Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Kralik als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Vogel, Dr. Melber, Dr. Kropfitsch und Dr. Zehetner als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Wolfgang W***, Angestellter, Grieskirchner Straße 65, 4600 Wels, vertreten durch Dr. Johannes Charwat-Pessler, Rechtsanwalt in Wels, wider die beklagte Partei Helmut R***, Arbeiter, Ebenhochstraße 15, 4500 Wels, vertreten durch Dr. Herbert Heigl, Rechtsanwalt in Marchtrenk, wegen S 750.000,- s.A. und Feststellung (S 60.000,-), Revisionsstreitwert S 212.500,- infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgerichtes vom 12. September 1989, GZ 6 R 185/89-70, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Kreisgerichtes Wels vom 4. Mai 1989, GZ 3 Cg 324/87-63, teilweise bestätigt und teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit S 8.649,- bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin Umsatzsteuer von S 1.441,50, keine Barauslagen) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Der Kläger wurde am 6. Oktober 1984 gegen 5 Uhr als Insasse des vom Beklagten gelenkten PKW mit dem Kennzeichen O-214.084 bei einem Verkehrsunfall auf der Marchtrenker Straße in der Nähe der Überführung über die A 25 schwer verletzt. Ein wegen dieses Verkehrsunfalles zu 17 Vr 493/85 des Kreisgerichtes Wels unter anderem gegen den Beklagten eingeleitetes Strafverfahren wurde gemäß § 90 StPO eingestellt.
Im vorliegenden Rechtsstreit begehrte der Kläger aus dem Rechtsgrund des Schadenersatzes aus diesem Verkehrsunfall die Verurteilung des Beklagten zur Zahlung eines Schmerzengeldes von S 750.000,-s.A.; überdies stellte er ein auf Feststellung der Haftung des Beklagten für seine künftigen Unfallschäden gerichtetes Feststellungsbegehren. Der Höhe nach ist das Leistungsbegehren des Klägers nicht mehr strittig; auch sein Feststellungsinteresse ist unbestritten. Dem Grunde nach stützte der Kläger sein Begehren auf die Behauptung, daß der Beklagte den Unfall allein verschuldet habe. Der Beklagte wendete dem Grunde nach im wesentlichen ein, daß der PKW, mit dem die Streitteile im Unfallszeitpunkt gefahren seien, vom Kläger selbst gelenkt worden sei, der den Unfall durch mangelnde Fahrkenntnisse verschuldet habe. Falls der Beklagte den PKW im Unfallszeitpunkt gelenkt habe, treffe ihn kein Verschulden an dem Unfall. Jedenfalls müsse sich der Kläger ein Mitverschulden von 50 % anrechnen lassen. Zum einen besitze der Beklagte keinen Führerschein, was dem Kläger bekannt gewesen sei. Zudem sei der Kläger nicht angegurtet gewesen.
Das Erstgericht verurteilte den Beklagten zur Zahlung von S 507.500,- s.A.; das auf Zahlung eines weiteren Betrages von S 242.500,-s.A. gerichtete Leistungsmehrbegehren wies es ab. Dem Feststellungsbegehren des Klägers gab es statt.
