Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.-Prof. Dr. Kuderna als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Gamerith und Dr. Bauer sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Martin Meches und Franz Ovesny als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Eva H***, Beamtin, Wien 13., Speisingerstraße 62/1/7, vertreten durch Dr. Karl Zach, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei R*** Ö***, vertreten durch die Finanzprokuratur, Wien 1., Singerstraße 17-19, wegen 25.000,- S sA, infolge Revisionsrekurses der klagenden Partei gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Wien als Rekursgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 10. November 1989, GZ 32 Ra 119/89-12, womit infolge Rekurses der klagenden Partei der Beschluß des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 30.August 1989, GZ 2 Cga 2024/89-9, bestätigt wurde, folgenden
Beschluß
gefaßt:
Spruch
Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.
Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden aufgehoben und dem Erstgericht die Einleitung des gesetzlichen Verfahrens über die Klage aufgetragen.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 2.469,12 S bestimmten Rekurskosten (darin enthalten 411,52 S Umsatzsteuer) sowie die mit 2.966,40 S bestimmten Kosten des Revisionsrekurses (darin enthalten 494,40 S Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.
Text
Begründung:
Die Klägerin begehrt mit der beim Landesgericht für ZRS Wien eingebrachten Klage die Zahlung eines Betrages von 25.000 S. Sie sei als Beamtin Dienstnehmerin des Heeresgebührenamtes und damit der beklagten Partei. Ihre Dienststelle befindet sich in einer Kaserne, in der die beklagte Partei eine Kantine betreibe, in der an die Bediensteten gegen Entgelt Speisen abgegeben werden. Am 16.12.1987 habe die Klägerin die Kantine zur Einnahme des Mittagessens aufgesucht. Der Sessel, auf den sie sich zu diesem Zweck gesetzt habe, sei so schlecht beschaffen gewesen, daß er zusammengebrochen sei. Die Klägerin sei gestürzt und habe Verletzungen erlitten. Die beklagte Partei hafte für das Verschulden des Leiters der Kantine, der es unterlassen habe, die Sessel entsprechend zu überprüfen. Die Verletzungsfolgen rechtfertigten ein Schmerzengeld von 25.000 S. Das Landesgericht für ZRS Wien wies die Klage wegen sachlicher Unzuständigkeit zurück. Da das Klagebegehren die im § 49 Abs 1 JN bezeichnete Wertgrenze nicht übersteige, sei die Zuständigkeit des angerufenen Gerichtes nicht gegeben, zumal die Klägerin nach dem Inhalt der Klage einen Amtshaftungsanspruch nicht geltend gemacht habe.
Innerhalb der Frist des § 230 a ZPO beantragte die Klägerin die Überweisung der Sache an das nicht offenbar unzuständige Arbeits- und Sozialgericht Wien. Das Landesgericht für ZRS Wien hob den Zurückweisungsbeschluß auf und überwies die Rechtssache gemäß § 261 Abs 6 ZPO an das Arbeits- und Sozialgericht Wien. In dem gegen den vom Arbeits- und Sozialgericht Wien - dem nunmehrigen Erstgericht - erlassenen Zahlungsbefehl eingebrachten Einspruch erhob die beklagte Partei die Einreden der Unzulässigkeit des Rechtsweges sowie der sachlichen Unzuständigkeit; sie vertrat die Auffassung, daß das Begehren im Amtshaftungsverfahren geltend zu machen sei. Die Erfüllung der dem Bundesheer obliegenden Verpflichtungen erfolge grundsätzlich in Vollziehung der Gesetze; auch die Führung der Kantine sei Gegenstand der Hoheitsverwaltung. Im weiteren bestritt die beklagte Partei, daß einem Bediensteten ein Verschulden am Unfall der Klägerin zur Last falle; der geltend gemachte Schmerzengeldanspruch sei überhöht.
