TE OGH 1990/1/25 7Ob727/89

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Veröffentlicht am 25.01.1990
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Flick als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Warta, Dr.Egermann, Dr.Niederreiter und Dr.Schalich als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Heike J***, Hausfrau, Neuwittenbek, Hofkoppelweg 17, Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch Dr.Alois Fuchs und Dr.Werner Fuchs, Rechtsanwälte in Landeck, wider die beklagte Partei Verlassenschaft nach Dr.Daniel R***, vertreten durch Hugo H***, Kaufmann, Bludenz, Römerweg 9a, als Verlassenschaftskurator, dieser vertreten durch Dr.Walter Lenfeld, Rechtsanwalt in Landeck, wegen S 92.558,80 samt Anhang, infolge Rekurses der beklagten Partei gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgericht vom 20. September 1989, GZ 3 R 242/89-22, womit das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck vom 16.Mai 1989, GZ 18 Cg 260/88-17, aufgehoben wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Der Rekurs wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei hat die Kosten der Rekursbeantwortung selbst zu tragen.

Text

Begründung:

Die Klägerin trat am 22.Dezember 1986 mit ihrem Ehemann und ihren beiden Söhnen einen Skiurlaub in St.Anton am Arlberg an. Wegen Schmerzen im Bereich der Herzgegend ließ die Klägerin am 28. Dezember 1986 gegen 23.00 Uhr den - mittlerweile bei einer Himalaya-Expedition verunglückten und für tod

erklärten - Sprengelarzt Dr.Daniel R*** rufen. Nach dem Abhorchen von Herz und Lunge sowie dem Messen des Blutdruckes erklärte Dr.Daniel R***, daß eine Intercostalneuralgie vorliegen könnte und injizierte - unter zweimaligem Einstechen unterhalb der Brust zwischen die Rippen schräg nach vorne in Richtung Herz - das Schmerzmittel "Xyloneural". Nachdem die Klägerin während der Injektionen aufgeschrieen und sich nach vorne gekrümmt hatte, klagte sie unmittelbar danach über Schmerzen und Atemnot. Dr.Daniel R*** blieb deshalb auch noch nach der Verabreichung der Injektionen bei der Klägerin, wurde aber kurze Zeit später zu einem Notfall gerufen. Vor dem Weggehen erklärte er dem Ehemann der Klägerin, daß sich die Beschwerden in spätestens einer Stunde deutlich bessern müßten. Sollte das nicht der Fall sein, möge er wieder verständigt werden. Noch in derselben Nacht, gegen 1.00 Uhr früh, wurde Dr.Daniel R*** neuerlich zur Klägerin gerufen, die ihm erklärte, daß sich die Schmerzensymptomatik nicht gebessert habe. Bei diesem zweiten Hausbesuch horchte Dr.Daniel R*** nochmals den Brustkorb der Klägerin ab und maß den Blutdruck. Durch diese Untersuchung konnte er nicht feststellen, was der Klägerin fehlte. Da die Schmerzen angehalten hatten, war er sich auch nicht mehr seiner ersten Diagnose sicher. Deshalb riet er der Klägerin dringend an, das Krankenhaus Zams aufzusuchen. Da die Klägerin und ihr Ehemann das mit der Begründung ablehnten, daß sie mit ihren Kindern auf Urlaub seien und diese nicht allein lassen wollten, wies Dr.Daniel R*** die Klägerin nochmals darauf hin, daß eine Überstellung in ein Krankenhaus unbedingt notwendig sei, weil er keine exakte Diagnose erstellen könne. Er schlug der Klägerin auch vor, mit dem Krankenwagen ins Krankenhaus zu fahren. Bevor er die Klägerin verließ, erklärte er aber, daß sie, wenn sie schon nicht in ein Krankenhaus fahren wolle, am nächsten Tag seinen Arztkollegen Dr.Josef K*** aufsuchen möge. Am 29.Dezember 1986

verständigte die Klägerin gegen 10.00 Uhr Vormittag Dr.Josef K*** und informierte ihn über ihre Schmerzen und die Behandlung durch Dr.Daniel R***. Da auch Dr.Josef

