TE OGH 1990/2/6 10ObS435/89

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Veröffentlicht am 06.02.1990
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Resch als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag. Engelmaier und Dr. Kellner als weitere Richter sowie durch die fachkundigen Laienrichter Dr. Ernst Chlan (Arbeitgeber) und Anton Tauber (Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Simun M***, Kolodvrska 6A, JU-56252 Otok, vertreten durch Dr. Armin Dallmann, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei P*** DER

A***, Roßauer Lände 3, 1092 Wien, vor dem Obersten Gerichtshof nicht vertreten, wegen Invaliditätspension, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 8. September 1989, GZ 32 Rs 163/89-26, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 30. Jänner 1989, GZ 17 Cgs 103/88-14, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei hat die Kosten ihres Rechtsmittels selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Das Erstgericht wies das Begehren des Klägers auf Gewährung einer Invaliditätspension (richtig ab 1. Oktober 1987) ab. Es stellte fest, daß der am 18. August 1927 geborene Kläger in den letzten 15 Jahren als Bauhilfsarbeiter tätig war und insgesamt (in Österreich, der Bundesrepublik Deutschland und Jugoslawien) 177 Beitragsmonate erworben hat.

Der Kläger kann noch leichte Arbeiten verrichten. Ausgenommen sind Arbeiten auf Gerüsten, am Fließband und solche, die erhöhte Aufmerksamkeit erfordern. Der Kläger könnte auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt noch als Aktenträger, Abservierer, Waschraumwärter, Fabrikswächter oder Aufseher bei Aufstellungen tätig sein. Da der Kläger nicht 180 Versicherungsmonate aufweise, sei seine Invalidität nach § 255 Abs 3 ASVG zu beurteilen. Weil er noch eine Reihe von zumutbaren Verweisungstätigkeiten ausüben könne, sei er nicht invalide im Sinne dieser Gesetzesstelle.

Das Berufungsgericht gab der Berufung keine Folge. Es verneinte das Vorliegen von Verfahrensmängeln, übernahm die Feststellungen des Erstgerichtes und billigte auch dessen rechtliche Beurteilung.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision des Klägers ist nicht berechtigt.

Soweit der Kläger zum Revisionsgrund der Mangelhaftigkeit des Verfahrens wie schon in der Berufung ausführt, der Grundsatz des § 87 Abs 1 ASGG sei vom Erstgericht verletzt worden, die Parteieneinvernahme sowie die Beiziehung von Sachverständigen aus den Fachgebieten der Neurologie und der Berufskunde hätte nicht unterbleiben dürfen, rügt er damit Mängel des Verfahrens erster Instanz, deren Vorliegen schon das Berufungsgericht verneint hat. Solche angebliche Mängel können aber mit Revision nicht mehr geltend gemacht werden (SSV-NF 1/32).

Auch soweit der Kläger eine zu kurzfristige Anberaumung der Tagsatzung rügt, ist die Revision nicht berechtigt. Gemäß § 139 ZPO hat das Gericht die anberaumte Tagsatzung auf Antrag oder von Amts wegen noch vor ihrer Abhaltung zu erstrecken, wenn unter anderem die Zustellung der Ladung derart verzögert wird, daß die zwischen der Zustellung der Ladung und der anberaumten Tagsatzung liegenden Frist eine genügende Vorbereitung für die mündliche Verhandlung nicht gestattet. Die Ladung zur mündlichen Streitverhandlung vom 30. Jänner 1989 wurde vom Erstgericht am 10. Jänner 1989 abgefertigt und nach dem im Akt erliegenden Rückschein am 18. Jänner 1989 zugestellt. Die dem Kläger zur Verfügung stehende Vorbereitungsfrist betrug daher 12 Tage. Ein solcher Zeitraum reicht aber auch für eine in Jugoslawien wohnhafte Prozeßpartei aus, zumindest einen begründeten Fristerstreckungsantrag zu stellen. Für eine amtswegige Erstreckung der mündlichen Streitverhandlung ohne einen entsprechenden Antrag des Klägers bestand für das Erstgericht bei dem vorliegenden Intervall noch keine Notwendigkeit.

