikanten die Ausbildung im Vordergrund steht, so besteht doch eine Funktionsüberlagerung von Ausbildung und Erwerbstätigkeit. Anders als in anderen Fällen schließt die Ausbildung die gleichzeitige Betätigung der Arbeitskraft nicht aus. Die Ansicht, daß Bezüge unabhängig von ihrer Höhe nicht als Entgelt aus unselbständiger Erwerbstätigkeit anzusehen seien, wenn ein Rechtsverhältnis vom Ausbildungszweck geprägt ist, müßte zu dem kaum vertretbaren Ergebnis führen, daß ein im Rahmen einer Arbeitstätigkeit bezogenes Erwerbseinkommen je nach dem Zweck der Tätigkeit unterschiedliche rechtliche Folgen auslösen würde. Gewöhnlich steht am Beginn jeder Arbeitstätigkeit - und praktische Arbeitstätigkeit, die den Arbeitstag voll in Anspruch nimmt, hat auch ein Rechtspraktikant zu leisten - eine gewisse Zeit der Einschulung und Ausbildung. Daß der Gesetzgeber eine Differenzierung nach dem überwiegenden Zweck der entlohnten Tätigkeit nicht vornehmen wollte, ergibt sich schon daraus, daß neben den pflichtversicherten Dienstnehmern auch immer die Lehrlinge gesondert angeführt sind, wenn an Arbeitsverdienst, Erwerbseinkommen und Entgelt Rechtsfolgen geknüpft sind (insbesondere § 44 Abs 1 Z 1, § 49 Abs 1 ASVG). Es ist wohl nicht zweifelhaft, daß auch bei einem Lehrling der Ausbildungszweck gegenüber der Arbeitsleistung im Vordergrund steht.

Schließlich sind Rechtspraktikanten gemäß § 1 Abs 1 lit d AlVG gegen Arbeitslosigkeit versichert. Nach § 21 ist für die Festsetzung der Lohnklasse das Entgelt im Sinne der gesetzlichen Sozialversicherung (§ 49 ASVG) maßgebend, auf das der Arbeitslose in den letzten vier vollen Wochen seiner arbeitslosenversicherungspflichtigen Beschäftigung Anspruch hatte. Schon durch die Versicherung selbst, aber auch durch die Verweisung auf den Entgeltbegriff des § 49 ASVG hat der Gesetzgeber hier eindeutig zum Ausdruck gebracht, daß er den Ausbildungsbeitrag des Rechtspraktikanten sozialversicherungsrechtlich - ebenso wie auch steuerrechtlich - als Erwerbseinkommen qualifiziert (so schon 10 Ob S 167/88).

Zur Fortsetzung der Kindeseigenschaft über das 18. Lebensjahr hinaus wird eine die Arbeitskraft überwiegend beanspruchte Schul- oder Berufsausbildung verlangt. Wenn sich jemand einer solchen unterzieht, dann ist seine Arbeitskraft so in Anspruch genommen, daß eine die Selbsterhaltung garantierende Berufstätigkeit nicht zugemutet werden kann. Diese Wertung trifft aber auf jene Fälle nicht zu, wo eine Erwerbstätigkeit, wie im Falle des Rechtspraktikanten, gleichzeitig der Ausbildung dient. Wenn der Gesetzgeber von einer die Arbeitskraft überwiegend ausfüllenden Ausbildung spricht, so ist dies im Sinne einer Subsidiarität der Pensionsgewährung gegenüber der Arbeitskraftbetätigung zu verstehen. Es besteht hier eine Funktionsüberlagerung von Erwerbstätigkeit und Ausbildung. Anders als sonst schließt hier die Ausbildung die gleichzeitige Betätigung der Arbeitskraft nicht aus. Ein im Rahmen einer solchen Arbeitstätigkeit bezogenes Erwerbseinkommen, das die Selbsterhaltungsfähigkeit ebenso sichert wie jedes andere Erwerbseinkommen aus einer Berufstätigkeit, die nicht als Ausbildungsverhältnis deklariert ist (eine Abgrenzung wird - wie ausgeführt - gerade am Beginn jeder Berufslaufbahn wohl nur schwer vorgenommen werden können), schließt daher die Kindeseigenschaft aus. Ob die Arbeitskraft durch eine Schuloder Berufsausbildung überwiegend im Sinne des § 252 Abs 2 Z 1 ASVG beansprucht wird, ist durch Vergleich der konkreten Auslastung der Arbeitskraft zu dem von der geltenden Arbeits- und Sozialordnung, etwa im Arbeitszeitgesetz oder in den Kollektivverträgen, für vertretbar gehaltenen Gesamtbelastung zu ermitteln (SSV-NF 2/35). Da für Rechtspraktikanten eine 40-Stunden-Woche normiert ist, kann ein daneben weiter betriebenes Studium die Arbeitskraft des Betroffenen im Sinne dieser Ausführungen jedenfalls nicht überwiegend in Anspruch nehmen. Jede andere Auslegung müßte dazu führen, daß jedes Studium, das, aus welchen Gründen auch immer, im Einzelfall mit größerem Zeitaufwand in der vom Gesetzgeber zur Erholung bestimmten Zeit betrieben wird als eine den Arbeitszeitbestimmungen entsprechende volle Erwerbstätigkeit, zur Verlängerung der Kindeseigenschaft und zur Weitergewährung der Waisenpension führte.

`Zs aber entspricht keineswegs dem Zweck der Waisenpension, die für die Dauer der Ausbildung die Unmöglichkeit, gleichzeitig ein Erwerbseinkommen zu erzielen, zumindest teilweise ausgleichen soll ob der Kläger für sein Studium tatsächlich mehr Zeit aufgewendet hat als für seine Tätigkeit im Rahmen der Gerichtspraxis, ist daher nicht entscheidend.

Die Entscheidung SSV-NF 2/35 steht entgegen der Ansicht der klagenden Partei mit der in SSV-NF 1/39 veröffentlichten Entscheidung in keinem Widerspruch. Dort war über die Auswirkungen einer neben der Schulausbildung ausgeübten Erwerbstätigkeit, die die Arbeitskraft nicht überwiegend in Anspruch nahm, zu entscheiden und nicht über Erwerbseinkommen aus einem Arbeitsverhältnis im Rahmen einer 40-Stunden-Woche selbst.

Der Revision kommt daher keine Berechtigung zu.

Die Entscheidung über die Revisionskosten beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG.

Anmerkung

E20170

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1990:010OBS00424.89.0123.000

Dokumentnummer

JJT_19900123_OGH0002_010OBS00424_8900000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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