Das Erstgericht stellte, soweit für die im Revisionsverfahren noch strittigen Fragen von Interesse, im wesentlichen folgenden Sachverhalt fest:
Eigentümer und Halter des PKW mit dem Kennzeichen O-214.084 war Stefan W***. Am 5. und 6. Oktober 1984 benützte seine Ehefrau Monika Brigitte W*** dieses Fahrzeug mit seiner Zustimmung. Sie hatte es am 6. Oktober 1984 in der Roseggerstraße in Wels abgestellt und begab sich zwischen 2 und 2,30 Uhr in das Gastlokal "Cafe". In der folge suchte sie in Begleitung der Streitteile ein weiteres Lokal am Stadtplatz in Wels auf. Maximilian Reisinger brachte den Autoschlüssel des PKW an sich und steuerte diesen von Wels, Stadtplatz, nach Niederlaab. Im Zuge dieser Fahrt geriet R*** in einen Straßengraben. Nachdem ein Landwirt den PKW herausgezogen hatte, setzte R*** die Fahrt bis zum Gasthaus Schuller in der Nähe von Niederlaab fort. Dort hielten sich die Streitteile in Begleitung des R*** ca 1 1/2 bis 2 Stunden auf. Danach lenkte R*** den PKW weiter zur Wohnung seiner Lebensgefährtin in Niederlaab 13. R*** stieg dort aus und forderte die Streitteile auf, ihn in einer Stunde abzuholen und in der Zwischenzeit eine "Spritzfahrt" zu unternehmen. In Anwesenheit des R*** fuhr zunächst der Beklagte auf einem nahegelegenen Parkplatz einige Runden mit dem PKW. In der Folge versuchte der Kläger, mit dem PKW zu fahren. Er konnte jedoch den Rückwärtsgang nicht einlegen, worauf R*** den PKW zum Wegfahren vom Parkplatz auf die Straße lenkte. In der Folge setzten sich der Kläger auf den Beifahrersitz und der Beklagte auf den Lenkersitz. Der Beklagte trat als Lenker des PkW die Fahrt in Richtung Wels an. Nach einer Fahrstrecke von ca 3 km kam er gegen 5 Uhr, auf der Marchtrenker Straße in westlicher Richtung fahrend, vor der Auffahrt zur Überführung über die A 25 im Zuge einer dort befindlichen Rechtskurve von der Fahrbahn ab. Zur Unfallszeit war es dunkel. An der Unfallstelle besteht eine Geschwindigkeitsbeschränkung auf 70 km/h. Der Beklagte hielt eine Geschwindigkeit von zumindest 100 km/h ein, wodurch der PKW von der rechten Fahrbahnhälfte in Richtung der linken Fahrbahnbegrenzung abkam und dort auf dem mit einem Winkel von rund 17 Grad schräg ansteigenden Endstück des die Straße links begrenzenden Wiesen- und Böschungsbereiches südlich der Marchtrenker Straße landete. Der PKW prallte in einer Drehbewegung um die Fahrzeuglängsachse mit dem linken vorderen Eck am Grund der Böschung auf, wurde dann auf die Heckpartie geschleudert und überschlug sich zuletzt noch ca zweimal seitlich. Der Kläger als Beifahrer wurde durch den ersten Anprall durch die Windschutzscheibe nach außen geschleudert und schwer verletzt. Beide Fahrzeuginsassen waren zum Unfallszeitpunkt nicht angegurtet. Der Beklagte war zum Unfallszeitpunkt nicht im Besitz eines Führerscheines. Ob dies dem Kläger bekannt war, ist nicht feststellbar.
Der Kläger erlitt bei dem Unfall eine Hirnprellung und Hirnquetschung mit nachfolgender linksseitiger Halbseitenlähmung, eine Vorwölbung des rechten Auges mit vorübergehender Sehstörung, einen doppelten Bruch des rechten Unterkiefers, eine Rißquetschwunde am linken Jochbogen sowie Hautabschürfungen an der Stirn, am Hals und im Brustbereich. Hätte er den Sicherheitsgurt angelegt gehabt, so hätte er nur eine Kopfprellung oder Gehirnerschütterung, eine Prellung des Unterkiefers, möglicherweise auch eine Sprengung des Unterkiefers, eine Prellung des Bruchstkorbs und des Bauches sowie eine Zerrung der Halswirbelsäule erlitten.
Rechtlich beurteilte das Erstgericht den festgestellten Sachverhalt im wesentlichen dahin, daß den Beklagten ein Verschulden treffe, weil er infolge Einhaltung einer überhöhten Geschwindigkeit und/oder eines Fahrfehlers mit dem PKW von der Fahrbahn abgekommen sei. Hiedurch seien die schweren Verletzungen des Klägers entstanden. Der Beklagte habe daher dem Kläger gemäß § 1325 ABGB ein angemessenes Schmerzengeld zu leisten. Die Verletzungen, die der Kläger tatsächlich erlitten habe, rechtfertigten die Bemessung des dafür angemessenen Schmerzengeldes mit S 650.000,-. Die unvermeidbaren Verletzungsfolgen bei Anlegen des Sicherheitsgurtes hätten ein Schmerzengeld von S 80.000,- gerechtfertigt. Der Schmerzengeldanspruch des Klägers für vermeidbare Unfallsfolgen sei um die Mitverschuldensquote wegen Nichtanlegung des Sicherheitsgurtes, die hier mit 25 % auszumessen sei, zu kürzen. Damit ergebe sich ein Schmerzengeldanspruch von 75 % für vermeidbare Unfallsfolgen in der Höhe von S 427.500,-, zu dem der Anspruch für die nicht vermeidbaren Verletzungsfolgen hinzuzuzählen sei, weshalb dem Kläger insgesamt ein Schmerzengeld von S 507.500,- zuzusprechen sei. Ein weiteres Mitverschulden des Klägers wegen Kenntnis des Fehlens der Lenkerberechtigung des Beklagten sei nicht anzunehmen; eine derartige Kenntnis sei nach den getroffenen Feststellungen nicht erwiesen. Das Feststellungsinteresse des Klägers sei im Hinblick auf das Vorliegen von Spät- und Dauerfolgen zu bejahen. Diese Entscheidung des Erstgerichtes wurde in ihrem klagsstattgebenden Teil vom Beklagten mit Berufung bekämpft. Das Berufungsgericht gab mit dem angefochtenen Urteil diesem Rechtsmittel teilweise Folge und änderte die Entscheidung des Erstgerichtes über das Feststellungsbegehren dahin ab, daß es die Haftung des Beklagten für zukünftige Unfallschäden des Klägers, soweit sie eine Schmerzengeldforderung betreffen, nur zu 75 % bejahte; im übrigen bestätigte es die Entscheidung des Erstgerichtes. Das Berufungsgericht sprach aus, daß der von der Abänderung betroffene Wert des Streitgegenstandes nicht S 15.000,-
übersteigt.