K*** vorerst keine eindeutige Diagnose erstellen konnte, bestellte er die Klägerin für den Nachmittag des 29.Dezember 1986 in seine Praxis. Die Klägerin suchte die Praxis dieses Arztes jedoch erst am 30.Dezember 1986 in den späten Vormittagstunden auf. Da es der Klägerin damals deutlich schlechter ging, veranlaßte Dr.Josef K*** die Einweisung in das Krankenhaus Zams, wo ein Pneumothorax diagnostiziert wurde. Zur Entfernung der in die Brusthöhle eingedrungenen Atemluft mußte eine Notoperation durchgeführt werden. Wäre der Pneumothorax schon am 29.Dezember 1986 (um 1.00 Uhr oder um 10.00 Uhr) fachgerecht behandelt worden, dann wäre die Notoperation nicht erforderlich gewesen.

"Xyloneural" ist zur Neuraltherapie geeignet und in Österreich gegen ärztliche Verschreibung zugelassen. Eine Intercostalneuralgie wird durch Unterspritzen und Infiltrieren der Zwischenrippenweichteile entlang eines oder mehrerer Zwischenrippennerven mit "Xyloneural" durchaus kunstgerecht behandelt. Der Schmerz hätte - selbst wenn die Injektionsnadel direkt einen Zwischenrippennerv getroffen hätte - innerhalb kurzer Zeit nachlassen müssen. Es wäre auch nicht zu einer Atemnot gekommen. Wenn die unmittelbar nach einem derartigen Einstich aufgetretenen Schmerzen nicht nach etwa 10 Minuten zur Gänze nachlassen, sondern sich vielmehr verstärken, dann muß der behandelnde Arzt daran denken, daß die Injektionsnadel die Lunge durchstochen hat und Atemluft in den Brustraum eingedrungen ist, wodurch die Lunge zusammengedrückt wird. Bei der im vorliegenden Fall angewendeten Injektionstechnik ist das Auftreten eines Pneumothorax eine klassische mechanische Komplikation, nicht aber ein Kunstfehler. Spätestens bei seiner zweiten Visite am 29. Dezember 1986 um 1.00 Uhr früh hätte Dr.Daniel R*** daran denken müssen, daß ein Pneumothorax vorliegen könnte. Die Klägerin begehrt von der beklagten Verlassenschaft den Ersatz von 2/3 des durch den Krankenhausaufenthalt und die Notoperation sowie die damit verbundenen Spesen erlittenen Schadens und 2/3 des mit S 100.000 bezifferten Schmerzengeldes. Dr.Daniel R*** habe die im Rahmen seiner Heilbehandlung

aufgetretene - nicht als Kunstfehler zu wertende - Komplikation nicht erkannt und auch keiner entsprechenden Therapie zugeführt, obwohl die bei der Klägerin durch die Injektionen ausgelöste akute Atemnot einen ausreichenden Anhaltspunkt dafür geboten habe. Die Beklagte beantragt die Abweisung der Klage. Die Klägerin räume selbst ein, daß der allenfalls zu tief geratene Einstich, der den Pneumothorax hervorgerufen hat, nicht als Kunstfehler zu werten sei. Dr.Daniel R*** habe die notwendigen Veranlassungen zur Einleitung der richtigen Therapie veranlaßt, weil er von der Klägerin ernstlich die Einweisung in das Krankenhaus Zams mit der Rettung verlangt habe. Hätten die Klägerin und ihr Ehemann diese Maßnahme nicht von vornherein abgelehnt, dann hätte die erforderliche Behandlung längstens innerhalb von 14 Tagen abgeschlossen sein können. Wegen des dringenden Anratens, ein Krankenhaus aufzusuchen, in dem die erforderliche Heilbehandlung gewährleistet gewesen wäre, sei auch das allfällige Nichterkennen des Pneumothorax anläßlich des zweiten Arztbesuches entschuldigt. Das Erstgericht wies die Klage ab. Die von Dr.Daniel R*** erstellte Diagnose einer Intercostalneuralgie und das Injizieren eines örtlichen Betäubungsmittels hätten den ärztlichen Regeln entsprochen. Auch das Auftreten eines Pneumothorax sei bei der gewählten Behandlungsmethode kein Kunstfehler. Dr.Daniel R*** habe dann zwar diese Komplikation nicht erkannt, doch habe er der Klägerin das Aufsuchen eines Krankenhauses, in dem die erforderliche Behandlung möglich gewesen wäre, dringend angeraten. Hätte die Klägerin diese Anweisung nicht vehement abgelehnt, dann hätte der Pneumothorax - ohne daß eine Operation erforderlich gewesen wäre - behandelt werden können. Die Klägerin habe sich das Erfordernis der Notoperation und die damit verbundenen Folgen durch ihr Verhalten selbst zuzuschreiben. Dem behandelnden Arzt sei kein Kunstfehler anzulasten.