Selbst wenn man § 231 Abs 1 ZPO auf den vorliegenden Fall anwenden wollte - diese Frist dient in erster Linie dem Schutz des Beklagten - wird die dort genannte Frist von 14 Tagen hier nahezu erreicht. Die 8 tägige Frist des § 257 Abs 1 ZPO wurde aber sogar wesentlich überschritten. Überdies könnte eine Außerachtlassung der Fristen der §§ 231 Abs 1 und 257 Abs 1 ZPO nur dann einen erheblichen Verfahrensmangel darstellen, wenn hiedurch die sachgemäße Vorbereitung auf die mündliche Verhandlung unmöglich gemacht würde (Fasching, Lehrbuch Rz 565). Eine Nichtigkeit gem § 477 Abs 1 Z 4 wäre nur dann gegeben, wenn es der Partei hiedurch unmöglich gemacht worden wäre, zur angeordneten Tagsatzung zu erscheinen (RZ 1976, 98).

Beide Fälle liegen jedoch dann keineswegs vor, wenn die Zustellung 12 Tage vor der anberaumten Tagsatzung erfolgt. Schließlich ist gem § 39 Abs 1 ASGG das Verfahren in Sozialrechtssachen besonders rasch durchzuführen, wobei nach den Materialien (7 BlgNR 16.GP, 43) sich diese Bestimmung an den für das bezirksgerichtliche Verfahren geltenden § 436 ZPO anlehnt, der sogar die Anberaumung der Tagsatzung für den Tag der Klagseinbringung vorsieht. Auch daraus ist abzuleiten, daß in Sozialrechtssachen die Frist zwischen Zustellung der Ladung und dem Termin der Tagsatzung das für die sachgemäße Vorbereitung der Parteien notwendige Ausmaß nicht überschreiten soll.

Der Kläger hat schon in der Klage vorgebracht, daß er keine Berufsausbildung habe und nicht schreiben könne. Die Aktenunterlagen bieten keinerlei Anhaltspunkt für eine angelernte Tätigkeit des Klägers im Sinne des § 255 Abs 2 ASVG. Die Vorinstanzen haben festgestellt, daß der Kläger in den letzten 15 Jahren als Bauhilfsarbeiter beschäftigt war. Es bedurfte keiner weiteren Erhebungen und Feststellungen über die genaue Art der Hilfsarbeitertätigkeiten, weil schon nach dem allgemeinen Sprachgebrauch auch für jeden juristisch nicht Geschulten unter "Hilfsarbeiter" ein Arbeiter ohne besondere Qualifikation verstanden wird (SSV-NF 3/46; vgl. auch Meyer's Enzyklopädisches Lexikon9 Band 12, 13 "Hilfsarbeiter: Arbeiter, der keine besondere Ausbildung besitzt und auch nicht angelernt ist", ähnlich Brockhaus, Enzyklopädie17 Band 8, 486).

Es ist dem Berufungsgericht darin beizupflichten, daß schon auf Grund der Tatsachen, die bei Gericht für die vom Erstgericht festgestellten Verweisungsberufe offenkundig sind, verläßlich beurteilt werden kann, ob dem Kläger die Ausübung dieser Berufstätigkeiten im Hinblick auf sein Leistungskalkül zugemutet werden darf. Sind die Anforderungen in den Verweisungsberufen offenkundig - und dies muß auf Grund der besonderen Zusammensetzung der Sozialgerichte bei weit verbreiteten Tätigkeiten, die sich unter den Augen der Öffentlichkeit abspielen und deren Anforderungen daher allgemein bekannt sind, angenommen werden - dann bedarf es der vom Kläger in diesem Zusammenhang geforderten zusätzlichen Feststellungen nicht (SSV-NF 2/77, 2/109). Auf Grund seines Leistungskalküls ist der Kläger jedenfalls noch in der Lage, die Tätigkeiten eines Bürobotengängers oder Aufsehers bei Ausstellungen, aber auch eines Abservierers oder Fabrikswächters (welche keineswegs unter ständiger Nässe und Kälte ausgeübt werden, selbst wenn man diese von den Vorinstanzen nicht festgestellte Einschränkung unterstellt) auszuüben. Schließlich ist das Verweisungsfeld im Falle der nach § 255 Abs 3 ASVG zu beurteilenden Invalidität mit dem gesamten Arbeitsmarkt ident (SSV-NF 1/4 ua). Die von den Vorinstanzen angeführten Verweisungstätigkeiten stellen nur eine beispielsweise Aufzählung aus einer ganzen Fülle von Tätigkeiten dar, die der Kläger auf Grund seines Leistungskalküls noch ausüben kann.

Der Revision war daher ein Erfolg zu versagen.

Der Ausspruch über die Revisionskosten beruht auf

§ 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG (vgl. hiezu SSV-NF 1/19).

Anmerkung

E20461

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1990:010OBS00435.89.0206.000

Dokumentnummer

JJT_19900206_OGH0002_010OBS00435_8900000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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