TE OGH 1990/1/31 2Ob3/90

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Veröffentlicht am 31.01.1990
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Kralik als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Vogel, Dr.Melber, Dr.Kropfitsch und Dr.Zehetner als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Johann S***, Käser und Molker, Weißenbrunn Nr. 6, 4924 Waldzell, vertreten durch Dr.Johann Kahrer und Dr.Christian Haslinger, Rechtsanwälte in Ried im Innkreis, wider die beklagten Parteien 1.) Hermann M***, Kraftfahrer, Badstuben Nr. 2, 4873 Frankenburg, 2.) Ö*** B***-AG, 4871 Zipf, und 3.) Z*** K*** Versicherungs-AG, Schwarzenbergplatz Nr. 15, 1015 Wien, sämtliche vertreten durch Dr.Jörg Iro, Rechtsanwalt in Vöcklabruck, wegen 22.500,-- S sA infolge Revision der zweit- und drittbeklagten Partei gegen das Urteil des Kreisgerichtes Wels als Berufungsgerichtes vom 9.Oktober 1989, GZ R 725/89-40, womit infolge Berufung der zweit- und drittbeklagten Partei das Urteil des Bezirksgerichtes Frankenmarkt vom 27.Juni 1989, GZ 2 C 228/89-34, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, daß auch das gegen die zweit- und drittbeklagte Partei gerichtete Klagebegehren zur Gänze abgewiesen wird.

Die klagende Partei ist schuldig, der zweit- und drittbeklagten Partei binnen 14 Tagen folgende Kosten zu ersetzen, und zwar:

an Prozeßkosten erster Instanz den Betrag von 22.792,-- S (darin 7.558,66 S an Barauslagen und 1.895,-- S an Umsatzsteuer), an Kosten des Berufungsverfahrens den Betrag von 7.450,57 S (darin 1.000,-- S an Barauslagen und 1.075,09 S an Umsatzsteuer) und an Kosten des Revisionsverfahrens den Betrag von 4.763,04 S (darin 1.500,-- S an Barauslagen und 543,84 S an Umsatzsteuer).

Text

Entscheidungsgründe:

Am 23.März 1987 ereignete sich im Bereich der Kreuzung der 9,5 m breiten Frankenburger Landesstraße mit der Gamperer Bezirksstraße ein Verkehrsunfall, an dem der auf der bevorrangten Landesstraße fahrende Kläger mit seinem Kombinationskraftwagen, Opel Kadett (O 508.982) und der vom Erstbeklagten gelenkte, von der Zweitbeklagten gehaltene und bei der Drittbeklagten haftpflichtversicherte auf der Bezirksstraße kommende LKW-Zug (Steyr 1491, O 273.398 samt Anhänger O 393.961) beteiligt waren. Der dem Kläger dabei entstandene Schaden beträgt 67.500,-- S (Fahrzeugschaden von 66.000,-- S zuzüglich Abschleppkosten von 1.500,-- S).

Der Kläger begehrte mit der vorliegenden Klage von den beklagten Parteien aus dem Titel des Schadenersatzes aus diesem Verkehrsunfall - von einem eigenen Mitverschulden von 2/3 ausgehend - den Ersatz des Betrages von 22.500,-- S sA. Der Erstbeklagte habe seinen Vorrang verletzt, weil er nach Einfahren in die Landesstraße den bevorrangten Verkehr trotz günstiger Sichtverhältnisse nicht mehr beobachtet und die gesamte bevorrechtete Fahrbahn blockiert habe. Er hafte mit der zweit- und drittbeklagten Partei somit für 1/3 des ihm entstandenen Schadens. Die beklagten Parteien beantragten die Abweisung des Klagebegehrens, weil der Kläger durch Einhaltung einer überhöhten Geschwindigkeit den Unfall allein verschuldet habe. Der Erstbeklagte habe beim Einfahren in die Landesstraße den PKW noch nicht sehen können.

Nach Aufhebung des im klageabweisenden Sinn ergangenen Urteiles des Erstgerichtes (ON 23 dA) durch das Berufungsgericht (ON 29 dA) wies das Erstgericht im zweiten Rechtsgang das gegen den Erstbeklagten gerichtete Klagebegehren ab. Im übrigen verurteilte es die zweit- und drittbeklagte Partei unter Abweisung eines gegen sie gerichteten Mehrbegehrens von 5.625,-- S sA zur Zahlung von 16.875,-- S sA an den Kläger.