Die beklagte Partei trat diesen Ausführungen entgegen. Sie mache ausschließlich bürgerlich-rechtliche Ansprüche geltend, so daß die Zuständigkeit des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien gegeben sei. Das Erstgericht wies die Klage zurück. Die Klägerin sei öffentlich-rechtliche Bedienstete der beklagten Partei. Sie sei im Heeresgebührenamt beschäftigt, das dem hoheitlichen Bereich der beklagten Partei zuzuordnen sei. Auch die Führung der Kantine geschehe im Rahmen der Hoheitsverwaltung, da die Erfüllung der dem Bundesheer übertragenen gesetzlichen Aufgaben grundsätzlich in Vollziehung der Gesetze erfolge; das gleiche gelte für den Küchendienst. Die Klage leite den Anspruch der Klägerin ausschließlich daraus ab, daß der Kantinenleiter die Beschaffenheit der Sessel nicht ordnungsgemäß überprüft habe. Da diese Tätigkeit in den Vollziehungsbereich der dem Bundesheer gesetzlich übertragenen Aufgaben einzubeziehen sei, andererseits aber auch die Verpflichtung der Vorgesetzten und der von ihnen Beauftragten für einen ordnungsgemäßen Zustand der Aufenthaltsräume zu sorgen, zu den öffentlich-rechtlichen Fürsorgepflichten gehöre, sei der Anspruch im Amtshaftungsverfahren geltend zu machen, zumal eine mit der Erfüllung der hoheitlichen Aufgaben im engen Zusammenhang stehende Nebenpflicht aus der allein bestehenden öffentlich-rechtlichen Beziehung zwischen dem Bund und öffentlich-rechtlichen Bediensteten vorliege.
Das Rekursgericht gab dem Rekurs der Klägerin nicht Folge, wobei es im wesentlichen der Begründung des Erstgerichtes beitrat. Durch das ASGG seien ausdrücklich nur die Regreßansprüche nach dem Amtshaftungsgesetz in die Zuständigkeit der Arbeits- und Sozialgerichte einbezogen worden. Da ein dem Amtshaftungsgesetz unterliegender Ersatzanspruch gegen einen Rechtsträger iS des § 1 AHG erhoben werde, sei er in dem nach diesem Gesetz vorgesehenen Verfahren und unter Beachtung der für dieses normierten Zuständigkeitsvorschriften geltend zu machen, auch wenn er von einem Bediensteten erhoben werde.
Gegen diesen Beschluß richtet sich der berechtigte Rekurs der Klägerin.
Rechtliche Beurteilung
Gemäß § 38 Abs 2 ASGG hat das angerufene Gericht, wenn für die Rechtsstreitigkeit anstelle dieses Gerichtes ein anderes Gericht als Arbeits- und Sozialgericht zuständig ist, sofern die Unzuständigkeit nicht geheilt ist, nach Anhörung des Klägers die Sache an das nicht offenbar unzuständige Gericht von Amts wegen zu überweisen. Gemäß Abs 4 dieser Bestimmung ist das Gericht, an das die Rechtsstreitigkeit überwiesen worden ist, an den rechtskräftigen Ausspruch über die sachliche Unzuständigkeit gebunden; seine örtliche Unzuständigkeit darf es nicht mit der Begründung aussprechen, daß doch das überweisende Gericht zuständig ist. Hieraus folgt, daß der Ausspruch über die Unzuständigkeit des angerufenen Gerichtes mit dem Ausspruch über die Überweisung an das offenbar nicht unzuständige Gericht in einem Beschluß verbunden sein muß. Es genügt, daß der Ausspruch über die sachliche Unzuständigkeit aus der Begründung des Beschlusses hervorgeht. Die Bestimmung des § 38 Abs 4 ASGG schließt jedenfalls einen weiteren Streit über die sachliche Zuständigkeit des überweisenden Gerichtes aus, so daß zwischen diesem Gericht und dem Gericht, an das die Arbeits- oder Sozialrechtssache überwiesen worden ist, ein negativer Kompetenzkonflikt nicht entstehen kann (Kuderna ASGG, Anm 13 zu § 38). Aus dem engen Sachzusammenhang zwischen § 38 Abs 2 und § 38 Abs 4 ASGG ergibt sich, daß die letztgenannte Bestimmung nur zur Anwendung kommt, wenn die Überweisung gemäß § 38 Abs 2 ASGG erfolgt, wenn also der Ausspruch der Unzuständigkeit und die Überweisung mit der Begründung vorgenommen wird, daß das andere Gericht, an das überwiesen wird, als Arbeits- und Sozialgericht zuständig ist; nur in diesem Fall kommt die Bindungswirkung des § 38 Abs 4 ASGG zum Tragen.