Das Berufungsgericht übernahm die Feststellungen des Erstgerichtes und führte rechtlich im wesentlichen aus, daß die Höhe der Mitverschuldensquote wegen Verletzung der Gurtenanlegepflicht von den Umständen des Einzelfalles und vom Gewicht der Zurechnungsmomente auf Seiten des Schädigers und des Geschädigten abhänge. Werde berücksichtigt, daß der Beklagte, der selbst den Sicherheitsgurt nicht angelegt gehabt habe, infolge beträchtlich überhöhter Geschwindigkeit von der Fahrbahn abgekommen sei, müsse sein Fehlverhalten gegenüber dem des Klägers, dem nur eine Verletzung der Gurtenanlegepflicht zur Last falle, als weit überwiegend angesehen werden. Unter diesen Umständen könne in der Ausmessung des Mitverschuldens des Klägers hinsichtlich seines Schmerzengeldanspruches mit 25 % keine unrichtige rechtliche Beurteilung des Erstgerichtes erblickt werden.
Diese Mitverschuldensquote hinsichtlich des Schmerzengeldanspruches sei jedoch auch bei der Haftung des Beklagten für künftige Unfallschäden des Klägers zu berücksichtigen. Im Hinblick auf die relativ geringfügigen Verletzungen, die der Kläger bei Anlegung des Sicherheitsgurtes erlitten hätte, sei bei zukünftigen Schmerzengeldforderungen die vom Erstgericht hinsichtlich der unvermeidbaren Verletzungen und der daraus resultierenden Schmerzen vorgenommene Berechnungsart des Schmerzengeldes nicht mehr angebracht, sodaß das Ersturteil im Umfang des Abspruches über das Feststellungsbegehren dahin abzuändern sei, daß die Haftung des Beklagten für zukünftige Unfallschäden des Klägers, soweit sie eine Schmerzengeldforderung betreffen, generell im Ausmaß von 75 % als gegeben festgestellt werde.
Der Umstand, daß nicht feststellbar sei, ob dem Kläger bekannt war, daß sich der Beklagte bei Antritt der Unglücksfahrt nicht im Besitz eines Führerscheines befand, könne ein Mitverschulden des Klägers nicht begründen. Den Feststellungen des Erstgerichtes seien keinerlei Umstände zu entnehmen, auf Grund welcher der Kläger verpflichtet gewesen wäre, den Beklagten vor Antritt der Unglücksfahrt aufzufordern, ihm den Führerschein zu zeigen. Üblicherweise werde heutzutage von Jugendlichen zum frühestmöglichen Zeitpunkt der Führerschein erworben. Der Beklagte habe bereits im Jänner 1984 das 18. Lebensjahr vollendet gehabt; der Unfall sei erst im Oktober dieses Jahres geschehen.
