Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof. Dr. Petrasch als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Hule, Dr. Klinger, Dr. Angst und Dr. Schalich als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Roswitha Maria F***, Friseuse, Oberstraße 2, Worblingen, Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch Dr. Norbert Margreiter, Rechtsanwalt in Bezau, wider die beklagte Partei Johann Adam F***, Zimmermann, Oberberg 418, Bezau, vertreten durch Dr. Otmar Simma und andere Rechtsanwälte in Dornbirn, wegen Ehescheidung, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes Feldkirch als Berufungsgerichtes vom 7.November 1989, GZ 1 a R 332/89-32, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Bezirksgerichtes Bezau vom 13.Juni 1989, GZ 1 C 286/83-25, teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit S 3.706,20 (darin S 617,70 Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Die Parteien haben am 22.September 1978 vor dem Standesamt Bezau die beiderseits erste Ehe geschlossen. Ihrer Ehe entstammt die am 30. Dezember 1979 geborene Tochter Rebekka, sie hatten ihren letzten gemeinsamen Wohnsitz in Bezau. Die häusliche Gemeinschaft wurde durch den Auszug der Klägerin aus der Ehewohnung am 11.Juli 1987 aufgelöst. Seit diesem Zeitpunkt leben beide voneinander getrennt. Die Klägerin begehrt die Scheidung ihrer Ehe mit dem Beklagten aus dessen alleinigem Verschulden. Sie wirft ihm seelische Mißhandlungen durch ehrenrührige Äußerungen, Beleidigungen, Beschimpfungen, unbegründete Kritik an der Haushaltsführung, Mißachtung ihrer Persönlichkeit, übertriebene Eifersucht sowie Verletzung seiner Unterhaltspflicht vor. Sie sei dadurch nervlich so mitgenommen worden, daß sie keinen anderen Ausweg gesehen habe, als am 11.Juli 1987 aus der Ehewohnung auszuziehen. Der Beklagte unterhalte seit Sommer 1987 ehebrecherische Beziehungen zu Isabella H***. Die Ehe sei aus dem Verschulden des Beklagten unheilbar zerrüttet.
Der Beklagte beantragte primär die Klagsabweisung, bestritt das Vorliegen der geltend gemachten Eheverfehlungen, begehrte jedoch für den Fall der Scheidung der Ehe den Ausspruch des überwiegenden Verschuldens der Klägerin. Diese habe in ihrer Unzufriedenheit ihn und den Haushalt vernachlässigt. Sie habe unter dem ehestörenden Einfluß ihrer Mutter den Beklagten grundlos verlassen und die Wiederaufnahme der Ehegemeinschaft ohne Grund abgelehnt. Sie unterhalte auch Beziehungen zu einem anderen Mann.
Das Erstgericht schied die Ehe aus dem gleichteiligen Verschulden beider Teile.
Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin Folge und änderte nach teilweiser Beweiswiederholung dieses Urteil dahin ab, daß es die Scheidung aus dem Alleinverschulden des Beklagten aussprach. Es stellte folgenden entscheidungswesentlichen Sachverhalt fest:
Die Ehe der Eltern der Klägerin wurde 1984 aus dem Verschulden der Mutter der Klägerin, die eine Beziehung zu einem anderen Mann aufgenommen hatte, geschieden. Der Beklagte, der von seiner persönlichen Lebenseinstellung her grundsätzlich gegen Ehescheidungen war, hat dies negativ bewertet und insbesondere das Verhalten seiner Schwiegermutter abgelehnt. Er bezeichnete diese gegenüber der Klägerin als Hure und war dagegen, daß die Klägerin weiterhin regelmäßigen Kontakt zu ihrer Mutter und zu ihren anderen Angehörigen in Deutschland hielt. Dies führte immer wieder zu Auseinandersetzungen, in deren Verlauf der Beklagte die Klägerin wiederholt als Hure und Nutte bezeichnete. Gleichzeitig wurde der Beklagte gegenüber