Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Flick als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Warta, Dr. Egermann, Dr. Niederreiter und Dr. Schalich als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei V*** DER Ö*** B***,
Versicherungsaktiengesellschaft, Wien 2., Untere Donaustraße 47, vertreten durch Dr. Josef Olischar, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Maria P***, Gastwirtin, Wien 21., Herzmanovsky Orlando-Gasse 6/32/4, vertreten durch Dr. Karl Bernhauser, Rechtsanwalt in Wien, wegen S 84.435,80 sA, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes vom 27. Juni 1989, GZ 12 R 107/89-14, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes für ZRS Wien vom 7. März 1989, GZ 24 Cg 713/88-10, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluß
gefaßt:
Spruch
Der Revision wird Folge gegeben.
Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben.
Die Rechtssache wird zur Verfahrensergänzung und neuen
Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.
Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Text
Begründung:
Die klagende Partei ist der Haftpflichtversicherer des PKWs der Beklagten Ford Taunus, pol. Kennzeichen W 676.069. Mit rechtskräftigem Urteil des Landesgerichtes für ZRS Wien vom 23. Jänner 1987, GZ 10 Cg 710/84-62, wurden die klagende Partei als Haftpflichtversicherer und die Beklagte als Halter des PKWs zum Ersatz eines Sachschadens von S 59.918,65 sA an die G*** M*** A*** GesmbH verurteilt. Dem Urteil wurde zugrundegelegt, daß der unbekannt gebliebene Lenker des PKWs der Beklagten am 23. Dezember 1981 gegen 22 Uhr mit überhöhter Geschwindigkeit in Wien 21. in der Scherergasse auf das vor dem Hause 26 am Fahrbahnrand fahrbahnparallel geparkte Fahrzeug der G*** M*** A*** GesmbH fuhr, wodurch dieses beschädigt wurde, und anschließend Fahrerflucht beging. Die Beklagte hatte im Verfahren vor der Bundespolizeidirektion Wien und der klagenden Partei gegenüber die Beteiligung ihres PKWs an dem Unfall mit der Begründung in Abrede gestellt, daß ihr PKW bereits am 16. November 1981 einen Unfall gehabt habe, seither fahruntüchtig sei und auch nicht mehr gefahren worden sei. Die klagende Partei behauptet, daß diese Angaben von der Beklagten (bewußt) falsch in der Absicht gemacht worden seien, den vermutlichen Lenker ihres PKWs, der im Unfallszeitpunkt nicht im Besitze einer Lenkerberechtigung gewesen sei, zu decken. Sie begehrt den Ersatz der Prozeßkosten des Haftpflichtprozesses von insgesamt S 84.435,80 s. A.
Das Erstgericht stellte fest, daß der PKW der Beklagten an dem Unfall am 23. Dezember 1981, bei dem das geparkte Fahrzeug der G*** M*** A*** GesmbH beschädigt wurde, nicht beteiligt war, und wies demgemäß das Klagebegehren ab.
Das Berufungsgericht bestätigte das Ersturteil und erklärte die Revision für nicht zulässig.
Nach der Ansicht des Berufungsgerichtes habe die beklagte Partei zugestanden, daß ihr PKW an dem Unfall beteiligt gewesen sei. An dieses Geständnis sei das Erstgericht gebunden gewesen. Selbst wenn man aber davon ausginge, sei für die klagende Partei nichts gewonnen. Die Klage könnte nur dann Erfolg haben, wenn feststünde, daß die Beklagte ihre Angaben bewußt unrichtig gemacht habe und die klagende Partei im anderen Falle die Ansprüche des Geschädigten berichtigt hätte. Derartige Feststellungen seien vom Erstgericht nicht getroffen worden und würden von der Rechtsmittelwerberin auch nicht begehrt.
Rechtliche Beurteilung
Die gegen die Entscheidung der zweiten Instanz erhobene ao. Revision der klagenden Partei ist zulässig, weil das Berufungsgericht die verfahrensrechtliche Frage der Bindungswirkung des Haftpflichturteils verkannt und die Frage der Wahrnehmung von Feststellungsmängeln abweichend von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs gelöst hat.
Die Revision ist auch berechtigt.