Das Gericht zweiter Instanz gab der allein von der zweit- und drittbeklagten Partei erhobenen Berufung keine Folge und erklärte die Revision an den Obersten Gerichtshof für zulässig. Die von den Vorinstanzen über den bereits wiedergegebenen Sachverhalt hinaus getroffenen Feststellungen lassen sich im wesentlichen wie folgt zusammenfassen:

Zur Unfallszeit war es hell, jedoch nebelig; die Fahrbahn war sehr glatt und ungestreut. Beide Fahrzeuge waren mit Winterreifen ausgestattet und fuhren mit Abblendlicht. Der LKW-Zug hat eine Breite von 2,5 m und war 18,88 m lang. Der Erstbeklagte fuhr in einem Zug mit einer Geschwindigkeit von rund 11 km/h in die Landesstraße ein und beschleunigte den Zug bis zur Kollision auf etwa 18 km/h, wobei er eine etwa in der Mitte des Einmündungstrichters verlaufende Fahrlinie einhielt und bis zum Zusammenstoß eine Strecke von 24 m in rund 7 Sekunden zurücklegte. Sein Bremsweg betrug 9 bis 10 m. Der aus Richtung Frankenburg kommende Kläger näherte sich der Kreuzung mit einer Geschwindigkeit von rund 83 km/h und überholte bei Annäherung an den Kreuzungsbereich noch einen vor ihm fahrenden PKW. Er befand sich 7 Sekunden vor dem Unfall 160 m, 5,7 Sekunden 129 m, 1,7 Sekunden 38 m und 0,7 Sekunden 15 m von der späteren Kollisionsstelle entfernt; sein Anhalteweg betrug 129 m. Er konnte den LKW etwa 6 Sekunden lang in die Kreuzung einfahrend erkennen, reagierte jedoch erst 38 m vor der Zusammenstoßstelle durch Vornahme eines Bremsmanövers und stieß noch mit einer Restgeschwindigkeit von 70 bis 80 km/h gegen die rechte vordere Ecke des Anhängers. Die erste Sicht des Klägers auf den LKW konnte von den Vorinstanzen nicht festgestellt werden. Die durch den Nebel eingeschränkte Sicht betrug unter Berücksichtigung des von beiden Fahrzeugen eingeschalteten Abblendlichtes 150 m. Als der Erstbeklagte in die Frankenburger Landesstraße einfuhr, konnte er das bevorrangte Fahrzeug noch nicht sehen; er hätte es erst kurz nach dem Einfahren erkennen können. Hätte er kurz nach dem Einfahren in die bevorrangte Fahrbahn den LKW-Zug abgebremst, so hätte er mit größter Wahrscheinlichkeit die gesamte Fahrbahn blockiert; hätte er den LKW-Zug vor dem Einfahren in die bevorrangte Fahrbahn angehalten, hätte sich seine Einfahrzeit auf etwa 24 Sekunden verlängert; beide Fahrmanöver wären vom fahrtechnischen Standpunkt aus nicht zweckmäßiger gewesen als sein tatsächliches Verhalten. Eine andere technische Möglichkeit des Einfahrens in die Landesstraße war für ihn nicht gegeben. Der Kläger wurde durch das Einfahren des Erstbeklagten zum Abbremsen seines PKWs mit größtmöglicher Intensität veranlaßt, es hätte allerdings nicht eines Abbremsens bis zum Stillstand bedurft, m die Kollision zu vermeiden. Das Einfahrmanöver des Erstbeklagten war für den Kläger mindestens 6 Sekunden erkennbar; in dieser Zeit hätte er sein Fahrzeug ohne Kollision anhalten können (Bremszeit 5,5 Sekunden). Rechtlich verneinte das Erstgericht eine Vorrangverletzung des Erstbeklagten, weil dieser am Beginn des Einfahrens den PKW noch nicht habe sehen können. Hätte er sofort durch Bremsen reagiert, so hätte er die Fahrbahn zur Gänze versperrt; ein Vortasten hätte die Einfahrtstrecke verlängert; auch bei einer geringeren Fahrgeschwindigkeit und einer sofort eingeleiteten Bremsung hätte er die Fahrbahn zumindest noch teilweise blockiert. Der Erstbeklagte habe sich daher richtig verhalten, indem er sich bemüht habe, die gesamte Fahrbahn möglichst rasch zu räumen, eine auf Verschulden des Erstbeklagten gegründete Haftung der Beklagten für den Schaden des Klägers, der eine überhöhte Geschwindigkeit und einen beträchtlichen Reaktionsverzug zu vertreten habe, sei nicht gegeben. Das auf Verschuldenshaftung gegründete Begehren gegen den Erstbeklagten sei daher abzuweisen gewesen.