der Klägerin im zunehmenden Maße eifersüchtig und mißtrauisch. Er trachtete, Kontakte der Klägerin mit der Außenwelt in seiner Abwesenheit möglichst zu unterbinden. Als die Klägerin sich bei einem Besuch längere Zeit mit ihrem Bruder in einem Zimmer aufhielt, warf ihr der Beklagte unter Anspielung auf die Tatsache, daß sie keine Kinder mehr bekommen kann vor, sie könne mit ihrem Bruder durchaus Inzucht treiben, es könne ihr nichts passieren. Auf Grund des eifersüchtigen und mißtrauischen Verhaltens des Beklagten kam es zwischen den Streitteilen immer häufer aus nichtigen Anlässen zu Auseinandersetzungen, in deren Verlauf der Beklagte die Klägerin immer wieder beschimpfte und durch abwertende und ehrenrührige Äußerungen kränkte. Die Klägerin konnte dem Beklagten kaum mehr etwas recht machen und sah sich ständig seiner Kritik ausgesetzt. Diese Kritik des Beklagten war jedoch unbegründet, weil die Klägerin weder den Haushalt vernachlässigte, noch dem Beklagten durch ihr persönliches Verhalten Anlaß zu Mißtrauen und Eifersucht gab. Die Klägerin litt unter dieser Entwicklung und holte deswegen 1986 den Rat eines Psychologen ein. Der Beklagte war nicht bereit, über die Eheprobleme zu sprechen, und reagierte mit der Aufforderung an die Klägerin, daß sie verschwinden solle; gleichzeitig bezeichnete er sie als Nutte aus dem Sperrbezirk. Diese Entwicklung führte bei der Klägerin zu körperlichen Beschwerden, sie verlor 20 kg an Gewicht und fühlte sich nicht wohl. Der behandelnde Arzt führte dies auf seelische Ursachen zurück. Da sich die Klägerin nicht mehr mit dem Beklagten aussprechen konnte, bekam sie Heimweh nach ihren Angehörigen in Deutschland. Sie erachtete ihre Eheprobleme für unlösbar und entschloß sich, den immer häufigeren Beschimpfungen und Auseinandersetzungen durch ein Verlassen der Ehewohnung ein Ende zu setzen. Sie übersiedelte am 11.Juli 1987, als der Beklagte auf einer Feuerwehrübung war, in ihre Heimat nach Rielasingen-Worblingen und hinterließ dem Beklagten einen Abschiedsbrief mit folgendem Inhalt:
"Hallo Hans!
Wie Du nach Hause gekommen bist, hast Du wohl gleich bemerkt, daß etwas nicht stimmt. Und dem ist auch so, denn ich bin gegangen. Du bist jetzt sicherlich wütend auf mich, aber denk daran, wie oft Du mich hinausgeworfen hast und immer zu mir sagtest, ich soll Fäden ziehen. Nun bin ich weg, weil ich Deine andauernden Demütigungen nicht mehr aushalte. Daß Du wegen jeder Kleinigkeit so zornig wirst und immer zu mir sagst, ich sei die gleiche Hure wie meine Mutter, oder dümmer wie die Sau am ..... und mir immer unterstellst, ich würde an meinem Bruder herumfingern, und das tut mir sehr weh, mehr als eine Ohrfeige von Dir. Du wirst sicher nicht verstehen, aber man kann den anderen auch seelisch zugrunderichten. Als ich nicht mehr weiterwußte, habe ich einem Psychologen geschrieben und später Dir den Brief gezeigt, daraufhin wolltest Du ja gleich zum Anwalt gehen und hast mich bezichtigt, ich sei eine Nutte aus dem Sperrbezirk, und ich solle sehen, daß ich verschwinden soll. Wir hatten es dann nochmal versucht, aber Du hast dann alles wieder kaputtgemacht, weil ich mit Germana Langlaufen war und Dir etwas erzählte, was nicht Deiner Meinung entsprach. Daraufhin war ich wieder der blödeste Mensch, der hier herumläuft. Als ich dann die Schi Deiner Mutter brachte, hatte ich zu ihr gesagt, daß ich eines Tages gehen werde. Roswitha."
Der Inhalt dieses Briefes gibt die Gründe und die Entwicklung der Ehe wieder, die die Klägerin veranlaßten, aus der Ehewohnung auszuziehen.
