TE OGH 1990/1/31 2Ob507/90

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Veröffentlicht am 31.01.1990
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Kralik als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Vogel, Dr.Melber, Dr.Kropfitsch und Dr.Zehetner als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Josef P***, Landmaschinenmechaniker, Achleiten 34, 5432 Rohr, vertreten durch Dr.Franz Gütlbauer, Rechtsanwalt in Wels, wider die beklagte Partei Verlassenschaft nach der am 30.Juli 1986 verstorbenen, zuletzt in Unterhart 6, 4641 Steinhaus, wohnhaft gewesenen Barbara P***, vertreten durch den erbserklärten Erben Alois P***, Landwirt, Unterhart 6, 4641 Steinhaus, vertreten durch Dr.Josef Hofer, Rechtsanwalt in Wels, wegen Erfüllung eines Vermächtnisses (Streitwert 340.000 S) infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgerichtes vom 12. Oktober 1989, GZ 6 R 115/89-35, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Kreisgerichtes Wels vom 17.Februar 1989, GZ 3 Cg 3/87-27, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 12.364,20 S bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin 2.060,70 S an Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die am 30.7.1986 verstorbene Mutter der Streitteile, Barbara P***, hinterließ eine am 20.9.1984 errichtete, fremdhändig geschriebene schriftliche letztwillige Anordnung, in der sie jede von ihr früher errichtete letztwillige Anordnung für "null und nichtig" erklärte, den nunmehr Beklagten zu ihrem Alleinerben einsetzte und unter anderem dem nunmehrigen Kläger Vermächtnisse aussetzte.

Mit der vorliegenden Klage begehrte Josef P***, die beklagte Verlassenschaft schuldig zu erkennen, die ihm ausgesetzte Vermächtnisse zu erfüllen, wobei er die der beklagten Partei dabei obliegenden Verpflichtungen im einzelnen auch konkret anführte. Der Beklagte weigere sich als erbserklärter Erbe, die Vermächtnisse zu erfüllen.

Der Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens, weil das Testament mit Willensmängeln behaftet sei. Die Erblasserin sei an diesem Tag wegen ihres Gesundheitszustandes nicht testierfähig gewesen. Sie habe auch die im Testament enthaltenen Angaben nicht selbst gemacht, das Testament sei vielmehr auf Grund der Angaben des Klägers aufgesetzt worden. Außerdem sei bei Errichtung des Testamentes die äußere Form der Erklärung des letzten Willens nicht eingehalten worden. Die Erblasserin sei nämlich in den letzten Jahren nicht mehr in der Lage gewesen, zu lesen. Zur Zeit der Errichtung des Testamentes habe sie auch über keine Brille verfügt. Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt.

Das Gericht zweiter Instanz gab der Berufung der beklagten Partei nicht Folge und sprach aus, daß der Wert des Streitgegenstandes, über den es entschieden habe, 300.000 S übersteigt.

Die von den Vorinstanzen über den bereits wiedergegebenen Sachverhalt hinaus getroffenen Feststellungen lassen sich im wesentlichen wie folgt zusammenfassen:

Die am 19.2.1905 geborene Erblasserin wurde am 20.9.1984 um

10.30 Uhr in die internen Abteilung des Krankenhauses der Barmherzigen Schwestern vom Heiligen Kreuz in Wels wegen einer schweren Herzerkrankung aufgenommen. Auf Ersuchen des Klägers begab sich Notar Dr.Walter M*** noch am 20.9.1984 in Begleitung zweier Notariatskandidaten mit einem vorgefertigten schriftlichen Testamentaufsatz zur Erblasserin in das Krankenhaus. Grundlage dieses Testamentsentwurfes waren drei Vorgespräche, die der Notar mit der Erblasserin geführt hatte. Beim dritten Besuch der Erblasserin wurde der Testamentsinhalt vom Zeugen Dr.M*** mit der Erblasserin ausführlich abgesprochen. Der Testamentsentwurf war seinem Inhalt nach abgeklärt, die Unterfertigung durch die Erblasserin wurde beim dritten Vorgespräch deshalb verschoben, da eine Liste von Fahrnissen, die der Kläger bekommen sollte, noch fehlte. Diese Liste, welche vom Kläger dem Zeugen Dr.M*** nachträglich überbracht wurde, wurde erst nach diesem Zeitpunkt eingearbeitet. Dr.M*** las den vorgefertigten Testamentsentwurf der Erblasserin laut vor; er erklärte der Erblasserin, daß das Testament nach den mit ihr durchgeführten Besprechungen ihrem letzten Willen entspreche und fragte nach dem Vorlesen die Erblasserin, ob sie alles verstanden und gehört habe, ob es so recht sei und so stimme, was von der Erblasserin in nicht näher festgestellbarer Weise bejaht wurde. Daraufhin unterfertigte die Erblasserin den Testamentsaufsatz, sowie eine vom Kläger stammende Skizze betreffend das ihm zum Legat ausgesetzte Grundstück als Beilage. Der Testamentserrichtung wohnten zwei Notariatskandidaten Dr.M*** bei, die die Verlesung durch Dr.M*** mitverfolgten. Ob die Erblasserin das Testament mitlas, war nicht feststellbar. Sie litt seit 1981 unter einer Sehstörung. Sie konnte zwar Geschriebenes, wie eine Zeitung, lesen, jedoch nur unter Verwendung einer Brille, welche sie auch besaß. Ob sie diese zum Zeitpunkt der Testamentserrichtung bei sich hatte oder verwendete, konnte von den Vorinstanzen nicht festgestellt werden. Daß die Erblasserin bei der mündlichen Testamentsverlesung Absatz für Absatz bestätigt oder bejaht hat, war ebenfalls nicht feststellbar. Ebensowenig war feststellbar, daß die Erblasserin den Inhalt des ihr vorgelegten Testamentes auch mündlich zum Ausdruck brachte. Die Vorinstanzen konnten auch nicht feststellen, daß die Erblasserin zur Zeit der Testamentserrichtung so verwirrt war, daß sie nicht gewußt hätte, ein Testemant zu unterfertigen, daß sie an einer schweren Sinnesverwirrung litt oder keine Kenntnis von dem den Vorgesprächen entsprechenden Testamentsinhalt gehabt hätte.

Bei der rechtlichen Beurteilung dieses Sachverhaltes ging das Erstgericht davon aus, daß der Mangel der Testierfähigkeit der Erblasserin anläßlich der Errichtung des Testamentes am 20.9.1984 ebensowenig vorgelegen gewesen sei wie ein Irrtum der Erblasserin in Ansehung der Motive für die Errichtung ihres Testamentes. Da auch nicht erwiesen sei, daß die Erblasserin das Testament unter Verwendung einer Brille nicht hätte durchlesen können, sei die beklagte Partei der ihr hinsichtlich der behaupteten Leseunfähigkeit der Erblasserin obliegenden Beweispflicht ebenfalls nicht nachgekommen. Da auch davon auszugehen sei, daß den beiden Zeugen die Möglichkeit gegeben gewesen sei, während der Verlesung des letzten Willens in diesen Einsicht zu nehmen, handle es sich hier um ein gültiges schriftliches fremdhändiges Testament. Zu der in der Berufung der beklagten Partei erhobenen Rechtsrüge, wonach die Vorinstanzen die Bestimmung des § 581 ABGB zu Unrecht nicht angewendet hätten, weil Dr.M*** als Schreiber des Testamentes dieses nicht hätte verlesen dürfen und die beiden Testamentszeugen in die Testamentsurkunde nicht Einsicht genommen hätten, obwohl die Erblasserin an einer Sehstörung gelitten habe, zumal sie ohne Brille nicht habe lesen können, nahm das Berufungsgericht im wesentlichen wie folgt Stellung:

Liege nach dem Inhalt und der äußeren Form - so wie hier - eine letztwillige Verfügung vor, so habe der Anfechtende allfällige Formverstöße zu behaupten und auch zu beweisen. Im vorliegenden Fall habe das Erstgericht unbekämpft festgestellt, daß die Erblasserin zwar Geschriebenes, wie etwa eine Zeitung, nur unter Verwendung einer Brille habe lesen können, ob die Erblasserin aber zum Zeitpunkt der Testamentserrichtung eine Brille bei sich oder verwendet habe, jedoch nicht feststellbar sei. Damit habe aber die beklagte Partei nicht bewiesen, daß die Erblasserin zum Zeitpunkt der Testamentserrichtung tatsächlich nicht in der Lage gewesen sei, zu lesen. Die Beklagte habe daher die Voraussetzung für die Anwendung der strengeren Formvorschrift des § 581 ABGB nicht unter Beweis gestellt, weswegen diese Vorschrift auch nicht zum Tragen komme. Lediglich ergänzend bemerkte das Berufungsgericht, daß die beklagte Partei im Verfahren erster Instanz die Behauptung, der Leser des Testamentes sei auch dessen Schreiber gewesen und die Testamentszeugen hätten nicht Einblick in die Urkunde genommen, nicht ausdrücklich erhoben habe; insoweit sei die beklagte Partei ihrer Behauptungslast betreffend die einzelnen, äußerlich nicht wahrnehmbaren Formmängel des Testamentes nicht nachgekommen; aus diesem Grund seien wohl auch ausdrückliche Fragen zu diesem Beweisthema, insbesondere was die Mitwirkung der Testamentszeugen anlange, in erster Instanz unterblieben. Im Hinblick auf die oberstgerichtliche Entscheidung NZ 1989, 68, wonach unter "Schreiber" im Sinne des § 581 ABGB nicht der den Text der letztwilligen Verfügung diktierende Notar, sondern derjenige zu verstehen sei, der den Schreibvorgang wirklich vornimmt, verwies das Berufungsgericht noch auf die in der Berufungsverhandlung vorgenommene Außerstreitstellung, daß Notar Dr.M*** das Testament vom 20.9.1984 nicht selbst geschrieben, sondern von einer Sekretärin habe schreiben lassen. Letztlich bemerkte das Gericht zweiter Instanz noch, daß die Testamentszeugen sowohl die Testamentsurkunde als auch den beigeschlossenen Plan, mit welchem das dem Kläger zuzukommende Grundstück bestimmt wurde, unterfertigt hätten, sodaß eine gewisse Einsichtnahme der Zeugen in die Testamentsurkunde samt Beilage anzunehmen sei. Nach NZ 1989, 68 sei das Erfordernis der Einsichtnahme der Zeugen in den Inhalt der Urkunde im Sinne des § 581 ABGB als erfüllt angesehen worden, wenn die Zeugen die Urkunde bloß unterschrieben haben und ein kurzer Blick genüge, um den wesentlichen Inhalt der Urkunde zu kontrollieren. Letztlich verwies das Gericht noch auf die Feststellung des Erstgerichtes, wonach der Testamentserrichtung zwei Notariatskandidaten des Zeugen Dr.M*** beigewohnt hätten, die die Verlesung durch Dr.M*** mitverfolgt hätten.

Gegen diese Entscheidung des Gerichtes zweiter Instanz richtet sich die auf den Anfechtungsgrund des § 503 Z 4 ZPO gestützte Revision der beklagten Partei mit dem Antrag, die Entscheidungen der Vorinstanzen im Sinne der Abweisung des Klagebegehrens abzuändern; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Der Kläger beantragte in seiner Revisionsbeantwortung, der Revision keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist im Hinblick auf den Wert des Streitgegenstandes zulässig, aber nicht berechtigt.