Gemäß der dem Erstgericht vom Berufungsgericht im Aufhebungsbeschluß überbundenen Rechtsansicht, vom LKW-Zug der Beklagten sei zumindest eine nicht zu vernachlässigende erhöhte Betriebsgefahr ausgegangen, sei hinsichtlich der Zweit- und Drittbeklagten eine Schadensteilung im Verhältnis 3 : 1 zu Lasten des sorgfaltswidrig handelnden Klägers vorzunehmen und dementsprechend die Zweit- und Drittbeklagte zur Zahlung zu verurteilen gewesen.

Das Gericht zweiter Instanz billigte - von seiner Bindung an die im Aufhebungsbeschluß vertretene Rechtsansicht ausgehend - die Bejahung einer Mithaftung der zweit- und drittbeklagten Partei im Hinblick auf die aus der erheblichen Behinderung des Querverkehrs durch den einbiegenden LKW-Zug gegebene erhöhte Betriebsgefahr durch das Erstgericht. Zur Frage der sich daraus ergebenden Ausgleichspflicht der zweit- und drittbeklagten Partei führte das Berufungsgericht im wesentlichen noch folgendes aus:

Stünden einander mehrere Verkehrsbeteiligte im Sinne des § 11 EKHG gegenüber, dann komme es auf die Erbringung des Entlastungsbeweises nach § 9 EKHG nicht an. Die Haftung sei in erster Linie vom Verschulden, bei Fehlen eines Verschuldens von der außergewöhnlichen Betriebsgefahr im Sinne des § 9 Abs 2 EKHG und mangels einer solchen außergewöhnlichen Betriebsgefahr vom Überwiegen der gewöhnlichen Betriebsgefahr abhängig. Im vorliegenden Fall sei zwar nicht etwa im Sinn des § 9 Abs 2 EKHG eine außerordentliche Betriebsgefahr des Lastzuges ausgelöst worden, wie dies etwa der Fall sei, wenn der Lenker des Lastzuges wegen einer Beeinträchtigung durch einen Dritten das Gefährt abrupt hätte abbremsen müssen und dadurch ins Schleudern gekommen wäre, doch habe das Einbiegen mit dem langsamen und trägen Gefährt, das im Zuge des Verkehrsvorganges die Fahrbahn für einige Sekunden blockiert habe - dies bei vereister Fahrbahn und durch Nebel beeinträchtigter Sicht - eine besonders gefährliche Situation und damit eine Erhöhung der Betriebsgefahr bewirkt, die es rechtfertige, die Zweit- und Drittbeklagte trotz eindeutigem Verschulden des Klägers zum Schadensausgleich heranzuziehen. Das Verschulden des Klägers bestehe darin, daß er erst 1,7 Sekunden (38 m) vor der späteren Kollisionsstelle auf das Einfahren des LKW-Zuges reagiert habe, obwohl das Einfahrmanöver für ihn zumindest 6 Sekunden lang erkennbar gewesen sei. Die Ausgangsgeschwindigkeit des Klägers sei hingegen nicht überhöht gewesen, weil sein Anhalteweg 129 m, die Sichtweite jedoch 150 m betragen habe, der Kläger somit auf Sicht gefahren sei. Die durch das Blockieren der Fahrbahn durch den LKW-Zug bei den gegebenen Fahrbahn- und Sichtverhältnissen herbeigeführte gefährliche Situation, die letztlich den Unfall ausgelöst habe, rechtfertige es, die zweit- und drittbeklagte Partei mit dem vom Erstgericht ausgemessenen Anteil zum Schadensausgleich heranzuziehen. Die Zulassung der Revision begründete das Berufungsgericht damit, daß die Frage, in welchen Fällen bei eindeutigem Verschulden eines Beteiligten, dem eine erhöhte oder außergewöhnliche Betriebsgefahr gegenüberstehe, ein Schadensausgleich vorzunehmen sei, in der Rechtsprechung unterschiedlich gelöst sei, weshalb der Entscheidung dieser Rechtsfrage erhebliche Bedeutung zukomme.