Gegen diese Entscheidung des Berufungsgerichtes richtet sich die Revision des Beklagten. Er bekämpft sie aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, "der OGH als Revisionsgericht möge das angefochtene Urteil aufheben und allenfalls in Ergänzung des Verfahrens auf Klagsabweisung im Umfang von 50 % erkennen; in eventu das angefochtene Urteil aufheben und zur Verhandlung an die erste Instanz zurückverweisen". Der Kläger hat eine Revisionsbeantwortung mit dem Antrag erstattet, der Revision des Beklagten keine Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist zulässig. Trotz der ungewöhnlichen Formulierung des Revisionsantrages ist den Revisionsausführungen in ihrer Gesamtheit mit hinreichender Sicherheit zu entnehmen, was der Beklagte mit diesem Rechtsmittel anstrebt, nämlich die Abänderung der Entscheidungen der Vorinstanzen dahin, daß dem Kläger nur die Hälfte des als angemessen erkannten Schmerzengeldes zugesprochen und seinem Feststellungsbegehren nur in Ansehung der Hälfte seiner künftigen Unfallschäden stattgegeben werde. Es besteht daher kein Anlaß zur Einleitung eines Verbesserungsverfahrens. Sachlich ist die Revision allerdings nicht berechtigt. Nach ständiger Rechtsprechung begründet die Verletzung der im Art III der 3. KFG-Novelle normierten Gurtenanlegepflicht, soweit es sich um einen allfälligen Schmerzengeldanspruch handelt, ein Mitverschulden im Sinne des § 1304 ABGB. Ein derartiges Mitverschulden ist soweit nicht gegeben, als der Geschädigte beweist, daß die Folgen in dieser Schwere auch beim Gebrauch des Sicherheitsgurtes eingetreten wären. Die Höhe der Mitverschuldensquote hängt von den Umständen des Einzelfalles sowie von der Schwere der Zurechnungsmomente beim Schädiger und beim Geschädigten ab. Dabei ist zu berücksichtigen, daß der Gesetzgeber die Verletzung der Gurtenanlegungspflicht als leichten Verstoß mit geringem Schuldgehalt angesehen hat (ZVR 1988/103 mwN; ZVR 1988/154; 2 Ob 10/89 uva).
Zieht man im vorliegenden Fall in Betracht, daß dem Kläger nur die Nichtverwendung des Sicherheitsgurtes anzulasten ist, dem Erstbeklagten aber die schuldhafte Herbeiführung eines Verkehrsunfalles auf einer ohne Fahrberechtigung unternommenen Fahrt durch Einhaltung einer weitaus überhöhten Fahrgeschwindigkeit unter Mißachtung einer ausdrücklich angeordneten Geschwindigkeitsbeschränkung, dann ist es unter diesen Gesichtspunkten durchaus zu billigen, daß die Vorinstanzen bei der Bemessung des Schmerzengeldes des Klägers diesem wegen Nichtanlegung des Sicherheitsgurtes ein Mitverschulden von 25 % angelastet haben. Wenn der Beklagte in seiner Rechtsrüge darauf verweist, daß der Kläger bei Verwendung des Sicherheitsgurtes wesentlich leichtere Verletzungen erlitten hätte, ist dies lediglich für den Umfang des zu kürzenden auf vermeidbare Verletzungsfolgen zurückzuführenden Schmerzengeldanspruches von Interesse, nicht aber für die Höhe der dem Kläger anzulastenden Mitverschuldensquote.
Die Vorinstanzen haben es auch mit Recht abgelehnt, dem Kläger ein Mitverschulden wegen Mitfahrens mit einem Lenker ohne Führerschein anzulasten. Daß der Kläger von der mangelnden Lenkerberechtigung des Beklagten Kenntnis gehabt hätte, konnte nicht festgestellt werden. Eine Verpflichtung des Mitfahrers, sich hinsichtlich der Lenkerberechtigung des Fahrzeuglenkers zu erkundigen, besteht nicht, wenn nicht Gründe vorhanden sind, auf Grund welcher ein konkreter Verdacht besteht, daß dem Lenker die Berechtigung fehlt (ZVR 1985/115). Das Vorliegen derartiger Gründe wurde vom Beklagten im Verfahren erster Instanz nicht behauptet und ergibt sich aus den Feststellungen der Vorinstanzen nicht. Soweit der Beklagte mit seinen Revisionsausführungen das Vorliegen derartiger Gründe dartun will, geht er nicht von den Feststellungen der Vorinstanzen aus und verletzt er das Neuerungsverbot. Der Revision des Beklagten muß unter diesen Umständen ein Erfolg versagt bleiben.
Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.
Anmerkung
E19992European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1990:0020OB00156.89.0131.000Dokumentnummer
JJT_19900131_OGH0002_0020OB00156_8900000_000