Zu Unrecht meint die Revisionswerberin, bei ihrer Rechtsrüge im Hinblick auf die unbekämpfte Feststellung des Erstgerichtes, die Erblasserin habe Geschriebenes nur unter Verwendung einer Brille lesen können und der von der beklagten Partei in erster Instanz aufgestellten Behauptung, die Erblasserin hätte zur Zeit der Errichtung des Testamentes über keine Brille verfügt, mangels einer gegenteiligen Feststellung von der Annahme ausgehen zu können, den Feststellungen der ersten Instanz könne kein anderer Sachverhalt entnommen werden, als daß die Erblasserin am 20.9.1984 Geschriebenes nur mit einer Brille habe lesen können und daß sie diese zur Zeit der Testamentserrichtung nicht bei sich gehabt oder verwendet hätte. Die beklagte Partei setzt sich bei diesen Überlegungen über die sie entsprechend der allgemeinen Grundregel, rechtshemmende Tatsachen, hier also das Vorliegen der behaupteten nicht ohne weiteres wahrnehmbaren Formmängel auch zu beweisen (Fasching, Lehrbuch, Rz 882; GlU 5420; SZ 6/278), hinweg und versucht damit in unzulässiger Weise die von den Vorinstanzen den im vorliegenden Fall zutreffend beurteilten Behauptungs- und Beweislastregeln entsprechend getroffenen Feststellungen zu unterlaufen. Insoweit die Revisionswerberin bei ihren weiteren Ausführungen von der Annahme ausgeht, zur Errichtung einer gültigen letztwilligen Erklärung der Erblasserin hätten die weiteren Formerfordernisse des § 581 ABGB eingehalten werden müssen, bringt sie ihre Rechtsrüge nicht gesetzmäßig zur Darstellung. Im übrigen ist für die rechtliche Beurteilung einer Rechtssache ausschließlich der von den Vorinstanzen getroffene Sachverhalt maßgeblich und nicht die Aussagen einzelner Zeugen oder die "Beweisergebnisse" nach Einschätzung des Rechtsmittelwerbers, und schon gar nicht nach einem anderen Zeitpunkt als jenem des Schlusses der mündlichen Streitverhandlung.

Von den für die rechtliche Beurteilung allein maßgeblichen Feststellungen der Vorinstanzen ausgehend kann in der Annahme der Vorinstanzen, es liege hier kein Anwendungsfall des § 581 ABGB vor, kein Rechtsirrtum erblickt werden. Voraussetzung der Anwendung der besonderen Formerfordernisse des § 581 ABGB ist der vom Beklagten zu erbringende Nachweis, daß der Erblasser zur Zeit der Errichtung der letztwilligen Anordnung außerstande war, zu lesen, und zwar unabhängig vom Grund der Leseunfähigkeit (vgl Welser in Rummel, ABGB, Rz 1 zu § 581). Da von den Vorinstanzen nach den Ergebnissen des Beweisverfahrens nicht festgestellt werden konnte, daß die Erblasserin zur Zeit der Errichtung ihrer letztwilligen Anordnung tatsächlich leseunfähig war, hängt die Wirksamkeit der streitgegenständlichen letztwilligen Verfügung tatsächlich nicht von der Erfüllung der weiteren Formvoraussetzungen des § 581 ABGB ab. Daraus folgt aber, daß sämtliche weitere Revisionsausführungen, mit welchen bloß der Versuch unternommen wird, die vom Berufungsgericht darüber hinaus auch nur hilfsweise angestellten Überlegungen, wonach hier sogar die Formerfordernisse des § 581 ABGB eingehalten worden seien, zu bekämpfen, mangels rechtlicher Relevanz ins Leere gehen. Der Revision konnte somit kein Erfolg beschieden sein. Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf den §§ 41 und 50 ZPO.

Anmerkung

E19965

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1990:0020OB00507.9.0131.000

Dokumentnummer

JJT_19900131_OGH0002_0020OB00507_9000000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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