Gegen diese Entscheidung des Gerichtes zweiter Instanz richtet sich die Revision der Zweit- und Drittbeklagten mit dem Antrag, die Entscheidungen der Vorinstanzen im Sinne der Abweisung des Klagebegehrens auch gegen die Zweit- und Drittbeklagte abzuändern; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Der Kläger beantragte in seiner Revisionsbeantwortung, der Revision keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist im Hinblick darauf, daß das Berufungsgericht von der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes abgewichen ist, zulässig und auch berechtigt.

Mit Recht wenden sich die Revisionswerberinnen gegen die Ansicht des Berufungsgerichtes, sie wären trotz des eindeutigen Verschuldens des Klägers gemäß § 11 EKHG zum Schadensausgleich heranzuziehen. Liegt - wie im gegenständlichen Fall - bei einem der unfallsbeteiligten Fahrzeuglenker eindeutiges Verschulden vor, so kommt es für die Beurteilung der Frage, der gegenseitigen Ersatzpflicht der Beteiligten nur darauf an, ob nach den Umständen des Falles Grund besteht, den anderen Beteiligten zum Ausgleich heranzuziehen (MGA EKHG4 § 11 E. 24). Nach der auch für die Ausgleichspflicht maßgeblichen Rangordnung des § 11 Abs 1 EKHG ist nach dem in der ersten Rangstufe stehenden Verschulden die außergewöhnliche Betriebsgefahr iS des § 9 Abs 2 EKHG und für den Fall, daß eine solche nicht wirksam geworden ist, in letzter Linie die überwiegende gewöhnliche Betriebsgefahr maßgebend (MGA EKHG4 § 11 E. 14). Das Berufungsgericht hat unbekämpft zutreffend erkannt, daß eine außergewöhnliche Betriebsgefahr vom LKW-Zug nicht ausgegangen ist, weil hier eine über die schon durch den Betrieb des LKW-Zuges gegebene gewöhnliche Betriebsgefahr hinausgehende besondere Gefahrenquelle nicht hervorgerufen wurde (MGA EKHG4 § 11 E. 305). Die von einem KFZ ausgehende - erst in der letzten Rangstufe zum Tragen kommende gewöhnliche Betriebsgefahr wird aber - wie der Oberste Gerichtshof in nun schon ständiger Rechtsprechung zum Ausdruck bringt - durch ein Verschulden des anderen Verkehrsteilnehmers gänzlich zurückgedrängt, sodaß der schuldhafte Teil unabhängig vom Verschuldensgrad den Schaden allein zu tragen hat (vgl MGA EKHG4 § 11 E. 341; ZVR 1989/162 ua). Da den Lenker des von der Zweitbeklagten gehaltenen und bei der Drittbeklagten haftpflichtversicherten LKW-Zuges kein Verschulden trifft, der Unfall vielmehr auf das eindeutige, in einer erheblichen Reaktionsverspätung liegende Verschulden des Klägers zurückzuführen ist, besteht hier kein Anlaß, die zweitund drittbeklagte Partei zum Schadensausgleich heranzuziehen.

Die Revision erweist sich damit als berechtigt, weshalb die Urteile der Vorinstanzen im Rahmen der Anfechtung im Sinne der gänzlichen Abweisung des gegen die Zweit- und die Drittbeklagte gerichteten Klagebegehrens abgeändert werden mußten. Die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens beruht auf den §§ 41 sowie 50 ZPO.

Anmerkung

E19712

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1990:0020OB00003.9.0131.000

Dokumentnummer

JJT_19900131_OGH0002_0020OB00003_9000000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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