Der Beklagte versuchte vergeblich, und zwar telefonisch und einmal durch eine persönliche Vorsprache, die Klägerin zur Rückkehr und zur Fortsetzung der Ehe zu bewegen. Bei der ersten Tagsatzung zur mündlichen Streitverhandlung im Ehescheidungsverfahren am 23. September 1987 standen beide Streitteile einander völlig entfremdet gegenüber.
Der Beklagte hat sich im Mai oder Juni 1988 einer anderen Frau zugewandt. Die Klägerin unterhält seit Ende August, Anfang September 1988 intime Beziehungen zu einem anderen Mann. Rechtlich folgerte das Berufungsgericht, daß die Zerrüttung der Ehe auf die grundlosen und jahrelangen Beleidigungen des Beklagten sowie seine Versuche, die Kontakte der Klägerin mit der Außenwelt zu unterbinden, zurückzuführen sei. Obwohl die Klägerin in hohem Maß unter diesem Verhalten gelitten habe, sei der Beklagte nicht bereit gewesen, sich mit ihr auszusprechen, und habe ihren Versuch, die Probleme mit Hilfe eines Psychologen zu bewältigen, beleidigend zurückgewiesen. Die Klägerin habe den einzigen Ausweg aus diesem Ehedilemma im Verlassen des Beklagten gesehen. Ihre eigenmächtige Handlung könne ihr daher nicht als Verschulden angelastet werden. Nur gegen den Ausspruch, daß ihn das alleinige Verschulden treffe, richtet sich die Revision des Beklagten mit dem Antrag, daß die Ehe der Streitteile aus deren gleichteiligem Verschulden geschieden werde.
Die klagende Partei beantragt, der Revision des Beklagten nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist nicht berechtigt.
Soweit sich der Revisionswerber darauf stützt, daß die Klägerin ihren Auszug lang und konsequent geplant habe, daß die Klägerin verschiedene Umstände "übertrieben" dargestellt und daß das Berufungsgericht nicht den "richtigen" persönlichen Eindruck von der Klägerin gewonnen habe, wird unzulässigerweise die Richtigkeit der Feststellungen des Berufungsgerichtes in Frage gestellt. Eine Verfehlung ist dann als schwer zu bezeichnen, wenn sie im allgemeinen und objektiv in den Lebens- und Berufskreisen der Eheleute bei einem selbst mit echter ehelicher Gesinnung erfüllten und daher auch zur Nachsicht bereiten Ehegatten eine völlige Entfremdung herbeiführen würde (EFSlg 48.726 ua). Einzelne Handlungen und Unterlassungen, die für sich allein nicht das Gewicht einer schweren Eheverfehlung haben, können durch Dauer und Wiederholung in ihrer Gesamtheit eine schwere Eheverfehlung darstellen (EFSlg 51.579 ua). Die wiederholten, nicht durch das Verhalten der Klägerin ausgelösten Beschimpfungen, die nicht dem Milieu der Streitteile entsprachen, sind daher als schwere Eheverfehlungen des Beklagten zu beurteilen (EFSlg 43.613 ua). Der Feststellung des Berufungsgerichtes, daß die Eheleute bei der mündlichen Streitverhandlung am 23.September 1987 völlig entfremdet gegenübergestanden sind, steht die Beurteilung nicht entgegen, daß die Zerrüttung der Ehe bereits vorher durch den Verlust der ehelichen Gesinnung bei der Klägerin eingetreten ist, wie dies deutlich aus ihrem Abschiedsbrief zu entnehmen ist. Eine Ehezerrüttung kann auch dann vorliegen, wenn die eheliche Gesinnung nur bei einem Ehegatten zerstört ist (SZ 36/124 ua). Für die Beurteilung der Ehezerrüttung ist die Bereitwilligkeit des schuldigen Ehegatten zur Fortsetzung der Ehe unerheblich (EFSlg 51.606 ua). Ist aber eine Ehe schon so tief zerrüttet, daß eine weitere Zerrüttung nicht mehr eintreten kann, so fehlt im allgemeinen der