Das Berufungsgericht hob das Urteil des Erstgerichtes unter Rechtskraftvorbehalt auf und verwies die Sache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurück. Es übernahm die Feststellungen des Erstgerichtes und führte in rechtlicher Hinsicht folgendes aus:

Bereits das Nichterkennen eines Pneumothorax anläßlich des zweiten Hausbesuches am 29.Dezember 1986 sei dem Arzt als Kunstfehler anzulasten, weil die Klägerin über andauernde Schmerzen geklagt habe, die nach einer erfolgreichen komplikationslosen Behandlung nicht weiter andauern hätten dürfen. Dr.Daniel R*** hätte die Klägerin aber auch über die Folgen der Unterlassung des Aufsuchens eines Krankenhauses aufklären müssen. Die Aufklärungspflicht umfasse alle möglichen Gefahren und schädlichen Folgen einer Behandlung oder ihrer Unterlassung, wodurch der Patient in die Lage versetzt werde, die Tragweite seiner Erklärung bzw Entscheidung zu überblicken. Mangels einer entsprechenden Aufklärung habe die Klägerin die Tragweite ihrer Entscheidung, ein Krankenhaus nicht aufsuchen zu wollen, nicht richtig einschätzen können. Das Erstgericht werde daher die für die Höhe des Schadenersatzsanspruches erforderlichen Beweise aufzunehmen haben.

Gegen diesen Aufhebungsbeschluß richtet sich der Rekurs der Beklagten mit dem Antrag, die Entscheidung des Erstgerichtes wiederherzustellen.

Die Klägerin beantragt, dem Rekurs nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs ist unzulässig.

Die Beklagte vertritt im Rekurs im wesentlichen die Auffassung, daß Dr.Daniel R*** durch die Erklärung, er könne keine eindeutige Diagnose erstellen und rate deshalb dringend das Aufsuchen eines Krankenhauses an, der ihm obliegenden Aufklärungspflicht ausreichend nachgekommen sei. Die Klägerin sei an einer weiteren Aufklärung nicht interessiert gewesen, weil sie erklärt habe, daß sie auf Urlaub sei und nicht in ein Krankenhaus wolle. Bei der Fülle des medizinischen Fachwissens sei es keine Fehlleistung, wenn ein Arzt nicht sofort eine eindeutige Diagnose erstellen könne.

Diesen Ausführungen kann nicht beigepflichtet werden. Der Behandlungsvertrag verpflichtet den Arzt unter anderem auch zur Information und Aufklärung des Patienten (JBl 1985, 159). Die Aufklärungspflicht umfaßt die Pflicht, den Patienten über mögliche Gefahren und schädliche Folgen einer Behandlung oder ihrer Unterlassung zu unterrichten (JBl 1982, 491 mwN); ZVR 1987/74; Harrer in Schwimann, ABGB Rz 26 zu § 1300; Koziol, Haftpflichtrecht2 II, 119 f). Die Belehrung durch den Arzt ist Teil der Behandlung (JBl 1982, 491 mwN; Harrer aaO Rz 32 zu § 1300) und soll den Patienten in die Lage versetzen, die Tragweite seiner Erklärungen zu überschauen (JBl 1982, 491; ZVR 1987/74; 1 Ob 713/88). Wenn der Arzt die gebotene Aufklärung unterläßt, dann hat er die Heilbehandlung fehlerhaft vorgenommen (Harrer aaO). Aufklärungs- und Belehrungspflichten bestehen nicht nur dann, wenn die Einwilligung des Patienten zur Durchführung einer ärztlichen Heilbehandlung erreicht werden soll, sondern auch dann, wenn dem Patienten eine sachgerechte Entscheidung zu ermöglichen ist, ob er eine (weitere) ärztliche Behandlung unterlassen kann. Wenn der Arzt erkennt, daß bestimmte ärztliche Maßnahmen erforderlich sind, dann hat er den Patienten auf deren Notwendigkeit und die Risken ihrer Unterlassung hinzuweisen (JBl 1982, 491; SZ 55/114).