Die Zurückweisung der Klage durch das Landesgericht für ZRS Wien erfolgte mit der Begründung, daß die Wertzuständigkeit des Gerichtshofes nicht gegeben sei und ein Amtshaftungsanspruch nicht erhoben werde. Auch die Überweisung erfolgte nicht aufgrund des § 38 Abs 2 ASGG - in diesem Fall wäre im übrigen die Klage nicht zurückzuweisen, sondern von Amts wegen zu überweisen gewesen - , sondern über einen auf § 230 a ZPO gegründeten Antrag der Klägerin gemäß § 261 Abs 6 ZPO. Daher traten die Bindungswirkungen des § 38 Abs 4 ASGG nicht ein und dem Erstgericht stand grundsätzlich die Prüfung seiner sachlichen Zuständigkeit offen.
Der Rechtsansicht der Vorinstanzen, daß mit der Klage ein dem Amtshaftungsgesetz unterliegender Anspruch geltend gemacht werde, kann jedoch nicht beigetreten werden. Gemäß § 1 AHG haften der Bund, die Länder, die Bezirke, die Gemeinden, sonstige Körperschaften des öffentlichen Rechts und die Träger der Sozialversicherung nach den Bestimmungen des bürgerlichen Rechts für den Schaden am Vermögen oder an der Person, den die als ihre Organe handelnden Personen in Vollziehung der Gesetze durch ein rechtswidriges Verhalten - wem immer - schuldhaft zugefügt haben. Ansprüche dieser Art sind in dem nach dem AHG geregelten Verfahren geltend zu machen und unterliegen der Zuständigkeitsbestimmung des § 9 AHG. Nach herrschender Rechtsprechung und Lehre erfolgt die Erfüllung der dem Bundesheer übertragenen gesetzlichen Aufgaben grundsätzlich in Vollziehung der Gesetze (EvBl 1979/53; SZ 45/42; Schragel AHG2 86,258). Ein rechtswidriges, schuldhaftes Verhalten von Organen im Rahmen der Vollziehung wehrgesetzlicher Vorschriften Präsenzdienern gegenüber kann Amtshaftungsansprüche auslösen. So wurde Präsenzdienern, die bei Verkehrsunfällen im Rahmen des Dienstes verletzt wurden, Schmerzengeld und Verdienstentgang nach § 1 AHG zuerkannt (JBl 1968; 479; SZ 33/63); verletzte ein Vorgesetzter anläßlich des Übens mit scharfen Handgrananten Ausbildungsvorschriften und wurde dadurch ein Präsenzdiener verletzt, wurde diesem Schmerzengeld und Verunstaltungsentschädigung nach den Bestimmungen des Amtshaftungsgesetzes zuerkannt (EvBl 1976/233). Auch ein Küchendienst erfolgt in Vollziehung der Gesetze (EvBl 1979/53). Ebenso wurden Amtshaftungsansprüche eines Grundwehrdieners bejaht, der anläßlich eines mit der Einnahme einer Mahlzeit verbundenen Weges im Kasernengelände auf einer nicht gestreuten Stiege stürzte (1 Ob 10/86). Allen diesen Entscheidungen lagen Fälle zugrunde, die Ansprüche von Präsenzdienern betrafen. Das Vorliegen der Voraussetzung nach § 1 AHG wurde damit begründet, daß die Erfüllung der dem Bundesheer übertragenen gesetzlichen Aufgaben grundsätzlich in Vollziehung der Gesetze geschehe. Nach § 1 Abs 1 WehrG, sei jeder österreichische Staatsbürger männlichen Geschlechts nach Maßgabe des Wehrgesetzes wehrpflichtig. Dem Bundesheer gehörten gemäß § 1 Abs 3 Z 1 WehrG ua Personen, die zum ordentlichen Präsenzdienst einberufen seien, vom Beginn des Tages, an dem sie einberufen worden seien, bis zum Ablauf des Tages, an dem sie entlassen worden seien, an. Sie unterlägen während des eine Pflicht für alle wehrfähigen männlichen Bürger des