Kausalzusammenhang zwischen einer neuen Verfehlung und der Zerrüttung (EvBl 1964/384 = EFSlg 2264, EFSlg 48.769, 54.463). Ob das Verlassen der Klägerin die beim Beklagten allenfalls noch vorhandene Ehegesinnung weiter zerstört hat - der Beklagte hat die Klägerin ja wiederholt zum Verlassen der Wohnung aufgefordert und hat nur telefonisch und einmal durch persönliche Vorsprache versucht, sie zur Rückkehr zu bewegen - fällt nicht ins Gewicht, weil der durch die schweren Eheverfehlungen des Beklagten bei der Klägerin erzeugte psychische Druck bereits so groß war, daß sie verständlicherweise versucht hat, aus dieser ihr aussichtslos erscheinenden Situation ohne weitere für sie sicher unerträgliche Auseinandersetzung herauszukommen. Es kann ihr daher aus dem Verlassen der Ehewohnung kein Schuldvorwurf gemacht werden. Nach ständiger Rechtsprechung rechtfertigen besonders schwere Eheverfehlungen des einen Ehegatten, die Aufgabe der ehelichen Gemeinschaft durch den anderen Teil so zB wenn der Schuldige ständig droht und ständig Streitigkeiten heraufbeschwört (zuletzt 3 Ob 564/89). Im Hinblick auf die Entwicklung fällt der Klägerin nicht zur Last, daß sie den nicht besonders intensiven Bemühungen des Beklagten, sie zur Rückkehr in die Ehewohnung zu bewegen, keine Folge geleistet hat. Nicht zu übersehen ist auch, daß die schweren Eheverfehlungen des Beklagten bei der Klägerin bedingt durch den großen psychischen Druck, trotz ärztlicher Behandlung zu einer gesundheitsgefährdenden Gewichtsreduktion um 20 kg geführt haben. Ein weiteres Zusammenleben mit dem uneinsichtigen Ehegatten ist dem anderen schuldlosen Teil so lange nicht zumutbar, als dieser nicht Maßnahmen ergreift, die dafür Gewähr bieten, daß es nicht wieder zu einem so untragbaren Zustand, wie er bisher bestanden hat, kommt (so 3 Ob 233/75 vom 4.11.1977). Es kann auch einem um die Aufrechterhaltung der Ehe jahrelang ringenden Ehegatten nicht zum Verschulden zugerechnet werden, wenn er letztlich in Erkenntnis des Scheiterns seiner Bemühungen den Willen zur Fortsetzung der Ehe verliert und diesem Willen entsprechende Handlungen setzt (8 Ob 591, 592/88 vom 27.10.1988).
Auf die Aufnahme intimer Beziehungen durch die Klägerin mit einem anderen Mann seit Ende August, Anfang September 1988 kommt der Revisionswerber mit Recht nicht mehr zurück. Er hatte nämlich zugestanden, daß die Ehe längst vor seinem eigenen noch vorher begonnenen gleichartigen Verhalten zerrüttet war (S 139 f), was auch den Urteilsfeststellungen entspricht. Aus diesem Vorbringen kann nur geschlossen werden, daß der Beklagte auch die intimen Beziehungen der Klägerin zu einem anderen Mann nicht mehr als ehezerstörend im Sinne des § 56 EheG empfunden hat. Diese Bestimmung gilt aber auch für den Ehescheidungsgrund des Ehebruches (so Schwind, Eherecht2, 197 f, SZ 39/18, zuletzt 5 Ob 622, 623/82 sowie auch BGH vom 24.9.1955 IV ZR 79/55 = FamRZ S 341 mit Anm Halbscheid) auch als absoluter Ehescheidungsgrund (EFSlg 51.569; 57.080 ua) angesehen wird . Das Berufungsgericht hat daher zutreffend das Alleinverschulden des Beklagten an der Zerrüttung der Ehe mit der Klägerin angenommen. Der Revision war daher ein Erfolg zu versagen. Die Entscheidung über die Revisionskosten gründet sich auf die §§ 41 und 50 ZPO.
Anmerkung
E20004European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1990:0030OB00503.9.0207.000Dokumentnummer
JJT_19900207_OGH0002_0030OB00503_9000000_000