Wie das Berufungsgericht richtig erkannt hat, ist es dem Dr.Daniel R*** bereits als Kunstfehler anzulasten, daß er anläßlich seines zweiten Hausbesuches den Pneumothorax der Klägerin nicht erkannt hat, zumindest aber, daß er dessen Vorhandensein nicht ernstlich in Erwägung gezogen hat. Die fortdauerndend Schmerzen und die Atemnot, unter der die Klägerin nach den Injektionen gelitten hatte, waren wichtige Hinweise für diese - an sich keinen Kunstfehler darstellenden - Komplikation. Für das erforderliche Fachwissen zum Erkennen einer derartigen Komplikation hat jeder Arzt einzustehen. Liegt aber die Annahme eines Pneumothorax nahe und unterläßt der Arzt die Aufklärung über das Unterlassen einer weiteren Heilbehandlung, dann ist seine Heilbehandlung nicht fachgerecht gewesen. Er kann sich auch nicht mit Erfolg auf die Weigerung des Patienten berufen, in ein Krankenhaus zu gehen, wenn er diesem die nötige Aufklärung über mögliche Gefahren und damit über die Tragweite seiner Entscheidung nicht ausreichend erteilt hat. Dr.Daniel R*** hat der Klägerin aber auch nicht ausreichend deutlich den Eindruck vermittelt, daß das Aufsuchen eines Krankenhauses unbedingt erforderlich ist, weil er sich nach der Weigerung der Klägerin, das Krankenhaus aufzusuchen, damit begnügt hat, ihr das Aufsuchen der Ordination des in St.Anton praktizierenden Arztes Dr.Josef K*** anzuraten. Unter diesem Gesichtspunkt mußte die Klägerin gar nicht annehmen, daß eine sofortige Behandlung erforderlich ist.

Die fehlerhafte Heilbehandlung führte im vorliegenden Fall dazu, daß eine Notoperation vorgenommen werden mußte, wodurch die Folgen einer mit dem Eingriff an sich nicht verbundenen schweren Verletzung herbeigeführt wurden. Die Beklagte hat daher für die nachteiligen Folgen einzustehen.

Das Berufungsgericht hat die von der Rechtsprechung zum ärztlichen Behandlungsvertrag und den damit verbundenen Aufklärungs- und Belehrungspflichten des Arztes richtig wiedergegeben und auf den vorliegenden Fall auch richtig angewendet. Eine erhebliche Rechtsfrage im Sinne des § 502 Abs 4 Z 1 ZPO liegt daher nicht zur Entscheidung vor. An den Ausspruch des Berufungsgerichtes nach § 519 Abs 1 Z 3 (Rechtskraftvorbehalt) ist der Oberste Gerichtshof bei dem vorliegenden Streitwert nicht gebunden (§ 526 Abs 2 ZPO). Der Rekurs der Beklagten war daher zurückzuweisen (siehe auch Petrasch, Das neue Revisions-(Rekurs-)- Recht, ÖJZ 1983, 169 ff Ä203Ü).

Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Ersatz der Kosten der Rekursbeantwortung, weil sie auf die Unzulässigkeit des Rekurses der Beklagten nicht hingewiesen hat.

Anmerkung

E20045

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1990:0070OB00727.89.0125.000

Dokumentnummer

JJT_19900125_OGH0002_0070OB00727_8900000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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