Staates bildenden ordentlichen Präsenzdienstes einem hoheitlichen öffentlich-rechtlichen Gewaltverhältnis, kraft dessen sie grundsätzlich zum Dienst in allen Teilen des Bundesheeres verpflichtet seien (§ 44 Abs 2 WehrG); sie seien auch verpflichtet, die Befehle der Vorgesetzten pünktlich und genau zu befolgen und allen ihren Weisungen zu gehorchen (§ 44 Abs 3 WehrG); Gehorsamsverweigerungen und jede andere Verletzung militärischer Pflichten könnten ua nach strafrechtlichen Vorschriften, nach dem Wehrgesetz und dem Heeresdisziplinargesetz 1956 in der geltenden Fassung geahndet werden. Das Bundesheer bilde daher einen Verband, in dem alle Angehörigen einer einheitlichen Befehlsgewalt unterworfen seien. Es liege ein juristisches System vor, das durch die Befehlsgebung in seinen Teilen zusammengehalten werde. Der besonderen Gehorsamspflicht der Präsenzdiener entspreche die Fürsorgepflicht der militärischen Vorgesetzten und deren Verpflichtung, die Untergebenen vor vermeidbaren Schäden zu bewahren (1 Ob 10/86).
Der vorliegende Fall ist jedoch anders gelagert. Die Klägerin ist als Zivilbeamtin in der Heeresverwaltung beschäftigt. Gemäß § 50 WehrG haben die Wehrpflichtigen (Präsenzdiener) neben dem Anspruch auf Besoldung, Unterkunft, Bekleidung und ärztliche Betreuung auch Anspruch auf Verpflegung; im § 11 HGG wird der Anspruch auf unentgeltliche Verpflegung noch besonders hervorgehoben. Ein solcher Anspruch ist für die Zivilbeamten des Bundesheeres im Gesetz nicht normiert. Der Staat wird bei Leistung der Naturalverpflegung an Präsenzdiener in Vollziehung der Gesetze (§ 50 WehrG und § 11 HGG) tätig, wogegen die Gewährung der Verpflegung an Beamte der Heeresverwaltung lediglich den Charakter einer ohne gesetzliche Verpflichtung gewährten Sozialleistung hat. Der Bund wird in diesen Fällen nicht in Vollziehung der Gesetze tätig, sodaß bei diesen Gelegenheiten eintretende Schadensfälle nicht den Bestimmungen des Amtshaftungsgesetzes unterliegen.
Gemäß § 50 Abs 1 Z 1 ASGG sind Arbeitsrechtssachen bürgerliche Rechtsstreitigkeiten zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern im Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis oder dessen Anbahnung. Aus der Definition des Arbeitgeber- bzw Arbeitnehmerbegriffes im § 51 ASGG ergibt sich, daß auch bürgerliche Rechtsstreitigkeiten zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer aus einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis in die Zuständigkeit der Arbeits- und Sozialgerichte fallen. Da ein dem Amtshaftungsgesetz unterliegender Anspruch hier nicht erhoben wird, liegt eine bürgerliche Rechtsstreitigkeit im Sinn des § 50 Abs 1 Z 1 ASGG vor, sodaß das Erstgericht zur Entscheidung über das erhobene Begehren zuständig ist.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 52 Abs 1 ZPO. Das Verfahren über die von der beklagten Partei erhobenen Prozeßeinreden ist ein Zwischenstreit; die darin unterlegene beklagte Partei war daher zum Ersatz der Kosten dieses Verfahrens an die Klägerin zu verpflichten.
Anmerkung
E20123European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1990:009OBA00011.9.0131.000Dokumentnummer
JJT_19900131_OGH0002_009OBA00011_9000000_000