Unrichtig ist, daß die Beklagte die Beteiligung ihres PKWs an dem Unfall zugestand. Zugestanden wurde von der Beklagten lediglich die Verurteilung im Haftpflichtprozeß (ON 2 AS 7). Wie der Oberste Gerichtshof bereits mehrfach ausgesprochen hat, hat das im Haftpflichtprozeß gegen den Haftpflichtversicherten ergangene Urteil mit Rücksicht auf die Rechtsnatur und den Zweck des Haftpflichtversicherungsvertrages die Bindungswirkung, daß die Ersatzpflicht des Versicherers nach Bestand und Betrag im Deckungsprozeß gegen den Versicherer nicht nachgeprüft werden darf, sofern er sich am Haftpflichtprozeß beteiligt hatte oder vergeblich zur Intervention aufgefordert worden war (SZ 47/38 mwN). Wird der Versicherungsnehmer zum Schadenersatz verurteilt, dann ist der Versicherungsfall abgeschlossen (vgl. VersRdSch 1954, 268 und Ehrenzweig, Deutsches/Österreichisches Versicherungsvertragsrecht 370 f.). Die Feststellung im Haftpflichtprozeß, daß der Versicherungsnehmer den Schaden in einer bestimmten Eigenschaft oder Tätigkeit verursacht hat, kann im Deckungsprozeß nicht mehr nachgeprüft werden. Diese Bindungswirkung wird auch im deutschen Rechtsbereich anerkannt (vgl. Bruck-Möller-Johannsen8 IV 95 mwN; Prölss-Martin, VVG24 628 f.). Der Oberste Gerichtshof hat darüber hinaus aber auch bereits entschieden, daß die Bindungswirkung des Haftpflichturteils auch im Regreßprozeß des Versicherers gegen den Versicherungsnehmer insoweit zu bejahen ist, als an dem Haftpflichtprozeß beide Vertragsparteien teilgenommen haben und eine Schadenersatzpflicht festgestellt worden ist (7 Ob 51/83; vgl. auch RZ 1980/31; RZ 1977/49). Das Erstgericht hatte daher nicht mehr zu prüfen, ob der Schaden durch den PKW der Beklagten verursacht wurde und hätte das Klagebegehren nicht mit der Begründung abweisen dürfen, daß der PKW der Beklagten an dem Unfall nicht beteiligt gewesen sei. Die Frage, ob ein Verstoß des Erstgerichtes gegen die Bindungswirkung des Haftpflichturteils im Verhältnis zwischen Versicherer und Versicherungsnehmer von Amts wegen wahrzunehmen ist, kann unerörtert bleiben, weil sich die Berufung der klagenden Partei jedenfalls unter ausdrücklichem Hinweis auch auf das Urteil des Vorprozesses (ON 11 AS 56) gegen die Feststellungen des Erstgerichtes wandte und eine unrichtige Benennung des Rechtsmittelgrundes der klagenden Partei keinesfalls schaden konnte (JBl 1957, 566; Fasching IV 60). Grundsätzlich hat das Berufungsgericht, wenn es infolge Beweiswiederholung oder Beweisergänzung zu geänderten oder doch in wesentlichen Belangen ergänzenden Feststellungen gelangt, den Sachverhalt unabhängig von einer (gesetzmäßig ausgeführten) Rechtsrüge einer eigenständigen rechtlichen Beurteilung zu unterziehen. Ihre Grenze findet die berufungsgerichtliche Kognition in den von den Parteien in erster Instanz aufgestellten Tatsachenbehauptungen (SZ 60/288). Dies muß auch dann gelten, wenn, wie hier, das Berufungsgericht aufgrund der Bindungswirkung des Haftpflichtprozesses davon auszugehen hat, daß der Versicherungsnehmer einen Schaden aus einer bestimmten Eigenschaft oder Tätigkeit zu vertreten hat. Die Kosten der Schadensregulierung, auch in Form eines nachfolgenden Rechtsstreites, deren Ersatz im vorliegenden Fall vom Haftpflichtversicherer begehrt wird, hat grundsätzlich der Versicherer zu tragen. Er kann ihren Ersatz vom Versicherungsnehmer aber dann begehren, wenn sie dieser durch positive Vertragsverletzung in Form von vorsätzlich falschen Angaben verursacht hat (Prölss-Martin aaO 441). Davon ausgehend ergibt sich eine Unvollständigkeit der Sachgrundlage, weil nicht festgestellt wurde, ob die Beklagte der klagenden Partei gegenüber, wie diese behauptet (ON 1 AS 2), bewußt falsche Angaben machte und dadurch den Haftpflichtprozeß veranlaßte. Diese Unvollständigkeit der Sachgrundlage wäre aber schon vom Berufungsgericht im Rahmen der rechtlichen Beurteilung von Amts wegen wahrzunehmen gewesen (Fasching IV 41 und 210 mwN).
Demgemäß ist der Revision Folge zu geben.
Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 1 ZPO.
Anmerkung
E20397European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1990:0070OB00002.9.0125.000Dokumentnummer
JJT_19900125_OGH0002_0070OB00002_9000000_000